Studie: IT-Sicherheit in Arztpraxen mangelhaft | Vorschriften der IT-Sicherheitsrichtlinie werden (zu) oft nicht eingehalten
Erstaunlicherweise hat es die Pressemeldung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vom 22. März kaum in die gesundheitspolitischen Fachmedien geschafft. Obwohl die Inhalte vor allem für Arztpraxen höchst alarmierend sind, ohne indes alarmistisch zu sein. Vielmehr ist es ein bekannter Fakt, dass „Cyberangriffe auf das Gesundheitswesen zu[nehmen, dass] – medizinische Einrichtungen immer häufiger das Ziel von Hacker-Angriffen [werden].“ Vor diesem Hintergrund hatte das BSI im vergangenen Jahr 12.000 in repräsentativer Zufälligkeit ausgewählte Arzt- und Zahnarztpraxen angeschrieben und um Auskunft zu ihrer IT-Struktur und dem Umsetzungsstand von Maßnahmen gemäß IT-Sicherheitsrichtlinie (~ mehr zu) gebeten. Knapp 1.600 dieser Praxen haben sich aktiv an der Online-Umfrage beteiligt. Das ernüchternde Ergebnis: „Lediglich ein Drittel der Befragten gab eine vollständige Umsetzung aller mit der Richtlinie vorgegebenen Schutzmaßnahmen an. Gleichzeitig ergab die Befragung, dass zehn Prozent der Arztpraxen bereits mindestens einmal von einem IT-Sicherheitsvorfall betroffen waren.“ Und das sind nur die Ergebnisse derer, die sich freiwillig an dieser Studie beteiligt haben. Unterstellt man, dass tendenziell eine Teilnahme eher abgelehnt wird, wenn man weiß, dass man selbst nicht so gut dabei wegkommen könnte, dürfte das wahre Problem noch viel größer sein.
BSI-Präsidentin Plattner erklärt dazu aber: „Die gute Nachricht ist: Viele der Sicherheitsmängel, die wir festgestellt haben, können schnell und ressourcenschonend behoben werden.“ Eine Aussage, die darauf Bezug nimmt, dass viele der Befragungsteilnehmer angegeben haben, Verständnisprobleme bezüglich der Vorgaben gemäß IT-Sicherheitsrichtlinie zu haben. Außerdem kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass „der Umsetzungsrückstand mit fehlendem Budget, Personal und Zeit einherzugehen [scheint]. Die Befragung zeigt, dass bereits der Einsatz eines Sicherheitsverantwortlichen einen positiven Effekt auf die IT-Sicherheit der Praxis hat.“ (~ Studien-PDF | dort Seite 12) Oder kurz gesagt: Größere Praxisstrukturen, die es sich kapazitätsmäßig leisten können, einen genau für solche Fragen zuständigen Profi beschäftigen zu können, sind deutlich besser aufgestellt als die durchschnittliche Arztpraxis. „So gibt es in diesen Praxen häufiger einen Netzwerkplan und eine redundante Stromversorgung des Servers, die Daten werden häufiger verschlüsselt gespeichert und versendet, und die Zugangsbeschränkungen und Schutzmaßnahmen vor unberechtigten Zugriffen gehen häufiger über eine Passwortsperre hinaus. Somit kommen hier die grundlegenden Schutzmaßnahmen der IT-Sicherheitsrichtlinie häufiger zum Tragen.“
Eine gute Nachricht aus der Sicht vieler MVZ, die im Übrigen aufgrund des Studiendesigns nicht in den Teilnehmerkreis eingeschlossen waren. Aber vielleicht ist die Studie dennoch ein guter Anlass, die eigenen Routinen in Bezug auf die Anforderungen der KBV-IT-Sicherheitsrichtlinie zu hinterfragen. Kleiner Mind-Up: Im Grunde erinnern die Vorgaben der IT-Sicherheitsrichtlinie einem TOM, also einem Verzeichnis an Technisch-Organisatorischen Maßnahmen, wie es mit der DSGVO ohnehin von jeder Praxis gefordert wird. Gleichzeitig werden damit Mindeststandards formuliert, die es nicht zu unterschreiten gilt. Deshalb besteht die Richtlinie auch nur aus einem ausgesprochen kurzen Textteil sowie fünf tabellenartigen Anhängen, in denen thematisch sortiert die Anforderungen grob umrissen werden. Für die klassische Einzelpraxis sind ausschließlich die Anhänge 1 und 5 verpflichtend. Anhang 1 regelt Grundsätzliches zum Einsatz von Software, Zugriffsrechten und mobilen Endgeräten. Anhang 5 definiert Standards im Kontext der Telematikinfrastruktur.” (~ Quelle & weitere Informationen)
Security-Insider v. 09.04.2024
BSI-Studien decken Sicherheitsmängel in Arztpraxen auf
Heise.de v. 22.03.2024
BSI bemängelt Parallelbetrieb von TI-Konnektoren und Routern in Arztpraxen
Pressemitteilung des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) v. 22.03.2024
Cybersicherheit in Arztpraxen: BSI-Studien zeigen dringenden Handlungsbedarf auf
Volltext des Evaluierungsberichtes (PDF | 13 Seiten)
Das Digitalgesetz (DigiG) ist in Kraft | Kurzer Überblick zu Pflichten und Terminen
Mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist das Digitalgesetz, das bereits im Dezember vom Bundestag verabschiedet worden war, am 26. März nun auch offiziell in Kraft getreten. Gleiches gilt größtenteils auch für das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Da aufgrund der langen Zeitläufe in den vergangenen Monaten immer wieder Debatten um Fristverschiebungen und um die damit zusammenhängenden finanziellen Sanktionen geführt wurden, haben wir zur Klarheit den aktuellen Sachstand noch einmal zusammengefasst. Tatsächlich sind, dem Grunde nach, erst jetzt die das eRezept betreffenden Sanktionen rechtlich untermauert. Sie gelten ab Beginn des zweiten Monats nach Inkrafttreten – also verbindlich ab 1. Mai.
MVZ und Praxen, die zu dem Zeitpunkt „gegenüber ihrer KV nicht nachweisen können, Verordnungen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln elektronisch auszustellen und übermitteln [zu können], wird das Honorar um ein Prozent gekürzt.“ (~ Quelle) Ferner ist darauf hinzuweisen, dass eine 50-prozentige Kürzung der monatlichen TI-Pauschale zu erwarten ist, wenn nicht die aktuelle Version der e-Rezept Software installiert wurde. Was beim eRezept gilt, muss im Übrigen auch bei allen anderen digitalen Anwendungen beachtet werden: Die Unterscheidung zwischen echten Honorarsanktionen einerseits, und Kürzungen bei der monatlich von der KV zu überweisenden Ti-Pauschale andererseits. Zwei 50-prozentige Kürzungen bei dieser Pauschale summieren sich im Übrigen auf und führen zum kompletten Versagen der monatlichen Erstattung.
eRezept: Für alle Fachgruppen, für die KV-regional keine Ausnahme erklärt wurde, gilt ab dem 1. Mai eine Honorarkürzung von einem Prozent (1%), falls das eRezept Modul nicht installiert ist. Für diesen Termin ist auch keine Fristverschiebung in Sicht.
eArztbrief: Seit dem 1. März muss das Praxisverwaltungssystem das Senden und Empfangen von eArztbriefen gewährleisten. Ist dies nicht der Fall, wird die TI-Erstattungpauschale um 50 % gekürzt. Allerdings hat das BMG erklärt, dass Keine Kürzung der TI-Pauschale bei industriebedingter Verzögerung beim elektronischen Arztbrief erfolgt. Die endgültige Pflicht zur Empfangsbereitschaft wird dann ab 1. Juli greifen. Auf Grundlage jüngster Erfahrungen möchten wir noch einmal darauf verweisen, dass der eArztbrief nicht dasselbe wie eine eNachricht ist.
ePA: Bereits seit dem 1. Juli 2021 muss das ePA-Modul installiert sein. Momentan reicht dafür die Version 1.0 aus. Version 2.0 ist selbstredend auch ok. Die Version 3.0 wird voraussichtlich erst im kommenden Jahr verfügbar sein. Eine Sanktionierung, falls keine aktuelle Zwischenversion installiert wurde, ist nach Angaben der KBV jedoch ausgesetzt (~ KBV v. 11.01.2024). Ab dem 15. Januar 2025 müssen dann die Krankenkassen für jeden GKV-Versicherten die elektronische Patientenakte anbieten. Allerdings sind hier noch viele Aspekte unklar: ePA Infoabend klärt wenig und gibt noch mehr Hausaufgaben auf.
eAU: Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gehört formell seit Oktober 2023 zu den Pflichtanwendungen, um die TI-Pauschale in voller Höhe zu erhalten. Liegt kein Nachweis über die Installation des eAU-Moduls vor, wird die TI-Pauschale um 50 % gekürzt.
Zur Art und Weise, wie die 17 KVen die Pflichterfüllung bei den eAnwendungen prüfen, verweisen wir beispielhaft auf die Ausführungen der KV Baden-Württemberg: „Mit der neuen Festlegung zur TI-Finanzierung sind wir regelhaft verpflichtet, Ihre Anbindung an die TI zu prüfen. Diese Bewertung findet sowohl anhand der an uns übermittelten Konnektorversion (ab dem Quartal 4/2023 erforderlich: Version 4.x oder höher) als auch anhand des von Ihnen durchgeführten VSDM statt.“ (~ Quelle) Welche Daten das eigene System diesbezüglich an die KV sendet, kann im KBV-Prüfmodul (~ mehr zum Was + Wie) eingesehen werden. Zu beachten ist aber, dass die konkreten Details, wie die Prüfung vorgenommen wird, von KV zu KV abweichen kann. Auch liegt es im Ermessen der KV, einzelne Fachgruppen von der Verpflichtung, bestimmte TI-Module installieren zu müssen, zu befreien. Nachfolgend drei Beispiele an Ausnahmelisten: KV Niedersachsen | KV Baden Württemberg | KV Hamburg.
Darüber hinaus können Praxen „für einzelne Quartale manuell von bestimmten Fachanwendungen ausgenommen werden, wenn sie diese aufgrund von unvorhersehbaren bzw. nicht im Verschuldensbereich der Praxis liegenden Umstände nicht installieren konnten.“ (Beispiel der KV Berlin – Quelle) Ähnliche Regelungen gibt es in allen KVen. Betroffene Praxen sollten sich mit einer kurzen Schilderung des Sachverhaltes und einer Bestätigung des Herstellers an ihre KV wenden.
Überdies sind mit dem DigiG und GDNG noch weitere Verpflichtungen verbunden. Da allerdings nach wie vor noch viele Fragen unbeantwortet sind, fassen wir die Kernpunkte dann zu gegebenem Zeitpunkt zusammen. Wahrscheinlich lassen sich dann auch schon die Auswirkungen der künftigen Pläne antizipieren. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Matthias Mieves hat bereits darauf verwiesen, was das BMG noch plant: „Mit dem Medizinforschungsgesetz, dem Digitalagentur-Gesetz und dem Bürokratieabbaugesetz machen wir jetzt schon direkt weiter.“ (~ Quelle) Es wird sich zeigen, wie sich das Konglomerat an Vorhaben auf den Praxisalltag auswirken wird.
ÄrzteZeitung v. 25.03.2024
Eine Hürde weniger für ePA und Forschung: Digitalgesetze jetzt amtlich
Ärztenachrichtendienst v. 25.03.2024
„Die Politik hat geliefert. Jetzt seid ihr dran”
KBV Themenseite: TI-Finanzierung auf einen Blick
Pauschalen, Auszahlung, Sanktionen
Details zur Honorarreform der Hausärzte nach GVSG: KBV, Kassen und Hausärzte uneins in der Bewertung
Ein wesentlicher Bestandteil des inhaltlich geschrumpften GVSG (~ Vgl. ‘Nachrichten’) ist die Honorarreform für die Hausärzte. Dazu zählen die schon im Koalitionsvertrag von Dezember 2021 verankerte Entbudgetierung der Allgemeinmedizin, neu verbunden mit dem konkreten Vorhaben, zusätzlich jahres- statt quartalsbezogene Pauschalen zur Honorierung der Chronikerbetreuung in den Hausarztpraxen einzuführen. Ein entsprechender Auftrag soll über das GVSG an den Bewertungsausschuss erteilt werden. Über dieses Projekt, das wortgleich auch schon Teil des Ende März veröffentlichten, dritten Arbeitsentwurfes des Gesetzes war, ist inzwischen ein Deutungsstreit ausgebrochen. Mehr Chance oder mehr Gefahr – das ist die strittige Frage.
Während der Hausärzteverband (HÄV) direkt nach Veröffentlichung relativ entspannt kommentiert hat, dass es eine gute Nachricht sei, dass der Entwurf „viele wichtige und dringend notwendige Reformvorhaben adressiert, die die hausärztliche Versorgung nachhaltig stärken könnten,“ (~ Pressemeldung v. 26. März) fiel die Reaktion der KBV Anfang April drastisch anders aus. Vielleicht lag das an der inzwischen erfolgten ‚intensiven Prüfung,‘ die – wie auch die Hausärzte befanden ‚notwendig sei, um alle Details in Gänze zu überblicken,‘ da der Gesetzesentwurf wirklich nur Rahmenvorgaben statt konkreter Vorschriften enthält. Allerdings dürfte auch eine Rolle spielen, dass KBV und HÄV für im Detail verschiedene Ziele stehen. Eine Entwicklung, die sich schon im Februar bereits abzeichnete: Weiter Unklarheiten zu Versorgungsgesetz I und nun auch Dissens zwischen den Arztverbänden.
Um das aber zu bewerten, muss man auf jeden Fall einen Schritt zurückgehen und statt der Reaktionen die Quelle des Ganzen betrachten: Hier die auf den 8. April datierte offizielle Fassung des Referentenentwurfes für das GVSG (~ Volltext-PDF | Entwurf des GVSG). Speziell für die Hausärzte sind drei Maßnahmen vorgesehen, von denen eine, die Entbudgetierung in Form des MGV+-Modells bereits in der im Januar veröffentlichten Entwurfsfassung enthalten war (~ Update zu den aktuellen Entbudgetierungsplänen des BMG). Neu hinzugekommen sind Lauterbachs Pläne zu einer allgemeinen ‚Vorhaltepauschale‘ sowie zur Neukonzipierung der Chronikerpauschale, die unter dem Arbeitstitel ‚Versorgungspauschale‘ geführt wird. In dieser soll kontextbezogen die bisherige Versichertenpauschale sowie die Chronikerpauschale aufgehen. Es besteht hier also eine gewisse Verwechslungsgefahr zwischen den drei Begriffen Versicherten-, Versorgungs- und Vorhaltepauschale. Das wird vermutlich in den anstehenden Debatten zu dem ein oder anderen Missverständnis führen – eine saubere Zuordnung und Ansage, wovon jeweils gesprochen wird, ist also Pflicht.
Details der Regelungen im Gesetzesentwurf haben wir des Umfangs wegen in einem eigenständigen Homepage-Artikel aufbereitet: Neue Pauschalen für die Hausärzte gemäß GVSG-Entwurf. Die Rezeption durch die Selbstverwaltungsakteure ist dabei höchst widersprüchlich. Die Kassen sind auf jeden Fall gegen die Entbudgetierung: „Pläne für ambulante Versorgung: Kritik von Krankenkassen, Lob von Hausärzten“. KBV und Zi ziehen parallel das Fazit, dass die Pläne „faktisch einer Abrissbirne der hausärztlichen Versorgung insgesamt und insbesondere der hausärztlichen Versorgung der betreuungsintensiven chronisch kranken Versicherten gleich[kommen].“ Unseres Erachtens wird jedoch bei dieser rein auf Veränderungsabwehr gerichteten Betrachtungsweise viel zu wenig die Chance gesehen, die darin liegt, eingefahrene Pfade zu verlassen und die Rahmenbedingungen neu zu denken. Eine Sichtweise, die teils auch der Hausärzteverband einnimmt: „Positiv ist, dass … die für die Hausärzt:innen zentralen Themen weiter Teil des Gesetzesentwurfs sind. (…) Klar ist aber auch, dass im weiteren parlamentarischen Verfahren noch dringende Anpassungen nötig sind … Das betrifft beispielsweise die Kriterien für die Vorhaltepauschale und die Ausgestaltung der Chronikerpauschale.“ (~ Quelle)
Egal, wie es kommt: In jedem Fall gilt, dass – werden diese Pläne umgesetzt sind – es auf jeden Fall zu Veränderungen kommen wird, und dass die einzelne Hausarztpraxis sich gegebenenfalls wird anpassen müssen. Allerdings wohl nicht vor 2026 – schneller wird hier wahrscheinlich nichts Konkretes passieren. Die Stoßrichtung der Änderung scheint aus Patientensicht jedoch eher richtig. Aus Arztsicht wird wichtig sein, Kollateralschäden z.B. bei sogenannten ‘lückenfüllenden Hausarzt-Schwerpunktpraxen’, die z.B. auf Schmerztherapie spezialisiert sind oder besonders viele Sonografien machen, zu vermeiden. Hier hat der Bewertungsauschuss eine ganz wichtige Aufgabe. Selbiges gilt für die Frage, wie sich die neuen Pauschalen im Kontext fachübergreifender MVZ und/oder Großpraxen verhalten. Und nicht zuletzt wird sich eine wichtige Frage auf der Ebene des Cashmanagements abspielen: Denn die Umstellung auf Jahrespauschalen würde den Liquiditätsfluss der Praxen und MVZ ordentlich durcheinanderbringen.
Aber noch mal zurück: Es darf nicht vergessen werden, dass es sich im Moment um den Entwurfes eines Gesetzes handelt, das noch nicht mal vom Kabinett verabschiedet wurde. Ob und was davon also letztlich wirklich Gesetz wird, und vor allem, was dann der Bewertungsausschuss aus den neuen Optionen macht, lässt sich heute nicht absehen, wäre aber entscheidend für eine seriöse Bewertung dieses Lauterbach’schen Vorstoßes. Vor diesem Hintergrund sei nochmals auf die eingangs erwähnte Einschätzungsdissonanz zwischen Hausärzt:innen-Verband und KBV hinzuweisen, die mehr noch als sonst offen lässt, wie sich die weitere Debatte entwickelt wird.
BMVZ-Beitrag v. 18.04.2024
Neue Pauschalen für die Hausärzte gemäß GVSG-Entwurf:
Eine faktenbasierte Kommentierung und viele offene Fragen
Medical Tribune v. 18.04.2024
Neue Honorarregeln: Kleinen und spezialisierten Praxen könnten Einbußen drohen
Zentralinstitut der kassenärztlichen Versorgung v. 10.04.2024
GVSG könnte zur Abrissbirne der hausärztlichen Versorgung werden
Gesetzgebungsprozess zum GVSG offiziell gestartet | Inhalte, Einordnung, Zeitläufe
Nachdem gerade vor knapp drei Wochen erst ein neuer informeller Entwurf, den wir in der letzten Ausgabe bewertet hatten, veröffentlicht worden war, hat das BMG am Abend des 12. April überraschend mit einer vierten Entwurfsfassung nun tatsächlich offiziell das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Daran sind mehrere Dinge bemerkenswert: 1) Der Minister scheint weiterhin in der BILD-Zeitung eine wichtige Verbündete zu sehen – jedenfalls erschienen die News am Veröffentlichungsabend hier mit Vorsprung zuerst und zusammen mit der (falschen) Behauptung, dass der Entwurf der Redaktion „exklusiv“ vorläge: Neuer Gesetzes-Plan: Lauterbach gibt Arzttermin-Versprechen. 2) Wichtige Herzensprojekte des Ministers sind im offiziellen Entwurf nicht mehr enthalten. Im Grunde fehlen genau die Inhalte, denen das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in den Kommunen“ seinen Namen verdankt; nämlich die Strukturreformen rund um Gesundheitskioske, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren. Insgesamt ist das Gesetz damit rund 40 Seiten kürzer als in der letzten Fassung. 3) Die vielfach angekündigte MVZ-Regulierung ist auch nicht Teil des Entwurfes. Eine offizielle Erklärung gab es dazu bisher nicht. Zu den sonstigen Inhalten, verweisen wir auf unsere Darstellung in der Ausgabe der KW 14 | Inhaltliche Schlaglichter GVSG.
Insgesamt ist die Rezeption des Entwurfes durch Presse und Öffentlichkeit speziell. Erwartbar wäre gewesen, dass das Fehlen so elementarer Teile ursprünglich angekündigter Inhalte eine Berichterstattung bedingt, die den Minister schwächt, da ihm wichtige Anliegen offensichtlich durch die eigene Koalition blockiert werden. Stattdessen ist aber der Minister selbst nach vorn geprescht, als er am 14. April per Interview – auch hier wieder via BILD-Zeitung – erklärte, „per Gesetz den Herztod besiegen“ zu wollen: Bei BILD stellt der Minister seinen Plan vor | Video-Stream zum Interview. Gepaart wurde diese Ankündigung mit der dramatischen Ansage: Lauterbach: 50.000 Ärzte zu wenig ausgebildet. Damit war in vielen Medien das Thema neu gesetzt, und das abgespeckte GVSG insbesondere in der Breite der allgemeinen Publikumsmedien nur noch eine Randnotiz. Zumal die apokalyptisch vorgebrachte Meldung zum Hausarztmangel natürlich die perfekte Begleitmusik für die, von vielen Seiten kritisch gesehene, Vergütungsreform der Hausärzte darstellt.
Fazit: Karl Lauterbach weiß mit der Öffentlichkeit umzugehen und bespielt die Klaviatur der Presse durchaus gekonnt. Ob ihn das freilich bei den Kernprojekten, Kommunen zu ertüchtigen, sich bei Prävention und in der gesundheitlichen Versorgung stärker zu engagieren, hilft, sei dahingestellt. Es wird erwartet, dass die Ideen rund um Gesundheitskiosk und -regionen im parlamentarischen Verfahren wieder eingebracht werden sollen. Ähnliches ist auch für die MVZ-Thematik vorstellbar. Um hierbei erfolgreich zu sein, müssten sich aber die Koalitionsfraktionen inhaltlich zusammenraufen oder der Schulterschluss mit der Opposition hergestellt werden. Beides sind – Stand heute – zumindest keine einfachen Szenarien.
So oder so würde folgender Zeitplan wahrscheinlich sein: Das Verfahren der Verbändeanhörung zum GVSG wird bis Anfang Mai abgeschlossen, daran anschließend wird der Termin für die Herstellung eines Kabinettsbeschlusses gesetzt. In der Folge wird das parlamentarische Beratungsverfahren eröffnet, das mit der ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag beginnt. Letztmöglicher Zeitpunkt hierfür wäre die erste Juliwoche, da anschließend das Parlament in die Sommerpause geht. Die eigentliche Beratungsphase im zuständigen Gesundheitsausschuss dürfte demnach also nicht vor Frühherbst stattfinden. Grundsätzlich wäre es damit denkbar, dass das GVSG zum Jahresanfang 2025 in Kraft treten kann. Dieser Weg ist allerdings – auch angesichts der Vorgeschichte – mit vielen Wenns und Abers gepflastert.
Im Übrigen erklärt Lauterbach in dem oben verlinkten BILD-Interview (~ Minute 19), dass er auch das neue ‘Volkskrankheiten-Detektionsgesetz’ „noch vor der Sommerpause“ offiziell an den Start schicken will. Und dass er außerdem „eigentlich in der Ampel mit den Kollegen gut zusammen[arbeiten würde]“ (~ Minute 21). Allerdings scheint es nicht ganz abwegig, zu unterstellen, dass in dieser Frage Selbstbild und Fremdwahrnehmung nicht besonders gut übereinstimmen: Wut auf Gesundheitsminister | FDP: Lauterbach pfeift auf Frühkoordinierung.
Ärzteblatt v. 15.04.2024
Gesundheitskioske, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren aus Gesetzentwurf gestrichen
Ärztezeitung v. 14.04.2024
„Herz-Gesetz“ soll kommen: Lauterbach plant „deutliche“ Ausweitung der Statin-Therapie
Apotheke Adhoc v. 12.04.2024
Lauterbach-Entwurf für „Arztpraxis-Wende“: Wieder über Bild-Zeitung
Krankenhausreform-Gesetz (KHVVG) offiziell gestartet | Wissenswertes aus ambulanter Perspektive
Am 11. und 12. April hatte das BMG Vertreter der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen sowie eine Reihe Praktiker der stationären Versorgung zu zwei nicht-öffentlichen Treffen einbestellt, um über den letzten Schliff der Krankenhausreform zu beraten. Allerdings dürfte der Einfluss dieser Runden am Ende äußerst marginal gewesen sein, denn das BMG brachte nur einen Tag später, am 13. April, das Gesetzgebungsverfahren zum KHVVG offiziell an den Start, indem es den zu Mitte März unveränderten Gesetzesentwurf förmlich veröffentlichte. Lauterbach macht also Druck und Tempo gleichermaßen. Um so sinnvoller scheint es, auch beim Krankenhausgesetz genau hinzusehen. Eines vorweg: Im Gegensatz zu dem oben besprochenen und primär die Vertragsärzte betreffenden GVSG, das inzwischen wahrlich gerupft anmutet, hat das „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“ keine weiteren Federn lassen müssen. Allerdings ist mehr denn je unklar, wie diese Frage in den weiteren Beratungen stellen wird. Denn unabhängig davon, dass das Gesetz formell als nicht zustimmungspflichtig gestaltet wurde, kommt das BMG hier an der massiven kritik der Ländern kaum vorbei.
Aus ambulanter Sicht sind vor allem die geplanten ‚sektorübergreifenden Versorgungseinrichtungen‘ spannend. Begrifflich besteht hier eine gewisse Synonymität zu den Level-1i-Kliniken des Transparenzregister. Dieses Kürzel ist handlicher, obwohl der ausführliche Name in der Tat Programm ist und uns in der letzten Ausgabe dazu verleitete, diese neu gedachten Einrichtungen – im Wissen um die engere Wortbedeutung – als ‚Systemsprenger‘ (Level 1i-Kliniken als Systemsprenger? | KW 12) zu bezeichnen. Abseits dieser Ersteinschätzung ist aber auch Folgendes spannend: In der vorgelegten Gesetzesbegründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen als zugelassene Krankenhäuser MVZ gründen können.“ Dadurch ergibt sich eine relevante Erweiterung des bisherigen Gründerkreises. Ausreichende Gründungsbedingung wäre damit als künftig, dass eine der neuen, eher kleinen, sektorenübergreifenden Einrichtungen betrieben wird, anstatt eines ‘echten’ Krankenhauses. Denkt man diese Option weiter, scheint sie in einem interessanten Gegensatz zu den Aussagen des Bundesgesundheitsministers zu stehen, die Gründungsmöglichkeiten nicht-ärztlicher Träger einschränken zu wollen. Da andererseits aber sektorenübergreifende Einrichtungen laut Begründung auch aus dem ambulanten Sektor heraus entstehen können sollen, täte sich hier parallel eine neue Option für vertragsärztliche Inhaber auf, Ihre Trägereigenschaft zu verstetigen.
Für Aufregung sorgen im Zweiten aus ambulanter Perspektive die weitreichenden Pläne, Krankenhäuser zur ambulanten Versorgung zu ermächtigen. Dies soll – mit Ausnahme der Allgemeinmedizin – allerdings an die Feststellung gemäß § 100 SGB V gebunden sein. Das bedeutet, dass je nach Kontext entweder eine drohende oder bereits bestehende Unterversorgung nicht nur vorliegen, sondern förmlich festgestellt sein muss, damit Krankenhäuser Anspruch auf eines solche Ermächtigung haben. Details regeln die neu geplanten §§ 115g + 116a SGBV (im Entwurf S. 8 + 94ff, bzw. S. 10 + 100ff). Ist ein Krankenhaus also als sektorübergreifende Einrichtung deklariert, sprich: dem Level 1i zugeordnet, soll sie „ambulante Leistungen aufgrund einer Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung“ erbringen. KBV-Vize Hofmeister erklärte dazu bereits am 20. März: “Der scheinbare Freund der ambulanten hausärztlichen Versorgung [Lauterbach] zeigt sein wahres Gesicht. (…) Hier fließen erneut Milliarden in die stationäre Versorgung, anstatt die ambulante hausärztliche Versorgung substanziell zu stärken.” (~ Quelle). Mit Blick auf die Hausärzte gehen diese Absichten in der Tat noch weiter: „Der Zulassungsausschuss muss sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen nach § 115g Absatz 1 in Planungsbereichen, in denen für die hausärztliche Versorgung keine Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, auf deren Antrag zur hausärztlichen Versorgung ermächtigen.“ D.h. im Kontext der Hausärztemedizin soll bereits die bloße rechnerisch bestehende Unterversorgung, bzw. das Vorhandensein freie Sitze ausreichen, um zugunsten einer Klinik Anspruch auf Ermächtigung auszulösen.
Der darauf bezogene Ärger des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV) war und ist durch das ganze Berliner Regierungsviertel zu hören: „Es drohe eine ‚Verwahrlosung der Patientenversorgung“ (~ Ärzteblatt v. 12.04.2024). Unter dem Stichwort Ambulantisierung hatte man hier eher auf die Allokation von Ressourcen und eine Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Sektor gehofft. Stattdessen sollen ambulante Etiketten an stationäre Einrichtungen geheftet werden. Zu dem Schluss kommt zumindest der Bundesvorsitzende des HÄV: „Die Pläne der Bundesregierung, Krankenhäusern zukünftig fast überall die Möglichkeit zu geben, hausärztliche Versorgung anzubieten, wäre ein Dammbruch und hätte massive negative Auswirkung auf die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung.“ (~ ÄrzteZeitung v. 17.03.2024)
In Kombination mit der im obigen Teil beschriebenen potenziellen Öffnung für Gründung und Betrieb von MVZ verbirgt sich hinter dieser Krankenhausreform insofern deutlich mehr Dynamik für den ambulanten Sektor als sich auf den ersten Blick vermuten ließe. Mal schauen, was der weitere Gesetzgebungsprozess hierzu an Änderungen oder Streichungen noch ergeben wird.
Ärzteblatt v. 15.04.2024
Krankenhausreform: Entwurf verschickt, durchwachsenes Echo
bibliomedmanager v. 17.04.2024
Rechtsverordnung für die Krankenhausreform wird vorgezogen
Ärzteblatt v. 14.04.2024
„Eilbedürftige Beratungen“: Klinikreform startet ins Stellungnahmeverfahren
Bundesarztregister 2024 | Zahlen bilden keine Philosophien, sondern Realitäten ab
Die neuen Zahlen aus dem Bundesarztregister (BAR-Statistik) bestätigen lang anhaltende Trends, wie die Zunahme der Teilzeitquote und des Anteils an Frauen in der ärztlichen Versorgung. Insoweit waren und sind die Entwicklungen erwartbar. Genauso vorhersehbar sind auch die ein oder andere Schlussfolgerung und die daraus abgeleiteten Forderungen. Wichtigster Punkt: Der Trend zur Anstellung hält weiter an. Erstmalig waren über 50.000 der insgesamt rund 177.000 Ärztinnen und Ärzte in Anstellung tätig. Etwas mehr als die Hälfte davon in MVZ. Konkret sind das 16,1 % aller Ärzt:innen, bzw. knapp über 28.500 ‚Köpfe‘. Zum Vergleich: In BAG sind knapp 10.000 (5,6%) und in Einzelpraxen fast 14.000 (7,8%) aller Ärztinnen und Ärzte angestellt. Nach wie vor sind jedoch die Zulassungen in Einzelpraxen mit 80.000 (45%) und BAGs (23%) mit 42.000 Leistungserbringern das Rückgrat der Versorgung.
Dennoch bleibt als Befund, dass sich die Zahl der Anstellungen insgesamt seit 2013 mit stetiger Dynamik verdoppelt hat. Diese Feststellung führte bei der KBV dazu, das Narrativ ‚vom Goldstandard der Einzelpraxis‘ mit einem neuen Twist zu versehen: „Im Prinzip stellt eine Niederlassung eine gute Option dar, um sowohl selbstständig arbeiten zu können als auch Familie und Beruf sinnvoll zu vereinbaren […] Unter den derzeitigen schlechten Rahmenbedingungen […] dürfte es schwierig sein, selbst mit den kreativsten Förderprogrammen junge Kolleginnen und Kollegen für die Niederlassung zu begeistern“, konstatiert KBV-Vize Hofmeister. Zu den schlechten Rahmenbedingungen zählt Hofmeister die hinderliche Bürokratie und die dysfunktionale Digitalisierung (~ Quelle). Ob sich eine Trendumkehr abzeichnen würde, wenn die Wünsche der KBV sich erfüllten, ist allerdings fraglich, denn die Gründe des Trends sind mannigfaltiger und berühren viele Bereiche auch außerhalb der Gesundheitsökonomie. Einen Ansatz hatten wir vor Kurzem beleuchtet in dem Artikel (~ Teilzeit als volkswirtschaftliches Problem | KW 8).
Dieses Gesamtbild ist unbedingt erwägenswert, denn die Anzahl an Ärztinnen und Ärzten – gemessen in Köpfen – nimmt stetig zu, während wir in vielen Regionen von Unterversorgung sprechen. Die öffentliche BAR-Statistik geht in ihrer jetzigen Form bis 2013 zurück. Seitdem hat sich die Summe der Ärzte und Psychotherapeuten um 26.000 Personen erhöht. Betrachtet man die Vollzeitäquivalente (VZÄ), gibt es eine Steigerung um 4.000 auf heute 142.590 VZÄ. Selbstredend steht dem eine höhere Lebenserwartung gegenüber, sowie eine alternde Bevölkerung. Das damit einhergehende Durchschnittsalter der arbeitenden Bevölkerung spiegelt sich auch in der BAR-Statistik wider. Laut einem Artikel des änd haben Psychotherapeuten (PT) den höchsten Altersdurchschnitt mit 60 Jahren. Die Allgemeinärzte kommen auf 55 Jahre (~ Quelle). Eine Bestätigung findet der vom BMVZ immer wieder dargelegte, aber allgemein wenig beachtete Fakt, dass die Angestellten in den Einrichtungen keineswegs nur junge Mediziner:innen sind. Fast 60 % der angestellten Ärzte und PT verteilen sich auf die Alterskohorten 40-49 (29,8%) und 50-59 (28,4%). Bei den Niedergelassenen ist die stärkste Alters-Kohorte 40-49 Jahre mit 34,6 % aller Ärzte und PT.
Die Statistik ist reich an vielen Erkenntnissen und in Verbindung mit anderen Ausarbeitungen des Zi lässt sich ein differenziertes Bild der aktuellen und künftigen Versorgungslage zeichnen. Dafür bedarf es jedoch anderer Formate. Ohne Frage steht aber die Selbstverwaltung vor der Herausforderung, den Wandel mitzugestalten. Denn auch die kommenden BAR-Statistiken werden keine Philosophien, sondern Realitäten abbilden.
KBV-Praxisnachrichten v. 04.04.2024
Arztzahlstatistik 2023: Anstellung und Teilzeit weiter im Trend
apotheke adhoc v. 03.04.2024
Arztstatistik: Mehr Angestellte, mehr in Teilzeit
änd v. 29.03.2024
KBV-Statistik zur Zahl der Niedergelassenen: Trend zur Teilzeit hält an
‚Eminenzbasierte Gesundheitspolitik‘ | Pressekonferenz von KBV, DKG, ABDA + KZBV zu Lauterbachs Plänen
Im Vorfeld der Gesprächsrunden des BMG mit Vertretern der Selbstverwaltung und von Ländern und Kommunen zur Krankenhausreform kam es am 11. April zu einem ungewöhnlichen Ereignis. In einem in der Form beispiellosen Schulterschluss hatten sich die großen Interessenvertretungen der Leistungserbringer in Berlin zusammengefunden, um in einer gemeinsamen Pressekonferenz ihren Unmut gegenüber dem BMG Luft zu machen. Interessanterweise erhielt das Treffen von KBV, KZBV, der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Apothekerverband (ABDA) abseits der Fachpresse aber kaum mediale Aufmerksamkeit. Womöglich wurde das Ereignis einfach von den von Lauterbach fast zeitgleich selbst produzierten Nachrichten (Vgl. ‘Nachrichten’) überrollt. Die Pressekonferenz lief unter dem Banner „Versorgung in Gefahr“. Zusammenfassend ließe sich deren Quintessenz als Klage darüber formulieren, dass ‚die momentane Gesetzgebung zum Großteil ohne die Expertise der Leistungserbringer aus der Selbstverwaltung stattfindet‘. Die nachfolgenden Minutenangaben beziehen sich auf den Videomitschnitt der Konferenz (~ phoenix v. 11.04.2024). Allerdings schätzen wir den Mehrwert des ‚Eigenkonsums‘ des einstündigen Videos auch als eher begrenzt ein.
Die Tatsache, dass sich die Funktionäre, diesmal unter Einschluss der DKG, zusammenfanden, spricht Bände. Zumal, wenn man die Gräben zwischen den Akteuren bedenkt, die sich in vielerlei Hinsicht offenbaren. Aber derzeit laufen die beiden großen strukturverändernden Vorhaben aus dem Hause Lauterbach – KHVVG und GVSG – auf die Zielgerade zu. Und damit scheint die Dringlichkeit für die vier großen Player hoch genug, um sich gemeinsam gegen das Prinzip der ‚eminenzbasierten Gesundheitspolitik‘ zu stellen, wie KBV-Vorstand Gassen seine Wahrnehmung der Lauterbach’schen Politikstrategie pointiert zum Ausdruck brachte. Ferner merkte er an: „Den Gesetzentwürfen aus dem Hause Lauterbach ist eins eigen: Sie sind alle zentralistisch und standardisiert angelegt. Und diese Standards unterminieren oft die Versorgungsrealität, so wie wir sie kennen.“ Ihm dränge sich der Eindruck auf, dass eine zusätzliche Ebene eingezogen werden würde, die ein staatlich gelenktes System als Ziel habe (~Min. 29:00). Alle Vertreter kritisierten zudem die aus ihrer Sicht mangelnde Debattenkultur. Man würde nicht am Entstehungsprozess der Gesetze beteiligt, sondern erst im Stadium der Referentenentwürfe eingebunden.
Ferner wurden auch die konkreten Vorhaben kritisiert. So gebe es große Probleme beim eRezept, resümierte die Präsidentin der ABDA. Overwiening schilderte einen Fall, bei dem ein Chroniker seine regelmäßigen Medikamente nicht abgeholt hätte, weil er nicht wusste, dass das Rezept elektronisch hinterlegt war. Im Resümee würde aus Sicht der Apotheken der Eindruck entstehen, dass bei den Gesetzesvorhaben die „Überschrift und der Inhalt in den Monaten seit Oktober leider nie übereingestimmt haben.“ (~ Min. 43:30) Für die Krankenhausgesellschaft kritisierte der Vorsitzende Gaß: „Ein echter inhaltlicher Austausch findet mit dem Ministerium nicht wirklich statt“. Die theoretischen Ansätze des BMG würden an der Realität scheitern (~ Min. 31:00). Martin Hendges von der KZBV schloss den Reigen und bemängelte, dass die Forderungen aus der Selbstverwaltung vom Ministerium weitestgehend unbeantwortet bleiben. Der Verband sah sich zudem genötigt, auch die von der KZBV forcierte MVZ-Regulierung noch einmal in einer Pressmitteilung festzuhalten (~ Quelle). Im Verlauf der Fragerunde mit den Journalisten ergab sich der Eindruck eines ‘disziplinierten Miteinanders’ der Akteure. Zwischen den standardisierten Floskeln webten sich aber auch recht scharfzüngige Formulierungen ein, die konkret an den Gesundheitsminister adressiert wurden.
Was bleibt nun von dem ‚Schulterschluss‘?
Unter einem Artikel des änd zum Thema hatte ein Leser die Themen der Tagesschau vom selbigen Tag aufgelistet. Die Pressekonferenz der vier großen Interessenverbände der Leistungserbringer fand dort keine Erwähnung, wohl aber eine Wandmalerei in Pompeji. An welcher Stelle hier eine Missdeutung von Relevanz stattfindet, bleibt offen. Bis heute hat sich das BMG jedenfalls zu der konkreten Kritik nicht geäußert. Der Gesundheitsminister hatte bezüglich einer Sitzung der Selbstverwaltungspartner, die an besagte Pressekonferenz anschloss, lediglich seinen Standpunkt bekräftigt. „Wir ziehen das jetzt durch.“ (~ Quelle).
ÄrzteZeitung v. 11.04.2024
Ärzte und Kliniken kritisieren Gesundheitspolitik der Ampel scharf
änd v. 11.04.2024
Gemeinsamer Appell „Versorgung in Gefahr“
KBV Praxisnachrichten v. 11.04.2024
Praxen, Krankenhäuser und Apotheken warnen vor dramatischen Versorgungslücken