MVZ und ihr gesundheitspolitisches Umfeld –
Strategische Analyse der aktuellen MVZ-Debatte

Kurzbericht zum Vortrag vom 6. Oktober 2022 | oder | Der Versuch, 50 Minuten in 5 zu quetschen

Das MVZ ist als politisches Debattenthema ein Dauerbrenner. Gleichwohl lassen sich auch in den letzten Jahren Schwankungen ausmachen und Phasen abgrenzen, in denen Akteure wechseln oder die Vehemenz und Stringenz der Angriffe zu- oder abnimmt. Der Umstand aber, dass das MVZ und die beständigen Forderungen einiger K(Z)V-Akteure nach beschränkenden Eingriffen des Gesetzgebers gerade keinen Eingang in den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung gefunden hat und auch in den Wahlprogrammen nur am Rande vorkam (~ Analyse zur Bundestagswahl 2021), mag hier für die Situation des Jahres 2021 Bände sprechen.

Seit Frühjahr 2022 entwickelt sich die Lage jedoch gänzlich anders. Auslöser war die Veröffentlichung einer Auftragsanalyse “mit besonderem Augenmerk auf MVZ in Eigentum von Finanzinvestoren,” die durch eine breite und teilweise unerwartete Medien erfassende Pressearbeit begleitet wurde. Die von der KV Bayerns als Initiatorin und den Studienautoren gesetzte Agenda, dass “Investoren-MVZ höhere Honorarumsätze abrechnen als Einzelpraxen” fand entsprechend ein schnelles und großes Echo. Insbesondere wurde eine Entwicklung angestoßen, mit der aus dem gesundheitspolitischen Fachthema ‘MVZ’ plötzlich ein Thema des Interesses der allgemeinen Öffentlichkeit wurde, das zur besten Sendezeit, bzw. auch in den gedruckten Leitmedien Eingang in die allgemeinen Nachrichten fand.

D.h. völlig unabhängig von der vom BMVZ sofort vorgetragenen und inhaltlich mehr als berechtigten Kritik an der Wissenschaftlichkeit und Belastbarkeit der Studie (~ Stellungnahme & methodische Kritik), war die bayrische Veröffentlichung der Katalysator, um die MVZ-Debatte auf ein völlig neues Level zu heben und darüber zusätzlichen Druck aus der allgemeinen Öffentlichkeit heraus auf den Gesetzgeber auszuüben. Dieses Momentum verselbständigte sich recht schnell, so dass seit Sommer 2022 ganz losgelöst von der fragwürdigen KVB-Studie die MVZ-Debatte virulent in allen Medien in hohem Maß präsent ist und viele Gesundheitspolitiker entsprechend nervös/getrieben sind.
Dies lässt sich durch viele Beispiele belegen. Parallel gab und gibt es eine andauernde Befassung mit dem Thema durch die Gesundheitsministerkonferenz der Länder, die sowohl in 2021 als auch in 2022 wiederholt Anträge an den Bundesgesetzgeber gerichtet hat, beim MVZ-Thema mit Eile und Dringlichkeit regulatorisch nachzusteuern. Wie auf der KV-Ebene gehen auch hierbei wesentliche Initiativen von Bayern aus. Bundesgesetzgeber und BMG zeigen sich davon jedoch über die letzten Monate relativ unbeeindruckt. In jeden Fall ist keine besondere Aktivität zu verzeichnen, oder zu erkennen, dass die Länder mit ihrem Anliegen durchdringen.
Allerdings kann es sich bei diesen Beobachtungen logischerweise nur um eine Momentaufnahme handeln. Eine seriöse Aussage, ob und wann in der Zukunft doch Änderungen im SGB V angestoßen werden, die den MVZ-Trägerkreis einschränken oder – wie ebenso häufig gefordert – womöglich das Ende der Option der konkurrenzbefreiten Sitzeinbringung durch den Abgeberarzt zur Folge haben, lässt sich derzeit nicht geben. Die Abwehrhaltung des Bundesgesetzgebers gegen eine erneute MVZ-Gesetzgebung ist als eher fragil zu bezeichnen und kann jederzeit durch äußere Umstände (~ ein aktuelles Beispiel) ins Wanken geraten. Und dies ist für alle MVZ relevant und keinesfalls nur für die besonders in der Kritik stehenden MVZ medizinferner Investoren. Denn es sollte allen klar sein, dass es keine Lex Investoren geben kann und wird, sondern dass Beschränkungen etwa bei Anstellungen oder eben der Sitzeinbringung alle Träger gleichermaßen treffen.
Die besondere Herausforderung der BMVZ-Arbeit an dieser Stelle ist, dass es sich um eine nicht-konstruktive handelt – in dem Sinne, als dass unser politisches Handeln notgedrungen darauf gerichtet ist, drastische regulatorische Eingriffe, die von vielen Seiten gefordert werden, durch beständige und kleinteilige  Aufklärungsarbeit zu verhindern. D.h. wir kämpfen quasi für eine Nicht-Regulierung – Erfolgsmesser ist hierbei, dass nichts passiert. Wie zum Beispiel auch beim TSVG-Gesetzgebungsverfahren, als wir in 2019 mit viel Aufwand – und letztlich erfolgreich – verhindern konnten, dass jede Anstellungsnachbesetzung unter einen KV-Genehmigungsvorbehalt gestellt wird. Aber wie stellt man in der Öffentlichkeitsarbeit nach Innen und nach Außen dar, dass ‘nichts’ passiert, gerade weil man kompetent, engagiert und überzeugend politisch tätig ist?
So oder so: Fakt ist, derzeit eine belastbare Einschätzung zu geben, was vom Gesetzgeber in Bezug auf MVZ in 2023 oder 2024 zu erwarten ist, ist kaum möglich. Allerdings arbeiten wir stetig daran, mit Fakten und ruhiger Kompetenz zur MVZ-Thematik aufzuklären und dabei auch im Umlauf befindliche ‘Fake-News’ zu entkräften. Aber klar:Die größeren Schlagzeilen sind immer bei denen, mit den dramatischen Überschriften, und nicht auf der Seite derer, die mit profunder Klein-Klein-Arbeit Aufklärung leisten. Dennoch sind wir überzeugt, dass unser Weg richtig, notwendig und langfristig auch erfolgreich ist.
Vielleicht auch nicht, fragt möglicherweise der ein oder andere. Gibt es da nicht mit dem BBMV einen anderen MVZ-Verband, der derzeit viel lauter und sichtbarer agiert (~ offener Brief vom 20. Oktober)? Sollte der BMVZ dies nicht ebenso tun? Dazu lässt sich nur sagen: BMVZ und BBMV arbeiten an dieser Stelle verantwortungsbewusst zusammen. Es ist hier auch richtig, dass der BBMV als Verband, der ausschließlich MVZ-Träger mit ‘privaten Kapitalgebern’ – sprich Investoren – vertritt, für den Ruf und die Belange eben dieser besonderen MVZ-Spielart offensiv eintritt. Als BMVZ stehen wir dagegen Träger- und Strukturübergreifend allgemein für die Förderung von ärztlicher Kooperation und nehmen daher in der aktuell virulenten Debatte auch nicht einseitig Partei. Übergeordnet geht es uns vielmehr darum, den MVZ-Rechtsrahmen sinnvoll für die Gesellschaft weiterzuentwickeln und gleichzeitig zu verhindern, dass aus diffusen, nicht objektiv belegbaren Ängsten heraus normative Änderungen mit der Brechstange vorgenommen werden.
Das Mittel der Wahl dafür ist der Dreiklang aus Aufklärung, Sensibiliserung und Ent-Dramatisierung der Debatte. Dazu nutzen wir im Sinne unseres Verbandszweckes unser breites Netzwerk, das vielfach von informellen Kontakten und über von außen nur bedingt sichtbare Hebel funktioniert. Sollten Sie dazu Fragen oder Anregungen haben, sprechen Sie uns bitte gern und direkt einfach an. Wir sind für Sie da!

Grundsätzlich geht es uns darum, aufzuzeigen, dass jedes MVZ mit der ‘Lizenz zur Versorgung’, die es über die Zulassung erhält, Rechte- und Pflichtenträger im vertragsärztlichen System ist, und dass regelhaft die MVZ – gleich welchen Trägers – diese Verantwortung auch in beide Richtungen ernst nehmen.  Die unverhältnismäßig stark auf die kleine Gruppe so genannter medizinferner Investoren als MVZ-Träger fokussierte aktuelle Debatte verstellt hier den Blick darauf, welchen Versorgungsbeitrag  MVZ im ambulanten Alltag vor Ort in den Praxen tagtäglich leisten. Und da sich die politische Debatte an dieser Stelle im Kreis zu drehen scheint – verweisen wir abschließend auf einen vier Jahre alten Beitrag … denn anders oder besser können wir es heute auch nicht formulieren:


MVZ-Debatte: Ein Anschlag auf die Verhältnismäßigkeit

Denn kooperative Versorgung – politisch gewünscht und vom Patient benötigt – ist nach wie vor eine der wichtigsten Antworten auf die hochkomplexen Herausforderungen unserer Gesundheitsversorgung. Diesen Konsens sollten wir über die aktuell zu oft, zu unsachlich geführten Debatten nicht leichtfertig gefährden. Es gilt daher dringlich, wieder mehr Verhältnismäßigkeit in die aktuellen Diskussionen zu bringen.
[Schlussabsatz des verlinkten Artikels]

  • Vortragsdokumentation vom 06.10.2022 | Herbsterfahrungsaustausch der BMVZ-Mitglieder