Update zum bundesweiten ePA-Rollout | Ersteintragung als Geschäftsmodell?
Nachdem die ePA vor knapp zwei Monaten ausgerollt wurde, richtet sich der gespannte Blick auf die bundesweite Integration. Während für Praxen und MVZ die ePA zum 1.Oktober verpflichtend wird, stellt sich die Frage, ob die gesellschaftliche Akzeptanz und die TI-Technik mit diesem Zeitplan mithalten können. Als Anreiz, den Integrationsprozess zu beschleunigen und natürlich als Kompensation, wird die Erstbefüllung mit 11,03 EUR (~ GOP 01648) vergütet. Doch wie steht es eigentlich Ende Juni 2025 um das Voranschreiten der „elektronischen Patientenakte für alle“? Lohnt sich die Erstbefüllung als temporäres Geschäftsmodell? Wie so oft, ist die Antwort: Jein. Die Sinnhaftigkeit einer koordinierten Erstbefüllung hängt von vielen Faktoren ab. Primär aber von der Aufklärung der Patienten und den Optionen des eigenen PVS-Systems, die notwendigen Meta-Daten einpflegen zu können.
Doch der Reihe nach: Zuletzt hat die gematik am 22. Mai Zahlen zum ePA-Sachstand veröffentlicht. Diese sind etwas unscharf, da sie wahrscheinlich eine ganze Menge Doppelzählungen beinhalten. Vom 1. Mai bis zum 22. Mai wurden demzufolge 50 Millionen ePA geöffnet, in der dritten Maiwoche 600.000 Dokumente in die ePA hochgeladen und täglich wird auf 1,5 Millionen Medikationslisten zugegriffen. Weiter schreibt die gematik, dass 46.000 von 160.000 medizinischen Einrichtungen mit der ePA arbeiten. Inkludiert sind darin allerdings auch Apotheken, Krankenhäuser und Zahnarztpraxen. Es ist etwas mühselig, diese Zahlen in einen sinnvollen Kontext zu setzen, zumindest wenn man Rückschlüsse auf die ambulante Praxislandschaft ziehen möchte. Gleichwohl ist die Kernaussage dieser Daten, dass momentan nur ein Drittel aller Einrichtungen mit der ePA arbeitet.
Diejenigen, die bereits die ePA nutzen, geben überwiegend ein positives Feedback. Apotheker und Ärzte berichten von den Vorteilen, die sich durch die eML ergeben. So können Patienten darin erinnert werden, noch ein Medikament abzuholen oder in der Offizin anmerken, dass die Tabletten zur Dauermedikation ‚beim letzten Mal aber anders aussahen‘. Durch die eML ist ein Gegencheck einfach zu bewerkstelligen. Im Zusammenhang mit der eML merkt ein Arzt im Podcast der ÄrzteZeitung an, dass es ‚wünschenswert wäre, wenn BTM-Rezepte elektronisch ausgestellt werden können‘. Eine langgehegte Forderung aus der Ärzteschaft. Im erwähnten Interview geht der Allgemeinmediziner aber auch auf die verbleibenden Schwächen der ePA ein. So hängt die Nutzung der ePA im Praxisbetrieb ausschlaggebend von der einfachen Integration der Metadaten ab, die über das PVS eingepflegt werden. Hier unterscheiden sich die PVS-Hersteller noch im Komfort. Der Podcast ist für alle empfehlenswert, die 20 Minuten Zeit entbehren können, da Dr. Lassen abseits des ‚gematik-Marketing-Sprechs‘ neutral und praxisnah über seine Erfahrungen berichtet (~ ÄrzteTag v. 26.05.2025).
Eben jener Dr. Lassen sieht zum Status quo die Ersteintragung auch nicht als Geschäftsmodell. Das ist im weitesten Sinne kongruent mit anderen Quellen, die hauptsächlich die Informationskampagne der Kassen kritisieren. Durch das unzureichende Wissen der Patienten geht mit der Erstbefüllung auch stets Aufklärungsarbeit einher. Zudem können einige Patienten nicht auf die ePA zugreifen, weil ihnen das Know-how fehlt. Auch die vom Patienten einstellbare, dauerhafte Berechtigung einer Praxis, auf die Daten zugreifen zu können, ist keine selbsterklärende Funktion und bindet Patient und Arzt somit weiter an die Quartalslogik mit physischem Erscheinen. Für Ärzte stellt sich zudem das Problem, dass die Schnittstelle zwischen Befunden, die als PDF empfangen werden, und dem – für die ePA erforderlichen – PDF/A-Format, das Dokument geprüft werden muss. Es ist somit noch keine reibungslose Übertragung möglich. Im Übrigen ein Hindernis, auf das Kritiker schon seit geraumer Zeit aufmerksam machen. Bisher gibt es keine Nachrichten von der gematik, wie dieses Problem bewertet oder gar ausgeräumt wird. Im Grunde sind diese Geburtswehen zu erwarten gewesen und der medizinische Sektor kann dankbar sein, dass zahlreiche „Early Adopter“ seit der initialen Roll-Out Phase sich unbezahlt als Produkttester verdingen. Im Laufe der kommenden Monate werden vermutlich weitere gute News zur ePA eingehen, bis ab 1. Oktober auch diejenigen nachziehen (müssen), die das Verfahren bislang ablehnen.
Wir empfehlen weiterhin, sich auf diesen Starttermin frühzeitig einzustellen und Ärzte sowie Praxispersonal mit der Technik und den Prozessen vertraut zu machen. Denn ob sich die Erstbefüllung nun wirklich lohnt, hängt wesentlich vom reibungslosen Ablauf ebendieser Praxis- und TI-Prozesse ab. Die gematik bietet am Mitwoch, den 25.06.2025 für ärztliche und psychotherapeutische Praxen und MVZ, sowie am 09.07.2025 für die Zahnärzte (~ zur Ankündigung) jeweils virtuelle Veranstaltungen an, bei denen zahlreiche PVS-Hersteller in programmbezogenen Breakout-Sessions die spezifische ePA-Funktionalität ihres PVS vorstellen und Fragen beantworten. Am den 25. Juni gibt es solche Sessions nach Ankündigung der gematik zwischen 15 und 16:30 Uhr konkret für | Albis | CGM M1 Pro | Medistar | Turbomed | EPIKUR | QUINCY | Elefant | MEDICAL OFFICE | medatixx | Smarty | T2med | tomedo. (~ Infos zur Ankündigung & Anmeldung). Im Nachgang soll an selber Stelle ein Videostream verfügbar sein.
Bezüglich der Erstbefüllung sei noch erwähnt, dass diese ausdrücklich sektorübergreifend gilt. Hat ein Krankenhaus also schon ein Dokument hochgeladen, so ist die Praxis nicht mehr ‚Erstbefüller‘. Dokumente, die von den Kassen oder dem Patienten selbst hochgeladen wurden, zählen dagegen nicht als Erstbefüllung. Die KV Westfalen-Lippe weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass einige PVS-Systeme erst nach dem Aktivieren von Zusatzeinstellungen anzeigen, ob Dokumente von der Kasse oder dem Patienten hochgeladen wurden. Überdies müssen Dokumente, die sich für die Erstbefüllung qualifizieren, im Kontext der aktuellen Behandlung stehen. Mehr Informationen hat die KV Hamburg übersichtlich zusammengestellt: Erstbefüllung der ePA: Hinweise zur Abrechnung. Für eine generalisierte Übersicht zum Umgang mit der elektronischen Patientenakte verweisen wir gern auch noch einmal auf unsere nach wie vor aktuelle ePA-Arbeitshilfe vom April 2025: Praxistipps für Ärzt:innen, Praxismanagement und MVZ-Leitung zum effizienten Umgang mit dem ePA-Rollout.
Pharmazeutische Zeitung v. 12.06.2025
»Die ePA hat in den Apotheken am besten funktioniert«
KVWL v. 22.05.2025
ePA: Relevante medizinische Informationen speichern und verwalten
ÄrzteZeitung v. 18.05.2025
Arztpraxen berichten: Das sind die Erfahrungen aus dem ePA-Testbetrieb
KI-Kompetenz im Praxisalltag | KBV-Arbeitshilfe bietet Einstieg und Unterstützung
KI ist – ob der Einzelne das will oder nicht – viel mehr als nur ein Trendthema. Und zudem eines, das nicht nur jene Praxen und Ärzte betrifft, die hier als als technische Speerspitze agieren. Vielmehr gilt uneingeschränkt, was die PRAXIS.KOMPAKT-Redaktion bereits im März notiert hat: „Betroffen wird immer mehr auch normale Unternehmenssoftware sein. Der EU-AI-Act macht daher auch vor dem kleinen MVZ mit zwei Ärzten nicht Halt, weswegen es unabdingbar ist, perspektivisch … entsprechende Ressourcen einzuplanen. Zunächst vornehmlich die Ressource ‚Zeit‘, um auf dem Laufenden zu bleiben, wie sich Markt und Rechtsprechung entwickeln.“ (~ EU-AI-Act | Zungenbrecher mit Folgen & neuen Pflichten). Um den Verantwortlichen in MVZ und Praxis genau diesen Zugang zu erleichtern, hat die KBV vor Kurzem zur KI-Verordnung der EU ein neues Heft der PraxisWissen-Reihe herausgegeben, das angenehm kurz und verständlich formuliert daherkommt, und dessen Lektüre uneingeschränkt zu empfehlen ist.
Zieht man die Umschlagseiten ab, bleiben vier komprimierte Textseiten, in denen dargestellt wird, welche Aufgaben der Praxisleitung in Bezug auf den Einsatz von KI zukommen, wie KI-Produkte klassifiziert werden und unter welchen Umständen Patienten vor dem Einsatz von KI-Tools zu informieren sind (~ PDF direkt öffnen). Zentraler Begriff ist dabei die KI-Kompetenz (~ AI-Literacy), die bei allen Mitarbeitern, die KI-Systeme im Betriebsalltag nutzen, her- und sicherzustellen ist. Diesbezüglich gilt bereits seit dem 2. Februar 2025 ein Schulungsauftrag sowohl für die Anbieter als auch für den Betreiber (= Endnutzer) entsprechender Tools und Programme.
Da KI mittlerweile an dermaßen vielen Schnittstellen im Praxisablauf zum Einsatz kommt, sollte die Relevanz des EU-AI-Acts für die eigene Praxis nicht unterschätzt werden, auch wenn keine expliziten KI-Tools eingesetzt werden. Im Minimalfall ist dennoch z.B. der Co-Pilot, den Microsoft automatisch in seinem Office-Paket integriert hat, aktiv oder die Kollegen nutzen auf dem privaten Smartphone Chat-GPT für einzelne Praxisaufgaben. Die Schaffung eines teamübergreifenden Bewusstseins für Einsatzmöglichen und Grenzen von KI macht daher im Grunde in jeder Praxis Sinn. Allerdings ist gleichzeitig vor ‚Over-Acting‘ zu warnen. Mit Bezug auf die KI-Richtlinie sind derzeit sehr viele Schulungsdienstleister, teils sehr offensiv, unterwegs – nicht immer sind die Angebote seriös, kostenadäquat oder dem eigenen KI-Einsatz-Niveau angemessen.
Als taugliche Minimumregeln gelten vielmehr: (1) Klärung der Verantwortlichkeiten. (2) Dokumentation aller (schriftlichen o. mündlichen) Aufklärungsmaßnahmen. (3) (Regelmäßig wiederholte) Aufklärung von allen, die mit der KI in Kontakt kommen oder damit arbeiten, zu Nutzungsvereinbarungen, bzw. zum Nutzungsverhalten. Eine Pflicht, die ‚KI-Kompetenz‘ irgendwie zertifizieren zu lassen, besteht hingegen nicht. Heise.de kommentierte dazu am Ende einer sehr ausführlichen Betrachtung dieser Frage: „Dass Handlungsbedarf besteht, steht außer Frage: (…) Aus eigenem Interesse sollten Unternehmen außerdem sicherstellen, dass Mitarbeitende wissen, welche Informationen in ein KI-System unbedenklich eingegeben werden dürfen und wie ausgegebene Ergebnisse einzuschätzen und zu kontrollieren sind. Ob das eigene Unternehmen einen zertifizierten AI Officer oder eine KI-Beauftragte braucht, oder ob externe Schulungen sinnvoll sind, ist individuell abzuwägen.“ (~ Quelle)
Wer darüber hinaus als ‚Anfänger‘ ein wenig mehr in das Thema einsteigen möchte, sei auf die im Dezember 2024 veröffentlichte Trendstudie KI in der ambulanten Versorgung: Trends, Chancen und Potenziale (PDF | 18 Seiten) verwiesen, die als Kooperation der Förderplattform Gesundheitsstadt Berlin und des Unternehmens doctolib unter Einbindung von Ärzten und der KV Berlin einen praxisbeszogenen Überblick für Einsteiger in das Thema ‚KI in der Vertragsarztpraxis‘ bietet. Relevant ist zudem auch die andere Perspektive, sprich die Sicht der Patienten, die die Medizinische Hochschule Hannover mit dem Projekt ‚Mein Doktor, die KI und ich‘ einbringt. Entstanden sind hierbei Handlungsempfehlungen, die als PDF veröffentlicht ab Seite 6 in gefälliger, teils spielerischer Darstellung die Erwartungen und Anforderungen spiegeln, die aus Patientensicht im Kontext mit dem KI-Einsatz an die Ärzte gerichtet werden.
Anders ausgedrückt: „Der Einsatz von KI im Gesundheitswesen eröffnet Ärzt:innen neue Möglichkeiten, ihre Patient:innen effizienter und präziser zu versorgen. Gleichzeitig bringt diese Entwicklung auch neue Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf Verantwortung, Transparenz und die Wahrung ethischer Ansprüche an eine gelingende therapeutische Allianz in der Arzt-Patienten-Beziehung. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, ist es entscheidend, dass Ärzt:innen ihre fachliche Verantwortung weiterhin wahrnehmen und den Einsatz von KI-Systemen kritisch begleiten.“ (~ PDF öffnen | Zitat Seite 11) Eine wichtige Aussage der MHH-Studie, die den Kreis zum Eingangs-Statement schließt, und die die Notwendigkeit, persönliche und organisatorische KI-Kompetenz im Praxisalltag zu schaffen, über das Befolgen der normativen Vorgaben hinaus, noch einmal unterstreicht.
KBV Praxisnachrichten v. 25.05.2025
Neues KBV-PraxisWissen: Hinweise zum Einsatz von KI in Praxen
Künstliche Intelligenz: Hinweise zum Einsatz in Praxen (PDF | 6 Seiten)
Heise.de v. 25.03.2025
KI-Kompetenz: Nachweis auch ohne Zertifikat
IHK Köln v. Januar 2025
Verpflichtung im AI-Act: KI-Kompetenz im Unternehmen
Das MVZ als Politikum: Ein Update unter neuen Vorzeichen
Wenn aktuell BMG-Chefin Nina Warken in der Presse vorkommt, dann gefühlt vor allem als Feuerwehr: Spahns Maskendeals, Kostenfalle Bürgergeldempfänger, unterfinanzierte Pflege, Nachbesserungen bei der Klinikreform, etc. Das Erbe ihrer Vorgänger ist wahrlich kein leichtes. Und es reicht bis tief in den Koalitionsvertrag, den bekanntermaßen Karl Lauterbach in der AG Gesundheit mitverhandelt hat, die neue Ministerin aber nicht. Gleichwohl hangeln sich die Inhalte all ihrer bisherigen Auftritte am Wortlaut dieser Koalitionsvereinbarung entlang (~ Bundesgesundheitsministerin stellt Agenda vor). Eigene Akzente fehlen – sieht man davon ab, dass sie mit ihrer wiederholt demonstrativ signalisierten Redebereitschaft gegenüber allen Akteuren stilistisch einen Anti-Lauterbach-Kurs eingeschlagen hat. Beim Ärztetag von Ende Mai warb sie dann auch bei den Niedergelassenen um Vertrauen und bot sich als Gesprächspartnerin an: „Hier möchte ich auch besonders an Sie – die Ärzteschaft – appellieren, diese notwendigen Veränderungen mit uns gemeinsam anzugehen. Ohne Sie geht es nicht, wir bauen auf Sie!“ ( BMG v. 27. Mai).
Von daher ist momentan fast spannender als das, was Ministerin Warken sagt, das, was sie auslässt. Teil der schriftlichen Koalitionsabreden ist die Ansage: „Wir erlassen ein Gesetz zur Regulierung von iMVZ.“ (~ Analyse & Kommentar) – zusammen mit weiteren, teils detaillierten Plänen, in die Regularien der ambulanten Versorgung einzugreifen. So sind für überversorgte Regionen Honorarabschläge angekündigt, mit denen entsprechende Zuschläge in unterversorgten Gebieten finanziert werden sollen. Daneben soll die Beteiligung der Landesbehörden in den Zulassungsgremien gestärkt und die Ablösung der Honorare vom Quartalsbezug weiter vorangetrieben werden. Bürokratieabbau und die Abschaffung von Kleinstregressen stehen ebenfalls drin. Von all dem spricht die Ministerin aber nicht. Thematisiert sie die ambulante Versorgung, dann allein im Kontext der geplanten Einführung eines Primärarztsystems.
Ein gutes Beispiel ist wiederum ihr Ärztetags-Auftritt. Während BÄK-Präsident Reinhardt, der als Gastgeber zuerst reden darf, all diese Punkte anspricht – auch das MVZ und die Regulierungswünsche der BÄK werden direkt benannt – geht Ministerin Warken „darauf allerdings nicht ein. Sie umschmeichelt die Ärzteschaft vielmehr: Es sei ihr Ernst damit, mit allen Akteuren im Gesundheitswesen in den Dialog treten zu wollen. ‚Eine gute Kommunikation und eine gute Zusammenarbeit halte ich für entscheidend.’“ (~ Quelle) Zu diesem Schweigen passt, dass der kürzlich vorgelegte Vorhabenplan des BMG zwar auf drei Seiten zahlreiche Projekte auflistet, aber – und das auch noch ganz als Letztes – dem ambulanten Sektor nur einen Stichpunkt widmet: „Insbesondere Umsetzung des im KoaV vereinbarten Primärarztsystems.“
Fragt sich, wie man diese Indizien interpretieren soll. Vielleicht am ehestens so: Gerade zum ambulanten Bereich enthält der Koalitionsvertrag zahlreiche Ankündigungen, die viel versprechen, aber kaum realistische Chancen auf Umsetzung haben. Als Juristin und Innenpolitikerin, die mit einem frischen, also hoffentlich unverstellten Blick auf das Gesundheitswesen schaut, dürfte Frau Warken dieser Umstand mehr als klar sein. Deshalb hält sie sich zunächst zurück, bzw. lenkt die Aufmerksamkeit auf das Hauptprojekt, das allein bereits mehr als genug Problempotential bietet. Oder, wie der Wido-Senior Klaus Jacobs es ausdrückt: „Noch unausgegoren sind die Vorstellungen zum versorgungsinhaltlichen Hoffnungsträger, dem verbindlichen Primärarztsystem. Dass hiervon eine Lösung der Arztzugangs-Problematik sowie Einsparungen erwartet werden, ist zumindest mutig.“ (~ Quelle)
Aber zurück zu dem, was ausgelassen wird. Soweit ersichtlich, hat Nina Warken bisher nicht ein einziges Mal öffentlich über MVZ, geschweige denn über die ‚MVZ-Problematik‘ gesprochen. Noch viel interessanter ist allerdings, dass andere es auch nicht tun. So hat am 11./12. Juni in Thüringen die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) getagt – also jenes Ländergremium, das sich in den vergangenen Jahren wiederholt berufen fühlte, lautstark eine ‚Lösung‘ des MVZ-Investorenproblems‘ anzumahnen. Diesmal aber war die Agenda mit anderem gefüllt (~ Länder fordern vom Bund zahlreiche Gesetzesänderungen). Vorsitzende der GMK ist für ein Jahr die Thüringer Ministerin Schenk (SPD), die aber nicht einmal, als die ÄrzteZeitung ihr das Thema quasi auf dem Silbertablett serviert, darauf eingestiegen ist.
‚Wie fördern Sie denn Niederlassung? Eher Einzelpraxis oder MVZ?‘ wurde sie gefragt. Ihre Antwort: „Wir fördern generell die Niederlassung, und das gestaffelt nach der Region. (…) Ich finde allerdings die Poliklinik-Idee auch richtig. Das heißt, ich gehe an einen Ort, und dort ist dann gesundheitliche Versorgung gebündelt.“ Und: „Wir wollen nicht sagen, wir erhalten alle Krankenhäuser, sondern wir sagen, wir erhalten Standorte medizinischer Versorgung. Und da spielen MVZ eine zentrale Rolle.“ (~ Interview mit der GMK-Vorsitzenden Katharina Schenk, SPD) Und auch in der Befragung der neuen gesundheitspolitischen Sprecher im Bundestag durch das Ärzteblatt taucht das MVZ weder bei SPD – Antworten Christos Pantazis oder CDU – Antworten Simone Borchadt noch bei den Grünen – Antworten Janosch Dahmen oder der linken Opposition – Antworten Julia-Christina Stange auf.
Was lehrt uns all das? Wenig bis nichts! was eine genaue Beobachtung umso relevanter macht. Insofern bleibt das MVZ ein Politikum, wenn auch eines mit derzeit anderen Vorzeichen.
Deutsches Ärzteblatt v. 20.06.2025
Gesundheitspolitik: Auf diese Themen setzen die Fraktionen im Bundestag
ÄrzteZeitung v. 17.06.2025
Gesetzgebungsvorhaben des BMG: Was das Gesundheitsministerium plant – und was es liegenlässt
Redaktionsnetzwerk Deutschland v. 27.05.2025
Gesundheitsministerin Warken umschmeichelt die Ärzteschaft
Der 28. Juni als Stichtag: Digitale Barrierefreiheit wird für viele MVZ + Praxen zur Pflicht
Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch, erklärte vor einigen Tagen: „Die Zeit der Ausreden ist vorbei – in wenigen Tagen müssen digitale Angebote barrierefrei sein. Doch unsere Ergebnisse sind alarmierend: Zu viele Unternehmen nehmen mögliche Bußgelder in Kauf …“. (~ Quelle) Ursächlich hierfür dürfte allerdings vor allem sein, dass sich viele der betroffenen Unternehmen dieser neuen Pflicht, die sich auf Onlineauftritte bezieht, die im weitesten Sinne der Geschäftsanbahnung dienen, nach wie vor nicht bewusst sind. Digitale Geschäftsanbahnung meint bei Arztpraxen bspw. Online-Bestellformulare oder Terminbuchungstools via Homepage. Ausnahmen gelten folglich für Webseiten, die komplett ohne solche Tools auskommen sowie für Kleinunternehmen, definiert als Betrieb mit weniger als zehn Mitarbeitern oder weniger als 2 Millionen € Jahresumsatz. Bezogen auf die ambulante Praxislandschaft dürften folglich ziemlich viele BAG und MVZ unter den Anwendungsbereich fallen.
Wir hatten dazu bereits im Dezember 2024 informiert: Neue Pflichten durch das Barrierefreiheitsgesetz: Hintergründe und Handlungsempfehlung. Die dortigen Ausführungen sind nach wie vor gültig und ermöglichen eine schnelle Orientierung für Praxisverantwortliche. Zusätzlich lohnt das Handout des Bundesarbeitsministeriums: Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (PDF | 13 Seiten) Die Umsetzung der Erkenntnisse ist freilich alles andere als trivial und schnell gemacht schon gar nicht. Damit stellen sich jetzt – nur wenige Tage vor dem Stichtag – vor allem die Fragen, wie lassen sich bisherige Versäumnisse heilen und was droht bei Nichterfüllung? Leider fehlt bisher jede Unterstützung seitens der Ärzteverbände – weder Kammern noch K(Z)Ven haben sich des Themas bisher angenommen. Ein auf Praxen spezialisierter Marketingdienstleister schätzt, „dass sich gerade einmal 5 % der Arztpraxen auf das BFSG vorbereitet haben.“ (~ Quelle) Das sehen wir ähnlich.
Erster Schritt bleibt daher, die eigene Betroffenheit zu prüfen: Fällt das Unternehmen unter die normativen Kriterien? Enthält die Webseite relevante digitale Dienstleistungen? Würde es helfen, das Kontaktformular vorübergehend einfach abzuschalten? Wird das Terminbuchungstool eventuell durch einen Fremdanbieter zur Verfügung gestellt und greift hier das Drittanbieterprivileg? Lässt sich § 16 BFSG (Veränderung der Wesensmerkmale durch Barrierefreiheit) oder § 17 BFSG (unangemessen hohe Kosten oder Belastung) als Ausnahmetatbestand in Anspruch nehmen? Wesentlich scheint zudem, nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen. Angesichts der Vielzahl an bisweilen unseriösen Beratern, die überteuert eine schnelle Lösung versprechen, gilt es also vor allem, sich eine gesunde Skepsis zu bewahren und erst einmal zu informieren. Etwa bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit: Allgemeines FAQ zum BFSG | Spezielles FAQ zu Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr.
Offizielle Prüfstellen für die Barrierefreiheit sind die jeweiligen Landesfachstellen, bei denen sich z.B. Patienten, aber auch Behindertenverbände, niederschwellig über digitale Hindernisse beschweren können: Überwachungsstelle Bund / Überwachungsstellen der 16 Länder. Diese können Bußgelder verhängen und im Ernstfall auch die Schließung von Webseiten erzwingen. Ob hier allerdings vom 28. Juni direkt mit der ‚vollen Härte‘ agiert wird und, ob dabei ausgerechnet Arztpraxen in den Fokus geraten, ist unklar, da das Gesetz ja primär auf Webshops und Onlinehändler zielt. ,Volle Härte‘ meint übrigens Strafzahlungen von bis zu 100.000 €. Die Gesetzesbegründung vom April 2021 führt dazu jedoch aus: „Bei der Festsetzung [der Bußgeldrahmens] wurde zudem berücksichtigt, dass Wirtschaftsakteure von etwaigen Pflichtverstößen abgeschreckt werden sollen. Bei der Verhängung des Bußgeldes ist insbesondere der Umfang des Verstoßes (unter anderem dessen Ernsthaftigkeit und Zahl der betroffenen nichtkonformen Produkte beziehungsweise Dienstleistungen) sowie die Zahl der betroffenen Personen zu berücksichtigen.“ Auf dieser Vorgabe basierend, sollte jeder Praxisverantwortliche selbst eine Risikoabwägung vornehmen. Klar muss aber bleiben, dass ein öffentlich sichtbarer Verstoß gegen § 3 UWG immer eine offene Flanke darstellt.
Folglich rechnen Fachleute nicht zuletzt auch damit, dass der Stichtag den ein oder anderen Abmahnanwalt auf den Plan rufen könnte. Sprich, solche Juristen, die mit gleichlautenden Schreiben möglichst viele betroffene Unternehmen parallel auf ihr Pflichtversäumnis hinweisen und dafür neben Gebühren auch strafbewehrte Unterlassungserklärungen einfordern. Vor diesem Hintergrund sei daraufhin hingewiesen, dass infolge ähnlicher Vorgänge rund um den DSGVO-Stichtag 2018 zwei Jahre später ein neues Gesetz gegen den Abmahnmissbrauch in Kraft gesetzt wurde (~ mehr Infos). Sollten Sie daher in den nächsten Wochen oder Monaten derartige Schreiben eines Anwaltes oder auch eines Konkurrenzunternehmens erhalten, informieren Sie sich vor jedweder Reaktion gründlich, z.B. hier: IHK München – Ratgeber Abmahnung; bzw. ebenda direkt zu: Wie erkenne ich eine missbräuchliche Abmahnung?.
Im Übrigen ist auf die Parallelität des im B2C-Verkehrs geltenden Barrierefreiheitsstärkungsgsetzes (BFSG) und der ausschließlich für öffentliche Stellen geltenden Vorgaben gemäß Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) hinzuweisen. In diesem Kontext ist die Klarstellung wichtig, dass das BFSG tatsächlich keine Regelung zur verpflichtenden Anwendung von Leichter Sprache, Einfacher Sprache oder der Deutschen Gebärdensprache beinhaltet. Solche finden sich nur im BGG und gelten daher lediglich für öffentliche Stellen. (~ BMI Referat DG II 1 v. 28.03.2025 | PDF – 3 Seiten.)
ÄrzteZeitung v. 20.06.2025
Neues Teilhabegesetz geht an den Start: So wird Ihre Praxis-Homepage barrierefrei
Golem.de v. 17.06.2025
Expertenmangel bremst Barrierefreiheit aus
Texte des BMVZ v. 20.03. bzw. 18.02.2025
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) | in Kraft ab 28. Juni 2025 (PDF | 7 Seiten)
Neue Pflichten durch das Barrierefreiheitsgesetz: Hintergründe und Handlungsempfehlung
129. Deutscher Ärztetag | Eine Rückschau mit Abstand: Gab es ‚Gewinner?‘
Wer die KI-Tools auf die Probe stellen möchte, der sollte fragen: Für wen war der 129. Deutsche Ärztetag ein Erfolg? Vermutlich brennt daraufhin irgendwo ein Server ab, aber auch für humanoide Beobachter der (Berufs-)politik ist die Frage herausfordernd. Denn neben den zugelassenen Anträgen, wie der GOÄ-neu, ist auch ein Schlaglicht auf jene Anträge relevant, die keine Zustimmung fanden, oder die verschoben wurden. Es handelt sich dabei um eine Frage der Schwerpunktsetzung und, damit einhergehend in gewisser Hinsicht auch, um die vom Deutschen Ärztetag (DÄT) antizipierten Erfolgsaussichten, mit der neuen Regierung über gewisse Themen in Verhandlung treten zu können. Fakt ist: Die delegierten Ärzte aus den Landesärztekammern waren nicht zu beneiden, ob der Vielzahl an Anträgen, die es zu bearbeiten galt. Eine Aussage des BÄK-Präsidenten Klaus Reinhardts steht dafür sinnbildlich: „Donnerwetter – worum sich der Ärztetag alles kümmert“ (~ Quelle). Anlass war der Antrag: „Weibliche Reanimationspuppe im Reanimationstraining“.
Neben den allgemeinen Anträgen zur Gesundheits-, Sozial- und Berufspolitik (TOP1) waren die Schwerpunkte des 129. Deutschen Ärztetages: die Künstliche Intelligenz in der Medizin (TOP2), die ärztliche Weiterbildung (Top3), die GOÄ-neu (TOP4) und Der Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen (Top5). Bei den übrigen Tagesordnungspunkten beschäftigte sich der Ärztetag größtenteils mit sich selbst. Über die GOÄ hatten wir bereits berichtet (~ Konsequenzanalyse: GOÄ-Reform angestoßen. Aber vom Abpfiff weit entfernt.). Interessant ist, dass relevante Punkte, wie die Anträge zur ärztlichen Weiterbildung, an den Vorstand zurückgegeben wurden. Diese Rückgabe ist ein Instrument, das in der Geschäftsordnung des Ärztetages verankert ist, und nach dem die Inhalte der Anträge vom Vorstand neu zu prüfen und zu bewerten sind.
So wurde auch ein entscheidender Antrag zur ärztlichen Weiterbildung, der sich u.a. mit deren Finanzierungsaspekten befasste, zurück an den Vorstand gegeben. Insbesondere und das wurde gerade bei dem Thema ebenfalls deutlich, müssen stets auch die Auswirkungen der Klinikreform mitbedacht werden, denn wie die ÄrzteZeitung es trefflich zusammenfasste: „…mit der Klinikreform werden die Praxen vermehrt als Weiterbildungsstätte einspringen müssen.“ (~ Quelle) Vor diesem Hintergrund unterstützte der Präsident der bayrischen Landesärztekammer Dr. Quitterer die Rückgabe des Antrages zur Weiterbildung an den Vorstand: „Nicht die Kammern alleine können das ändern, wir müssen dazu Verbünde mit anderen Körperschaften und mit den ärztlichen Berufsverbänden gründen.“ (~ Quelle) Während andere Delegierte ein rasches Handeln forderten, trägt Quitterer einem Leitsatz Rechnung, den wir hier schon oft zitierten: ‚Wer andere ins Boot holen will, muss ihnen auch eines anbieten‘. Es braucht demnach ein breites Bündnis, damit die Beschlüsse zur Weiterbildung nicht im Klein-Klein versanden.
In der Auseinandersetzung mit dem Thema „KI“ wurde ein überwiegender Teil der Anträge angenommen. Größtenteils sind die Forderungen nach ‚Sicherheit‘, ‚ärztlicher Autonomie‘ und ‚überlegtem Vorgehen‘ aus den Anträgen recht allgemein gehalten, was in der Natur der Sache liegt. Denn was heute über KI geschrieben wird, ist morgen oft schon obsolet. Allerdings lohnt sich das Thesenpapier der BÄK zum Themenkomplex, hier vornehmlich die Ausführungen zum Wandel des Arzt-Patienten-Verhältnisses (~ Von der ärztlichen Kunst zur künstlichen Intelligenz PDF – 96 Seiten). Vor dem Hintergrund moderner KI- und Analyse-Tools ist es im Übrigen unbefriedigend, dass schwerlich ersichtlich ist, aus wie vielen Anteilen ambulant tätiger Ärzte sich das Forum der Delegierten zusammensetzt. Auch über die Anzahl ambulant tätiger, angestellter Ärzte gibt es keine offiziellen Daten. In einem sektorübergreifenden Diskussionsforum halten wir solch eine statistische Aufbereitung allerdings für die Transparenz wichtig.
Ein weiterer Punkt waren die Anträge zur Schwangerschaft. Zum einen aus der Sicht berufstätiger Ärztinnen und zum anderen bezüglich der Beratung und Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Während die Delegierten den Anträgen überwiegend zustimmten, wurde die Frage der Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei Patientinnen ebenfalls an den Vorstand zurückgegeben. Abseits dieser Kernthemen ging es neben diversen anderen, wie den erwähnten ‚weiblichen Reanimationspuppen‘, auch um den Datenschutz und die ePA. Die Kritik am Status quo der ePA kommt überwiegend aus den Reihen der Psychologen und betrifft das generelle Widerspruchsrecht und das Stigma von gespeicherten F-Diagnosen (unter TOP Ic). Inwieweit die abgenickten Anträge aber wirklich das Handeln der gematik beeinflussen, ist fraglich. Wer sich alle Anträge noch einmal im Detail anschauen möchte, kann dies hier tun. (~ Online-Dokumentation zum Ärztetag)
Welches Resümee lässt sich nun aus den Debatten beim 129. Ärztetag in Leipzig ziehen? Das große Forum der BÄK steht wieder sinnbildlich für gelebte deutsche Demokratie. Ein großer, zuweilen etwas intransparenter Apparat, versucht träge mit der Realität Schritt zu halten; viele Stimmen und noch mehr Meinungen erzwingen dünne Kompromisse, die sich dann an den diversen Sachzwängen messen müssen. Wirklich gestärkt ist zunächst die neue Gesundheitsministerin aus dem Ärztetag hervorgegangen. Dies aber in erster Linie, weil Lauterbachs Unbeliebtheitswert bei der Delegiertenversammlung, selbst eine neutrale Stimmung, beinah überschwänglich erscheinen ließen. Aus Sicht des Vorstandes ist allerdings auch die Abstimmung der GOÄ-neu positiv zu bewerten, denn für neutrale Beobachter war es keineswegs klar, dass die Abstimmung derart eindeutig ausfällt.
Und um den Kreis zum Einstieg des Textes zu schließen: ‚Für wen war der 129. Deutsche Ärztetag ein Erfolg?‘ Das Zeichen der Kompromissfähigkeit der Ärzteschaft in Sachen GOÄ ist vermutlich das stärkste Signal und lässt hoffen, dass unaufschiebbare Reformen doch möglich sind. Für die Berichterstatter der Sächsischen Landesärztekammer waren übrigens die Leipziger Gastfreundschaft und der Zoo die Gewinner der Zusammenkunft (~ Quelle). Offensichtlich ist auch das eine Frage der Schwerpunktsetzung …
Deutsches Ärzteblatt v. Heft 12/2025
Künstliche Intelligenz: Nicht ohne ärztliche Handschrift
Deutscher Ärztetag: Wie Politik richtig funktioniert
ZM online v. 16.06.2025
„Die Politik muss anerkennen, dass das Gesundheitswesen kein bloßer Kostenfaktor ist!“
Reminder zur KBV IT-Sicherheitsrichtlinie: Aktualisierungen sind bis Oktober 2025 umzusetzen
Zum Leidwesen der meisten nimmt das Thema Sicherheit einen immer größeren Stellenwert im Praxisalltag ein. Sei es die von uns bereits mehrfach besprochene NIS2-Umsetzung oder die physische Sicherheit durch bauliche Maßnahmen. Zeitnah steht nun auch die verpflichtende Umsetzung der aktualisierten IT-Sicherheitsrichtlinie der KBV vor der Tür. Diese ist zum 1. April 2025 in Kraft getreten und verpflichtet alle Praxen und MVZ zur Umsetzung der neuen Anforderungen spätestens bis zum 1. Oktober 2025. Damit einher gehen Analysen der eigenen Prozesse und Schulungen der Mitarbeitenden. Um im Wirrwarr der zukünftigen Normen und Verpflichtungen noch einmal etwas Klarheit zu schaffen, ordnen wir diese Sicherheitsrichtlinie nachfolgend ein.
Zur Klarstellung: die ‚Richtlinie über die Anforderungen zur Gewährleistung der IT-Sicherheit‘ ist zwar artverwandt mit der NIS2-Thematik, stellt aber dennoch eine völlig eigene Vorschrift dar. KBV und auch KZBV wurden mit dem Digital-Versorgungs-Gesetz schon zu Minister Spahns Zeiten in § 390 SGB V damit beauftragt, die Sicherheitsrichtlinie alle zwei Jahre zu überarbeiten und dem neuesten Stand anzupassen. Zur Vereinfachung sprechen wir im Folgenden bezüglich dieser IT-Sicherheitsrichtlinie von der K(Z)BV-Norm. Ausführlich hatten wir diese Norm bereits im April beleuchtet: KBV aktualisiert IT-Sicherheitsrichtlinie | Ein Überblick zu alten + neuen Pflichten. Auf Anfrage teilte die KZBV übrigens mit, die Aktualisierung der eigenen IT-Sicherheitsrichtlinie am 1. Juli zu veröffentlichen. Sie soll sich aber im Grunde nicht von der KBV-Richtlinie unterscheiden. Das NIS2 Vorhaben hingegen, ist ein Umsetzungsgesetz aus einer EU-Richtlinie, das die gesamte Wirtschaft betrifft. Wir hatten in der vergangenen Ausgabe auf den unscharfen, aber hochrelevanten Zeitrahmen von NIS2 verwiesen: NIS-2 Update | Trotz unklarem Zeithorizont: Das Gesetz kommt.
Mit etwas Mühe lassen sich aber auch Vorteile in dieser, für Praxen und MVZ zusätzlichen K(Z)BV-Sicherheitsnorm finden: Denn, wer sich damit jetzt bereits gründlich auseinandersetzt, dürfte für die umfangreichere NIS2-Umsetzung gut gerüstet sein. Das unveränderte, übergeordnete Ziel der KBV-Richtlinie ist es seit ihrer Erstveröfentlichung in 2021, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Patientendaten zu gewährleisten und, quasi als Nebeneffekt, Praxen vor Cyberangriffen zu schützen. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Neuerungen liegt – beim 2025er Update – auf der Sensibilisierung und Schulung des Praxispersonals im sicheren Umgang mit der IT. Insbesondere die sogenannte ‚Steigerung der Security-Awareness‘ steht im Vordergrund. In der Fachliteratur wird auch von der ‚Human-Firewall‘ gesprochen, denn viele der Sicherheitslecks entstehen immer noch durch Nachlässigkeiten oder durch das Ausnutzen von emotionalem Stress des Praxispersonals, durch vermeintliche Dringlichkeit und Autorität. Wir hatten dies beispielhaft einmal im folgenden Artikel ausgeführt: ‚Hier ist Ihr Steuerbüro. Es eilt!‘ | Cyberattacken durch die Hintertür.
Eine Synopse zwischen den alten und neuen Regeln stellt die KBV zwar nicht bereit, jedoch ermöglicht eine Broschüre einen guten Überblick zum Thema und bietet auch Checklisten zur Umsetzung an (~ KBV PraxisWissen | PDF – 16 Seiten). Diese eignet sich ebenfalls als Einstiegslektüre für diejenigen Mitarbeitenden, die nicht mit IT-Sicherheit vertraut sind – von daher geben wir eine klare Lese-Empfehlung. Die Anforderungen, welche Maßnahmen von den Praxen und MVZ umgesetzt werden müssen, sind von deren Größe abhängig. Je nach Größen-Kategorisierung müssen die unterschiedlichen Anlagen der KBV-Sicherheitsrichtlinie befolgt werden. Die beste Übersicht dazu bietet die IT-Richtlinie selbst auf Seite 1 f., unter Punkt III und IV (~ IT-Sicherheitsrichtlinie KBV | PDF – 19 Seiten).
Passend zur Vorbereitung auf die neue IT-Sicherheitsrichtlinie hat die KBV für Anfang Juli eine Kampagne mit dem Thema IT-Sicherheit angekündigt: „Das Themenspektrum reicht laut KBV vom Umgang mit Phishing-Mails über ‚sichere Passwörter, Virenschutz, Software-Updates und das Nutzen einer Cloud bis hin zum Basisschutz der Praxis-IT oder was bei einem Sicherheitsvorfall zu tun ist.‘ (~ heise.de v. 19.06.2025) Die Auseinandersetzung mit dem Thema kann auch zum Anlass genommen werden, grundlegende betriebsinterne Prozesse zu überarbeiten, wie Verschwiegenheitsklauseln in Verträgen und Meldeketten für den Ernstfall. Leider zeichnet sich momentan der Umstand ab, dass es schwierig wird, die Mitarbeiterschulungen für die K(Z)BV-Richtlinie mit denen für NIS2 in Einklang zu bringen, schlicht aus dem Grund, weil die national umzusetzenden Inhalte von NIS2 immer noch offen sind. Dennoch erscheint es erwägenswert, mit dem Schulungsanbieter über die möglichen Synergien bei Schulungsinhalten und Zeiträumen zu sprechen. Anbieter mit Weitblick informieren womöglich auch gleich noch über die Konsequenzen zum Datenschutz, die sich durch die neuen Regularien des European Health Data Space (EDHS) am entfernten Horizont abzeichnen. Diesbezüglich steht noch viel in den Sternen, aber das Thema IT-Sicherheit und Datenschutz ist und bleibt ein Dauerbrenner.
KBV Webhub IT-Sicherheit
KBV-Praxishinweise – eine Online-Variante der Richtlinie
Medizinrecht aktuell v. 19.06.2025
Update: Richtlinie der KBV zu den Anforderungen an die IT-Sicherheit
Der niedergelassene Arzt v. 19.05.2025
IT-Sicherheitsrichtlinie aktualisiert