Praxiswissen eArztbrief vs. eNachricht | Auf die Form kommt es an
Anlässlich der Verpflichtung zur Empfangs- & Sendebereitschaft von eArztbriefen, die seit März für alle Praxen und MVZ gilt, hat die ÄrzteZeitung über das Ärgernis für Ärzt:innen berichtet, wenn Kolleg:innen zur digitalen Befundübermittlung statt des formellen eArztbriefes eine eNachricht schicken. Denn dies führt beim Empfänger zu allerlei Handhabungsproblemen. Und am Ende geht es für den Absender auch ums Geld, denn die Honorierung des eArztbriefes (~ Nachrichten) bezieht sich auschließlich auf eben diesen und nicht auf eNachrichten, die ebenfalls über die TI versandt werden. So will es zumindest formell das Gesetz (§ 383 SGB V i.V.m. § 311 SGB V). Das eArztbrief-Modul sollte inzwischen bei allen Praxen installiert sein, oder zumindest muss die Bereitschaft der Software sichergestellt sein, bis die TI-Anbieter das Modul aufspielen. Andernfalls drohen finanzielle Sanktionen. Mehr dazu sowie zu den jüngsten Modifizierungen durch das BMG: PRAXIS.KOMPAKT KW 10.
Die eNachricht ist im Gegensatz zum eArztbrief eine reguläre E-Mail. Beide Verfahren werden aber über KIM verschlüsselt. Allerdings hat die eNachricht keine vorgegebene Maske zum Eintragen. Dies kann beim Empfänger dazu führen, dass sich die Nachricht entsprechend – je nach Praxissoftware – in einem anderen Format öffnet. Durch die mangelnde Synchronisation kann es also vorkommen, dass der Arzt/die Ärztin die eNachricht ausdrucken, per Hand signieren, womöglich den Absender händisch eintragen und das Schreiben wieder einscannen muss, bevor es dem Patienten zugeordnet werden kann. So beschreibt es der Artikel in der ÄrzteZeitung. Dementgegen ist der eArztbrief ein standardisiertes, digitales Format, das über alle PVS-Systeme hinweg per Knopfdruck in die Patientenakte überführt werden kann. Es ist damit auch der inhaltliche Vorreiter für die spätere strukturierte Befüllung der ePA.
Häufig wird jedoch von Ärzt:innen das Format der eNachricht wegen der vermeintlichen Vereinfachung genutzt. Dabei können eArztbriefe inzwischen auch problemlos in unterschiedlichen Formaten verfasst werden. Laut gematik können: „Quelldokumente für die Arztbrieferstellung […] Word-Dokumente (*.doc, *.docx, *.rtf), PDF-Dokumente (*.pdf) oder VhitG-Arztbriefe (*.xml) sein. Offene Dateiformate werden bei der Übermittlung in PDF-Dokumente umgewandelt.“ (~ FAQ KIM | gematik) Das eArztbriefmodul sollte zudem die qualifizierte elektronische Signatur (QES) vor dem Absenden einfordern. Ohne diese hat der Arbeitsvorgang keinen Vergütungsanspruch: KBV-PraxisInfo: Elektronischer Arztbrief – Anwendungen in der TI (PDF | Stand: 29.02.2024).
Momentan werden eArztbriefe noch vergleichsweise selten, bzw. nur von wenigen Ärzt:innen, systematisch genutzt. Auch Stimmen, die meinen, dass die gesetzlichen Vorgaben keineswegs zur Verwendung verpflichten, sondern nur zur Bereitschaft, haben dem Grunde nach recht. In Hinblick auf die eigene Abrechnung und die kollegiale Empathie für Empfänger mit einem anderen PVS, wäre es jedoch überlegenswert, das Thema in der nächsten Teambesprechung auf die Tagesordnung zu setzen.
KBV-Praxisnachrichten v. 04.04.2024
eArztbrief-Serie startet: So funktioniert die Technik
ÄrzteZeitung v. 08.03.2024, bzw. 27.02.2024
eArztbrief – Ein Standard auf Irrwegen
E-Arztbrief-Modul: Keine Kürzung der TI-Pauschale bei verspäteter Lieferung
Erlaubniserfordernis für die Terminerinnerung | Klarstellung der Datenschützer zur Einwilligung
Das Thema Datenschutz ist und bleibt ein Dauerbrenner. Jüngst wies der Ärztenachrichtendienst (änd) darauf hin, dass MVZ und Praxen für den Service der Terminerinnerung datenschutzrechtlich verantwortlich bleiben. Nachfolgend die Details und einige Zusatzinformationen – doch für den schnellen Überblick bleibt es bei dem Zitat, das wir vergangenes Jahr bereits in einem Artikel über Doctolib verwendeten: „Tenor: Am Ende des Tages ist eh der Arzt in der Praxis für alles verantwortlich.“ (~ PRAXIS.KOMPAKT KW 31|2023) Wichtig: Das Dilemma beschränkt sich natürlich nicht auf den Anbieter Doctolib, sondern ist ein grundsätzliches Problem von Online-Terminbuchungssystem. So erhalten die Datenschützer aus Bremen regelmäßig Beschwerden von Patienten im Kontext von Terminerinnerungen via Mail oder Telefon. Nach Einschätzung der Bremer Landesbeauftragten für Datenschutz zählt die Terminerinnerung als Zusatzleistung und ist nicht Bestandteil der Behandlung. Also müssen Patienten gesondert in die Verarbeitung ihrer Daten zu diesen zwecken einwilligen. Das umfasst auch die Weitergabe von E-Mail und Telefonnummern an die Terminportal-Betreiber (~ änd v. 02.04.2024).
Die Datenschützer aus Berlin haben die Feinheiten noch einmal dediziert ausgeführt: Verwendet eine Praxis einen externen Anbieter (Auftragsverarbeiter) für die Terminvermittlung, so bedarf es für die Nutzung dieses Service keiner Einwilligung des Patienten, wohl aber einer Information. Für die Terminerinnerung selbst muss aber eine Einwilligung eingeholt werden! Erfolgt diese durch den externen Anbieter, muss darauf explizit hingewiesen werden. Auf der Webseite der Berliner werden ganz unten alle Maßnahmen aufgelistet, mit denen sich Praxen diesbezüglich datenschutzkonform aufstellen können (~ Terminverwaltung in Arztpraxen). Teils mag es länderspezifische Unterschiede in der Auslegung der DSGVO geben, doch die ausführliche Berliner Darstellung deckt sich, im Hinblick auf die Patientendaten, mit denen der Bremer. Noch schärfere Auslegungen sind uns zurzeit nicht bekannt.
Der änd weist ferner auf einen Vorfall hin, der – zynisch betrachtet – etwas belustigend ist. So wurden im Bremer Gesundheitsamt tausende Patienten kompromittiert. Allerdings hätte hier keine Firewall geholfen, sondern ein gutes Schloss. Einbrecher hatten sich nämlich an den nicht abschließbaren Aktenschränken zu schaffen gemacht und, bei den abschließbaren Schränken, die „vermeintlich versteckten“ Schlüssel genutzt. Quasi als Bonbon für alle Zaungäste forderte die Bremer Datenschutzbeauftragte die Gesundheitsämter daher auf: „zukünftig auf das Verstecken von Schlüsseln zu verzichten“.
Ärztenachrichtendienst v. 02.04.2024
Datenschutzbeauftragte: Viele Beschwerden wegen Terminerinnerungen
BMVZ-Beitrag v. 09.06.2022
Unter Beobachtung: Praxisfragen beim Betrieb von Online-Terminkalendern
Mind UP Organspende | Beratungsanlässe in der Hausarztpraxis & Extrabudgetäre Vergütung
Mit dem Start des digitalen Organspenderegisters wurde in den letzten zwei Märzwochen noch einmal große Aufmerksamkeit für das Thema an sich geschaffen, gleichwohl das Register im Moment als eher wenig relevant eingestuft werden muss. Das gilt mindestens solange, als die Anmeldung nur per eID und Ausweis-APP möglich ist und daher für viele Bürger kaum in Frage kommt (~ Wie geht die Anmeldung? | Allgemeine Infos zum Register). Wichtiger ist daher der Sekundäreffekt, den die zahlreichen Berichte für die allgemeine Bereitschaft manch eines Patienten haben dürfte, sich mit Fragen der eigenen Spendebereitschaft zu befassen. Hier bietet sich aktuell für Hausarztpraxen ein guter und sinnvoller Anlass, extrabudgetär zu punkten.
Denn die GOP 01480 als Beratungsleistung rund um die Organspende kann seit rund zwei Jahren in Hausarztpraxen außerhalb des Budgets zur Abrechnung gebracht werden. Dies bei Patienten ab 14 Jahren und alle zwei Jahre erneut und ohne Mengenbegrenzung. Hintergrund ist der erklärte Wunsch des Gesetzgebers, die Organspendebereitschaft spürbar zu erhöhen. Hausärzte gelten hierfür als ideale Mittler. Von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) bekommen interessierte MVZ und Praxen daher zusätzlich großzügige und kostenlose Unterstützung. Zum einen durch Zurverfügungstellung von Aufklärungsmaterial, das sich an die Ärzte richtet, und sie in die Lage versetzt, die Beratung kompetent zu führen: Organ- und Gewebespende in der Hausarztpraxis. Manual für das Arzt-Patienten-Gespräch. Zum anderen durch die für das Wartezimmer, bzw. für die Mitgabe konzipierte Materialien, die sich an die Patient:innen richten: Bestellung von Informationsmaterial.
Was das Ganze honorartechnisch bringt, hat die Medical Tribune in einem aktuellen Fokusbericht konkret aufgezeigt. Vorangestellt wurde hierbei die Information, dass die Beratungs-GOP 01480 in 2022 knapp 1,7 Millionen mal abgerechnet wurde, was einem Honorargegenwert von ziemlich genau 13 Millionen € entspricht, die – wie gesagt – extrabudgetär geflossen sind. Obligater Leistungsinhalt ist dafür lediglich und ergebnisunabhängig die nicht näher definierte Beratung zum Thema. Konkrete Handlungen, wie die Aushändigung von Material oder etwa der Eintrag auf der eGK, dass ein Organspendeausweis vorhanden ist, sind als fakultative Leistungsinhalte definiert. Zu beachten sind aber ggf. die Folgen für die Zeitplausi-Prüfung, da zu dieser GOP fünf Minuten an Prüf-, bzw. Kalkulationszeit hinterlegt sind. Bei Privatpatienten kommt im Übrigen die Nr. A3 GOÄ zum Einsatz: Gemeinsame Analogabrechnungsempfehlung für die Beratung zur Organ- und Gewebespende.
Medical Tribune v. 06.03.2024
Organspendeberatung abrechnen: In Kombination mit Präventionsleistungen geht mehr
Umfängliches Informationsportal der BZgA
www.organspende-info.de | Für Ärzte | Pro & Contra | in leichter Sprache
Beschlusstext | EBA v. 15.12.2021 mit Wirkung zum 01.03.2022
GOP 01480: Beratung Organ- & Gewebespende (PDF)
Rechtsprechung | Doch Vergütung für eArztbriefe? – Eine Bekanntmachung mit Zwischentönen
Die KBV berichtete in ihren Praxisnachrichten vom 22. März, dass die Übermittlungspauschale für eArztbriefe auch künftig sowie rückwirkend gilt. Strittig ist/war der Zeitraum seit dem dritten Quartal 2023. Wie die KBV weiter schreibt, handelt es sich momentan allerdings um eine Annahme. Der Grund für diese honorartechnische Unklarheit liegt im Detail. Hintergund ist eine Auslegungsfrage bezüglich der Rechtsverordnung des BMG, mit der mit Geltung ab 1. Juli 2023 festgelegt worden war, dass die bis dato separate Honorierung für die einzelnen TI-Module in der neuen TI-Pauschale aufgehen (~ KW 29/2023: Monatliche Pauschalen für alle statt anlassbezogener Finanzierung).
Nach Verständnis der Kassenverbände ist von der Formulierung des Ministeriums auch der eArztbrief umfasst. Das sah die KBV jedoch anders und strengte vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ein Rechtsschutzverfahren an. In einem kürzlich stattgefundenen Erörterungstermin erkannte das Gericht an – stimmte also der KBV zu – dass es sich bei den Abrechnungsgrundlagen von TI-Pauschale und eArztbrief um zwei verschiedene Paragrafen im SGB V handele. Darum sieht das Gericht ebenfalls nicht, dass das BMG die Vergütung für den eArztbrief aufgehoben habe. Ergo gilt diese losgelöst von der neuen TI-Pauschale weiter. Die KBV interpretiert die Aussagen der Richter so, dass die Verrechnung auch rückwirkend möglich sei und zog auf Basis dieser Klarstellung ihren Antrag auf Durchführung eines Rechtsschutzverfahrens zurück. Diese Rechtsauffassung wurde auch – so teilte es die KBV mit – durch das BMG ausdrücklich bestätigt (~ Quelle). Die gesonderte eArzt-Honorierung gilt dabei so lange, bis der GKV-Spitzenverband und die KBV eine andere Regelung getroffen haben. Entsprechend nahm das Gericht die Partner der Selbstverwaltung in die Pflicht, die Pauschalen nachzuverhandeln, so wie ursprünglich vom BMG auch verlangt.
Die scheinbare Widersprüchlichkeit der Vorgänge ist somit dieses Mal nicht auf das Agieren des BMG zurückzuführen, sondern auf die unzutreffende Überinterpretation des GKV-Spitzenverbandes, dass die Vergütung des eArztbriefes in der TI-Pauschale aufgehen würde. Letztlich haben die Kassen schlichtweg versucht, ihre Ausgabenlast zu drücken. Auch wenn das Gericht sich der Verfahrensart entsprechend an das BMG richtete, war folglich der implizite Adressat der GKV-Spitzenverband. Dieser äußerte sich bis zum Redaktionsschluss nicht zum Thema.
Fraglich ist natürlich, wie Praxen rückwirkend an ihre Honorare kommen, die die dafür notwendigen GOPs in den letzten drei Quartalen nicht dokumentiert haben. In der PRAXIS.KOMPAKT-Ausgabe der KW 49/2023 hatten wir auf einen Tipp der KV Westfalen-Lippe verwiesen: „Um einen ggf. nachträglich entstehenden Vergütungsanspruch aus einer neuen Vereinbarung zu dokumentieren, empfehlen wir Ihnen die [GOP 86900 + 86901] auch weiterhin abzurechnen.“ Mit einer maximalen Vergütung von 23,40 € pro Arzt und Quartal trägt die Vergütung zwar nicht wirklich zur Praxiskonsolidierung bei. Mit der Neuverhandlung könnte sich daraus jedoch ‚Kleinvieh‘ entwickeln. Das Gericht erklärte diesbezüglich, dass die Pauschalen längst neu verhandelt und festgelegt hätten werden müssen. Es bezeichnete es als nicht nachvollziehbar, dass sich der GKV-Spitzenverband dem bislang entgegenstellte und forderte jenen dazu auf, mit der KBV umgehend über die Höhe der eArztbrief-Übermittlungspauschale zu verhandeln. Hier stehen also womöglich bald Änderungen ins Haus.
Medical Tribune v. 29.03.2024
Pauschalen sind unverändert gültig
KBV-Praxisinformation v. 22.03.2024
LSG: Übermittlungspauschale für eArztbriefe gilt unverändert
Gesetzgebung des BMG | Versorgungsgesetz I, die Dritte:
Inhaltliche Schlaglichter des neuen Arbeitsentwurfs des BMG zum GVSG
Für das BMG der aktuellen Legislaturperiode braucht es offensichtlich neue Kategorien. Den jüngst veröffentlichten neuen Arbeitsentwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes – kurz GVSG, Arbeitstitel auch: Versorgungsgesetz I – beschreibt der AOK-Gesetzgebungskalender daher als „Referentenentwurf: 21. März 2024 (aktualisierte unabgestimmte Fassung).“ (~ Quelle) Eine Umschreibung, die ausdrücken soll, dass zwar ‘Referentenentwurf’ draufsteht, dass aber die weiteren damit eigentlich verbundenen offiziellen Schritte nach wie vor nicht stattgefunden haben. Dazu gehört vor allem, die Beratung mit den fachlich zuständigen Organisationen und Behörden sowie die Abstimmung mit allen anderen Ministerien und dem Kanzleramt. Beides ist noch offen – was ein ausgesprochen ungewöhnlicher Vorgang ist. So ungewöhnlich, dass sich keine seriösen Vorhersagen über den weiteren Fortgang dieses Gesetzes ableiten lassen. Nichtsdestotrotz ist der neue, 102 Seiten starke Entwurf eine Absichtserklärung des BMG, die Beachtung verdient. Im Folgenden werfen wir diesbezüglich einige Schlaglichter:
Regelungen zu MVZ | Unverändert zu den früheren Fassungen enthalten ist eine Detailergänzung in § 95 Absatz 2 SGB V, mit der das bisherige Erfordernis an MVZ in der Rechtsform einer GmbH, eine unbegrenzte selbstschuldnerische Bürgschaft abzugeben, pragmatisch auf die Abgabeverpflichtung einer in der Höhe begrenzten Bürgschaft reduziert werden soll. Wobei die konkrete Höhe zwischen Kassen und KZBV, bzw. KBV für beide Bereiche getrennt in einer Art Rahmenvorgabe einheitlich bestimmt werden soll, um KV-regionaler Willkür vorzubeugen. Diese Verfahrenserleichterung zielt auf kommunale MVZ, adressiert aber ausdrücklich in der Begründung auch MVZ GmbHs in allen anderen Trägerschaften. Weitere Regelungen zur MVZ-Thematik enthält der Entwurf nicht.
Primärversorgungszentren | Dabei handelt es sich um den Versuch eines Strukturreförmchens, mit dem das BMG im O-Ton des Entwurfes ‘die Versorgung vor allen für alte und multimorbide Patienten in strukturschwachen und ländlichen Regionen verbessern’ sowie parallel ‘die Attraktivität der Beschäftigungsmöglichkeiten von Hausärzten steigern will’. Wie das erreicht werden soll, ist allerdings mit vielen Fragezeichen versehen, auch weil das Gesetz weitere Festlegungen und das Thema Finanzierung völlig ausspart. Das Was & wie sollen KBV und GKV-Spitzenverband später im Bundesmantelvertrag festlegen, zur Honorierung der zusätzlichen Leistung soll der Bewertungsausschuss dann im Anschluss die neuen Anforderungen prüfen und den EBM daraufhin anpassen. Im Gesetz selbst soll als Mindestanforderung geregelt werden, dass mindestens drei volle Versorgungsaufträge der hausärztlichen Versorgung sowie die Feststellung einer bestehenden oder drohenden Unterversorgung Gründungsvoraussetzung ist. Zwei Dinge scheinen somit klar: (1) Bis hier irgendwas spruchreif ist, wird es noch dauern. (2) Im Wesentlichen kommt die PVZ-Gründung nur für MVZ und BAG, also für bereits bestehende hausärztliche Kooperationen in sehr dünn versorgten Regionen in Frage. Die Annahme, dass sich mit der neuen Option plötzlich zahlreich bisher unbesetzte Hausarztsitze besetzen lassen, scheint insgesamt leicht realitätsfern.
Mitentscheidungsrecht der Landesbehörden in ZA-Verfahren | Im aktuellen Koalitionsvertrag ist die Absicht formuliert, dass „Entscheidungen des Zulassungsausschusses künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden [sollen]“. Ein Vorhaben, das nicht zu Unrecht Ängste vor neuer Bürokratie und noch längerer Verfahrensdauer ausgelöst hat. Im aktuellen Entwurf wird nun aus der geforderten ‘Bestätigung’ durch die Landesbehörden, eine reine Mitbestimmungsoption. D.h. in Weiterentwicklung der bisherigen Informations-, Anwesenheits- und Beratungsrechte der behördlichen Aufsicht in Zulassungsverfahren soll eine Mitentscheidungsoption ergänzt und gleichzeitig sichergestellt werden, dass, wenn die Behörde sich nicht aktiv in das Verfahren einbringt, die ZA-Entscheidung als einvernehmlich ergangen gilt. Als generelles Ziel wird formuliert, dass „die Länder … in die Lage versetzt [werden], ihre versorgungsrelevanten Erkenntnisse … verbindlich zu Geltung zu bringen, die vertragsärztliche Versorgung maßgeblich mitzugestalten und so beispielsweise zum Abbau von Überversorgung beizutragen.“
Verbindliche Geringfügigkeitsgrenze in der Wirtschaftlichkeitsprüfung | Die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist grob in § 106b SGB V geregelt, wird im Detail aber durch eine von KBV und Kassen ausgehandelte Rahmenvereinbarung gestaltet. Im SGB V sollten für ein Update der Prüfrichtlinie die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von 300 € „je BSNR, Krankenkasse und Quartal“ als verbindliche Rahmenvorgabe vorgeschrieben werden. Was das für die MVZ und Praxen bedeuten könnte, lässt sich gut aus der Folgenabschätzung zur Regelung ableiten: „Unter der Annahme, dass ein Prüfverfahren Kosten in Höhe von 350 € verursacht und dass die Festlegung der Geringfügigkeitsgrenze auf 300 Euro zu einer Reduktion von rund 70 Prozent der jährlich durchgeführten Prüfverfahren (im Jahr 2022: rund 47.000 Prüfverfahren) führt, ergibt sich eine Reduktion des jährlichen Erfüllungsaufwands [bei den Prüfstellen] von rund 11,5 Millionen €. Hinzu kommt die Reduktion des Erfüllungsaufwands bei bislang in die Prüfverfahren einbezogenen Ärztinnen und Ärzten in nicht quantifizierbarer Höhe.“ (Zitat: S. 52 im Entwurf) Im letzteren dürfte aus Praxissicht die wahre Erleichterung liegen. Gleichzeitig wird kalkuliert, dass den Kassen dadurch 3 Millionen Mindereinahmen entstehen.
KJ-Psychotherapeuten sollen eigene Bedarfsplanungsgruppe werden | Zur „Arztgruppe Psychotherapeuten“ zählen seit 1999 gemäß § 101 Absatz 4 SGB V alle überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzt:innen, Fachärzt:innen für Psychotherapeutische Medizin sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen. Im Gesetzesentwurf ist vorgesehen, dass ‘psychotherapeutisch tätige Ärzt:innen sowie Psychotherapeut:innen, die überwiegend oder ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, zukünftig eine eigene bedarfsplanungsrechtliche Arztgruppe [bilden]‘ sollen. Geplant ist, dass dadurch zusätzliche ambulante Niederlassungsmöglichkeiten entstehen. Die Bildung der neuen Arztgruppe solle keine Auswirkungen auf den bestehenden Zulassungsstatus von bisher tätigen Ärzt:innen, bzw. Psychotherapeut:innen haben.
Gesundheitskioske | Ohne Frage sind die Kioske eines der umstrittensten Projekte dieses Entwurfes, gleichzeitig scheint es Karl Lauterbach wirklich eine Herzensangelegenheit zu sein, für ärmere und sozial benachteiligte Menschen den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern (~ Quelle). Insofern verwundern die Stichworte der Aufgabenbeschreibung der Kioske im aktuellen Entwurf nicht: ‘Unterstützung, Bedarfsermittlung, Gesundheitsförderung, Vermittlung von Leistungen der medizinischen Behandlung, Klärung gesundheitlicher und damit verbundener sozialer Angelegenheiten‘ – also ausdrücklich nicht die medizinische Behandlung selbst. Verantwortet werden sollen die Kioske von Pflegekräften oder auch von Community Health Nurses, also Pflegekräften mit Heilkundekompetenz (~ im Entwurf S. 42). Die Zahl der Kioske, mit denen gerechnet wird, wurde inzwischen von den ursprünglich behaupteten 1.000 deutlich zurückgenommen. “Einer ersten Schätzung zufolge könnten im Jahr 2025 deutschlandweit rund 30 Gesundheitskioske, im Jahr 2026 insgesamt etwa 60 Gesundheitskioske … errichtet sein.” Wer mehr zu den bereits realen Kiosk-Projekten sowie zur Perspektive des Gesetzes in diesem Punkt erfahren möchte, der sei auf die spannende AOK-Webseite: Fragen und Antworten zum Gesundheitskiosk verwiesen.
Ärzteblatt v. 05.04.2024
Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: Hausärztliche Versorgung im Fokus
Pharmazeutische Zeitung v. 26.03.2024
Entwurf GVSG: Kioske später, weniger Regresse, Homöopathie bleibt
Neuer Arbeitsentwurf des GVSG | Kontext und Reaktionen: „Nicht von dieser Welt“
Am 21. März wurde der neue Referentenentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vom BMG ‚offenbart‘ – weiterhin nicht als Startpunkt des offiziellen Gesetzgebungsverfahren, sondern als irgendwie halboffizielle Überarbeitung des bisherigen Arbeitsentwurfes. Mit den konkreten Details befasst sich ein Artikel unter ‘Nachrichten’ und der unten verlinkte Artikel der Medical Tribune. Mit Blick auf die MVZ-Debatte verweisen wir auch auf den LinkedIn-Post des BMVZ vom 26. März. Nachfolgend sind dementgegen Kontext und Reaktionen eingeordnet, die wichtig für das Verständnis des Gesetzesvorhabens, die Haltungen der relevanten Akteure und des Zeitrahmens sind.
Es handelt sich beim GVSG um das hinlänglich als ‚Versorgungsgesetz I‘ bezeichnete Vorhaben des Hauses Lauterbach. Der dritte Entwurf des Gesetzes ist recht umfangreich und berührt – wie schon die beiden Fassungen zuvor – viele Bereiche der Versorgung. Die langfristigen Auswirkungen erschließen sich daher nur jenen, die tief in der Materie stecken. Daher war es interessant zu beobachten, aus welcher Richtung und mit welcher Intensität die Beiß-, Bell-, und Würgreflexe kamen, die mit der Veröffentlichung des neuen Entwurfes einhergingen. Wie schon in der Januarfassung ist die angekündigte Entbudgetierung der Hausärzte weiterhin Teil des Entwurfs. Der Hausärzteverband fand dafür sogar mild lobende Worte, denn „der nun bekanntgewordene Entwurf des GVSG [adressiert] viele wichtige und dringend notwendige Reformvorhaben.“ (~ Pressestatement v. 26. März) Man wolle nun den Entwurf einer detaillierten Prüfung unterziehen. Weiter schrieb der Verband: „[…] die Kassen werden nun auch das nötige Geld in die Hand nehmen müssen – daran führt kein Weg vorbei.“ Damit sollte klar sein, aus welcher Richtung der Gegenwind weht. Die Position des vdek lässt sich entsprechend mit einem Satz aus deren Pressemeldung zusammenfassen: „Das ist inakzeptabel.“ (~ vdek v. 26.03.2024)
Grund der Beschwerde aus Richtung der Kassen ist allerdings nicht primär die Entbudgetierung, auch nicht die Aufweichung der Regresse, für die zukünftig eine Geringfügigkeitsgrenze von 300 € gelten soll, unterhalb der keine Wirtschaftlichkeitsprüfung angesetzt wird. Die Ablehnung der Kassen scheint vielmehr auf der Summe aller geplanten Mehrausgaben zu basieren. So haben die Herzensprojekte des Gesundheitsministers, die Gesundheitskioske, trotz vieler Widerworte, Einzug in das Gesetz gefunden. Das wären sukzessive steigend ab 2028 dann 66 Millionen € Mehrausgaben jährlich für die Kassen. Als Vergleich: Die Auswirkungen der gelockerten Regressregelung wird auf 3 Millionen € geschätzt. Hinzu kommen astronomisch hohe Ausgaben für den Transformationsfond, über den die Kassen die Krankenhausreform mitfinanzieren sollen (~ Wo sollen die 50 Milliarden Euro für Lauterbachs Klinikreform herkommen? | Handelsblatt v. 22.02.2024). Als neue versicherungsfremde Leistung sollen zudem die Kassen Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe für die Förderung von Medizinstudienplätzen leisten.
Das GVSG reiht sich somit in die Reihe von Gesetzesvorhaben, deren Finanzierung schon jetzt an den Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds zehrt. Parallel melden weitere Akteursgruppen Ansprüche an: So erwartet die KZV Bayern die Entbudgetierung der Zahnärzte und bezieht sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (~ KZVB v. 27.03.2024). Die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) bemängelt die fehlende Regelung zur Finanzierung der Weiterbildung (~ ÄZ v. 02.04.2024), von der allgemeinen Forderung nach Aufhebung der Budgetdeckel für die Fachärzte ganz zu schweigen. Aus den jeweiligen Perspektiven sind das durchaus valide Forderungen, die auch nicht erst seit Kurzem bestehen. Doch Geld und Zeit sind knapp. Im politischen Berlin heißt es, dass das Vorhaben alsbald im Parlament gestartet sein sollte, da mit großen Schritten die parlamentarische Sommerpause naht. Diesbezüglich kommentierte der BKK-Vorsitzende Knieps den Anspruch Lauterbachs, das Gesetzesvorhaben in Form zu bringen: „Wer jetzt trotzdem noch glaube, dass alles […] in dieser Legislaturperiode beschlossen werden könne, ‚der ist nicht von dieser Welt‘“ (ÄZ v. 14.03.2024).
Damit der Bundesgesundheitsminister sein Mammutvorhaben dennoch durch das zeitliche und finanzielle Nadelöhr bekommt, müsste das Gesetz reichlich geschliffen werden. Und selbst dann braucht es noch viel guten Willen. Und ebendiesen ‚erkauft‘ sich die Politik häufig durch Zugeständnisse. Im Falle des GVSG ist ‚erkaufen‘ aber nicht im monetären Sinne zu verstehen. Denn wie oben dargelegt, ist der große Geldsegen schlicht unrealistisch. Inwieweit die potenziellen Zugeständnisse dann politischer Natur sind und wen sie treffen, wird sich zeigen. Für echte Emotionen rund um das GVSG ist es jedenfalls noch zu früh, da nicht verbindlich klar ist, welche Ansätze es letzlich in die parlamentarische Phase schaffen, bzw. welche jetzt noch fehlenden Inhalte vielleicht bis dahin ergänzt werden. Eine Auflistung aller Entwurfsinhalte ‚Stand jetzt‘ hat der Medical Tribune wohlformuliert und frei zugänglich zusammengefasst.
Medical Tribune v. 02.04.2024
Lauterbachs Kühlschrankliste
ÄrzteZeitung v. 26.03.2024
Geplantes Versorgungsgesetz entzweit die Geister
Ärzteblatt v. 14.03.2024
Vertragsärztliche Versorgung wird umgestaltet: Entbudgetierung, Pauschalen, Medizinstudium
Fakten und Transparenz statt gefühlter Wahrheiten: Neue MVZ-Studie unterstreicht die Forderungen des BMVZ
Eine vom BBMV und dem ALM e.V. in Auftrag gegebene Studie des Gesundheitsökonomen Prof. Fricke analysiert Abrechnungsdaten von sogenannten Investoren-MVZ vor und nach dem Inhaberwechsel, um zu prüfen, „ob auf Basis von Abrechnungsdaten … sowie im Rahmen der Erfüllung der Prüfaufträge … Auffälligkeiten im Abrechnungsverhalten von Leistungserbringern untersucht und festgestellt werden können.“ Im Hintergrund ging es um die Widerlegung der oft zu hörenden, aber weitgehend unbewiesenen Behauptung, MVZ, insbesondere solche mit medizinfernen Trägern, würden überhöhte Honorare abrechnen. Das Fazit des Experten, der seine Arbeit in einer Pressekonferenz am 11. März unter der Überschrift ‘Evidenz hilft’ vorstellte, lautet: Wenn die K(Z)V nur wollten, ließen sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln problemlos „Auffälligkeiten im Abrechnungsverhalten von Vertragsärzten bzw. MVZ“ untersuchen. Transparenz ist also doch möglich!? (~ zur Studie – PDF | 24 Seiten).
Prof. Fricke, bzw. der Interessenverband der akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) und der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) hatten für die Studie unter den eigenen Mitglieds-MVZ detaillierte Abrechnungsdaten erhoben und ausgewertet. Im Kern der Studie wurden 17 MVZ betrachtet, und zwar jeweils 12 Monate vor und 12 Monate nach dem Einstieg von Beteiligungskapital privater, nicht-ärztlicher Investoren. Vorrangiges Ziel der Ausarbeitung war es jedoch nicht, eine repräsentative Studie zur Fallzahlentwicklung nach Investorenbeteiligung zu veröffentlichen, sondern die Machbarkeit der Datenerhebung darzulegen.
Und dies ist gelungen. Mit dem erwartbaren Ergebnis, dass es vereinzelt Auffälligkeiten gibt, für die es individueller Einzelprüfungen bedarf. Der Vorstandsvorsitzende des ALM Dr. Michael Müller bewertete die Ergebnisse in einem Interview-Podcast der ÄrzteZeitung v. 11. März (~ Brauchen iMVZ mehr Kontrolle, damit sie nicht nur Rosinen picken, Dr. Müller?). Er plädierte für einen Schwellenwert, ab dem eine tiefergreifende Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen sollte – selbstverständlich aber für alle Praxisformen (~ Min. 10). Im Interview greift er auch die Gretchenfrage auf, die sich als Fazit aus der Studie ergibt: Warum gibt es keine Daten zu dem medienpräsenten Vorwurf „MVZ mit Beteiligung privater, nicht ärztlicher Kapitalgeber würden sich auf ‚lukrative‘ Leistungen konzentrieren, um Gewinne zu maximieren“? Gesetzlich vorgeschrieben müssen die KVen Prüfaufträge erstellen und deren Ergebnisse an die zuständigen Landesbehörden weitergegeben, sagt Dr. Müller dazu und ergänzt: „Die einzige KV, die mir bekannt ist, ist die KV Berlin, die in einem ihrer KV Blätter […] im Jahr 2020 diese Prüfung nach §95 öffentlich gemacht hat. Weitergehende Daten sind da nicht veröffentlicht. […] Ansonsten gibt es Honorarberichte …“ (~ Min. 14:40).
Bis auf einige Berichte in der Fachpresse, welche die Studie von Prof. Fricke aufnahmen, gab es keine wahrnehmbaren Reaktionen der sonst so kommunikativen Akteure der ärztlichen Selbstverwaltung. Vielmehr nahm die KV Bayerns Anlauf und hinterfragte die Eignung von Gassen als KBV Vorsitzenden, nach dessen Äußerungen zu MVZ im Gesundheitsausschuss (~ Bayerisches Zahnärzteblatt Heft 04/2024 | PDF). Die Anti-MVZ-Haltung beruht dabei weiterhin auf Behauptungen und handwerklich fragwürdigen Studien, wie dem IGES Gutachten (~ Methodische Kritik: BMVZ nennt Aussagewert der IGES-MVZ Studie eingeschränkt). Daten, Fakten und eine nüchterne Analyse – mehr bräuchte es nicht, sagt nun auch der Gesundheitsökonom Fricke. Dessen MVZ-Studie stützt somit die fortwährende Forderung des BMVZ nach mehr Sachlichkeit in dieser Frage.
ÄrzteZeitung v. 11.03.2024
MVZ-Abrechnung: KVen könnten schwarze Schafe jederzeit rausfischen
apotheke adhoc v. 11.03.2024
MVZ-Betreiber liefern Vorher/Nachher-Vergleich
Tagesspiegel v. 11.03.2024
Wie viel Regulierungsbedarf gibt es wirklich?