Kurz Gesagt | 3. Quartal 2024: Neuerungen für den Praxisalltag
Immer mal wieder was Neues: Jedes Quartal bringt für die vertragsärztliche Versorgung im Detail Regeländerungen, über die Ärzt:innen und Verantwortliche in den Praxen Kenntnis haben sollten – auch wenn es bisweilen um Kleinigkeiten zu gehen scheint. Auch Sicher-Geglaubtes kann sich ändern, wie nachfolgend die aktualisierten Hinweise zum Muster 12 zeigen. Außerdem gehen wir auf die Änderung der Formularverordnung bezüglich Muster 21 (Kind-AU) sowie auf Assistenzhunde ein, die auf sie angewiesene Personen in die Praxis begleiten. Anlass ist, dass hier zum 30. Juni eine Übergangsfrist aus dem Behindertengleichstellungsgesetz ausgelaufen ist, weswegen seit 1. Juli alle (echten) Assistenzhunde über einen Ausweis, mit dem dieser Status nachweisbar ist, verfügen müssen.
Muster 12 (Häusliche Krankenpflege): Mit dem Stichtag 1. Juli sollte ‚eigentlich‘ nur noch die neue Blankoverordnung verwendet werden. CAVE: Mitte Juli 2024 meldete die KBV, dass sich Kassen und Pflegeverbände in vielen Bundesländern noch nicht auf entsprechende Verträge geeinigt hatten, weswegen, solche Verordnungen ins Leere laufen würden. Entsprechend informierte die KV-Sachsen: „Blankoverordnungen sollten vorerst nur ausgestellt werden, wenn der jeweilige Pflegedienst diese annehmen kann.“ (~ KV-Sachsen v. 12.07.2024). Die KV Nordrhein, als weiteres Beispiel schrieb: „Aktuell ist unklar, ob überall in den Bundesländern solche Verträge … bestehen. Daher kann nicht sichergestellt werden, dass eine Blankoverordnung von den Pflegefachkräften vor Ort ausgefüllt werden darf beziehungsweise von der gesetzlichen Krankenkasse genehmigt wird.“ (~ KV Nordrhein v. 17.07.2024) Denn in diesen Verträgen soll überhaupt erst geregelt werden, welche Qualifikation die Pflegekräfte haben müssen, um die Entscheidungen treffen zu können, zu denen sie nach der Blankoverordnung berechtigt sind. Eine Fristsetzung für solch eine Einigung, über den bereits verstrichenen Stichtag hinaus gibt es nicht. Im Zweifel wäre für das eigene MVZ eine individuelle Nachfrage notwendig. Im Juni 2024 hatten wir der Nutzung und dem neuen Layout des Musters 12 einen Artikel gewidmet (~ zum Artikel). Wichtig ist: „Bereits ausgestellte Verordnungen behalten ihre Gültigkeit.“ (~ KBV-Themenseite: Häusliche Krankenpflege) Außerdem müssen die alten Muster vernichtet werden, wie bspw. die KV Rheinland-Pfalz schreibt (~ zur Mitteilung). Natürlich vorausgesetzt, die Blankoverordnung wurde regional verbindlich umgesetzt. Bis heute besteht dazu aber keine Klarheit.
Auch das Muster 21 (Bescheinigung eines erkrankten Kindes) ist überarbeitet worden. Ebenfalls seit 1. Juli ist ausschließlich das neue Formular im angepassten DIN-A5-Format zu verwenden. Restbestände dürfen nicht verbraucht werden! Das Feld: „Die Art der Erkrankung macht die Betreuung und Beaufsichtigung notwendig.“ wurde ersatzlos entfernt. Neu ist, dass, falls ein Unfall Grund der Erkrankung ist, Ärzt:innen künftig per Kreuzchen eine Unterscheidung zwischen „Kita- oder Schulunfall/-folgen“ oder „sonstiger Unfall, Unfallfolgen“ vornehmen müssen. Überdies „entfallen die Angaben zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung sowie zum Bezug von Kinderkrankengeld aufgrund einer früheren Erkrankung des Kindes“ ersatzlos. Nach Angaben der KBV sollten die neuen Muster grundsätzlich bereits in der Praxissoftware aktualisiert sein. (~ KBV-Mitteilung: Formular zur Bescheinigung eines erkrankten Kindes vereinfacht). Allgemeine Informationen aus der Perspektive des Personaler bietet zudem das Portal Haufe.de: “Kinderkrankengeld beantragen: Ab Juli gilt eine neue Bescheinigung bei Erkrankung eines Kindes.“
Hunde dürfen mit in die Praxis, wenn Sie einen Ausweis haben! Als solche ausgebildete Assistenzhunde dürfen grundsätzlich auch mit in Arztpraxen und Krankenhäuser. Assistenzhunde sind nach dem Assistenzhundegesetz – ja, das gibt es wirklich – qualifiziert und begleiten Menschen mit Einschränkungen. Der ‚normale‘ Dackel von Oma Inge ist damit also nicht gemeint. Hunde, die eine entsprechende Ausbildung gemeinsam mit ihrem Besitzer durchlaufen haben, bekommen einen Ausweis. (~ Ausweisbeispiel | Assistenzhundeblock v. 04.03.2024) Etwaigen Hygienebedenken wird von den Entscheidungsgremien wie folgt begegnet: „Grundsätzlich bestehen keine hygienischen Bedenken zum Mitführen von Assistenzhunden für solche Bereiche, wo sich Menschen in Straßenkleidung aufhalten. Dazu zählen beispielsweise Arztpraxen, Therapieräume, Krankenhäuser oder Cafeterien.“ In besonderen, nicht näher beschriebenen, Einzelfällen können die Umstände gegen das Mitbringen des Hundes sprechen. Dann sollte aber nach Möglichkeit ein Termin in den Randzeiten gewährt werden, schreibt die KBV (~ KBV v. 08.08.2024). Wer sich einen umfassenderen Eindruck zum Thema machen möchte, vielleicht auch für die Patientenberatung, dem sei folgender Artikel nahegelegt: Assistenzhunde: Der steinige Weg zum Helfer auf vier Pfoten aus Arzt und Wirtschaft v. 13.01.2024.
KBV-Mitteilung v. 08.08.2024
Patienten können Assistenzhunde mitbringen
Merkblatt der KV Bayerns (PDF)
Befugnisse für Pflegefachkräfte und Blankoverordnung ab 1. Juli 2024
Information der KV Baden-Württemberg
Kinderkrankengeld: Ab Juli gilt ein neues Formular (Muster 21)
Umfassende Öffentlichkeitsarbeit zum ePA-Start 2025 | Nützliche Vorab-Einblicke für Praxen
Bereits vor zwei Monaten hat das BMG auf großer Bühne den Start einer Öffentlichkeitskampagne zur ‚ePA für alle‘ bekanntgegeben und zeitgleich mit Unterstützung von Kassen und gematik das an Patienten gerichtete Portal ePA-vorteile.de gestartet. Das Framing: „Mit der elektronischen Patientenakte für alle – kurz ePA für alle – startet Deutschland Anfang kommenden Jahres eine Aufholjagd in der Digitalisierung des Gesundheitswesens.“ (~ BMG v. 25. Juni) Zur Unterstützung wurde eine große PR-Agentur beauftragt, „um die Awareness für die Einführung der ePA zu steigern und die damit einhergehenden Benefits für den Patienten aufmerksamkeitsstark zu kommunizieren.“ (~ FischerAppelt v. 9. Juli) In der Zeitschiene ist die erste große Informationswelle für Oktober 2024 vorgesehen. Weitere sollen folgen.
Das mögen Bürger und Ärzte, die dem ePA-Projekt grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, bedenklich finden. Aber zumindest beweisen BMG und die von ihm in die Pflicht geneommenen Kassen hiermit frühzeitig ernsthafte Bereitschaft, Verantwortung für die breite Patienteninformation zu übernehmen. Erinnern Sie sich dagegen an die Einführung von eAU (Januar 2023) und eRezept (Januar 2024), als die volle Hauptlast der Aufklärungsarbeit ungeniert auf dem Praxispersonal abgeladen wurde? Ob allerdings die aktuell bereits gestartete Kampagne erster Kassen, ihre Versicherten zu informieren (~ mehr Infos), zu diesem frühen Zeitpunkt zielführend ist, sei einmal dahingestellt.
Im Kontext dieser Aktivitäten hat jedenfalls am 20. August die gematik nachgelegt und ihrerseits Infos für diverse Nutzergruppen aufbereitet. Sie hat damit vor allem die Leistungserbringer im Blick. Gestartet wurde dafür das Portal www.gematik.de/anwendungen/ePA/epa-fuer-alle. Hier können sich Kliniken, Apotheken und natürlich Praxen sowie MVZ aus ihrer fachlichen und betriebsorganisatorischen Perspektive mit der ePA befassen. Dargeboten werden neben vielen schönen Worten für jeden Leistungserbringerbereich spezifische Downloads, ein Klick-Dummy und Videos. Für Praxisverantwortliche, die sich vorab konkret informieren wollen, bietet die gematik-Seite, die – so heißt es – auch noch weiter ausgebaut werden soll, schon jetzt praktische Abkürzungen zu relevanten Informationen.
Wer darüber hinaus noch grundsätzlich mit der Frage ringt, wie er/sie zur ePA steht, dem sei die Entscheidungshilfe zur elektronischen Patientenakte: Soll ich’s wirklich machen oder lass ich’s lieber sein? von netzpolitik.org ans Herz gelegt. Ganz sicher ist sie auch eine gute Basis, um mit dem eigenen Team und/oder Patienten dazu ins Gespräch zu kommen.
BMVZ PRAKTIKERKONGRESS am 20.09.2024
Vortrag “ePA 3.0: Rechtliches & Anforderungen | Besondere Organisationsaspekte“
Vortrag: “Probleme mal X: Die Ti als organisatorische Herausforderung für BAG & MVZ“
KMA Online v. 18.08.2024
Die neuen Features der ePA für alle ab 2025
Health-IT v. 27.06.2024
BSI-Chefin Plattner wirbt um Vertrauen in die neue ePA – und warnt vor Fake News
Auch Kind-AU via Videosprechstunde oder Telefon seit 1. Juli 2024 regulär zulässig
Nach einer Einigung zwischen GKV Spitzenverband und KBV ist die aus Corona-Zeiten bekannte bloße Übergangsregelung, dass auch Kinder nach ausschließlich telefonischer oder telemedizinscher Anamnese krankgeschrieben werden können, in eine dauerhafte Regel überführt worden. Dazu wurde § 31a BMV-Ärzte angepasst, wonach nun „die Voraussetzungen, unter denen … eine AU im Rahmen einer Videosprechstunde oder [telefonisch … ] ausgestellt werden kann, … entsprechend für die Ausstellung … bei Erkrankung eines Kindes (Muster 21)“ gelten. Die Regelung gilt für Kinder bis 12 Jahre, es sei denn, die Kinder sind behindert und auf Hilfe angewiesen – dann gilt sie auch über diese Altersgrenze hinaus. Anders als bei Erwachsenen ist allerdings der Identitätsnachweis des Patienten mit einem Erziehungsberechtigten zu klären. Ansonsten gelten die Regelungen der Erwachsenen: (1) Die Symptomatik muss einer Ferndiagnose angemessen sein. (2) Eine Telefon-Anamnese ist nur zulässig, wenn keine Videosprechstunde möglich ist. (3) Wird eine AU via Telefon ausgestellt, muss der Patient für die Folgebescheinigung (oder dazwischen) in der Praxis gewesen sein. Vice versa kann eine Folgebescheinigung via Telefon ausgestellt werden, wenn der Patient initial in der Praxis war. (4) Unbekannte Patienten können per Telefon für 3 Tage, bekannte für 5 Kalendertage krankgeschrieben werden. (5) Bei der Videosprechstunde gilt eine maximal Krankschreibungsdauer bei Erstbescheinigung von 7 Tagen. Eine Authentifizierung via Gesundheitskarte ist nicht nötig. Entweder war das Kind, bzw. der erwachsene Patient im laufenden Quartal schon in der Praxis, oder die Abrechnung erfolgt über das Ersatzverfahren.(6) Ein Anrecht auf eine Behandlung und in deren Folge auf eine Krankschreibung via Telefon oder Videosprechstunde besteht patientenseitig nach wie vor nicht.
Das Versenden der AU kann bei Erwachsenen über GOP 40128 (Muster 1) und für Kinder per GOP 40129 (Muster 21) abgerechnet werden. Bei Letzerem ist darauf zu achten, dass seit 1. Juli 2024 nur noch das neue Formular (siehe Beitrag weiter oben) verwendet werden darf. Mit 86 Cent reicht das Honorar allerdings gerade so für das Porto – Umschlag, Druck und Spucke sind folglich nicht inbegriffen … Losgelöst von der Thematik Kind-AU, stellt sich daher die Frage, wie viele Patienten auf ihren Anspruch auf den Versichertenausdruck der AU/Kind-AU bestehen. Schließlich ist die digitale AU-Übermittlung direkt von Praxis zu Krankenkasse ja der erste patientenbezogene Prozess gewesen, der – bis eben auf die Patientenkopie – vollständig digitalisiert wurde.
KBV v. 11.07.2024
Kinderkrankschreibung dauerhaft auch per Video und Telefon möglich
KBV-Themenseite (Update v. Juli 2024)
Arbeitsunfähigkeit, Krankschreibung und Formulare
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Elternportal zur Kindergesundheit: Kinderkrankengeld und Freistellung von der Arbeit
Einigung zur SV-Pflicht der Pool(zahn)ärzte | Folgen für die Bereitschaftsdienstorganisation
Bereits im Juli gab es Meldungen, dass zwischen BMG, Arbeitsministerium (BMAS) und KVen eine Einigung erreicht und damit das Problem der vor knapp zwei Jahren vom BSG für SV-pflichtig erklärten Poolärzte gelöst worden sei. Dem dabei in einem Ergebnispapier veröffentlichten Kompromiss fehlte allerdings das Wichtigste: Der Segen der SV-Träger, sprich der Kassen und der Rentenversicherung. Dieser wurde nun per Schreiben vom 15. August erteilt. Damit können die 17 KVen künftig neu planen und auch die sogenannten Poolärzte auf reiner Honorarbasis wieder zum Einsatz bringen. Basis ist die Festlegung von drei von den KVen zu erfüllenden Bedingungen, mit denen Poolärzt:innen selbst dann als selbständig gelten, wenn sie von der KV eine Sicherstellungspauschale erhalten. Das soll dann gleichermaßen auch für die KZVen gelten, wie ZM Online vermeldet: Endlich Klarheit beim vertrags(zahn)ärztlichen Notdienst!
Hintergrund war der Auslegungsstreit, ob jene auf Honorar tätigen Ärzte, wenn sie Dienste im Auftrag der KV in KV-eigenen Bereitschaftsdienstpraxen wahrnehmen, als unselbständig Beschäftigte gelten und deshalb die KVen für sie SV-Beiträge abführen müssten. Die KVen argumentierten, dass die dafür nötigen Mehraufwendungen von ihnen nicht finanzierbar seien und die Dienste entsprechend unattraktiv würden. (~ Ausgabe KW7/2023 + KW21/2023) Einige KV-Bezirke stellten daraufhin den Einsatz von Poolärzten komplett oder teilweise ein, was zusätzliche Dienste für die regulär verpflichteten Vertragsärzt:innen bedeutete (~ zu den Folgen: Ausgaben KW52/2023 und KW12/2024).
Entsprechend ist davon auszugehen, dass die nun gefundene Ausnahmeregelung sich unter umgekehrten Vorzeichen – sprich entlastend – auf die Dienstverpflichtungen der Vertragsärzt:innen auswirkt. Wie schnell und wie direkt, das steht allerdings in den Sternen. Denn die Einigung ist im Wesentlichen eine Art offizielle Kungelei aller Beteiligten, mit der eine belastbare Ausnahme für den KV-Bereitschaftsdienst vereinbart wurde, ohne allerdings einen auf ähnliche Anwendungsfälle übertragbaren Präzedenzfall zu schaffen. Eine Meisterleistung an politischer Spitzfindigkeit.
Zudem gibt es zwei, drei Wermutstropfen: So ist die Einigung auch aus Sicht der DRV zwar rückwirkend anwendbar, aber in den seltensten Fällen waren die drei Bedingungen erfüllt und – wie die ÄrzteZeitung berichtet – ist eine generelle Amnestie nicht vorgesehen. D.h. für laufende Statusfeststellungsverfahren ist das Ergebnis gerade keine Lösung. Außerdem müssen, um die neuen Bedingungen zu erfüllen, noch zwei Gesetzesänderungen durchgesetzt und die regionalen Vorgaben der KVen teils drastisch geändert werden. Die ÄrzteZeitung analysiert: „Um allen Bedingungen gerecht zu werden, könnte es nötig werden, die Zahl der Bereitschaftspraxen zu reduzieren – ohne den Sicherstellungsauftrag zu missachten. Dies dürfte keine ganz leichte Aufgabe sein.“
Eine Aussage, die insgesamt für die Organisationsherausforderungen des Bereitschaftsdienstes gilt. Umso spannender sind die Meldungen aus Bayern und Baden-Württemberg, wo über Telemedizin bereits jetzt zukunftsweisende Projekte laufen, mit denen nach ersten Ergebnissen – und zur Zufriedenheit der Patienten – drastische Entlastungen im Patientenaufkommen der Präsenzpraxen erreicht werden können: Telemedizin mausert sich in Baden-Württemberg zur Säule im Bereitschaftsdienst | KVB startet Onlineportal: Bei akuten Beschwerden Kontakt zum Videoarzt.
ÄrzteZeitung v. 23.08.2024
Nach Einigung über Bedingungen: 11 Fragen, 11 Antworten zur Selbstständigkeit im Notdienst
Haufe.de v. 20.08.2024
Versicherungsrechtliche Statusbeurteilung von Ärzten im Notdienst
Ärzteblatt v. 12.07.2024
Regelungspaket soll Poolarztprobleme beheben
Verhandlungen über den Orientierungspunktwert | Hintergründe und Einordnung der Praxisrelevanz
Jährlich leisten die Krankenkassen eine große Summe X als MGV an die Vertragsärzteschaft, über deren genaue Höhe KBV und GKV-Spitzenverband stets im Spätsommer unter den Argusaugen der Fachöffentlichkeit verhandeln. Das SGB V gibt dafür allerdings strenge Regeln vor (~ § 87 Absätze 2ff), bei denen neben den steigenden Betriebskosten vor allem die Faktoren Demografie und Morbidität eine Rolle spielen. Wenn also das Ärzteblatt am 15. August titelt: „Honorarverhandlungen: Kassen bieten 1,6 Prozent, KBV will 5,7 Prozent“ stecken die beiden Zahlen den Rahmen ab, den die beiden Akteure bezüglich der steigenden Krankheitslast und -menge der Bevölkerung und dem Aufwand, dieser zu begegnen, erkennen.
Der Orientierungspunktwert bleibt aber trotzdem immer eine Folge rein politischen Aushandelns, das sich gemäß der SGB V-Vorgaben zudem auch nicht an der erwarteten künftigen Entwicklung, sondern den Veränderungsraten der Vorjahre orientiert. Offizieller Maßstab für 2025 sind somit die Kostensteigerungen des Jahres 2023. Was der Grund ist, weshalb Erwartungen nach einem Inflationsausgleich, die sich aus der Vorstellung einer ‘traditionellen’ Gehaltsverhandlung speisen, aus Prinzip enttäuscht werden müssen. Allerdings kommt in den aktuellen Verhandlungen erstmals auch die von der KBV im vergangenen Herbst erreichte Verbesserung zum Tragen, dass speziell für den Bereich Personalkosten gerade nicht 2023 als Bezugsjahr herangezogen wird, sondern das laufende Jahr. Was umso wichtiger ist, als der MFA-Tarif über alle Gehaltsstufen im Frühjahr 2024 um mehr als 7 % angehoben wurde. Da die MFA-Kosten aber natürlich nur einen Teilbereich der Honorare ausmachen, muss und wird die Anhebung selbst bei voller Berücksichtigung weit unter diesem Prozentsatz liegen.
Ausgangspunkt der Kassen ist deren ohnehin schon klamme wirtschaftliche Lage und die (nicht ganz verkehrte) argumentative Verknüpfung von Honorarsteigerungen zugunsten der Ärzte, die unmittelbar zu Lasten der Versicherten gingen. „Steigende Arzthonorare führen bei bereits in diesem Jahr gestiegenen Krankenkassenbeiträgen erneut zu höheren Kosten für Versicherte und ihre Arbeitgeber,“ betonte der GKV-Spitzendverband zum Auftakt der Gespräche. (~ Quelle) Arztverbände verwiesen dagegen in der letzten Woche vielfach auf die realen Einkommensverluste der Praxen, die – angesichts der tatsächlichen Kostensteigerungen – durch die (zu) niedrigen Anpassungen der MGV-Höhe der letzten Jahre bedingt worden seien. Deren Relevanz für die Arzteinkommen beziffert der AOK-Bundesverband auf knapp 62 %. Die restlichen 38 % fließen über die Vergütungsmechanismen der extrabudgetären Vergütung (EGV) – wozu in Zukunft neben den Pädiaterhonoraren – auch die Kernbereiche der Hausarztvergütung zählen sollen, falls das GVSG in dem Punkt bis Januar 2025 in Kraft treten sollte.
Wer also bewerten will, wie gut oder schlecht die Verhandlungsangebote zur MGV-Höhe einzuschätzen sind, darf die große Rolle der EGV, die nicht Bestandteil der Verhandlungen ist, nicht aus den Augen verlieren (~ mehr Infos). Im Bezugsjahr 2023 sind insgesamt 45,19 Milliarden € an die Praxen und MVZ ausgezahlt worden – davon etwa 28 Milliarden als MGV. Die Anhebung um die von der KBV geforderten 5,7 % würde ein Mehrhonorar von pi mal Daumen 2 Milliarden Euro bedeuten. Zum Vergleich: Die Kassen bieten derzeit rund eine halbe Milliarde. Die Steigerung der Zahlungen innerhalb der EGV ergibt sich dagegen erst nachträglich aus der tatsächlichen Inanspruchnahme. Und so berechtigt die folgende Forderung der Ärzteschaft daher ist: „Die ungleiche Behandlung zwischen dem Pflegepersonal in Krankenhäusern und unseren MFA muss endlich aufhören. Die Krankenhäuser können die Pflegekosten in voller Höhe, unabhängig von den DRGs, berechnen und damit eine adäquate Vergütung und somit eine bessere Personalstärke im pflegerischen Bereich erzielen. Wir brauchen dringend eine deutliche Steigerung des Orientierungswerts, um auch unsere sehr prekäre Personalsituation durch angemessene Gehälter zu verbessern“ (~ Gemeinsame Presseerklärung von bvkj, HÄV, SpiFa + MediVerbund). Es ist unrealistisch anzunehmen, dass sie sich 1:1 durchschlagen wird.
Und wie geht’s weiter? Die Verhandlungspartner haben sich am 22. August erst einmal auf Mitte September vertagt. Dabei wurde das ‘Mantra von schwierigen Gesprächen’ vielfach bemüht. „Ob es [aber] bei dem [letzten] Treffen eine Annäherung gegeben hat, blieb unklar. Auf Nachfrage gab es keine detaillierten Stellungnahmen von den Verhandlungsseiten,“ schreibt das Ärzteblatt. Schaut man auf die Vorjahre ist die Anrufung des erweiterten Bewertungsausschusses, bei dem dann drei unparteiische Experten hinzukommen, mehr als wahrscheinlich. Auch im letzten Jahr war es ein solcher Schiedsspruch (auf 3,85 % MGV-Erhöhung), der das Patt zwischen Kassen und KBV auflöste. Allerdings zeigen die Erfahrungen auch, dass solche Schiedssprüche tendenziell ein vergleichsweise hohes Maß an Verständnis für die Position der Ärzteschaft wiederspiegeln.
Im Übrigen lassen sich auch von dem, dann wahrscheinlich bis Ende September gefundenen Kompromiss zum Orientierungspunktwert, keine direkten Schlüsse auf das individuelle Arzt- und Praxiseinkommen 2025 ziehen. Er ist ‘nur ‘ die Basis für die Festlegung von regionalen Anpassungsquoten und dem regionalen Punktwert sowie natürlich für die KV-individuellen HVM-Verhandlungen, bei denen über die konkreten Details der Verteilung der zuvor auf Bundesebene festgelegten Honorargesamtsumme, entschieden wird.
Deutsches Ärzteblatt v. 22.08.2024
Honorargespräche vertagt, nächste Runde im September
ÄrzteZeitung v. 14.08.2024
Streit zum Auftakt der Honorar-Gespräche
KBV-Information v. 14.08.2024
Die aktuellen Verhandlungen für das Jahr 2025
Krawall am Praxistresen: Runde 3 | KBV startet Umfrage als Debatten-Treibstoff
Um es gleich vorwegzunehmen: Sie haben kein Déjà-vu. In der vergangenen Ausgabe der PRAXIS.KOMPAKT hatten wir sowohl den eindringlichen Hinweis zur Teilnahme an einer KBV-Umfrage (~ Unliebsame, wichtige Aufgabe: Das PraxisBarometer-Digitalisierung), als auch das Thema Gewalt in der Praxis (~ Krawall am Praxistresen 2. Akt: Gesetzesänderung und Beispiel zur Selbsthilfe). Letzteres Thema hat seitdem noch einmal an Fahrt gewonnen. Hintergrund ist das geplante Gesetz aus dem Bundesjustizministerium, das eine Verschärfung des Strafrechtes bei Angriffen auf uniformierte Berufe und Rettungskräfte aller Art vorsieht. Das soll bspw. für Polizei, Feuerwehr und auch Ärzte gelten. Obwohl die Aufzählung gemäß Regierungsentwurf absichtsvoll nicht vollständig ist, also implizit auch weitere Berufe erfasst, hat sich die KBV in den vergangenen Tagen medienwirksam positioniert und dafür geworben, das gesamte Personal in den ambulanten Praxen explizit im Gesetz mitzubedenken. Um dem ganzen Nachdruck zu verleihen, wurde im Titel beschriebene Umfrage – aufwandsarm über das Tool Lama-Poll – initiiert. Dabei geht es um die Erfassung der vertragsärztlichen Erlebniswelt vor Ort. Die acht Multiple-Choice-Fragen sind binnen zwei Minuten beantwortet und es gibt ein Freifeld für weitere Kommentare.
Bisher gibt es konkret aus dem ambulanten Sektor keine aktuellen, stichhaltigen Daten – nur jede Menge anekdotische Berichte. Wie schon im Beitrag zum PraxisBarometer Digitalisierung möchten wir darum eindringlich zur Teilnahme auffordern. Auch wenn es im Praxisalltag banal erscheinen mag und gelegentlich der Eindruck entsteht, dass solche Umfragen ‚ohnehin Nichts ändern‘, sind sie das tägliche Brot im politischen Diskurs. Sie dienen nicht nur als Debattengrundlage, sondern auch dazu, Themen im lauten Medientrubel publikumswirksam platzieren zu können. (~ KBV-Online-Befragung zu Gewalt in Praxen ) Insofern hat die KBV die kleine Lücke während der Sommerpause gut genutzt, um sich und den ambulanten Sektor in Erinnerung zu rufen. Die Umfrage zur Gewalt in der Praxis ist bis zum 2. September offen.
KBV-Mitteilungen v. 15.08.2024
KBV startet Online-Befragung zu Gewalt in Praxen | direkt zur Umfrage
Ärzteblatt v. 13.08.2024
Gassen beklagt zunehmende Gewalt in Praxen
ZDF heute v. 13.08.2024
So schlimm ist es in Praxen und Kliniken
BMG + Gesetzgebung | Vorboten eines intensiven Herbstes
‘Gesundheitsverbände machen für den Herbst mobil’ – lautete Mitte August eine Überschrift im G+G-Update (~ Quelle) und nahm dabei u.a. Bezug auf eine Briefaktion der KBV, die diese zuvor in Richtung Bundestag gestartet hatte. Mit dieser mahnten die KBV-Vorstände: „Nach der Sommerpause liegen zahlreiche Entscheidungen darüber mit in Ihren Händen, ob die Praxen auch in Zukunft noch die Menschen in unserem Land so verlässlich versorgen können, wie diese es gewohnt sind.“ Und: „Wir würden gerne mit Ihnen darüber sprechen, wie [die geplanten Gesetze] dazu beitragen können, die Versorgung wirklich zu verbessern.“ (KBV v. 15. August: Brief an Bundestagsabgeordnete). Dieses Schreiben kann dabei sowohl als eine tiefe Resignation gegenüber Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister, der sich vielfach der Diskussion seiner Agenda einfach verweigert, gewertet werden, als auch als Ausdruck von Hoffnung darauf, dass das Parlament im Herbst als Korrektiv wirken möge.
Mit ihrer Kritik an den (gefühlten) Alleingängen des Ministers steht die KBV nicht allein da. Selten standen im Gesundheitswesen am Ende einer Legislatur noch so viele und so umfassende Gesetzgebungsprojekte dermaßen unkonsentiert zur Entscheidung aus, wie aktuell. 14 Gesetze hatte der Minister im Frühjahr angekündigt – davon haben es gut die Hälfte immerhin durchs Kabinett und somit in den Bundestag geschafft. Das Gesunde-Herz-Gesetz ist dagegen ebenso wie die Apothekenreform auch bei der letzten Kabinettssitzung vom 21. August an koalitionsinternen Streitigkeiten gescheitert; also nach wie vor nicht offiziell gestartet. Für viele der bereits förmlich ans Parlament übergegebenen Projekte gilt dagegen, dass von vornherein inhaltlich, teils so drastische Ausweitungen angekündigt sind, dass man sich unwillkürlich fragt, ob die bisher üblichen Regeln der Gesetzgebung eigentlich noch volle Geltung haben. Vor diesem Hintergrund ist weniger denn je vorhersagbar, wie sich der gesundheitspolitische Herbst entwickeln wird.
Aus vertragsärztlicher Sicht geht es dabei vor allem um die großen Drei: KHVVG, NotfallG, GVSG. Daher folgen zu diesen ein paar kurze Schlaglichter: (1) Der Protest gegen den Umbau der Kliniklandschaft ist – bei gleichzeitig durchaus breiter Zustimmung zum Ziel des Bettenrückbaus – ungebrochen, während Lauterbach sich überzeugt gibt, dass „der größte Teil der Krankenhäuser im ländlichen Raum erhalten bleibt.“ Denn, „das Problem ist: Wir haben eine klassische Überversorgung auch zulasten der Qualität, insbesondere in westdeutschen Großstädten. Da brauchen wir einen Rückbau …“ (~ Interview auf Kommunal.de v. 31. Juli). (2) Die Notfallreform ist vor allem von vertragsärztlicher Seite umstritten, da dem KV-System durch „einseitige Belastung … hinsichtlich personeller und finanzieller Ressourcen“ jede Menge neue Aufgaben zugedacht werden. (~ Quelle) Außerdem wurde angekündigt, dass die ebenfalls geplante Reform der Rettungsdienste im parlamentarischen Verfahren auch noch in das Notfallreformgesetz integriert werden soll, was die Beratungen ganz sicher nicht vereinfachen wird. Einen guten Überblick gibt der Text: Notfallversorgung: Geplante Reformen zu einem konsistenten Ganzen führen.
Und (3) das GVSG? Hier gibt es drei eigenständige Diskussionsstränge: zum ersten Fragen rund um Entbudgetierung und Honorarreform der Hausärzte (bspw. 8. August: Noch nicht alle Hausarztleistungen entbudgetiert), zum zweiten die Thematik, ob die kommunal untersetzten Versorgungsangebote wie Kioske und Gesundheitsregionen wieder Eingang finden (bspw. 12. August: Thüringer Ministerin setzt sich für Kioske ein) und zum dritten, ob eine MVZ-Regulierung neu hinzugefügt wird (27. Juli: Investorengetragene MVZ: Regulierungsappell aus Bayern). Zu allen drei Bereichen gibt es zahlreiche Wortmeldungen – eine belastbare Vorhersage, zu dem, was passieren wird, fällt indes weiterhin schwer. Konkrete Zeitpläne gibt es – Stand 23. August – lediglich für das Gesetz zur Krankenhausreform, bezüglich der für 25. September die Fachanhörung bereits förmlich angesetzt wurde.
ÄrzteZeitung v. 22.08.2024
Gesundes-Herz-Gesetz und Apothekenreform nicht im Kabinett
Apotheke Adhoc v. 05.08.2024
Diabetologen kritisieren Lauterbach-Reform: Knapp 50.000 Unterschriften gegen GVSG
Medical Tribune v. 07.07.2024
Gesetzes-Turbo: Tour de Force im BMG und Bundestag