eRezept – erst einmal vertagt? Einfache Übertragungswege für das eRezept gelten als nicht datenschutzkonform
Für einige schien es wie ein Paukenschlag, als sich vergangene Woche die KV Westfalen-Lippe als letzte verbliebene Test-KV aus dem Roll-Out Verfahren des E-Rezeptes zurücknahm, also konkret die Akquise weiterer Praxen stoppte (~ Mitteilung der KVWL v. 3. November). Andere, wie der Apothekerverband Westfalen-Lippe, haben die Entscheidung mit einem metaphorischen Kopfnicken als längst erwartet entgegengenommen [~ zum Beitrag AVWL]. Anlass für die Entscheidung der KV ist die ausbleibende Genehmigung des niederschwelligen Rezept-Transportverfahrens über die eGK durch den Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) Prof. Kelber. In dessen Stellungnahme heißt es: „Die geplante Schnittstelle ist nicht nach dem Stand der Technik abgesichert und verstößt damit gegen die DSGVO.“ Somit verbliebe es, nach Auslegung der KBV, zunächst bei der Variante ‚papiergebundener E-Rezepte‘. Einem Oxymoron also, das – wenn auch ironisch belustigend – dem Grundgedanken der Digitalisierung entgegensteht. In der Erklärung zum Rückzug der KVWL bedauert die gematik den Entschluss und verweist auf die konstruktiven Erfolge (~ zur Stellungnahme vom 3. November). Ferner heißt es dort: „Trotz der aktuellen Entscheidung werden E-Rezepte weiterhin ausgestellt und eingelöst sowie die Prozesse weiterentwickelt.“ Das unmittelbar einsetzende politische ‚Fingerzeigen‘, ob erhoben oder aufeinander, wirkt hier allerdings der Planungssicherheit entgegen. ———————————- Aus Sicht der Praxen und MVZ stellt sich daher die Frage, wie es weitergeht mit der ‘Pflichtanwendung eRezept’. Ursprünglich war ja angekündigt, dass noch in 2022 weitere sechs KVen als Testregionen starten. Dieses Projekt ist komplett vom Tisch. Vielmehr scheinen sich alle Beteiligten auf Mitte 2023 als neues relevantes Datum einzupegeln. In einer von der gematik veröffentlichten Pressemitteilung zur Gesellschafterversammlung vom 7. November (~ Volltext öffnen) wurde „die Umsetzung der Funktion ‚Einlösen ohne Anmeldung‘ in der E-Rezept-App beschlossen. Damit soll die Akzeptanz des E-Rezeptes und der E-Rezept-App gesteigert werden. Die Spezifikation dazu wird in Kürze veröffentlicht.“ Fakt ist, dass der BfDI bis Mitte 2023 eine akzeptable Lösung für die Verwendung der eGK im Zusammenhang mit den e-Rezepten fordert. Praxen, die am Roll-Out beteiligt waren, können jedoch mit dem bisherigen Status quo fortfahren – der aktuelle Streit betrifft ledidglich den Authentifizierungsweg ohne Pin über die eGK, den die KVWL testen wollte. Darüber hinaus lässt die momentane Situation keine konkrete mittelfristige Prognose zu – zumal der Bundesgesundheitsminister Lauterbach erst am 12. Oktober in einer Bundestagsrede auch Überarbeitungen beim eRezept zu seinen aktuellen gesetzgeberischen Vorhaben gezählt hatte – ohne allerdings Details zu nennen: “Wir werden darüber hinaus auch das E-Rezept etwas anders organisieren und nach vorne bringen.” (Plenarprotokoll 20/59 -Seite 6536).
E-Health.com v. 12.11.2022
Das E-Rezept kämpft weiter mit seinem Ruf
Heise.de v. 07.11.2022
Weiterer Dämpfer für das E-Rezept: Letzte Testregion steigt aus Testphase aus
Apotheke Adhoc v. 03.11.2022
Ausstieg aus dem E-Rezept-Rollout : KVWL sieht Schuld beim Datenschützer
Bürgschaftserfordernis | BSG beseitigt KV-spezifische Benachteiligung nicht-ärztlicher Trägergesellschaften
Manch Leser ist vielleicht kurz irritiert: Das Bürgschaftserfordernis nach § 95 SGB V entfällt? Nein, darum ging es bei der bereits Anfang September veröffentlichten Entscheidung des Bundessozialgerichtes nicht. Vielmehr hatten einzelne KVen, darunter Bayern und Berlin in ihren Abrechnungsbestimmungen für MVZ GmbHs, deren Gesellschafter nicht ausschließlich natürliche Personen waren, eine weitere Hürde eingezogen. Verlangt wurde hier seit mehreren Jahren zusätzlich zum Bürgschaftserfordernis nach § 95 SGB V die Vorlage einer zweiten Bankbürgschaft konkret zur Sicherung der Abschlagszahlungen. Anders ausgedrückt: Betroffene MVZ, die diese zweite Bürgschaft nicht abgaben, erhielten keinerlei Abschlagszahlungen sondern mussten grundsätzlich die eigentliche, bekanntermaßen stark zeitverzögerte Honorarzahlung abwarten. In Bayern galt etwa: “Sind bei einem MVZ, … die Gesellschafter nicht ausschließlich natürliche Personen, leistet die KVB Abschlagszahlungen nur dann, wenn das MVZ zur Sicherung von Forderungen der KVB und der Krankenkassen aus dessen vertragsärztlicher Tätigkeit eine selbstschuldnerische Bürgschaft ….in Höhe von fünf Abschlagszahlungen beigebracht hat.” Da die Hinterlegung von Bankbürgschaften – vor allem über die Zeit – Bankgebühren in deutlich spürbarer Höhe verursacht, ist es nur folgerichtig in diesen KV-internen Regelungen eine relevante Benachteiligung der betroffenen Akteure zu erkennen. Bereits in dem kurzen Terminbericht des BSG – denn die ausführliche Begründung steht noch aus – erklären die Richter: “Mit dieser Differenzierung überschreitet die Beklagte ihren grundsätzlich bestehenden weiten Spielraum bei der Ausgestaltung ihrer Abrechnungsbestimmungen. Es fehlt an den nach Art 3 Abs 1 GG erforderlichen Sachgründen für die Ungleichbehandlung.” Damit wurde dieser Praxis von KVen, in den internen Abrechnungsbestimmungen zusätzliche Sicherungsleistungen zu verlangen, eine eindeutige Absage erteilt. Es war auch unmittelbar von bayrischen BMVZ-Mitgliedern zu hören, dass die KV Bayerns daher diese Praxis sofort nach Bekanntgabe des Urteils beendet hat – dass insoweit die durch betroffene MVZ hinterlegten Bankbürgschaften gekündigt werden können. Wir wissen jedoch nicht, inwieweit die KVen hier auf die bisher verpflichteten MVZ aktiv zugeht. Tatsächlich ist uns auch aufgrund der Vielzahl der regionalen Regelungen nicht belastbar bekannt, in wie vielen KVen tatsächlich solche Zweitabsicherungen etabliert wurden. Es ist daher empfehlenswert, gegebenenfalls einmal einen Kontrollblick in Ihre Unternehmensunterlagen zu werfen. Im Übrigen verweisen die Autoren der Kanzlei Wigge, die den unten verlinkten, ausführlichen Aufsatz in der RöFo verfasst haben, dass “nach diesseitiger Auffassung … die rechtswidrige Praxis der in diesem Sinne vorgegangenen KVen dazu führen [dürfte], dass diese nicht nur unverzüglich betreffende selbstschuldnerische Bankbürgschaften an die betroffenen MVZ-Trägergesellschaften herauszugeben haben, sondern darüber hinaus für den finanziellen Aufwand nachträglich aufkommen müssen.”
RöFo – Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen und der bildgebenden Verfahren Heft 11/2022
Anforderungen an Bürgschaftserklärungen und andere Sicherheitsleistungen für MVZ GmbHs
Terminbericht des BSG v. 07.09.2022
BSG – B 6 KA 10/21 R: Terminbericht (PDF)
eAU | Nutzungsrate steigt, Fehlerquote sinkt – Neue Verpflichtung für alle Arbeitgeber ab 2023
Schaut man sich die Schlagzeilen in den Fachmedien an, bekommen ePA und eRezept derzeit die große Bühne. Um die dritte große Säule der patientennahen digitalen Anwendungen – der eAU – ist es dagegen ruhig geworden. Hier scheint es zu laufen – die Barmer vermeldete für Oktober, dass für ihre Versicherten inzwischen vier von fünf Krankschreibungen digital eingehen und dass die Fehlerquote von 5,9 % in der ersten Juniwoche auf 0,3 % in Kalenderwoche 42 gesunken sei (~ Pressemeldung v. 31.10.2022). Wenn in dem Aspekt also in den Praxen zunehmend Routine eintritt, ist das ein guter Zeitpunkt, sich mit der nächsten ‘Ausbaustufe’ zu befassen, die sämtliche MVZ und Praxen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber betrifft. Wir hatten bereits in KW 39 berichtet: Hier kommt eine komplexe Aufgabe auf Personalabteilung und Lohnbüro zu. Denn zum Jahresende läuft die Pilotphase aus, mit der einige Steuerberater und Unternehmen bereits seit elf Monaten die digitale Übermittlung der AU-Daten zwischen Krankenkassen und Arbeitgeber testen. Ab 1.1.2023 wird diese Umstellung für sämtliche Unternehmen aller Branchen in Deutschland Pflicht. D.h. dann läuft nicht nur die Übermittlung der AU-Daten vom Praxiscomputer an die Kasse elektronisch, sondern auch der Datenabruf durch den Arbeitgeber bei der Kasse. Sprich: Ab Jahresanfang gibt es keinen gelben Schein für die Patienten mehr – ggf. kann dieser einen entsprechenden Stylesheet-Ausdruck bekommen, so er/sie diesen am Tresen einfordert. Aber: Der Arbeitgeber ist neu in der Pflicht, die eigentliche, offizielle Krankmeldung online abzurufen. —————————— Das Auslaufen der Pilotphase erfordert von allen Arbeitgebern Umstellung von Routinen und Informationsarbeit gegenüber den Mitarbeitern. Für letztere stellt der Arbeitgeberverband BDA ein Musterschreiben zur Verfügung (~ Musterbrief zur Information an Ihre Beschäftigten – Achtung es handelt sich um eine offene Docx-Datei). Der Abruf der Daten selbst ist an die besondere Entgeltabrechnungskommunikation (via Datev & Co) gekoppelt und muss daher, wenn die Lohnbuchhaltung, wie bei vielen kleineren Betrieben, durch einen Dienstleister erfolgt, mit diesem gemeinsam organisiert werden. Je nach den praxisindividuellen Umständen ist die Umstellung der AU-Routinen und der Aufwand für die Informationsarbeit daher nicht trivial. Und grundsätzlich sollten alle Mitarbeiter rechtzeitig vor dem Jahreswechsel über die anstehenden Veränderungen informiert werden.
BDA – Bund der Arbeitgeber / Update v. November 2022
eAU: Kurzleitfaden, Checkliste & weiterführende Materialien
AOK Bundesverband v. Juni 2022
Trends & Tipps: Ausgabe zu eAU und Datenaustausch (PDF)
GKV-Spitzenverband
FAQ zum Datenaustausch im Gesundheitswesen
Geschlechterparität in KV & KBV? | Änderungsantrag zum Krankenhauspflegeentlastungsgesetz
Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz – kurz KHPflEG – zählt zu den zentralen Gesetzesvorhaben des BMG in 2022 – und wie der Name schon sagt, dreht es sich primär, um organisatorische Aspekte (Personalmangel, problematische Budgetverhandlungen) der stationären Versorgung (~ mehr Informationen). Da sich weitere Novellierungsprojekte jedoch verzögern, ist das Gesetz inzwischen auch Andockpunkt zahlreicher Regelungen aus den verschiedensten Bereich des Gesundheitswesens. Unter anderen wurde bereits vor der Fachanhörung vom 9. November von den Ampelfraktionen ein gemeinsamer Änderungsantrag eingereicht, nach dem künftig die Regelung, die seit zwei Jahren für die Kassenvorstände gilt, dass nämlich in selbigen, so sie mehrköpfig sind, stets mindestens eine Frau vertreten sein muss, auch auf die K(Z)V-Welt erstreckt wird. 2019 war ein solcher Antrag, von den damals oppositionellen Grünen gestellt, von der KBV theoretisch begrüßt worden, man ‘sähe eine bundeseinheitlich geregelte Quotierung aber kritisch.’ (~ Stellungnahme der KBV v. Juni 2019) Da 2022 jedoch alle drei Regierungsparteien hinter dem Antrag stehen, kann seine Annahme als sicher gelten. Der Weg, eine “angemessene Repräsentanz von Frauen und Männern in den Vorständen“ zu erreichen, solle bereits „für die im Jahr 2023 beginnende neue Amtsperiode der Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigungen und Bundesvereinigungen konsequent fortgesetzt werden,“ zitiert das Ärzteblatt aus der Antragsbegründung. Das würde bedeuten, dass die gerade zu Ende gehenden KV-Wahlen (~ www.KV-wahlen-2022.de) ganz unabhängig von etwaigen Veränderungen in der Zusammensetzung der 17 KV-Vertreterversammlungen ganz neue Vorstandsriegen hervorbringen könnten. So haben bspw. die KVen Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Brandenburg bis dato rein männliche Vorstände. Ganz zu schweigen davon, dass mit Regina Feldmann, die von 2012 bis 2016 Teil des KBV-Vorstandes war, überhaupt erst eine einzige Frau jemals in diesem Gremium Verantwortung innehatte.
Ärzteblatt v. 07.11.2022
Gesetzgeber schreibt Organisationen der Ärzteschaft Parität vor
ÄrzteZeitung v. 04.11.2022
Ampel will Geschlechterparität in KBV- und KV-Vorstände
Digitalisierung | BMG macht Druck – ein Überblick zum Start des Prüfungsprozesses zur Opt-Out-ePA
“Die elektronische Patientenakte (ePA) soll noch in dieser Legislaturperiode als eine Opt-out-Lösung funktionieren. Die ePA soll dann für alle Versicherten automatisch eingerichtet werden. Wer das nicht möchte, kann aktiv widersprechen …. Die gematik hat demzufolge von der Gesellschafterversammlung am Montag, den 7. November 2022, den Prüfauftrag für eine „Opt-out-ePA“ erhalten.” – so kann man es auf der gematik-Webseite (~ direkt zur Pressemeldung) aktuell nachlesen. Im Klartext heißt das, das BMG macht Druck bei der Evolution der ePA von einer patientengeführten hin zu einer – wie es die Digitalisierungschefin des BMG, Dr. Susanne Ozegowski, ausdrückte – „patientenzentrierten Akte“. Die Gematik spricht von vier ‚Dimensionen‘, die im Rahmen der Prüfung evaluiert werden sollen: „die Bereitstellung der Akte, der Zugriff auf die ePA, ihre Befüllung und die pseudonymisierte Datenweitergabe zu Forschungszwecken.“ Es ist wohl davon auszugehen, dass es sich bei den Dimensionen um ein hierarchisches Stufenmodell handelt, denn Patienten, die eine ePA grundsätzlich ablehnen, müssen mit ihrem Arzt nicht über die Befüllung diskutieren. Das Befüllen betreffend führt der änd, Bezug nehmend auf die Aussagen von Ozegowski aus, dass noch zu klären sei, was konkret in die ePA aufgenommen wird, Ärzte sollen allerdings grundsätzlich Zugriff auf die ePA ihrer Patienten haben können. Außerdem sollen die elektronische Patientenkurzakte und der elektronische Medikationsplan in die ePA integriert werden. Termine oder Meilensteine wurden dementgegen bis dato nicht kommuniziert. Ebenso keine Erwähnung findet bemerkenswerterweise der Datenschutz, der just am 07. November bei der gematik Thema gewesen seien dürfte, nachdem sich die KVWL aus dem Roll-out des E Rezeptes zurückgezogen hat. [siehe Reiter Praxisorganisation]. Vielleicht ging man davon aus, dass die ex ante Wortmeldung des Bundesdatenschutzbeauftragten Kelber vom 02. November ausreichend hörbar war. In dieser hatte er – wie zu erwarten – Bedenken angemeldet. Sein Sprecher stellte gar die Sinnhaftigkeit der in der ePA erhobenen Daten infrage. Dem entgegen stehen etwa die Aussagen des Hausärzteverbandes, der durchaus einen deutlichen Mehrwert erkennt, sofern die ePA entsprechend gut umgesetzt wird. ————————– Abseits der Fragen ‚was‘ eigentlich ‚wann‘ umgesetzt wird, scheint auch das ‚wie‘ bedenkenswert. Im Grunde sind opting-out Verfahren nichts Neues und werden beispielsweise partiell im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge erfolgreich umgesetzt. Doch insbesondere im Kontext der Patientendaten ergeben sich Debatten mit unvorhersehbarem Charakter. Für den MVZ-Betrieb stellt sich so unter anderem die Frage, inwieweit am Empfangstresen, vornehmlich in der Einführungsphase, effizient aufgeklärt werden muss oder kann? Ob 80 Prozent der Patienten – so wie vom BMG erhofft – tatsächlich den vollen Leistungsumfang der ePA annehmen, bleibt abzuwarten. Es wäre demnach zu überlegen, ob künftig für Patienten mit und ohne ePA, oder mit einer Teilnutzung, parallele Arbeitsroutinen implementiert werden müssen. Aber dies ist erst einmal Zukunftsmusik bis der Gesetzgeber tatsächlich neue Regeln beschließt. Somit bleibt für die Praxen und MVZ beim Thema ePA zunächst einmal alles wie bisher, da nur die wenigsten Patienten über eine ePA verfügen. Die TK spricht für ihre Mitglieder derzeit von 3,2 Prozent.
änd – Ärztlicher Nachrichtendienst v. 08.11.2022
Startschuss für die Entwicklung der Opt-out-ePA ist gefallen
Handelsblatt v. 07.11.2022
Jeder soll automatisch E-Patientenakte erhalten: Lauterbach bringt Opt-out-Verfahren auf den Weg
Medscape v. 02.11.2022
Druck auf Patienten und Ärzte: Lauterbach plant Opt-Out-Regelung bei elektronischer Patientenakte – was passiert mit den Daten?
Energiekosten | Arztverbände kämpfen um Sichtbarkeit und Hilfen für besonders belastete Fachrichtungen
Am 2. November haben Bund und Länder Details zur Umsetzung der angekündigten Gas- und Strompreisbremsen beraten. Aus der Berichterstattung ergab sich schnell, dass es hier für Kliniken spezifische Sonderhilfen geben wird, oder, wie BMG-Chef Lauterbach es formulierte: “Kein Krankenhaus wird ein Problem bekommen, weil es Inflation nicht bezahlen kann, den Strom nicht bezahlen kann oder das Gas nicht bezahlen kann.” Die bereits in der Vorausgabe formulierte Frage (~ Archiv | KW43), was diesbezüglich mit dem ambulanten Sektor sei, liegt zwar nahe – ist aber offenbar weiter kein Thema für die Politik. Zumindest sind Praxen und MVZ im Beschlussergebnis der Ministerpräsidentenkonferenz (~ Volltext öffnen) nicht gesondert erwähnt. Die KBV kritisierte diesen Umstand in ihrer Pressemeldung folgerichtig, als “fatales Signal an die niedergelassenen … Kollegen. Sie haben zunehmend den Eindruck, dass sie gemeinsam mit ihren Teams … Tag für Tag unter enormen Belastungen die Versorgung … stemmen und dies aber mitnichten von der Politik geschätzt, sondern einfach stillschweigend registriert wird.” Andere Verbände äußerten sich ähnlich. Praktisch ist es so, dass insgesamt 12 Milliarden € für Maßnahmen zur Abfederung der Energie- & Inflationskosten bereitgestellt werden sollen, von denen 8 Milliarden für Krankenhäuser, Universitätskliniken und Pflegeeinrichtungen vorgesehen sind. Unklar ist, was aber für alle anderen Bereiche gelten soll. Angekündigt wird immerhin eine “Härtefallregelung für kleine und mittlere Unternehmen, die trotz Strom- und Gaspreisbremse von besonders stark gestiegenen Strom- und Gaspreissteigerungen betroffen sind.” Hier wollen Bund und Länder noch eine gesonderte Vereinbarung treffen. Für die Härtefallregelung für KMU soll eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden und die Antragstellung und Abwicklung über die Länder erfolgen. Derzeit gibt es also weiterhin aus Praxissicht mehr offene Fragen als Antworten. Bis sich das ändert, kann ein Blick in die deutsche Handwerkszeitung lohnen, die eine Übersicht dazu bietet, welche Hilfen es für Unternehmen bereits gibt, was ist noch in Planung und wie die Länder überstützen? (DHZ v. 08.11.2022) Unabhängig von der Perspektivverschiebung weg von der Gesundheitsversorgung, hin zu den kleinen Handwerksbetrieben, wird hier der aktuelle Sachstand vergleichsweise übersichtlich dargestellt.
Der Hausarzt – Online v. 02.11.2022
Hohe Energiekosten: Milliardenhilfe für Kliniken – und die Praxen?
KBV-Mitteilung v. 03.11.2022
KBV fordert: Steigende Energiekosten auch für Praxen abfedern
Ausfallhonorar bei kurzfristig abgesagten Terminen? BGH bestätigt engen Korridor
Eine höchstrichterliche Entscheidung vom Frühsommer 2022 (~ BGH III ZR 78/21), bei der der Anspruch der klagenden Ergotherapeutin auf Zahlung eines Ausfallhonorars durch die terminsäumige Patientin jedoch abgelehnt wurde, nimmt der Autor des Fachjournals ArztAbrechnungAktuell zum Anlass, herauszustellen, dass unter bestimmten Bedingungen Praxen und MVZ dennoch Entschädigungszahlungen einfordern können. Denn, es “lässt sich aus dem Urteil entnehmen, dass die Geltendmachung einer Ausfallpauschale für kurzfristig abgesagte Termine unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen rechtlich zulässig ist.” Dazu gehört vor allem, dass der Termin nicht kurzfristig anderweitig vergeben werden konnte. Insoweit folgt die aktuelle BGH-Rechtsprechung verschiedenen Unterinstanzen, die bei ähnlichen Konstellationen ähnlich argumentiert haben. Grundsätzlich ist die Rechtsprechung jedoch eher auf Seiten der Patienten, für die sich aus dem Behandlungsvertrag nach dem BGB ein jederzeitiges Kündigungsrecht ergibt. Anderes gilt jedoch für reine Bestellpraxen, die die Behandlungszeit exklusiv nur einem Patienten reservieren und deshalb kurzfristige Ausfälle i. d. R. nicht anderweitig kompensieren können. Das sieht selbst die Verbraucherzentrale so, die Patienten ermahnt, alle Termine möglichst frühzeitig abzusagen. Aber sie erklärt auch: “Ein Ersatzanspruch der Arztpraxis kommt …. in Betracht, wenn ihr wegen des ausgefallenen Termins ein Verdienstausfall entstanden ist. Dieser kommt zustande, wenn die Praxis in der betreffenden Zeit keine anderen Patient:innen behandeln konnte.” Voraussetzung ist eine entsprechende schriftliche Information und Vereinbarung. Aber, gerade hier rät die KV Brandenburg in ihrer gut aufbereiteten Darstellung aus dem Jahr 2019, die bis heute ihre Aktualität behält, ‘bitte einen Rechtsanwalt darauf schauen zu lassen,’ denn: “Einseitig vom Arzt für eine Vielzahl von Behandlungsverträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die er seinen Patienten vorgibt, ohne dass diese im Einzelfall ausgehandelt werden, sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu werten, die besonderen Rechtsvorschriften unterliegen (§§ 305 ff. BGB) und unwirksam sein können.” Im Übrigen gilt als Umkehrschluss zur BGH-Rechtsprechung, dass bei Praxen, die die Möglichkeit haben, einen Termin kurzfristig nachzubesetzen, oder die statt oder trotz fester Termine mit Wartezeiten arbeiten, die Geltendmachung einer Ausfallpauschale weiterhin grundsätzlich ausscheidet.
AAA – Abrechnung Aktuell v. 24.10.2022
Ausfallpauschale für kurzfristig abgesagte Termine ‒ Ende eines massiven Ärgernisses?
Verbraucherzentrale v. 11/2021
Gebühr für verpassten Arzttermin?
KV Brandenburg v. 09/2019
Ärztliches Ausfallhonorar bei Terminsäumnis des Patienten: Kurzüberblick Rechtslage, Aktuelle Rechtsprechung, praktische Probleme
MVZ als Politikum I | Die politische Debatte braucht mehr Sachlichkeit – Ein dringender Appell des BMVZ
Manch einem Arzt, Träger oder Verwaltungsmitarbeiter, der morgens sein Rüstzeug schnürt, um die Arbeit in seinem MVZ anzutreten, mag die erhitzte Debatte um die Unzulänglichkeiten der MVZ als Praxisform mehr als sauer aufstoßen. Völlig zu Recht hatten sich daher kürzlich erst Ärztinnen und Ärzte aus sogenannten ‘Investoren-MVZ’ in einem offenen Brief gegen die beständige Verunglimpfung ihrer persönlichen Integrität als Mediziner verwahrt. Der BMVZ legt nun mit einem ‘Appell zu mehr Sachlichkeit’ nach. Besonderer Ansatzpunkt des Aufrufes ist die Aufarbeitung der Pressearbeit der KV Bayerns und des IGES-Institut zur Veröffentlichung ihrer ‘Versorgungsanalyse zu MVZ mit Schwerpunkt auf Finanzinvestoren als Träger’ (~ zur inhaltlichen Kritik des BMVZ v. 22.04.2022). Die Meinungsmanipulation hat jedoch noch viele weitere Ebenen. Vor allem gelingt es den Medien derzeit allzu leicht – auch weil leicht zugängliche, bzw. verständliche Fakten zu fehlen scheinen, die MVZ-Debatte mit aufmerksamkeitsheischenden Überschriften zu dramatisieren. Es war daher ein Schwerpunkt des Vortrages der BMVZ-Geschäftsführerin im Rahmen des Praktikerkongresses 2022 faktenbasiert gängigen Stereotypen und Phrasen der MVZ-Debatte zu begegnen. Die Medical Tribune hat darauf basierend im Nachgang einen Kongressbericht veröffentlicht, der die Beweisführung selbst ohne Blick auf die Folien gut nachvollziehbar macht: “Auch ohne dieses [MVZ-]Register lassen sich aus den Statistiken mehr Informationen zu MVZ holen, als das bislang passiert. Das bewies [die Referentin] … Ihre Quellen: die MVZ-Statistik der Kassenärztlichen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, das Bundesarztregister und das Statistische Jahrbuch. Ihr Anliegen: Bezugsgrößen und Gruppenbezüge geradezurücken, um die öffentliche Debatte auf eine reale Grundlage zu stellen. Im Endeffekt – so das gleichlautende Plädoyer des Vortrags wie der aktuellen Pressearbeit des BMVZ – muss es darum gehen, eine Entdramatisierung der Debatte durch das konsequente Arbeiten mit belastbaren Zahlen und Fakten zu erreichen – auch wenn das eine mühselige Kärrneraufgabe für den Verband bleibt. Aber nur so ergibt sich der dringend benötigte Raum für die Diskussion des Wesentlichen, nämlich der Frage, wie die ambulante Versorgung langfristig und flächendeckend sichergestellt werden kann, gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Herausforderungen.
Medical Tribune v. 18.10.2022
MVZ Statistiken zu oberflächlich interpretiert?
BMVZ-Position v. 08.11.2022
MVZ-Debatte: Ein Anschlag auf die Sachlichkeit oder Wenn gezielte Täuschung Ausgangspunkt der Pressearbeit ist
Das MVZ als Politikum II | Wer im Herbst 2022 Was, Wie und Warum gesagt hat
Der folgende Beitrag wurde bereits in der Praxis.KOMPAKT-Ausgabe der KW43 veröffentlicht.
Wegen fortgesetzer Relevanz veröffentlichen wir ihn auch in dieser Ausgabe erneut.
Mehrfach wurde es an dieser Stelle bereits thematisiert: Das MVZ als politisch-ideologisches Streitobjekt der verschiedensten Ebenen von Gesundheitspolitik und Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist fortgesetzt höchstpräsent in der fachspezifischen, aber auch in der allgemeinen Medienlandschaft. Tatsächlich steht dieses hohe Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit jedoch in einem augenfälligen Missverhältnis zu den tatsächlichen Tat- bzw. Reformabsichten des zuständigen Gesetzgebers. Es scheint daher nicht zu weit hergeholt zu vermuten, dass die öffentliche Debatte auch gerade deshalb so laut und vehement ‚am Köcheln‘ gehalten wird, weil es aus Bundestag und BMG derzeit keine Signale gibt, beim MVZ-Thema aktiv zu werden. In der Befragung der Bundesregierung vom 12. Oktober erklärte Dr. Lauterbach: „Wir sind am Vorabend wichtiger Gesetze. Ich will hier nur numerisch ganz kurz zusammenfassen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten insgesamt zwölf Gesetze ans Netz bringen werden, über die wir dann mit Ihnen diskutieren werden.“ – welche 12 das sind, können Interessierte im Plenarprotokoll (~ als PDF öffnen, dort Seite 11 unten, bzw. Seite 12 linke Spalte) im Wortlaut nachlesen. Spoiler: Die ambulante Versorgung findet darin nur in Form der drei Stichworte e-Rezept, e-Patientenakte und Gesundheitskiosk Erwähnung. Umso relevanter ist es zu beobachten, dass es innerhalb der außer-parlarmentarisch geführten MVZ-Diskussion zunehmend konstruktive Debattenbeiträge gibt. Hierzu zählt etwa der Text des bis vor kurzem beim BSG (auch) für MVZ zuständigen Richters Prof. Ulrich Wenner im Politik-Magazin der KBV: Lassen sich investorbetriebene MVZ verbieten? – ein Kurzaufsatz, der für juristische Laien verständlich beleuchtet, welche Hürden einem (Teil-)Verbot einzelner Trägergruppen entgegenstehen. Konstruktiv war auch das MVZ-Papier des vdek vom Sommer 2022 (~ zum Archiv – Bericht der KW 33), das Reformvorschläge von der These aus entwickelt, dass “Finanzinvestoren weiter ihren Platz in der ambulanten Versorgung haben.” – und das das Ärzteblatt Anfang Oktober zum Ausgangspunkt einer analytischen Zusammenfassung des gegenwärtigen Debattenstandes – inkl. Kommentierung durch den BMVZ – nahm (Link unten). Daneben gibt es diverse Wortmeldungen, die – unter Verwendung zahlreicher Konjunktive, da Basis weiterhin vor allem gefühlte, nicht belegbare Sorgen/Bedrohungen sind – Beschränkungen fordern: Augenärzte-Verband fordert Maßnahmen gegen Monopolbildung | Hausärzte-Chef Beier gegen Rosinenpickerei durch MVZ | Landtag will Investoren beim Kauf von Arztpraxen bremsen | Delegierte wollen Vorrang für Vertragsärzte vor Investoren. Nach wie vor steht auch die von der Gesundheitsministerkonferenz geforderte, aber bisher nicht eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe quasi als unsichtbarer Elefant im Raum (~ Konferenz- Beschluss vom 22./23. Juni 2022).
Die Debatte bleibt also virulent. Sie hat jedoch jüngst auch eine neue Farbe bekommen, als sich auf Initiative des BBMV, ein Zusammenschlusses von aktuell 16 humanmedizinischen MVZ-Betreibern mit Investorenbezug (~ Eintrag im Lobbyregister des Bundestages), knapp hundert namentlich unterzeichnende und in diesen Zentren angestellt tätige Ärzte dagegen wehren, ständig durch die unbelegten Anwürfe in ihrer ethischen und beruflichen Integrität verunglimpft zu werden: „Wir stehen dafür ein, dass die ärztliche Unabhängigkeit in medizinischen Entscheidungen gewahrt ist – unabhängig davon, ob der Träger oder Inhaber des MVZ eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten, ein Krankenhaus oder eine Beteiligungsgesellschaft ist. Wir verwahren uns gegen Äußerungen, die den Anschein erwecken, wir würden dieser Aufgabe nicht nachkommen.“ Eingefordert wird von Politik und Standesvertretern ein Gespräch mit diesen Ärzt:innen, statt über sie. Anders konstruktiv hat sich schon im Juli der Koordinator der Bundes-AG Gesundheit der FDP geäußert (~ mehr zur Person) – was natürlich wegen der Regierungsbeteiligung der FDP bemerkenswert ist: „Falsch wäre es, MVZ-Strukturen … grundsätzlich zu hinterfragen und Investitionen der Privatwirtschaft zu verteufeln. (…) Wichtig … ist jedoch: Versorgungsqualität, Wettbewerb und nicht zuletzt ärztliche Weisungsfreiheit …“ Viele aktuell diskutierte Vorschläge seien diesbezüglich aber „erkennbar wenig zielführend.“ Der Gesundheitspolitiker macht daher drei Vorschläge, um den Auswüchsen arztfremder MVZ-Investments vorzubeugen, die sich abseits der gewohnten Bahnen der MVZ-Kritiker bewegen. Einer dieser Vorschläge ist es, die 2015 eingeführte Option des fachgleichen MVZ wieder zurückzunehmen.
Alles in allem zeigt der Sommer/Herbst 2022 damit, dass die Debatte zum ‚MVZ als Politikum‘ im wahrsten Sinne des Wortes ‚lebt‘, dass nicht nur Polemiken gegen MVZ Gehör finden, sondern dass auch Raum entsteht, sich differenziert(er) über notwendige oder wünschenswerte Optimierungspotentiale auszutauschen und dass neue Akteure, wie etwa der Ersatzkassenverband, auf den Plan treten. Was das freilich für die Frage bedeutet, ob und wie der Gesetzgeber hier eventuell eine MVZ-Novellierung in 2023/24 angeht, lässt sich aus diesem Befund nicht ableiten. Als Bundesverband der MVZ werden wir daher weiter aufklären, sensibilisieren und ent-dramatisieren. Grundsätzlich geht es uns darum, aufzuzeigen, dass jedes MVZ mit der ‘Lizenz zur Versorgung’, die es über die Zulassung erhält, Rechte- und Pflichtenträger im vertragsärztlichen System ist, und dass regelhaft die MVZ – gleich welchen Trägers – diese Verantwortung auch in beide Richtungen ernst nehmen. Die unverhältnismäßig stark auf die kleine Gruppe so genannter medizinferner Investoren als MVZ-Träger fokussierte aktuelle Debatte verstellt hier unserer Überzeugung nach den Blick darauf, welchen Versorgungsbeitrag MVZ im ambulanten Alltag vor Ort in den Praxen tagtäglich leisten.
Ärzteblatt v. 06.10.2022 (Heft 40/2022)
MVZ: Vielfältige Versorgungslandschaft mit klaren Regeln sichern
ÄrzteZeitung v. 20.10.2022
MVZ-Ärztinnen und -Ärzte sehen sich durch Standesvertreter „verunglimpft“