Das AG-Papier der schwarz-roten Verhandlungsgruppe zu Gesundheit und Pflege enthält unter vielem anderen den in der Überschrift zitierten Satz zur MVZ-Regulierung. Allerdings ohne weitere Ausführungen; leicht zusammenhangslos positionert nach dem Bekenntnis zur ambulant-stationären Angebotsverschränkung und vor der Absichtserklärung, durch Jahrespauschalen unnötige Arzt-Patientenkontakte zu reduzieren. Es ist ein typischer Koalitionsvertragssatz: Hinreichend lang, damit die Absicht deutlich wird, aber auch so kurz, dass sich letztlich alles und nichts darunter verstehen lässt. Daher ist durchaus vorstellbar, dass gerade dieser Satz die Bereinigung der Chefverhandler, die derzeit – wie unter ‘Nachrichten‘ näher ausgeführt (~ direkt öffnen) – stattfindet, überlebt. Im Bericht des zahnärztlichen Standesblattes über die AG-Ergebnisse (~ ZM Online v. 27. März) wird dieser Punkt zentral herausgestellt und mit Bedeutung aufgeladen: "Gleich auf der ersten Seite des Papiers befassen sich die Mitglieder der 16-köpfigen Arbeitsgruppe mit der ambulanten Versorgung. „Wir erlassen ein iMVZ-Regulierungsgesetz“, kündigen sie dort an." Bei den meisten anderen Kommentierungen zum Papier läuft der Punkt dagegen unter ferner liefen, was vermutlich auch eher dem Themenranking der AG entsprechend dürfte.
Nicht sicher genug, dass die Koalition hier wirklich etwas unternimmt, scheint auch die KV Bayerns, die in Form einer Resolution ihrer Vertreterversammlung am 31. März noch einmal die Forderung konkretisiert hat, 'investorenbetriebene MVZ' dringlich zu regulieren, um „die Qualität der ambulanten Versorgung aufrecht zu erhalten. Der Einstieg von Investoren in MVZ müsse deutlich erschwert werden.” (~ Pressemitteilung der KVB) Was diesbezüglich der Sach- und Faktenstand ist, wurde dagegen von der ÄrzteZeitung am 24. März – also vor Veröffentlichung des AG-Papiers bereits ausführlich erörtert (~ Artikel öffnen). Ein Ergebnis des Autors: „Zumindest bei vorurteilsfreier Herangehensweise scheint demnach das Pendel gegen eine Einschränkung der MVZ-Gründungsbefugnisse für Kliniken auszuschlagen. Was nichts daran ändern dürfte, dass der Gesundheitsminister daran festhält, sollte er den Posten weiterhin bekleiden.”
Das AG-Papier zeigt, dass Lauterbach sich beim MVZ-Thema durchaus durchsetzen konnte. Gleichzeitig lässt sich das Fehlen jeglicher Zweckbestimmung ('Wir regulieren die MVZ, um das+das zu erreichen') als Niederlage lesen. Kann so doch unter diesem Satz beinah jede Art von Regelung zum Thema verstanden werden, auch wenn die meisten Akteure den Satz aufgrund der bisherigen Debatte ziemlich gleichförmig und sehr konkret vollenden. Hier bspw. in der schlicht-sprachlichen Fassung des Berliner Kuriers: „Zudem soll es ein MVZ-Regulierungsgesetz geben, das dafür sorgen soll, dass es keine gewinnorientierten Unternehmen mehr in MVZ gibt.” (~ Quelle) Aber so funktionieren Koalitionsverträge nicht: Vielmehr sind Sätze in solchen Papieren oft extrem gedrechselte Sprachkunstwerke, die als bloße Beruhigungspille oder eben als inhaltlich weitreichender Türöffner gemeint sein können.
Will sagen: Allein die Existenz dieses Satzes, wenn er überhaupt Eingang in den eigentlichen Koalitionsvertrag findet, sagt im Grunde wenig bis gar nichts über die wirklichen Regelungsabsichten der kommenden Regierung aus. Und so fragt die ÄrzteZeitung zu recht: ”Was wird nun daraus? Liegt im BMG ein fertiges Paragrafenpaket, das demnächst nur noch aus der Schublade gezogen wird? Oder hat sich das Vorhaben, privaten Kapitalgebern den MVZ-Zugang maximal unattraktiv zu machen, mit der Ampel-Legislatur erledigt?” Eine Antwort muss man als seriöser Autor bis auf Weiteres schuldig bleiben. Zu vieles hängt von Personen- und Parteikonstellationen ab.
Und, was das betrifft, wagen wir folgende Prognose:
Wir glauben, dass das Gesundheitsministerium tatsächlich von der CDU besetzt werden wird (65 % Wahrscheinlichkeit), auch wenn Bärbel Bas (SPD) hier von vielen Fachleuten ein Wahl-Zugriffssrecht bescheinigt wird (30 % Wahrscheinlichkeit). Dass Karl Lauterbach noch einmal das Ministeramt erhält, dem geben wir dagegen keine Chance (5 % Wahrscheinlichkeit). Zu sehr hat er in den letzten dreieinhalb Jahren auch die eigene Partei verprellt. Zumal es bei der Besetzung von Ministerposten ja noch nie wirklich um Kompetenz und Qualität ging. Sondern um Proporze vielfältigster Art. Wer hierzu einen Einblick sucht, dem sei dieser gut recherhierte ARD-Text zu empfehlen: Was kann bei der Postenverteilung im Hintergrund eine Rolle spielen?
Abschließend noch ein Hinweis auf die aktuelle Ausgabe der Apotheken-Umschau, also jener Zeitung, die Patient:innen in vielen Fällen gratis aus der Apotheke mitbringen. Sehr ausführlich wird darin erörtert, warum die „Zahl der Medizinischen Versorgungszentren, kurz MVZ, wächst. Was dahinter steckt und worauf Patientinnen und Patienten achten sollten, wenn sie sich dort behandeln lassen.” (~ direkt zu) Der Beitrag versucht, ein differenziertes Bild zu zeichnen, getragen von Prof. Gerlinger, der sich für die Uni Bielefeld mit kommunalen MVZ beschäftigt und von Sabine Wolter von der NRW-Verbraucherzentrale. Die Aussagen hinterlassen dennoch ein zwiespältiges Gefühl, wenn grundsätzlich für MVZ eine große Personalfluktuation unterstellt und erklärt wird: „Ein weiteres Problem der MVZ ist ihre meist starke Profitorientierung(…) Das kann sich natürlich beißen mit einer guten Versorgung der einzelnen Patientinnen und Patienten … So kann es etwa sein, dass MVZ manche Basisleistungen nicht oder nur ungern anbieten, … Und umgekehrt kann es theoretisch sein, dass man in MVZ Behandlungen empfohlen bekommt, die vielleicht nicht unbedingt nötig sind, sich aber gewinnbringend abrechnen lassen.”
Am Ende geht es um die Frage, ob die Behandlung in MVZ empfohlen werden kann. Sinngemäß heißt es da: 'Die Grundidee von MVZ ist erst einmal in jedem Fall sinnvoll. Allerdings sei das größte Risiko beim MVZ-Besuch, dass man Maßnahmen empfohlen bekommt, die eigentlich gar nicht notwendig wären. Insbesondere bei zahnärztlichen und augenärztlichen Behandlungen wird den Patient:innen empfohlen, besonders aufmerksam sein.' Solche Aussagen sind in ihrer Pauschalität natürlich harter Tobak … bereiten Sie sich also gegebenenfalls auf Patienten vor, die demnächst mit der Apothekenumschau unterm Arm im Wartezimmer stehen.