Eine Binse als Einstieg: Eine Pflicht, die nicht von validen Sanktionen begleitet wird, ist nicht wirklich eine Pflicht. Oder etwa doch? Genau im Zwiespalt zwischen beiden Auslegungen dürften sich derzeit zahlreiche Leistungserbringer befinden, wenn sie darüber nachdenken, was die ePA-Pflicht, die ohne Frage seit dem Monatsanfang gilt, für ihren Arbeitsalltag bedeutet. Gleichzeitig wird immer wiederholt, dass Praxen und MVZ vor Januar 2026 keine Strafen zu befürchten hätten, für Krankenhäuser liegt der Termin sogar nicht vor April 2026. Für beide Aussagen gibt es zwar keine 1 zu 1 verlässliche Rechtsgrundlage; dennoch dürfen sie als belastbar gelten. Im O-Ton der ARD-Senderfamilie klingt das bspw. so: „In der Einführungsphase bis Ende 2025 gibt es noch keine unmittelbaren Strafen, vor allem wenn technische Module noch nicht geliefert oder eingeführt wurden. Die meisten Kassenärztlichen Vereinigungen kündigen an, die Praxen aktiv auf Defizite hinzuweisen, bevor es zu Kürzungen kommt.“ (~ RBB24 v. 30.09.205) Um welche Pflichten konkret es geht und was man als Verantwortliche in MVZ und Praxis dazu wissen sollte, haben wir pointiert in diesem BMVZ-Artikel aufbereitet: ePA | Praktische Hinweise zur Befüllungs- und Aufklärungspflicht ab 1.Oktober 2025.
Tatsächlich greift die Macht des Faktischen: Zum einen weigern sich die KVen, proaktiv Sanktionen bei ihren Mitgliedern durchzusetzen, zum anderen bezeichnen sich derzeit lediglich 9 % der Kliniken überhaupt als tatsächlich ePA-ready, was mehr meint, als eine ePA einfach anklicken zu können. „Knapp unter 60 Prozent der Einrichtungen gehen derzeit davon aus, dass die ePA erst im ersten Quartal (31 %) oder ab dem zweiten Quartal (27 %) 2026 krankenhausweit eingesetzt werden kann,“ schreibt die Krankenhausgesellschaft (~ DKG zur Einführung der ePA | 03.09.2025). Das bedeutet, den stationären Sektor kann man bei der Betrachtung der ePA getrost erst einmal außen vor lassen. Apotheken und Praxen sind da zumindest technisch schon viel weiter. Schon 2024 lag die Nichtnutzungsquote der TI bei den Arztpraxen bei nur noch 12 % und bei 9 % bei den Apotheken. Während sich bei den Kliniken ganze 65 % zu den Nichtnutzern zählten, die also zwar an die TI angeschlossen waren, aber die Technik nicht im Alltag nutzen. (~ Quelle)
Das aktuellere TI-Dashboard, bei dem man – je Anwendung über das erst bei einem Mouseover erscheinende Hamburger Menü – auch die Detailzahlen aller Wochen seit Mai 2025 aufrufen kann, belegt für die ePA-Anwendung spürbar steigendes Interesse vor allen seit Ende der Sommerferien in allen Segmenten. (~ TI-Dashboard) In der letzten Septemberwoche haben rund 60 % aller Arztpraxen, 45% der Zahnarztpraxen sowie gut 50 % der Apotheken und 43 % der Kliniken aktiv auf mindestens eine ePA zugegriffen. Was – trotz aller öffentlicher Jubelarien – natürlich gar nichts darüber aussagt, ob und inwieweit die ePA tatsächlich in die jeweiligen Betriebsabläufe eingebunden ist oder eben von der Einrichtung nur testweise angeklickt wurde. Auf diese oder jene Weise gilt: Es bleibt viel Luft nach oben, und ‚der Staat‘ respektive das BMG hat gar keine realistische Möglichkeit, Sanktionen für den Fall, dass Leistungserbringer die ePA nicht aktiv nutzen, wirklich durchzusetzen.
Anders sieht das lediglich dann aus, wenn der Anschluss an die TI komplett verweigert wird oder technisch das ePA-Modul fehlt. Das betrifft in der KV-Welt aktuell noch rund 7 % aller Praxen, (~ Pressemeldung der gematik v. 30.09.2025), bzw. rund 20 % aller PVS-Systeme, darunter vor allem solche mit nur zweistelligen oder niedrig dreistelligen Anwenderzahlen. Tatsächlich ist vorgesehen, Praxen von der vertragsärztlichen Versorgung komplett auszuschließen (aka Abrechnungsausschluss), wenn das PVS ab Januar 2026 im technischen Sinne nicht ePA-ready ist. Die offizielle Empfehlung des BMG dazu, formuliert noch in der Ägide Lauterbauch, lautet: ‚Da muss halt das PVS gewechselt werden.‘ KBV-Vorstand Sybille Steiner erklärte diesbezüglich vor Kurzem: „Wir sind dazu im Gespräch mit dem BMG, inwiefern man Übergangsregelungen treffen kann. Zudem gibt es auch den Fall, dass jemand seine Praxis abgeben möchte und daher nicht mehr in das PVS investiert. […] Unser Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, dass Praxen aus solchen Gründen vorzeitig aus der Versorgung ausscheiden.“ (~ Ärzteblatt v. 02.10.2025)
Und in der Tat: Kann man sich das BMG bzw. Ministerin Warken vorstellen, wie sie angesichts der zahlreichen aktuellen, existenziellen Debatten, erklärt, dass 5 – 10 Tausend Arztpraxen (was je nach Zählung 7 % aller BSNR entspricht) ab 1. Januar nicht mehr zu Lasten der GKV-Patienten behandeln dürfen? Oder wie das BMG die K(Z)Ven zwingt, tatsächlich inhaltlich zu prüfen, ob Ärzt:innen in ihren Sprechstunden wirklich ihren ePA-Befüllungspflichten nachkommen? Vielmehr ist anzunehmen, dass darauf gesetzt wird, dass das Projekt, das grundsätzlich ja von vielen Seiten Zuspruch erfährt, Ärzte, Apotheken, Kliniken und nicht zuletzt die Patienten inhaltlich überzeugt. Das setzt einen langen Atem voraus, und natürlich das stabile Funktionieren der zugrundeliegenden Technik.
So gesehen spricht einiges dafür, dass das BMG darauf setzen wird, das ePA-Projekt, statt mit brachialem Zwang eher allmählich durch eine zwingende Mehrwert-Funktionalität in die Betriebsabläufe der Gesundheitsversorgung zu bringen. Dazu beitragen wird sicherlich der eMedikationsplan und die Möglichkeit, BTM- oder OTC-Rezepte darin händisch zu ergänzen. Beides ist für 2026 angekündigt. (~ ePA: Gesellschafter beschließen neue Funktionen) Das BMG selbst flankiert mit weiterer Gesetzgebung: „Wir haben gestern [26.09.2025] den Startschuss für ein dringend notwendiges Update der Digitalisierungsstrategie gegeben. Auf dieser Basis werden wir im kommenden Frühjahr zwei Digitalgesetze vorlegen. Darin werden unter anderem die ePA, die Stabilisierung der technischen Strukturen und die stärkere Digitalisierung in der Versorgung im Zentrum stehen.“ (~ Interview mit Nina Warken) Möglicherweise sind dann auch ein paar Sätze enthalten, die die bisher im SGB V verankerten Fristen und Sanktionen, die teilweise bereits aus der Spahn-Ära stammen, modifizieren.