Vergangenheit mit Zukunft: Bestandseinrichtungen in den neuen Ländern erhalten endlich die Möglichkeit zur langfristigen Entwicklung von Versorgungsangeboten.
Dr. Peter Velling, Vorsitzender des Bundesverband MVZ, begrüßt diese Entscheidung:
„Die 311er-Einrichtungen haben dieselben Rechte und Pflichten, wie alle anderen ambulanten Leistungserbringer. Die Beseitigung der Benachteiligung bei der Übernahme von neuen Sitzen und Fachrichtungen war daher lange überfällig.“
Die rund 30 noch aktiven Polikliniken der neuen Bundesländer, historisch bedingt oft 311er-Einrichtungen genannt, können in Zukunft neue Arztsitze übernehmen und auch neue Fachrichtungen integrieren. Basis ist eine Klarstellung ihrer Rechtsgrundlage, die als Teil des GKV-GVWG vom Bundestag mit Beschluss vom 11. Juni 2021 verabschiedet wurde. Notwendig war sie aufgrund einer BSG-Entscheidung vom März 2018 (B 6 KA 46/16 R), gemäß der die bisher geltende Fassung des § 311 SGB V den Zulassungsstatus der Einrichtungen auf die bis 2003 vorgehaltenen Umfang beschränkt hatte.
Auch Dr. Bernd Köppl, der bis 2017 BMVZ-Vorsitzender war und der die deutsche-deutsche Gesundheitspolitik gerade zur Wendezeit mitgestaltet hat, freut sich über die späte Genugtuung:
“Mit der Deutschen Einheit wurde die Poliklinik als moderne Form der ambulanten Medizin zwar importiert, aber stets stiefmütterlich behandelt. Trotzdem waren sie nicht tot zu kriegen. In Form der MVZ erlebten sie eine Renaissance als neue Regelstruktur der ambulanten Versorgung. Dass die ostdeutschen Pioniere und Träger der Idee einer fachübergreifenden Medizinischen Versorgung aus einer Hand nun durch den Bundesgesetzgeber auf unbegrenzte Zeit abgesichert werden, ist gut so. Das haben sie sich redlich verdient.”
Die Gesetzesänderung erfolgt wenige Wochen nach dem Geburtstag von Dr. Regine Hildebrandt, die in den 90er Jahren als Brandenburger Gesundheitsministerin maßgeblichen Anteil am Erhalt dieser Einrichtungen hatte. Am 26. April 2021 wäre sie 80 Jahre alt geworden. Die Ärztezeitung nannte sie 1991 in einem Artikel ‘verbissen und unbelehrbar’ – als sie sich mit der ihr eigenen Vehemenz dafür einsetzte, `die DDR-Polikliniken nicht nur deshalb preiszugeben, weil sie im System der BRD nicht vorkamen.’ Dieses nachträgliche ‘Geschenk’ ist damit auch als politische Würdigung ihrer Arbeit zu verstehen.
Weiterführende Informationen
Übersichtsseite des Bundestages zum GKV-GWVG
Worum geht es?
In Brandenburg und Berlin, sowie vereinzelt in Thüringen und Sachsen-Anhalt, sind bis heute sogenannte 311er-Einrichtungen zur ambulanten Versorgung zugelassen. Ihre Zahl liegt bei rund 30 bestandsgeschützten Standorten, deren Zulassung sich aus dem Einigungsvertrag ergibt.
Aktuelle Rechtsgrundlage ist § 400 SGB V – von 1990 bis 2020 war es jedoch der nemensgebnde § 311 SGB V. Hintergrund ist eine Umstrukturierung, die im Okober 2020 mit dem Patientendatenschutzgesetz vorgenommen wurde.
Es handelt sich dabei um frühere DDR-Polikliniken, die als Gesundheitszentren durch das GKV-GRG (1993) und das GKV-GMG (2003) einen unbefristeten Bestandsschutz (GRG) sowie eine Entwicklungsperspektive (GMG) erhalten haben.
Sie nehmen wie MVZ an der ambulanten Regelversorgung teil und sind diesen rechtlich gleichgestellt. Andersherum gelten alle Vorgaben für MVZ auch für die 311er-Einrichtungen.
2018 hatte das Bundessozialgericht zum Thema Trägerwechsel in der besonderen Konstellation der 311er-Einrichtungen zu entscheiden. Im Kontext des Urteils vom 21.03.2018 – B 6 KA 46/16 R – wurde auch neues Licht auf die Frage geworfen, ob deren Bestandsschutz umfassend oder beschränkt auf den zum Stichtag bestehenden Sitzumfang auszulegen ist.
Obwohl das BSG darin zu dieser Frage tatsächlich gar nicht konkret Stellung bezogen hat, leiten die KVen Brandenburgs und Berlins daraus nach 17 Jahren anders gelebter Praxis ab, dass 311er-Einrichtungen jetzt keine weitere Sitze/Fachrichtungen mehr übernehmen dürfen. Sie waren seitdem durch die Spruchpraxis der Zulassungsausschüsse auf den Status Quo beschränkt – unabhängig davon, dass viele dieser Standorte in unterversorgten Regionen liegen.
Deshalb wurde eine Klarstellung von Seiten des Gesetzgebers als notwendig angesehen. In der Begründung des Antrags der Regierungsfraktionen SPD und CDU/CSU, die als Änderung Nr. 46 in das GWVG eingegangen ist, heißt es u. A.
“Aus der in dieser Formulierung enthaltenen Begrenzung auf den Umfang der Zulassung zum Stichtag des 31. Dezember 2003 hat das Bundessozialgericht abgeleitet, dass der Zulassungsstatus der bestandsgeschützten Einrichtungen auf die bis dahin vorgehaltenen Fachgebiete beschränkt ist. (…)Sachliche Gründe für den Erhalt dieses Entwicklungshindernisses sind nicht ersichtlich.”
“Die bestandsgeschützten Einrichtungen nehmen seit jeher unbeanstandet an der medizinischen Versorgung teil. Die Beschränkung auf die bislang vorgehaltenen Fachrichtungen führt zu einer Zementierung der betroffenen Versorgungseinheiten und schließt die Möglichkeit aus, sich verändernden Versorgungsbedürfnissen anzupassen und zu bedarfsgerechten Versorgungseinheiten weiterzuentwickeln.”