KW 15

Wir hatten in KW9 und KW10 berichtet (jeweils Reiter ‚Nachrichten‘): Einer der zulässigen Konnektoren als Pflichtelement der TI-Hardware hatte Datenspuren aller eingelesenen eGK gespeichert, so dass zumindest theoretisch ein Rückschluss auf die Patienten durch Auslesen der Log-Dateien des Konnektor möglich gewesen wäre. Der vergleichsweise kleine technische Anlass hatte eine große Verantwortungsdebatte ausgelöst, da der Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber hier aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen (Paragraf 307 Absatz 1 SGB V) die die Konnektoren betreibenden Ärzte in der Verantwortung sah. Wobei zu betonen ist, dass es dem Bundesdatenschützer wohl vor allem auch darum ging, auf eine seiner Meinung nach gesetzgeberische Missformulierung hinzuweisen, gegen die er schon während des Gesetzgebungsprozesses eingetreten war und die tatsächlich, die Verantwortung für Datenschutzprobleme bei TI-Komponenten, die der Arzt betreibt, bzw. betreiben muss, auch bei diesem verortet. Bezüglich des konkreten Vorfalls hat nun das BMG, wie die KBV am 31. März mitteilte, klargestellt, dass Praxen nicht für Fehler von Konnektoren verantwortlich seien. Eine Verantwortung bestehe nur, „wenn die Leistungserbringer über die Mittel der Datenverarbeitung mitentscheiden.“ Die Verantwortlichkeit der Praxen beschränkt sich demnach „auf die ordnungsgemäße Inbetriebnahme, Wartung und Verwendung der Komponenten.“ Allerdings fordert die KBV, wie eben auch Herr Kelber zu Recht, weiter eine generelle normative Klarstellung.

Nachdem in der Vorwoche bereits über einen Bericht im NDR (~ Spekulanten greifen nach Arztpraxen) der Boden für ein neues Kapitel der MVZ-Offensive der KV Bayerns bereitet wurde, hat die KV am 7. April mit der medienwirksamen Veröffentlichung des beim IGES in Auftrag gegebenen Gutachtens zum Leistungs- und Abrechnungsverhalten von MVZ mit Investoren als Trägern nachgelegt. Die Pressemitteilung (~ als PDF öffnen) erklärt: “In investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren liegen die abgerechneten Honorarvolumina deutlich über denen in anderen MVZ,“ und: „Die Gesundheit der Menschen darf nicht zum Spekulationsobjekt werden. Denn diese Entwicklung führt auch dazu, dass die Freiberuflichkeit massiv in Frage gestellt wird und dass für jüngere Kolleginnen und Kollegen die Übernahme eines Vertragsarztsitzes finanziell nicht mehr zu stemmen ist.“ Von der Presse wurde die Veröffentlichung stellenweise nur vorsichtig aufgegriffen (~ anders z.B. die Freie Ärzteschaft) – verbirgt sich dahinter doch ein über 300-Seiten starkes Zahlenwerk des IGES-Instituts, das erst einmal analysiert sein möchte. Beispielhaft dafür kann die ‚Lernkurve‘ der ÄrzteZeitung stehen, die am Veröffentlichungstag gemäß der bayrischen Meldung titelte: „IGES-Studie zu Investoren-MVZ: Honorarumsatz in Bayern im Vergleich zu Einzelpraxen deutlich höher“ – die jedoch bereits am Folgetag (8. April) eine genauere Analyse der Daten nachschob und sich zu dem ergänzenden Kommentar genötigt sah: „Wer frisst wem was weg? Der Affekt gegen MVZ in Private-Equity-Besitz erhält immer wieder neue Nahrung. Eine Begründung lässt weiter auf sich warten.“ (~ Kommentar öffnen). Darin schreibt der ÄZ-Autor: „Ob die Gesundheitsökonomen des IGES-Instituts ihrem Auftraggeber, der KV Bayerns, damit wirklich einen Gefallen getan haben? Deren jüngste Studie … beinhaltet Zahlen, die keinerlei Unterschied zwischen der Honoraranforderung von Zentren in Ärztehand und solchen in Private-Equity-Besitz erkennen lassen. Gleichwohl befeuern die Autoren das alte Vorurteil, Letztere seien besonders profithungrig … Im politischen Meinungsstreit dürfte mit derartiger Argumentbeschaffung nicht nur kein Blumentopf zu gewinnen sein, sondern ob der offenkundigen Absicht auch Verstimmung provoziert werden.“ Grundsätzlich enthält die Studie sehr viele, detailreiche Innenansichten zur vertragsärztlichen Abrechnung. Tatsächlich benötigt eine umfassende Analyse jedoch etwas Zeit, zumal viele der von der KVB und dem IGES getroffene Annahmen und Darstellungen intransparent und deshalb schwer nachzuvollziehen sind. Die komplette Studie bietet die KVB zum Download (~ PDF | 341 Seiten).

Nachdem die ersten Amtsmonate in der Gesundheitspolitik fast ausschließlich Coronaaspekten sowie der nun gescheiterten Impfpflichtdebatte gewidmet waren, hat das Ministerium einen dreiseitigen Vorhabenplan für das laufende Jahr veröffentlicht. Dabei handelt es sich um ein übliches Prozedere der Ministerien, das im Falle des BMG jedoch ungewöhnlich lange hat auf sich warten lassen. Ausweislich der Überschrift stellt die Tabelle eine „vorläufige, dynamische Arbeitsplanung,“ deren „Gestaltung eng mit der weiteren Entwicklung des pandemischen Geschehens und den noch laufenden Haushaltsverhandlungen zusammen[hängt].“ Soll heißen: Es kann auch alles anders kommen. Trotzdem lässt es einige strategische Rückschlüsse zu, dass von den aktuellen Vorhaben keines den ambulanten Sektor relevant berührt. Benannt sind vielmehr vor allem die Stabilisierung der GKV-Finanzen und der Wunsch, den Umbau der Krankenhauslandschaft zu beginnen. Dafür soll eine Regierungskommission eingesetzt werden, die Empfehlungen und Leitplanken für eine Krankenhausreform erarbeiten soll und die – nach dem persönlichen Wunsch von Lauterbach – nur aus Wissenschaftlern bestehen, nicht aber mit Lobbyakteuren der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen besetzt werden soll. Im Weiteren will das Ministerium „kurzfristig“ neue Finanzierungsstrukturen für Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe sowie ein „adäquates Instrument“ zur Personalbemessung in der Krankenhauspflege schaffen. BÄK-Präsident Reinhardt kommentiert den Vorhabenplan während des SpiFa-Fachärztetages als „sehr dünn und wenig aussagekräftig.“ Eine richtige Vorhabenplanung sei das nicht, dafür sei es zu „dürftig.“ Reinhardt ergänzte – ausweislich des änd- Berichtes v. 31. März –  dass er Minister Lauterbach vor ungefähr drei Wochen getroffen und dabei den Eindruck bekommen habe, dass die „Herausforderungen, die mit Corona an ihm hängen, ihn belasten und ihn vielleicht auch auslasten“. Was die Ziele der Gesundheitspolitik angehe, sei Lauterbach „sehr vage“ geblieben.

Die GOÄ-Reform bleibt ein Dauerbrenner. Während man zu Beginn der Spahn’schen Legislatur 2018 jedoch das Gefühl hatte, dass das Projekt wirklich abgeschlossen werden sollte – wo aber später Corona als Bremsung wirkte, signalisierte Karl Lauterbach von Anfang an eher Desinteresse. Gemeinhin wird dies mit seinem zur GOÄ-Reform eher konträr liegenden Faible für die Bürgerversicherung begründet. Paradoxerweise ist es aber gerade die im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarung, am Verhältnis von PKV und GKV nichts zu ändern, die als Abwehrbeschluss gegen die Bürgerversicherung gedacht war, die Lauterbach jetzt nutzt, um die GOÄ auszubremsen: ‘Man müsse erst schauen, ob die vorliegenden GOÄ-Vorschläge das Verhältnis von PKV zu GKV verändern werden oder nicht’, sagte er etwa im Dialog mit der KBV am 3. März 2022. Er könne dies derzeit noch nicht gut einschätzen (~ Lauterbach will GOÄneu erst prüfen | AAA v. 08.03.2022). Dessen ungeachtet arbeitet die Ärzteseite unverdrossen daran, dem Minister die Dringlichkeit, die Reform endlich zu Ende zu bringen, klar zu machen. Das war eines der großen Themen auf dem SpiFa-Fachärztetag am 31. März und 1. April 2022. BÄK-Präsident Reinhardt erklärte, dass es noch vor Ostern eine voraussichtlich abschließende Sitzung dazu geben werde, bei der letzte Detailfragen besprochen werden sollen. Im Austausch mit der PKV „sind [wir] bei den Preisen auf der Endstrecke.“ Nach Ostern werde man Bundesgesundheitsminister ein „Konsensprodukt“ vorlegen können. Doch ohne Zustimmung von Bund und Ländern geht bei der GOÄ gar nichts. Insofern ist es zumindest bemerkenswert, dass mehrere Gesundheitspolitiker in die Forderung der Ärzte einstiegen. Der FDP-Abgeordnete Ullmann forderte etwa, dass die GOÄ angegangen werden müsse: „Hier ist es wichtig, dass Signale aus dem BMG kommen, dass diese liegengebliebenen Aufgaben der Vorgängerregierung abgearbeitet werden. Das steht nicht im Koalitionsvertrag, muss aber angegangen werden.“ Seine SPD-Kollegin, die Kinderärztin Nezahat Baradari ergänzte: „Eine Verbesserung der GOÄ ist notwendig, sonst sterben uns die niedergelassenen Ärzte weg.“

Seit Anfang diesen Jahres hat der AOK-Bundesverband eine neue Vorsitzende: Carola Reimann, bis dahin für die SPD Gesundheitsministerin in Niedersachsen. In einem ausführlichen Interview mit dem Ärztlichen Nachrichtendienst stellte sie bereits im Februar – also noch vor Beginn der Ukrainekrise klar – dass, um die Kassenfinanzen einigermaßen im Gleichgewicht zu halten, auch Einschnitte bei den ambulanten Ärzten nötig seien. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihr die ‚Mitnahmeeffekte‘ bei den TSVG-Neupatienten, insbesondere, weil parallel zweifelhaft sei, dass dadurch tatsächlich eine schnellere Terminvergabe erreicht würde. „Die TSVG-bedingten Mehrausgaben der GKV für die ärztlichen Leistungen haben sich seit dem Inkrafttreten … im Mai 2019 bis Mitte 2021 auf etwa 1,1 Milliarden Euro summiert. (…) Nachdem der Gesetzgeber hier nachgesteuert und die Korrektur der Bereinigung geregelt hat, schätzen wir die finanzielle Mehrbelastung für 2022 noch auf 500 bis 800 Millionen Euro,“ wobei das Das Gros der Gelder tatsächlich auf Leistungen für Neupatienten entfalle – wie im Übrigen auch die KBV im aktuellen Honorarbericht (~ als PDF öffnen) bestätigte: ‘Ein Grund für die Honorarzuwächse außerhalb der MGV ist, dass TSVG-Leistungen wie die Behand­lung von Patienten, die über die Terminservicestellen in die Praxis oder in die offenen Sprechstunden kommen, extrabudgetär und damit in voller Höhe vergütet werden.’ ——————————– An anderer Stelle sagt Frau Reimann, den titelgebenden Satz: „Zur Wahrheit gehört auch: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Deutschland verdienen gut. (…) Die GKV leistet hierzu den wesentlichen Beitrag. Umso mehr müssen wir darauf dringen, dass dies auch wirklich in der Versorgung der Patientinnen und Patienten ankommt.“ Als Baustein, dieses Ziel zu erreichen, verweist Reimann – ohne diese allerdings konkret zu benennen – auf Netze und MVZ: „Was wir brauchen, ist die Weiterentwicklung der ambulanten Versorgungsstrukturen. Wir brauchen mehr Teamorientierung im Praxisalltag, klare Versorgungsaufträge und eine bessere interdisziplinäre Vernetzung mit anderen Beteiligten. Wenn man den Vorstellungen jüngerer Ärztinnen und Ärzte entsprechen will, sind flexible Arbeit im Angestelltenverhältnis und im Team erforderlich. In solchen Strukturen kann auch die Digitalisierung besser bewältigt werden.“ Für das Jahr 2023 ist laut AOK nach aktuellen Berechnungen mit einem Fehlbetrag der gesamten GKV von mindestens 17 Milliarden zu rechnen. Ohne Gegenmaßnahmen müsste dann der Zusatzbeitrag um 1,1 Prozentpunkte auf bis zu 2,4 Prozentpunkte ansteigen.

Zu Ende April wechselt in der FDP die gesundheitspolitische Verantwortung. Frau Dugnus-Aschenberg, Juristin aus Schleswig-Holstein, die im Herbst zur parlamentarischen Geschäftsführerin der FDP im Bundestag aufgestiegen war, übergibt den Sprecherposten für Gesundheitspolitik ab 1. Mai 2022 an Prof. Andrew Ullmann, seines Zeichen Internist und Infektiologe wie Karl Lauterbach. Und wie dieser sitzt auch Ullmann (~ mehr zur Person) jetzt die fünfte Legislatur hintereinander (seit 2005) im Bundestag. Schon seit den Koalitionsgesprächen von Oktober/November 2021 ist Andrew Ullmann höchst präsent und scheint faktisch bereits den Posten von Frau Dugnus-Aschenberg übernommen zu haben. Insbesondere auch währen der Impfdebatten stand er vielfach für die Meinung der FDP-Fraktion ein. Auch zum ersten vom BMG angekündigten Nicht-Corona-Gesetz – dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (~ mehr dazu) – hatte Ullmann direkt Stellung bezogen – allerdings mit unerwarteter Richtung: FDP schießt gegen Union | Ullmann: Spahn hat GKV-Finanzen zu Grunde gerichtet. Die Sprecherkollegen in den Regierungsfraktionen sind im Übrigen der Grüne Janosch Dahmen, Neurologe (~ mehr zur Person) sowie, für die SPD, die Diakonin Heike Baehrens (~ mehr zur Person). Wer noch einmal wissen möchte, was die Regierungsparteien im Bundestagswahlkampf konkret zu MVZ und der ambulanten Versorgung veröffentlicht haben, möge hier schauen: Was planen die Parteien für MVZ? – Eine BMVZ-Analyse vom 28. September 2021.