Die Welt der ambulanten Versorgung ist in Aufruhr. Angesichts der zahlreichen Kostensteigerungen ohne Refinanzierungsmöglichkeit, wächst in zahlreichen Praxen der Frust über die eigenen Arbeitsbedingungen. Die große Frage aber ist, ob es hier weiterhin primär zu ‚innerlichen Kündigungen‘ bei Ärzten und Personal kommt, oder ob die Vertragsärzteschaft zu einer Art institutionellen Protest übergehen wird. In der letzten Ausgaben hatten wir diesbezüglich einen ausführlichen Bericht zur Krisensitzung der KV-Welt vom 18. August geben (~ "Wir sind hier heute nicht, um zu jammern. Wer das behauptet, hat den Ernst der Lage nicht verstanden.") und analysiert, dass für die Durchsetzung der Honorarforderungen „die relevante Frage für den Herbst sein [wird], ob es … der Ärzteschaft gelingt, Patienten und öffentliche Meinung auf ihre Seite zu ziehen, oder ob Minister Lauterbach, die Deutungshoheit… behalten kann. (…) Maßgeblich wird hier also sein, ob es der KV-Welt gelingt, glaubwürdige Antworten zu liefern, die eben nicht als Jammern von Spitzenverdienern verstanden werden.“
Vor diesem Hintergrund ist vorläufig zunächst ein etwas unglückliches Agieren der Ärzteschaft zu konstatieren. Jedenfalls konnte bisher in der Öffentlichkeit kein Solidaritätseffekt ausgelöst werden. Und ganz sicher helfen nicht Titelseiten, wie die in der gedruckten Ausgabe d. Ärztezeitung v. 4.September, auf der die KV-Vorsitzenden von R-Pfalz erklären, dass „7.900 € Netto sehr wenig sind!“ Da das Interview später online nur unvollständig veröffentlicht wurde, scheint hier im Hintergrund jemand mit PR-Erfahrung Schadensbegrenzung betrieben zu haben. Parallel ist festzuhalten, dass beim groß angekündigten Kampftag der MFA, am 8. September gerade mal tausend Menschen zusammengekommen sind, um diese Proteste zu unterstützen. Dieses Ergebnis steht in krassem Gegensatz zu den vielfältigen Unterstützungsbekundungen, die der VMA als Veranstalter vorab von diversen Arztverbänden inkl. BÄK und KBV erhalten hatte. Aus unserer Sicht ist auch das ein Fauxpas, dass Ärzteverbände und Fachgesellschaften den im Grunde Pro-Ärzteschaft zielenden Honorarprotest der Praxismitarbeiter nicht stärker und mit sichtbarer Präsenz unterstützt hat.
Am Freitag, den 15. September hat die Vertreterversammlung der KBV getagt – kurz nachdem also der Schlichterspruch zum Orientierungspunktwert für 2024 gefallen war (~ Reiter Nachrichten). Im Mittelpunkt stand der Ärger über das von den geforderten 10,2 % weit entfernte Ergebnis sowie die Nicht-Reaktion, die Minister Lauterbach den Ärzteforderungen vom 18. August angedeihen lässt. Wie sehr diese Ignoranz die Ärzte angreift, lässt sich gut an der Rede des KBV-Vorsitzenden vom Freitag ablesen, die insgesamt als Lektüre empfehlenswert ist, um zu erfahren, auf welchem Stand die verschiedenen Reformprojektewie sind und wie es um die ärztliche Seele bestellt ist: Redeprotokoll Dr. Andreas Gassen (KBV-Vertreterversammlung v. 15.9.2023).
Tatsächlich hat der Minister auf die Protesttagung vom 18. August nicht etwa mit den üblichen Floskeln von 'Respekt und Dank, aber die Finanzen gäben nicht mehr her', geantwortet, sondern vier Wochen lang einfach gar nicht. Die Taktik des BMG, gegenüber dem Frust der Vertragsärzteschaft, ist offensichtlich das klassische Aussitzen. Wenn den Ärzten hierzu nicht schnell eine geeignete Antwort einfällt, könnte es gut sein, dass der berechtigte ‚Aufstand‘ gegen schlechte Bezahlung, Personalmangel und unpraktikable TI-Vorgaben als Sturm im Wasserglas endet. Gleichzeitig gibt es erste, auch offizielle Stimmen, welche die Schuld vor allem bei der KBV-Führung sehen – ‚Enttäuschung über KBV-Vorstand: Bayerischer Facharztverband fordert „Trainerwechsel.“ Der Vorsitzende des Virchowbundes spricht davon – wie die Ärztezeitung berichtet - dass „das KV-System das Heft des Handelns in die Hand nehmen und in den Aktions-Modus schalten müsse. Ein Eskalationsszenario müsse auf den Tisch.“
Und das wird genau die Frage für den Herbst: Kannibalisiert sich das Ärzteverbandswesen durch Flügelkämpfe selbst oder gelingt es, das BMG zum Aufgeben der Aussitze-Taktik zu zwingen? Welche Art von Eskalationsszenario diesbezüglich denkbar und erfolgsversprechend sein könnte, muss an der Stelle offenbleiben. Allerdings hat die KBV in Reaktion für den 25. September kurzfristig zu einer erneuten Sonder-Konzertierten-Aktion der ärztlichen Fachverbände gerufen.