Inflationsprämie: Fallstricke bei der Staffelung | Arbeitsgerichte legen engen Maßstab an
Im Kontext der Tariferhöhung der MFA wurde eine Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie (IAP) vereinbart. (~ PRAXIS.KOMPAKT KW 8) Für Personalverantwortliche ist dabei zu beachten, dass – wenn der Betrieb die IAP zahlt – der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt. Einige ‚frische‘ Urteile beleuchten dabei die Feinheiten. Dem Ganzen liegt eine Kernbotschaft zugrunde: Die IAP dient in erster Linie der Abfederung sozialer Härte bei Geringverdienern. Etwaige Staffelungen, beispielsweise nach Einkommen, bei der Auszahlung der IAP müssen also wohldurchdacht und begründbar sein.
In einem Fall hatte eine angestellte Teilzeitkraft auf die Auszahlung der vollen IAP geklagt. Der Arbeitgeber hatte die Höhe der Prämie gestaffelt. Vollzeitkräfte erhielten danach eine höhere IAP, ebenso Mitarbeitende mit langer Betriebszugehörigkeit. Das Arbeitsgericht Hagen hatte 2023 zugunsten der Arbeitnehmerin entschieden (Az.: 4 Ca 604/23), mit der Begründung, die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer sei in der Darstellung des Arbeitgebers widersprüchlich. Mit einem fast identischen Sachverhalt, wohl denselben Arbeitgeber betreffend, beschäftigte sich das Gericht später erneut (Az.: 3 Ca 588/23 ). Eine leicht zugängliche Aufarbeitung des Urteils finden Sie hier. Wer vertiefte Informationen sucht, dem sei zudem die ausführliche Darstellung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) empfohlen: Ungleiche Inflationsausgleichsprämie nicht gerecht.
Im Ergebnis lassen sich folgende Kernpunkte in Bezug auf die IAP festhalten:
Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Zahlung des Arbeitgebers. Die steuer- und abgabenfreie Auszahlung ist bis 31. Dezember 2024 möglich. Die 3.000 € können in Form von Zuschüssen und Sachbezügen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise gewährt werden. (~ § 3 Nr. 11c EStG) Für einen Haftungsausschluss bieten sich eine spezielle Formulierung an, sofern eine solche im Betrieb nicht ohnehin schon existiert (~ Ein Muster bietet das FAQ der ETL Rechtsanwälte unter Frage 31). Befristete Arbeitnehmer dürfen nach § 4 Abs. 2 TzBfG nicht anders bewertet werden als unbefristete Arbeitnehmer (~ Juris.de v. 07.02.2024). „Eine Leistungsprämie als Inflationsausgleichsprämie zu verkleiden, ist keine gute Idee.“ (~ Quelle) Grundsätzlich sollte der Zweck der Prämie bei der Ausgestaltung der Auszahlung bedacht werden, denn die Gerichte gewichten die Intention des Gesetzgebers zur Abfederung der Inflation für Bedürftige hoch.
Juris v. 07.02.2024
Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 4 Abs. 2 TzBfG bei Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie
Haufe.de v. 25.01.2024
Inflationsausgleichsprämie für befristet Beschäftigte
Bund der Steuerzahler v. 29.12.2023
Steuerfreie Inflationsausgleichsprämie bis Ende 2024
e-Arztbrief Sanktionen zum 1. März relativiert | BSG Entscheidung zu ‚TI-Verweigerern‘
Wie die KBV mitteilte, hat das Bundesministerium für Gesundheit die unmittelbaren Sanktionen relativiert, die ursprünglich ab dem 1. März gelten sollten, wenn Praxen und MVZ kein zertifiziertes eArztbriefmodul installiert haben. Da die Softwareanbieter in vielen Fällen nicht rechtzeitig das Update aufspielen können, genügt es, wenn das PVS für das Aufspielen des Softwareupdates bereit ist. Bisher stand sonst eine Kürzung von 50 Prozent der TI Pauschale im Raum.
Konkret heißt es in dem Schreiben des BMG: „Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten [müssen] ab 1. März nachweisen, dass ihr Praxisverwaltungssystem (PVS) den elektronischen Arztbrief in der jeweils aktuellen Version unterstützt.“ (~ KBV v. 29.02.2024) Für die Verzögerung der Hersteller können die Praxen aber nicht belangt werden. Es wurde zudem Unverständnis vonseiten des Ministeriums geäußert, warum die Software-Dienstleister den Termin nicht einhalten. Für viele Praktiker kommt diese Entwicklung wohl nicht unerwartet. In Bezug auf eine generelle Fristverschiebung zur eArztbrief-Verwendung stehen bisher nur Forderungen im Raum, allerdings zeichnet sich momentan keine zeitnahe Entscheidung ab.
Der Gesetzgeber hat sich entschieden, die Fristen zu staffeln, weshalb es zuweilen zur Verwirrung kommen kann. Die obige Frist gilt, wie beschrieben, zur Installationsbereitschaft der PVS für das eArztbrief-Modul. Ab Juni 2024 würde, Stand jetzt, dann die gesetzliche Pflicht gelten, dass Praxen und MVZ eArztbriefe empfangen können müssen. (~ KV Hessen v. 01.03.2024) Eine gute Übersicht hat die KBV in ihrem einseitigen Infobrief bereitgestellt. Für ein effizienteres Arbeiten mit dem Modul wird darin unter anderem auf den Übertrag der KIM-Adressdaten zu den Kontaktdaten hingewiesen. Ein kurzer Blick lohnt sich: KBV Infobrief eArztbrief Stand 2024 | öffnet als PDF. Die KV Bayerns hatte zum Thema KIM ein FAQ-Infoblatt veröffentlicht. Dieses ist vom 12.02.2023, also ein Jahr alt. Die wenigen überholten Informationen macht das Dokument allerdings durch praxisnahe Fragen und Antworten wett. Die Ausarbeitung ist besonders für thematische Neueinsteiger zu empfehlen. (~ FAQ Infoblatt KIM | öffnet als PDF)
Addendum: Da war doch noch was mit TI und Gerichten? Stimmt, am 06.03.2024 entschied das Bundessozialgericht nun in höchster Instanz, dass die Honorarkürzung für ‚TI Verweigerer‘ rechtmäßig ist. Anhängig war ein Verfahren, in dem eine BAG gegen die Kürzung geklagt hatte, da nach Ansicht der Kläger 2020 keine ausreichende Datensicherheit gewährleistet war. Das BSG verwies auf die Klärung der technischen Hinlänglichkeit der TI beim Sozialgericht Mainz und stellte selbst klar, dass auch der rechtliche Rahmen ausreichend gegeben gewesen sei. Aufmerksamkeit bekam das Verfahren durch die Unterstützung der Kläger durch die MEDI Gruppe. Der Revisionsantrag wurde indessen zurückgezogen und die MEDI Gruppe erhofft sich stattdessen einen Erfolg bei einem noch ausstehenden Urteil zur Betriebskosten-Erstausstattung.
ÄrzteZeitung v. 06.03.2024
Bundessozialgericht bestätigt Honorarkürzung für TI-Verweigerer
Ärzteblatt v. 27.02.2024
Keine Kürzung der TI-Pauschale bei industriebedingter Verzögerung beim elektronischen Arztbrief
Ärzteblatt v. 01.02.2024
KBV will Fristverschiebung bei elektronischem Arztbrief erreichen
Hybrid DRGs: Einigung zur Abrechnung | Ohne Grouper geht’s nicht
Bei den Verhandlungen zur Abrechnung der Hybrid DRGs zwischen KBV und Kassen ist es zu einer Einigung gekommen. Diese wartet zwar noch auf die Unterschrift der Beteiligten (Stand 07.03.2024), aber die KBV schien frohen Mutes, die Ergebnisse bereits zu veröffentlichen. In aller Kürze: Ab 2025 können die Leistungen unmittelbar nach der Leistungserbringung bei den Kassen eingereicht werden, die dann binnen 21 Tagen zahlen sollen. Bis dahin gilt eine Übergangslösung via Pseudo GOPs und eine Wahlmöglichkeit über den Weg der Abrechnung.
Wie die KBV auf ihrer Webseite mitteilt, gilt die Vereinbarung rückwirkend zum 1. Januar 2024, also mit Inkrafttreten des Start-Kataloges zu den Hybrid DRGs, welchen das Haus Lauterbach zum Jahresende noch unter den Christbaum gelegt hatte. Die Freude über das Geschenk trübte sich zunächst, wegen des Fehlens der nicht ganz unwichtigen Abrechnungsmöglichkeit. Nun ist diese zwar da, aber in den Reihen der betroffenen Ärzteschaft scheint immer noch kein Enthusiasmus vernehmbar. Den aktuellen Stand hat die KBV gut aufbereitet. (~ KBV Themenwebseite v. 07.03.2024)
Zwingend notwendig für die Abrechnung ist ein für 2023/2024 zertifizierter Grouper. Hier werden die Parameter für den Eingriff eingetragen. Sofern das System dann eine Codeziffer für einen Hybrid-DRG erkennt, kann danach abgerechnet werden. Bis dato gibt es keine Einigung darüber, ob alternativ zu den Hybrid DRGs auch nach EBM abgerechnet werden könnte. Die Kassen haben dem eine klare Absage erteilt, obwohl die Rechtslage nach Aussage des BMG „nicht eindeutig“ ist. Zeigt der Grouper die mögliche Verwendung eines Hybrid DRGs an, so müsste – nach Ansicht der Kassen – auch nach Hybrid-DRG abgerechnet werden. Von welcher Seite hier jetzt eine Klärung kommt, oder ob überhaupt, ist momentan noch offen. Bis die Kassen eine rein digitale Lösung bereitstellen, soll bis Ende 2024 eine Übergangslösung herhalten. Entweder können Praxen die eigene KV beauftragen, für sie mit den Kassen abzurechnen. Dies läuft dann über die Quartalsabrechnung. Alternativ kann selbst oder über einen Dritten mit den Kassen abgerechnet werden.
Abseits davon gibt es nach wie vor viel Klärungsbedarf. Vonseiten der chirurgischen Verbände wurde schon mit Veröffentlichung des Start-Kataloges Kritik laut, die sie jetzt bekräftigt. (~ ÄrzteZeitung: Chirurgen fürchten Qualitätseinbußen bei ambulanten Operationen v. 11.03.2024) Hintergrund sind die Pauschalen für Eingriffe, ohne Berücksichtigung vom individuellen Materialbedarf. Auch seitens des Medizincontrollings gab es bereits Aufforderungen zur Nachbesserung. So verwies die Firma ‚Kaysers-consilium‘ im November 2023 auf unstimmige Konstellationen bei einigen Grouper-Berechnungen von 1-Tages-Fällen. (~ Link| öffnet als PDF) Inwieweit diesbezüglich schon Abhilfe geschaffen wurde, konnten wir nicht ermitteln. Die KV Nordrhein will einen eigenen Grouper zur Verfügung stellen. In welchem Umfang andere KVen mitziehen, ist zum jetzigen Stand noch unklar. Bereits ambulant operierende MVZ wissen wohl um den Anspruch, der mit der Abrechnung einhergeht. Für all jene, die mit dem Gedanken spielen, ihr Behandlungsportfolio zu erweitern, ist die oben verlinkte KBV Themenseite gewissermaßen Pflichtlektüre.
KV Nordrhein
Q&A zum Thema Hybrid DRGs
Ärzteblatt v. 11.03.2024
Wie die neuen Hybrid-DRG abgerechnet werden
ÄrzteZeitung v. 07.03.2024
KBV: Ärzte können Hybrid-DRG abrechnen – zunächst mit Pseudoziffern
Gesetzgebungspläne | Weiter Unklarheiten zu Versorgungsgesetz I und nun auch Dissens zwischen den Arztverbänden
Vielleicht warten auch Sie zunehmend ungeduldig, ob und was aus dem Hause Lauterbach im Rahmen des Versorgungsgesetz I nun kommen (oder nicht kommen) wird? Längst reicht diese Frage aber über die MVZ-Thematik hinaus. Mehr als einmal hatten wir kommentiert, wie insbesondere auch der koalitionsinterne Streit um die Gesundheitskioske das GVSG I als Gesamtprojekt belastet (~ Darstellung v. 6.11.2023). Und jüngst ist eine dritte Ebene hinzugekommen. Denn auch die Hausarztentbudgetierung soll bekanntermaßen nach dem Willen des BMG über eben jenes Gesetz geregelt werden; ein ausformulierter Vorschlag liegt bereits vor (~ Update zu den aktuellen Entbudgetierungsplänen des BMG). Die KBV, die möglicherweise befürchtet, dass die Vielzahl an Kontroversen das Projekt der Entbudgetierung gefährdet oder zumindest unbotmäßig hinauszögert, hat daher in der Vertreterversammlung vom 1. März sehr deutlich an den Gesetzgeber appelliert, die Honorarfragen aus dem GVSG I auszukoppeln und als eigenständiges Artikelgesetz sofort umzusetzen. Eine Forderung, die auch vor zwei Wochen im Petitionsausschuss bereits erhoben worden war. „Die Aussage des Ministers, man habe sich abgesprochen, das eine mit dem anderen zu verbinden, sei „Augenwischerei“, sagte [KBV-Vorstand] Hofmeister. „Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Seitens der KBV gibt es kein Junktim für die hausärztliche Entbudgetierung.“ (~ Quelle)
Umso bemerkenswerter ist daher, dass im Anschluss an die KBV-Vertreterversammlung der Hausärzteverband – als maßgeblich betroffener Interessenvertreter – dem KBV-Vorstand öffentlich und in aller Deutlichkeit widersprochen hat. Oder wie die ÄrzteZeitung schreibt: „Auf die Vorschläge der KBV-Oberen reagierte der Hausärztinnen- und Hauärzteverband gleichwohl säuerlich.“ Weiter wird der HÄV-Vorstand zitiert: „Es sei nicht hilfreich, wenn von Seiten der KBV-Spitze die Forderung in den Raum geworfen werde, das Gesamtpaket an Verbesserungen für die Hausarztpraxen wieder aufzuschnüren … . Dies würde …. wesentliche Elemente des Pakets de facto beerdigen und sei nicht im Sinne der Hausärztinnen und Hausärzte.“ Und, so die HÄV-Vorsitzende Buhlinger-Göpfarth: „Man erwarte an dieser Stelle die Unterstützung der KBV-Spitze.“ Eine ausführlichen Einblick in das Denken der HÄV-Spitze gibt ergänzend das lange Interview v. 8. März 2024 im änd.
Fassen wir also zusammen:
Das sogenannte Versorgungsgesetz I liegt seit etwa anderthalb Jahren in einer Schublade des BMG. Hauptinhalt war ursprünglich die Ertüchtigung der Kommunen, sich direkt bspw. über Gesundheitskioske in der ambulanten Versorgung zu engagieren. Dafür müssten Kassen wie Kommunen tief in die bereits leeren Sparbüchsen greifen. Stark vereinfacht könnte man sagen, dass das Gesetz bisher u.a. deshalb im Kabinett gescheitert ist, weil die FDP die Idee einer solchen zusätzlichen Versorgungsebene ablehnend gegenübersteht und dafür das naheliegende Argument der fehlenden Finanzierbarkeit nutzt oder, um es mit den Worten des Finanzministers Lindner auszudrücken: Ausgabenstopp | keine neuen Sozialausgaben. Parallel wurde im Dezember 2023 unerwartet angekündigt, dass die beschränkenden Regelungen zu MVZ auf das Versorgungsgesetz I vorgezogen werden sollen – ohne dass hier bisher Taten oder auch nur Eckpunkte folgten. Das Thema ist bekanntermaßen hoch diskursiv, hat eine starke verfassungsrechtliche Komponente und gilt durchaus auch als Streitpunkt innerhalb der Regierungsparteien. Die Meinungen laufen dabei quer durch die Fraktionen, vor allem aber nimmt auch hier die FDP-Fraktion eine dezidiert andere Perspektive ein: FDP-Politiker Ullmann zu MVZ: „Ich sehe dort keine Heuschrecken fliegen“. Und jetzt kommt im Dritten auch noch das Thema Entbürokratisierung und Entbudgetierung als Streitpunkt hinzu, bei dem sich die betroffenen ärztlichen Hauptakteure gegenseitig beharken.
Ohne Frage, die Gesetzgebung des BMG steht unter keinem guten Stern. Mit all seinen Ankündigungen und Verschiebungen hat Lauterbach über die Zeit ein Omnibus-Gesetz geschaffen, das als solches nie vorgesehen war und dessen Komplexität stetig zunimmt. Eine belastbare Aussage dazu, wann und mit welchen Inhalten ein Gesetz für die ambulante Versorgung kommen wird, wird dadurch nicht eben einfacher. Nur eines ist klar: Lauterbach muss all diese Fäden in den nächsten Wochen entwirren. Denn das Zeitfenster, Reformen auf den parlamentarischen Weg zu bringen, schließt sich hier – wie auch bei der Krankenhausreform – rasend schnell. Regierungsintern gilt die Kabinettssitzung vom 24. April als Datum mit Symbolkraft. Denn, was bis dahin nicht von den Regierungspartnern verabschiedet und damit ans Parlament zur Beratung übergeben wurde, hat kaum noch Chancen, noch in 2024 in Kraft zu treten. Gleichzeitig gilt es als wahlkampftaktische Grundregel, kontroverse Gesetzgebungsverfahren nicht mit in ein Wahljahr zu nehmen – und 2025 wird ein solches sein. Wie Karl Lauterbach mit diesem Druck, unter dem all seine mehrschichtigen Reformprojekte stehen, umgehen wird, und wie er seine Prioritäten setzen wird, das sind und bleiben damit die Preisfragen der nächsten Wochen.
Ein Indiz gab Lauterbach im Übrigen auf der Konferenz Armut + Gesundheit: Mit Blick auf den Widerstand gegen „seine“ Gesundheitskisoke meinte in diesem Rahmen am 5. März: Die Kioske sollten eine niedrigschwellige Anlaufstelle in Stadtbezirken sein, wo viele Anwohner keine medizinische Betreuung hätten, „weil dort schon lange sich niemand mehr niederlässt.“ Kritiker seines Konzeptes hätten dagegen noch nie Vorschläge gemacht, wie mehr Ärzte motiviert werden könnten, sich genau in diesen Brennpunkten anzusiedeln. Gleichwohl werde dieser Aspekt der Gesundheitsreform „fast mehr bekämpft als jeder andere.“ (~ Quelle I | Quelle II)
G+G v. 01.03.2024
Kassenärzte beklagen „Hinhaltetaktik“ in Gesundheitspolitik
ÄrzteZeitung v. 01.03.2024
Entbudgetierung: KBV will Abkürzung, Hausärzte wollen lieber auf Gesamtpaket warten
ZM Online v. 01.03.2024
Investorengetragene MVZ: Immer noch keine Regulierung in Sicht
ePA Infoabend klärt wenig und gibt noch mehr Hausaufgaben auf
Am 28.02.2024 fand eine Infoveranstaltung zum Thema elektronische Patientenakte statt. Die KV Nordrhein und die KBV hatten zu dem dualen Format geladen, dessen 2,5 Stunden Videomitschnitt noch abrufbar ist (~ KVNO Themenseite). Für Zeitbewusste, eine Zusammenfassung in vier Wörtern: Im Westen nichts Neues. Unter dem Aspekt, welche Schritte müssen Praxen konkret vor der Einführung der ePA am 15. Januar 2025 beachten, gab es kaum Erkenntnisse. Allerdings wurden, insbesondere vom anwesenden Medizin- und Haftungsrechtler, alte Wunden aufgerissen und auf Mängel in der Rechtsprechung im Umgang mit Patientendaten hingewiesen, die sich in die ePA Anwendungen übertragen werden.
Geladen waren zudem Herr Zilch vom Gesundheitsministerium und Prof. Gödicke. Letzterer trat in seiner Funktion als Richter des OLG Frankfurt gewissermaßen als Advocatus Diaboli auf. Zumindest muss dies aus der Sicht des BMG so gewirkt haben, denn seine Anmerkungen bezüglich bereits bestehender Unwägbarkeiten zeigten nachdrücklich die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte auf. Gewissermaßen gab es auch eine Entschuldigung von Gödicke an die Leistungserbringer, dass die Justiz die Ärzte mit vielen offenen Fragen lange im Stich ließ. (Im Video ab Minute 30) Der Ärztenachrichtendienst hat die Aussagen aufbereitet (~ änd v. 28.02.2024). Der Tenor: Die Fachgesellschaften sollen sich dem Thema bitte annehmen. Vor Gericht gelte weiterhin der ärztliche Sorgfaltsmaßstab und diesbezüglich die Einschätzung eines Sachverständigen.
Seitens des Bundesministeriums warb Zilch für die ePA und merkte – korrekterweise – an, dass Deutschland im europäischen Vergleich massiv hinterherhinke. Andere Länder hätten solch ein System schon lange umgesetzt. Bei der Frage in der anschließenden Podiumsdiskussion, wie Praxen denn für den Mehraufwand entschädigt würden, vernahm der Video-Zuschauer zum ersten Mal die Anwesenheit des Publikums. Zilch verwies auf die Selbstverwaltung, worauf ein zynisches Lachen durch die Reihen raunte. Der Unterabteilungsleiter ließ aber keine Zweifel aufkommen, dass der Januar 2025 als Einführungsdatum feststehe. Wie genau, wer, womit, was im Detail dazu beiträgt: ‚Man sei in intensiven Gesprächen.‘ Die KBV trug das bekannte, und in Anbetracht der Verzögerungen seitens der Industrie beim eArztbrief wohl auch gerechtfertigte Mantra vor: ‚Die Sanktionen müssten gestrichen werden‚.
Im Grunde bleibt daher für die Praxen nur, sich auf den Worst Case einzustellen. Dieses könnte wie folgt aussehen: Die Patienten wissen von nichts, die Telematik bockt und ärztliche Kollegen raten den Patienten vom Gebrauch der ePA ab, was zu permanenten Medienbrüchen zwischen Papier und Computer führt. Von den Kosten all dessen ganz zu schweigen. Zur Auffrischung der Thematik verweisen wir gern auf die PRAXIS.KOMPAKT aus der 49. KW 2023: eArztbrief: Termine 2024 | Die unbeachtete Pflichtanwendung. Wer sich von dem Gedanken um diese Unzulänglichkeiten der TI ablenken möchte, dem sei ein kurzer Artikel über Dänemark empfohlen, wie eHealth auch funktionieren kann: Dänen haben großes Vertrauen in Digital Health.
KV Nordrhein v. 06.03.2024
Großes Interesse an ePA-Veranstaltung: Noch viele Fragen offen
änd v. 28.02.2024
BMG-Abteilungsleiter Zilch: „Für manche Systeme kann es nicht weitergehen“
KBV-Berufsmonitoring 2022 | Einblicke in das Erwartungsmanagement der Medizinstudierenden
Im September 2022 hatte die KBV bereits eine erste Stellungnahme zum Berufsmonitoring 2022 präsentiert. Mit einer dezenten Verspätung von 15 Monaten wurden zum Jahreswechsel 23/24 nun auch die ausführlichen Ergebnisse veröffentlicht. Die Erkenntnisse offenbaren nichts fundamental Neues und bestätigen bekannte Trends. Für das operative Geschäft, insbesondere für Personalverantwortliche, mag es dennoch sinnvoll sein, die Erwartungshaltung der jungen Medizinstudierenden zur Kenntnis zu nehmen. Hintergrund: Das Berufsmonitoring erscheint zum vierten Mal seit 2010. Erstmalig wurde ergänzend zu der bundesweiten Befragung (~ Berufsmonitoring Medizinstudierende 2022) auch eine Umfrage im europäischen Kontext durchgeführt „Berufsmonitoring Europäische Medizinstudierende 2022“. Letztere ist sicher spannend für eine Relativierung. Die bundesweite Befragung ist jedoch maßgeblich für den Nachwuchs der ambulanten Versorgung hierzulande.
Schwerpunkte der Studie waren: Bedeutung der Work-Life-Balance, das Thema Digitalisierung, die Wissensvermittlung während des Studiums und die Auswirkungen von Corona auf die Ausbildung. Begrüßenswert: 99 Prozent der Befragten geben an, dass sie „in ihrem Berufsleben mit Patientenkontakt arbeiten möchten.“ (S. 6 | Diese und nachfolgende Seitenangaben beziehen sich auf die bundesweite Befragung). Für die kooperativen Strukturen kommt erfreulicherweise hinzu, dass sich ein Trend hin zu Teamarbeit und interprofessioneller Berufsausübung abzeichnet. Der Abstract des Berichtes formuliert diese Entwicklung recht drastisch: „Die Rolle des Arztberufs im Team mit anderen Professionen muss neu definiert werden.“ (S. 6) Schaut man sich die Zahlen zur „Erwartungen an die spätere Berufstätigkeit“ (S. 28 ff.) an, findet sich die Teamarbeit (Platz 7) und Interprofessionalität (Platz 9) hinter Faktoren wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Platz 1) und Geregelte Arbeitszeiten (Platz 2), aber dennoch vor dem Wunsch ‚Tätigkeit in der eigenen Praxis‘ (Platz 10). Im Grunde liest sich diese Tabelle, wie eine Checkliste für MVZ für all jene, die sich für den ambulanten Sektor entscheiden.
Für Stirnfalten könnten allerdings die Gehaltsvorstellungen der angehenden Mediziner sorgen. Eine „gute Bezahlung“ schafft es auf Platz 3 im Erwartungsmanagement der jungen Studierenden. Ausdrücklich nach dem Nettogehalt mit fünf Jahren Berufserfahrung gefragt, geben sie im arithmetischen Mittel 5.439 € an (S. 32). In der schriftlichen Auswertung versucht die Studie, ihre eigenen Ergebnisse zu relativieren, mit Aussagen über die Unwissenheit der Studierenden und Verweisen auf Gehälter anderer Berufsgruppen. Der ganze Absatz wirkt, auch wegen seiner überholten Zitationen von 2004, leicht befremdlich. Was in der Studie ausbleibt, ist jedoch eine realistische Einordnung im Kontext der Debatte um die Zukunft der Versorgung. Kühl aufgerechnet, bedeutet das Netto-Wunschgehalt bei Kinderlosen ein Brutto von ca. 9.800 € in Vollzeit. Die Personalkosten sind nach betriebswirtschaftlichen Konventionen dann mit mindestens 1,7 zu multiplizieren, realistischer aber mit dem Faktor ~ 2 (~ Controlling-Portal.de v. 10.10.2022). Kalkulatorisch würden sich also Kosten von über 19.000 € für solch eine Planstelle ergeben. Sicher, diese Zahl ist unternehmensspezifisch und auch nicht in vollem Umfang zahlungswirksam, allerdings für eine konstruktive Debatte von Bedeutung.
Abseits davon, ist im Rahmen der Auswahl einer möglichen Facharztrichtung zwischen 2010 und 2022 ein positiver Trend bei der Allgemeinmedizin zu erkennen. Hier stieg die Präferenz um 6,4 Prozentpunkte auf 36,8 Prozent, aller Befragten. Dezent rückläufig ist die Beliebtheit der Weiterbildungen Chirurgie und Orthopädie (S. 38). Einigkeit herrscht in der Aussage über die negativen Folgen von Corona für die Ausbildung. Grundsätzlich sehen viele Studierende die Aufstellung des Kolloquiums kritisch – vor allem in den Sparten Digitalisierung und betriebswirtschaftliche Kenntnisse und eine grundlegende Einführung in das ambulante System. Die Hürde der Niederlassung ist dadurch für viele hoch (S. 7 ff. und 45 ff.). Erwartbar nimmt so die Neigung zu einer Anstellung in einem MVZ zu, obwohl der Wunsch, in einem Krankenhaus zu arbeiten, bei den Studierenden weiter auf Platz 1 steht (S.45). Aber hier haben die Autoren der Studie vermutlich recht. Die Befragten stehen nun mal noch am Anfang ihrer Ausbildung – und im Grunde vor dem Beginn ihres Berufslebens – und einige Wünsche ändern sich mit der Erfahrung.
ÄrzteZeitung v. 24.01.2024
Work-Life-Balance bei Medizinstudierenden hoch im Kurs
KBV – Themenseite ‚Berufsmonitoring‘
Ergebnisse der Befragung 2022 (PDF) sowie Zugrif auf die Ergebnisse 2018 – 2014 – 2010
Ärzteblatt v. 21.10.2022
Berufsmonitoring Medizinstudierende: Neue Strukturen sind gefragt
Privatabrechnung in GmbHs | Wenn keine Probleme da sind, schafft man welche
oder warum wirklich wichtig ist, dass Ärzte GmbH und MVZ GmbH zwei verschiedene Dinge sind
Diejenigen unter Ihnen, die schon lange im MVZ-Bereich tätig sind, erinnern sich vielleicht an die ersten Jahre, als es immer mal wieder Probleme mit der Erstattung von Rechnungen durch einzelne PKV-Kassen gab. Hintergrund war, dass in den Musterversicherungsbedingungen der PKV (~ mehr über) das MVZ nicht vorkam – bis heute tut es das übrigens nicht vollumfänglich. Historisch begründet haben die Versicherten „die Wahl unter den Ärzten und Zahnärzten frei, die zur vertragsärztlichen bzw. –zahnärztlichen Versorgung in der [GKV] zugelassen sind (Vertragsärzte bzw. Vertragszahnärzte).“ Allein die Musterversicherungsbedingungen für den Basistarif, dessen Einführung vom Gesetzgeber erst 2009 erzwungen wurde, kennt explizit auch das MVZ als zulässigen Leistungserbringer. Gleichwohl haben viele private Versicherer ihre Versicherungsbedingungen längst um das MVZ ergänzt und selbst bei denen, die das nicht getan haben, wurden über die Jahre anstandslos auch von MVZ erbrachte Leistungen erstattet.
Umso mehr überraschte eine Meldung – zuerst in der Süddeutschen Zeitung (~ zum Artikel) – nach denen scheinbar Abrechnungsprobleme bei MVZ GmbHs auftauchten. Hintergrund war der Jahresbericht des PKV-Ombudsmannes, der eine Fallbeschreibung enthält, wo die Rechnung – ausgestellt von einer Ärzte GmbH – nicht erstattet worden war. Ein Vorgehen, dem der Ombudsmann seinen Segen erteilte, da „das Unternehmen, welches die Praxis gekauft hatte, als GmbH … eine sog. „juristische Person“ dar[stellt] und damit selbst kein niedergelassener Arzt [ist].“ (~ im Berichts-PDF – Seite 34). Die PKV-Pressestelle bekräftigte in der SZ die Richtigkeit des Ganzen mit der Begründung: „Damit werden Patienten vor nur gewinnorientierten Praxisbetreibern geschützt.“ Und hier beginnt die Posse: Denn der SZ-Journalist fügte seinem Artikel an dieser Stelle zwei Absätze zur Debatte um Investoren-MVZ an, obwohl der PKV-Pressesprecher genau darüber mit der Aussage zitiert wird, dass es „dagegen … keine Probleme mit Rechnungen für Behandlungen in [MVZ] mit angestellten Ärzten, die unter ärztlicher Leitung stehen, [gäbe].“
Kern des Problems war/ist folglich die Frage, ob mit Ärzte GmbH die MVZ GmbH gemeint ist. Für den SZ-Journalisten schien das jedenfalls klar. Und in der Folge auch für die Redaktion der Zahnärztlichen Mitteilungen (ZM), die die SZ-Meldung aufgriffen und explizit den BBMV als exponierte Interessenvertretung von MVZ mit Investorenbezug um Stellungnahme baten. Etwas Recherche des BMVZ und der direkte Austausch mit dem PKV-Verband ergab jedoch schnell, dass es in dem Bericht des Ombudsmannes gerade nicht um MVZ ging, sondern um genau das, was auch benannt worden war: Um eine reine Ärzte GmbH ohne Konzession (~ Was ist das?). Damit erwiesen sich die Berichte der SZ sowie der ZM, die beide den Schluss nahelegten, dass es um MVZ ginge, als eine echte Zeitungsente. Da die Aufregung zu diesem Zeitpunkt jedoch schon Kreise gezogen hat, entschied sich der BMVZ für eine deutliche Klarstellung via Social Media.
Soweit also viel Lärm um nichts. In dem Kontext wurden jedoch noch einmal zwei Entscheidungen des OLG Frankfurt vom letzten Herbst aufgewärmt, bei denen die Justizbehörden Hessens im ersten Fall – wir meinen irreführend – getitelt hatten: „Ärzte-GmbH oder MVZ-GmbH nicht Adressaten der GOÄ“ (~ Volltext v. 21.09.2023). Konkret ging es um eine Plattform, die in Zusammenarbeit mit Kooperationsärzten und -apothekern im Kontext der Cannabistherapie praktisch Igel-Leistungen angeboten und dabei offensiv mit Rabatten auf die GOÄ-Gebühren geworben hatte. In einem weiteren Fall, der sich ebenfalls um die Cannabis-Medizin drehte, ging es zwei Monate später darum, dass eine „Vermittlerin von ärztlichen Behandlungsleistungen nicht Regelungen der GOÄ [unterliegt] und Rabatte anbieten [darf].“ (~ Volltext v. 6.11.2023) Ein genaues Studium der Fälle legt den Schluss nahe, dass es – exakt wie oben bzgl. der aktuellen Berichte von SZ und ZM beschrieben – um echte Ärzte GmbHs geht, von der aus fatalerweise im offiziellen Beschlusstext zumindest des einen Urteils auf die MVZ-GmbH geschlossen wurde. Im Grunde verwendet das OLG Frankfurt in der erwähnten Septemberentscheidung die Begriffe MVZ GmbH und Ärzte GmbH ohne erkennbaren Anlass als sich gegenseitig ergänzend. In der Folge sind auch hier Nachrichten und vor allem juristische Kommentierungen in der Welt, wonach MVZ GmbHs nicht an die GOÄ gebunden seien.
Von daher ist es wirklich wichtig klarzustellen, dass eine Ärzte GmbH nicht dasselbe ist wie eine MVZ GmbH, und das Letztere auch keine Untergruppe der ersteren darstellt. Zwar stimmt es, dass sowohl GOÄ als auch GOZ schon allein aufgrund ihres Alters die MVZ nicht direkt adressieren. Allerdings ist weitgehend unbestritten, dass auch hier die Gebührenordnungen zwingend anzuwenden sind. Eine gute Zusammenfassung der Diskussion dazu bietet – trotz der auch in diesem Text teils nicht klar trennenden Verwendung der Begriffe Ärzte GmbH und MVZ GmbH – der folgende Rechtstext: Gelten GOÄ und GOZ auch für MVZ – oder nicht?
Selbst wenn im Übrigen eine MVZ-GmbH von der Anwendungspflicht der GOÄ/GOZ befreit wäre, gäbe es dennoch ein großes Abrechnungshindernis. Denn die Erstattungsregeln der PKV sehen unmissverständlich vor, dass erstattbar nur ist, wenn „Rechnungen nach der Gebührenordnung für Ärzte oder der Gebührenordnung für Zahnärzte erstellt [wurden].“ D.h. von vornherein käme die Abweichung von GOÄ/GOZ nur in Frage, wenn es sich um wirkliche Selbstzahlerleistungen handelt, für die der Patient gerade keine Erstattung durch eine Kasse anstrebt. Darüber hinaus wird die Entscheidung des OLG Frankfurt von vielen Juristen stark kritisiert und als nicht haltbar eingestuft. Empfohlen wird daher – mal ganz abgesehen von den oben beschriebenen Wirrungen und Fehlinterpretationen: „Bis [zu einer höherinstanzlichen Entscheidung] ist MVZ-GmbH und Ärzte-GmbH nicht zu raten, bei der Abrechnung von der GOÄ abzuweichen. Wer so handelt, kann sich Unterlassungsansprüchen von Mitbewerbern und Verbraucherschützern sowie Honorararrückforderungen der Patienten ausgesetzt sehen.“ (~ Quelle)
Medical Tribune v. 07.03.2024
Dürfen Arztpraxen als GmbH unabhängig von GOÄ abrechnen?
BMVZ | LinkedIn-Post v. 06.03.2024
Pressemeldungen, dass es Probleme bei der Privatabrechnung durch MVZ GmbHs gibt, sind eine Ente.
Zahnärztliche Mitteilungen v. 27.02.2024
„Eine Firma ist kein Arzt“ – PKV erstattet Rechnung ärztlicher GmbHs nicht