Da kommt was auf (so manches) größere MVZ zu:
Bundesregierung beschließt NIS2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz
Die meisten Leser können das Kürzel KRITIS wahrscheinlich treffsicher mit den erhöhten Sicherheitsstandards, die u.a. viele Krankenhäuser bei der Cyberabwehr erfüllen müssen, in Verbindung bringen. Mit Vorgaben also, die den ambulanten Sektor nicht weiter berühren. Das allerdings wird sich zeitnah ändern. Am 24. Juli hat das Bundeskabinett das NIS2-Umsetzungsgesetz (~ mehr Infos) verabschiedet und damit den zugehörigen Beratungs- und Beschlussprozess im Bundestag angestoßen. Im Hintergrund steht eine vor zwei Jahren auf europäischer Bühne verabschiedete Cybersicherheitsrichtlinie (~ mehr Infos), die bis zum 14. Oktober 2024 in nationales Recht überführt werden muss.
Das ist kein langer Zeitraum und deshalb hier erwähnenswert, weil eine der maßgeblichen Neuerungen sein wird, dass in der Gesundheitsbranche sämtliche Unternehmen mit entweder mindestens 50 Mitarbeitern oder 10 Millionen € Bilanz-, bzw. Umsatzsumme in die neu geschaffene Kategorie ‚wichtige Einrichtung‘ fallen und damit als Adressat des Gesetzes zusätzliche Pflichten auferlegt bekommen. Für größere und große Kliniken hat das kaum Neuigkeitswert, da sie bereits nach der bisherigen NIS-Richtlinie Träger solcher Pflichten waren. Die neue Einstufung erfasst jedoch darüber hinaus erstmalig auch sehr viele Großpraxen und MVZ als ‚Kritische Infrastruktur, für die es künftig statt zwei, drei Abstufungsgrade gibt‘ – und darüber hinaus auch viele lokale Sanitätshäuser, Pflegedienste, etc., für die dieselben Größenabgrenzungen gelten. Bundesweit ist nach unserer Schätzung von mindestens 1.000 Großpraxen und MVZ in ärztlicher, kommunaler und sonstiger Nicht-Krankenhaus-Inhaberschaft auszugehen, die den Anforderungen und Sanktionen des NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz neu unterliegen.
Das bringt für die betroffenen Praxen primär drei Herausforderungen mit sich: 1) Registrierungserfordernis & Meldepflichten bei Vorfällen beim BSI (~ mehr dazu). 2) Ein höheres Pflichtmaß an präventiven Schutzmaßnahmen zu Angriffsabwehr. 3) Die direkte und nicht delegierbare Verantwortung und Haftung der Geschäftsleitung für diese Fragen. Hauptproblem ist dabei für die kleineren Unternehmen, dass sie – anders als die Kliniken – nicht nur keine IT-Abteilung o.ä. haben, die sich um solche Fragen kümmert, sondern dass es im Vertragsarztbereich augenscheinlich überhaupt kein Bewusstsein dafür gibt, dass das geplante Gesetz hier Relevanz entfalten wird.
Im (konkreten) Kern verlangt die Richtlinie wohl eher nichts Unmögliches. Erklärtes Ziel ist vielmehr vor allem, sowohl Flächendeckung als auch Kontrollierbarkeit bezüglich einer, ansonsten als verhältnismäßig beschriebenen digitalen Risikoprävention zu erreichen. Mit die wichigste Neuerung ist daher, dass dem BSI künftig aktiv und anlasslos Kontroll- und Überwachungspflichten zukommen. Dies verbunden mit vglw. hohen Sanktionsandrohungen bei Verstößen. So soll allein die fehlende, bzw. nicht rechtzeitig erfolgte Registrierung beim BSI als ‚betroffenes Unternehmen‘ mit einer Strafzahlung von 500 Tsd. € belegt werden. Das setzt – um auf den ambulanten Sektor zurückzukommen ja aber voraus, dass die betreffenden Praxisleitungen von diesen Pflichten überhaupt wissen. Als Registrierungszeitraum sind im Übrigen drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes vorgesehen.
Klarzustellen ist allerdings, dass das Gesetzgebungsverfahren noch läuft, d.h. dass also derzeit keine Verbindlichkeit bei den Inhalten oder Fristen besteht. Allerdings hat Deutschland zeitlich wenig Spielraum, da andernfalls eine teures Vertragsverletzungsverfahren der EU droht. Das erklärt auch die Eile, die das Bundeskabinett zuletzt in dieser Frage an den Tag gelegt hat, nachdem zuvor anderthalb Jahre mit unfruchtbaren Beratungen verstrichen sind. Daher erscheint ein Inkrafttreten diesen Herbst alles andere als abwegig. Für die neuen technischen und bürokratischen Pflichten würde dann ein Umsetzungsfenster gelten, das – je nach dem – kurz nach dem Jahreswechsel endet.
Insgesamt sind das Aussichten, die jeden Verantwortlichen von komplexen Praxisstrukturen, mit besagten 50 Mitarbeitern, bzw. 10 Millionen € Umsatz (jeweils Minimum, als Oder-Kriterium) hellhörig werden lassen sollten, um mögliche Vorbereitungsschritte nicht spontan auf den letzten Drücker erledigen zu müssen. Eine übersichtliche und auf den Punkt gebrachte Darstellung für die Erstlektüre – bei der bezeichnenderweise aber ambulante Strukturen auch nicht vorkommen – bietet das Beratungsunternehmen PWC: Plötzlich KRITIS? – NIS2 im Gesundheitswesen (PDF | 20 Seiten | gegen Abgabe einer Marketing-Einwilligung) sowie die Plattform OpenKRITIS, das (als solches selbsternannte) unabhängige Nachschlagewerk für KRITIS-Betreiber und Kritische Infrastrukturen.
Bundesamt für Sicherheit- & Informationstechnik
Fragen & Antworten zu NIS2 | NIS2 – Was tun?
IHK München
NIS-2 und Kritis: Pflichten für wichtige und besonders wichtige Unternehmen
Heise.de v. 05.06.2024
Cybersicherheit: Was Unternehmen über die NIS2-Richtlinie wissen müssen
Update des Bundes-Klinik-Atlas | Beratungsgespräche im Arztzimmer bekommen dadurch neuen Schwerpunkt
Im Juni 2024 wurde der erst im Monat zuvor vom BMG unter viel Kritik gestartete Bundes-Klinik-Atlas mit einem großen Update neu aufgestellt. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine grundlegende Veränderung der Struktur und damit auch Anpassung der Zielgruppen-Dienlichkeit. Denn der Atlas soll, laut BMG, in erster Linie den Patienten dienen. Wir hatten den damaligen Stand, zum Zeitpunkt der Einführung, unter dem Aspekt der ‚Potenziale für die Patientenberatung‘ bereits beleuchtet (~ PRAXIS.KOMPAKT | KW 18).
Mit dem großen Update der Seite ist die Informationsdarstellung noch einmal deutlich simpler gestaltet worden. Der Bundes-Klinik-Atlas zeigt Informationen u. a. zu Fallzahlen und Personalausstattung der Krankenhäuser. Indirekt soll so auch die Qualität der Einrichtung für diesen Behandlungszweck ersichtlich sein. Wörtlich heißt anläßlich der Überarbeitung: „Der Bundes-Klinik-Atlas hat ein umfassendes Update erhalten. Dabei wurden die Suchkriterien nutzerfreundlich umgestellt, indem eine Vorauswahl an Versorgungsanlässen bzw. Operationen getroffen wurde. Die für Fachleute aufgelegte Suche nach spezifischen Diagnosen und Prozeduren ist aufgrund der Komplexität der Ergebnisse nicht mehr möglich.“ Patienten könnten also mit der neuen App-Logik der Oberfläche zügig Informationen gewinnen.
Was bedeutet das für die ärztliche Beratung? Die Darstellung ist einfach und eingehend. Allerdings können Patienten bisher die Kliniken nur nach einigen populären Routineeingriffen durchsuchen. Inwieweit das Angebot zur Darstellung von mehr speziellen Eingriffen ausgebaut wird, ließ der Gesundheitsminister offen und verwies wiederholt auf den anhaltenden Prozess. Einige Formulierungen auf der Webseite könnten zudem bei Patienten den Bedarf einer ärztlichen Erörterung wecken. Insbesondere der FAQ-Bereich kann für den durchschnittlich informierten Patienten allein aus sprachlichen Gründen herausfordernd werden. Für Praxen, die Berührungspunkte mit Krankenhauseinweisungen haben, wäre daher ein kurzer Blick sicher interessant, um zu wissen, was die eigenen Patienten womöglich geboten bekommen.
Haufe v. 24.06.2024
Klinik-Atlas in neuer Version abrufbar
Tagesschau v. 20.06.2024
Überarbeiteter Klinikatlas ist online
Thieme kma online v. 19.06.2024
Klinik-Atlas wird zu Mini-Atlas
Unliebsame, wichtige Aufgaben | Das PraxisBarometer-Digitalisierung
Wie würden Sie Mitarbeiter und Kollegen dazu bewegen, eine unliebsame Aufgabe zu übernehmen? Halten Sie sich Ihre Antwort kurz fest, wenn wir Sie nachfolgend auf das PraxisBarometer-Digitalisierung hinweisen. Wie der Name sagt, beschäftigt sich die Umfrage vorrangig mit den TI-Strukturen und -Anwendungen im weitesten Sinne. Die Beteiligung am PraxisBarometer Digitalisierung ist dabei nicht nur statistisches Schmuckwerk, sondern kann den Leistungserbringern im Praxisalltag dienen, so sich genügend Nutzer beteiligen. Denn dann liefert die Auswertung (hoffentlich) genügend Futter für Argumente, den PVS-Anbietermarkt kunden-, also praxisfreundlicher, zu gestalten.
Als konkretes Beispiel hatten wir in der PRAXIS.KOMPAKT der KW 20 vom ersten Aufschlag des vom Zi veröffentlichten PVS-Qualitäts-Rankings berichtet (~ zum Artikel). Dabei wurden anhand der eingegangenen Nutzererfahrungen die unterschiedlichen Praxisverwaltungssysteme bewertet. Allerdings litt diese Veröffentlichung (~ Kosten und Nutzen von Investitionen in die Digitalisierung in der vertragsärztlichen Versorgung) noch an der begrenzten Aussagekraft durch die Anonymisierung der Hersteller. Hier braucht es noch einen Zuwachs an politischem Willen, die Weichen für ein wirklich nützliches Ranking der PVS-Anbieter zu stellen. Für die Praxen – aber auch den Markt – wäre solch ein ‚Warentest‘ sicher von Vorteil. Sofern Sie also Ihren Gedanken zur Motivation noch halten konnten, schlagen sie obendrauf noch den Mehrwert einer gut funktionierenden TI … und folgen Sie dem Aufruf, sich an der Onlineerhebung zu beteiligen.
Hier geht es zur Umfrage: (~ PraxisBarometer Digitalisierung 2024 | offene Befragung). Die Beantwortung dauert ca. 15 Minuten. Zugänglich ist die Umfrage bis zum 25. August 2024. MVZ können in dieser Ausgabe als solche auch separat erfasst worden (nachdem zuvor oft nur Praxen angesprochen wurden), teilnehmen kann neben Ärzten auch nicht-ärztliches Personal sowie mehrere Personen aus derselben Praxis/demselben MVZ.
KBV | Onlinebefragung bis 25. August geöffnet
Übersichtsseite zum PraxisBaromater Digitalisierung
KBV v. 12.08.2024
Themenseite: PVS-Zertifizierung – Die Aufgabe der KBV
Rechtsprechung zur Ärztlichen Leitung | Kasse klagt gegen KV, KV verteidigt MVZ und verliert … (vorerst)
Vorwegzunehmen ist, dass sich dieser Bericht im Kern um eine noch nicht rechtsfähige Entscheidung dreht, zu der das SG München vor Kurzem die Entscheidungsgründe veröffentlicht hat. Die beklagte KZV hat beim Bayerischen LSG jedoch bereits Revision eingelegt, ist also gewillt, den Fall weiter zu verfolgen. Es geht dabei um ein MVZ und dessen Ärztliche Leiterin, der aufgrund des Mutterschutzgesetzes ein Beschäftigungsverbot erteilt worden war. Wobei das MVZ nachträglich augenscheinlich nicht darlegen konnte, inwieweit sie trotz fehlender ärztlicher Tätigkeit den organisatorischen Obliegenheiten einer ÄL nachgekommen ist. Ein Nachfolger für die ÄL-Funktion wurde erst vier Monate nach dem Beschäftigungsverbot benannt – dies allerdings im Einklang mit der KZV, die im Verfahren bestätigte, dass das MVZ von ihr ununterbrochen zugelassen war.
Womit sofort die wesentliche Besonderheit dieses Verfahrens klar wird: Der ungewöhnliche Umstand, dass nämlich die KZV als Verteidigerin des MVZ auftritt und sich gegen den Vorwurf der Krankenkasse wehrt, diesem zu Unrecht Honorar ausgezahlt zu haben. Zwischen Abberufung der ÄL und Neubestellung des Nachfolgers lag nach den Formalien der KZV nur ein Tag, die Kasse macht dagegen einen Zeitraum von mehreren Monaten geltend, für den es keine wirksame Ärztliche Leitung gegeben habe.
Mit Beschluss vom 29. Februar 2024 wurde dem Antrag der Kasse stattgegeben und die KZV vom Sozialgericht verpflichtet, den Honorarbescheid für das MVZ in den fraglichen Monaten zu korrigieren (~ mehr zur Entscheidung inkl. Volltext). Konkret geht es um 37 Tsd. € – d.h. im Gesamten wohl weniger um die Summe an sich, als mehr ums Prinzip. Wobei unklar ist, wie viel Momentum dieser Rechtsstreit allein aus der MVZ-unabhängigen Tatsache bezieht, dass sich hier möglicherweise einfach eine K(Z)V gegen als übergriffig empfundene rechtliche Gängeleien einer ungeliebten Kasse wehrt.
Tatsächlich gehört aber die Pflicht zum Vorhandensein einer wirksamen Ärztlichen Leitung zu den Grundpflichten eines MVZ, für die im SGB V keinerlei Karenz oder Kulanz vorgesehen ist. Und so argumentiert das SG München auch, dass das MVZ “jederzeit einen Vertreter für die zahnärztliche Leitung [hätte] bestellen können und auch müssen.” Eine Ansage, die – wie versierte MVZler und vor allem die überregional tätigen Medizinrechtler wissen – so nicht zutrifft, da zahlreiche K(Z)Ven die Bestellung von Vertretern explizit nicht vorsehen, bzw. anerkennen. Dieser Fall passt daher wie maßgeschneidert zu der vom BMVZ wiederholt vorgebrachte Forderung nach einer bundeseinheitlichen Konkretisierung der Details der Bestellung der Ärztlichen Leitung im MVZ.
Denn Fakt ist – wenn auch von vielen Funktionsträgern in ZA und KVen verdrängt – dass es kaum Einheitlichkeit im Umgang mit der ÄL-Funktion gibt. Vielmehr ist ein normativer Flickenteppich entstanden, in dem die 17 KVen starke Regionalentwicklungen vorantreiben, während gleichzeitig viele MVZ regelrecht darum kämpfen müssen, die ÄL-Funktion überhaupt besetzen zu können. Um hier Klarheit insbesondere auch für die ÄL zu schaffen, drängt der BMVZ auf besagte Vereinheitlichung der Vorschriften als wichtiges Ziel. Im Besonderen halten wir es für notwendig im SGB V klare Regeln für die Benennung von Stellvertretern, mehreren ÄL und die Vertretung eines ÄL bei kurzfristiger Abwesenheit zu schaffen. Die hier gegenständliche Entscheidung belegt einmal mehr, wie notwendig eine solche Klarstellung ist.
Da die gesetzgeberischen Mühlen aber bekanntermaßen langsam mahlen, bleibt zunächst die Frage, welche Lehren sich aus dem konkreten Fall ergeben: 1) Die nachträglichen Prüfmöglichkeiten der Kassen hinsichtlich der Honorarabrechnung sind weitreichend und werden auch genutzt. 2) Die Vorschrift zum Vorhandensein einer ÄL gilt tatsächlich uneingeschränkt und andauernd. 3) Leistungen, die vom MVZ abgerechnet werden, ohne dass eine wirksame ÄL gegeben war, können als nicht ordnungsgemäß erbracht gewertet werden, losgelöst vom Status, dass ein MVZ vertrags(zahn)ärztlich zugelassen ist.
Mal sehen was das Landessozialgericht und später ggf. das BSG zu diesem Fall sagen wird. Was das betrifft, muss allerdings mit Jahren und eher nicht mit Monaten gerechnet werden.
18. BMVZ PRAKTIKERKONGRESS am 20.09.2024
Vortrag Hannes Hasselbach: “Risikoprävention bzgl. der Unbestimmtheit der Verantwortung der Ärztlichen Leitung im MVZ”
Vortrag Taisija Taksijan: “Vorgaben zur Ärztlichen Leitung als rechtlicher Flickenteppich (17x KV)”
Zahnmedizinische Mitteilungen v. 01.07.2024
MVZ ohne zahnärztlichen Leiter verliert Honoraranspruch
ÄrzteZeitung v. 21.06.2024
MVZ: Ohne ärztliche Leitung keine ordnungsgemäße Leistungserbringung
Bundes-Klinik-Atlas nun auch für Praxen? | Aufregung im Sommerloch
Aktuell wird eine Äußerung des Vorsitzenden der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hochgekocht. Dabei geht es um die Forderung nach einem Praxen-Atlas für Patienten. Gedanklich angelehnt ist die Idee an den Bundes-Klinik-Atlas. Inzwischen erreichte die Debatte auch die Breitenmedien. Die KBV reagierte kürzlich darauf mit einem heftigen Beißreflex, wobei Bryschs Forderung nicht neu ist. Er hatte sie schon einmal im Rahmen des 127. Deutschen Ärztetages im Mai geäußert. Aktuell wiederholte Brysch: „Mit einem derartigen Praxisatlas wäre es möglich, endlich einen vollständigen Überblick über Erreichbarkeit und Qualität der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu bekommen“. (~ ÄZ v. 05.08.2024) Zudem soll, laut Brysch, in einem beigefügten Bewertungsportal die Zufriedenheit der Patienten erfasst werden können. Die KBV wies den Vorschlag zurück. Das Konzept, garniert mit der Idee anonymer Meldeportale, sei „Populismus in Reinform“ (~ KBV). Inzwischen haben sich auch andere Verbände der Kritik der KBV angeschlossen (~ hausarzt.digital v. 08.08.2024).
Die Diskussion schwappt wohl in das quasi-Vakuum des Sommerloches. Aus der Politik war jedenfalls keine wahrnehmbare Fürsprache zu vernehmen. Der Aufwand für ein solches Portal wäre, wegen der Vielzahl und Volatilität der ambulanten Einrichtungen, vermutlich um ein Vielfaches größer als beim Bundes-Klinik-Atlas. (~ mehr zum Bundes-Klinik-Atlas im Abschnitt ‘Wichtig im Praxisalltag’) Im Zuge solcher Gedankenspiele sei jedoch eine potenzielle Entwicklung erwähnt. Sollte sich der existierende Bundes-Klinik-Atlas in der breiten Öffentlichkeit bewähren, könnte er auch als werbeträchtige Plattform für all jene sektorübergreifenden Einrichtungen dienen, die dann im Klinik-Atlas aufgeführt werden, und die ambulante Eingriffe durchführen. Dies hätte möglicherweise Einfluss auf den Wettbewerb. Ganz deutlich: Es handelt sich dabei nur um Spekulation! Inwieweit sich aus Transparenzmaßnahmen ein Mehrwert für die jeweiligen Stakeholder ableiten lässt, hängt von vielen Faktoren ab. Eine vollständige Verweigerung gegen Transparenzmaßnahmen ist aber ohnehin schwierig, denn für die Politik sind nahezu alle Initiativen mit dem Zauberwort ‚Transparenz‘ publikumswirksam und attraktiv, zumindest wenn es um Dritte geht.
ÄrzteZeitung v. 09.08.2024
Glosse – Die Duftmarke: Atlaswahnsinn
heise.de v. 06.08.2024
Patientenschützer fordern Transparenzportal für Arztpraxen, Ärzte wehren sich
Ärzteblatt v. 05.08.2024
Patientenschützer wollen nach Klinikatlas auch Portal zu Qualität von Arztpraxen
Krawall am Praxistresen Akt: 2 | Gesetzesänderung und Beispiel zur Selbsthilfe
Aufgrund der anhaltenden Gewaltbereitschaft gegenüber Einsatzkräften und zuletzt auch vermehrt auf Politiker, soll das Gesetz verschärft werden. Der vom Bundesjustizministerium (BMJ) eingebrachte Referentenentwurf soll Übergriffe auf diejenigen schärfer ahnden, die dem Gemeinwohl dienen. Die Formulierung der betreffenden Berufsgruppen listet neben Polizisten, Feuerwehrleuten, Journalisten auch Ärzte mit auf. (~ S. 13 R-Entwurf) Die Aufzählung ist ausdrücklich nicht vollständig, was vermuten lässt, dass auch MFA am Tresen unter den Schutz dieser Gesetzesverschärfung fallen könnten. Juristisch gesehen wird mit der Änderung ‚die besondere Verwerflichkeit‘ von Straftaten gegen die Funktionsträger und Berufsgruppen herausgestellt. Inwieweit diese Maßnahme, das vom BMJ gewünschte „klare Signal“ sendet, muss die Zukunft zeigen. Auch die Gewaltbereitschaft von Patienten und Angehörigen in Arztpraxen ist ein fortwährendes Problem. Wie hoch, kann heute immer noch keiner sagen, denn die Übergriffe in Praxen und MVZ werden statistisch nicht erfasst.
Die ÄrzteZeitung hatte jüngst in der Printausgabe eine Erfolgsgeschichte einer HNO-Praxis aus Baden-Württemberg aufgenommen. Nach dem Erleben einer prekären Situation mit einem aggressiven Patienten wandte sich die Ärztin an die Polizei. Diese kam in beratender Funktion in die Praxis und klärte über Sicherheitsmaßnahmen auf. Gegenstände, die als Wurfgeschosse dienen könnten, sollten außer Reichweite der Patienten aufbewahrt werden, außerdem wurde eine Live-Kamera (ohne Aufzeichnung) installiert. Zudem hat das Praxis-Personal einen Selbstverteidigung-Kurs gebucht, aus dem ein gelungenes, gemeinsames Foto mit den Trainern entstanden ist. Bei der Lektüre erschien uns solch ein Bild – vielleicht mit einem Boxsack am Bildrand – als potenziell attraktive Dekoration für den Tresenbereich. In Praxen, in denen aus Corona Zeiten noch die Scheibe installiert ist, könnte erwogen werden, diese gewissermaßen als Rowdie-Barriere umzudeuten.
In diesem Zusammenhang möchten wir unseren ursprünglichen Artikel zitieren (~ Krawall am Praxistresen v. 12.05.2023), in dem wir weitere Aspekte zum Thema beschrieben haben: Problematisch wäre ein trügerisches Sicherheitsgefühl, wenn Sicherheitsvorkehrungen und Trainings-Maßnahmen nicht mit der entsprechenden Achtsamkeitsschulung einhergehen. Das gilt im Übrigen für die Mitarbeiter – und hier passt der sprachliche Vergleich – an der Front, aber auch für die Vorgesetzten. Konzeptionelle, teambasierte Präventionsmaßnahmen, Teamgespräche, Rollenspiele, Achtsamkeitstraining und Selbstverteidigung für das Personal sind zwar nicht im EBM bedacht, dennoch scheint es erwägenswert, wie kostenintensiv die Neubesetzung von Stellen sein kann, wenn Mitarbeitende aufgrund mangelnder Unterstützung bei diesem Thema das Weite suchen.
Ohne Frage bleibt es ein Balanceakt, die wertvolle Weiterbildungszeit hier pointiert einzusetzen. Sollten sich derartige Vorfälle ereignen, ist zudem die Nachbereitung für betroffene Angestellten essenziell. Eine Studie aus dem Jahr 2020, in der die Gewalt in Pflegeberufen beobachtet wurde, zählt zahlreiche „organisatorische Probleme bei der Einrichtung eines Erstbetreuungssystems“ auf. Darunter fallen unter anderem die „mangelnde Unterstützung der Thematik durch Vorgesetzte” und eine unzureichende Strukturierung und Erreichbarkeit der Ersthilfe. Anteilig lassen sich die Erkenntnisse sicher auch auf MVZ übertragen.
Legal Tribune Online v. 05.07.2024
Änderung im Strafgesetz
ÄrzteZeitung v. 23.07.2024
Geplante Strafverschärfung bei Gewalt gegen Ärzte: Politisches Signal zur rechten Zeit
Virchow Bund v. 05.08.2019
Gewaltprävention: So gehen Sie mit aggressiven Patienten um
O-Töne zu GVSG, iMVZ + der aktuellen Gesetzgebung:
BMG-Abteilungsleiter Michael Weller + BMVZ-Geschäftsführerin Müller im Podcast
Bereits Ende Juni gab Michael Weller, Leiter der Abteilung 2 im BMG [aka ‘Gesundheitsversorgung + Krankenversicherung’] der ÄrzteZeitung ein 45minütiges Interview, bei dem die diversen strittigen und irgendwie für Herbst angekündigten Gesetzgebungsprojekte aus dem Hause Lauterbach im Mittelpunkt standen. Für all jene, die mit dem Vorgehen des BMG unter Lauterbach vertraut sind, kommt dabei wenig Überraschendes zu Tage. Allerdings dienen Wellers Ausführungen als gute Aufklärung über das gesetzgeberische Verfahren und zu den speziellen Taktiken des Ministers. Grund genug, in Kurzform einige Inhalte zu beleuchten.
Zwei der relevantesten Kernaussagen von Wellers Ausführungen sind:
1) ‚Alles hängt mit allem zusammen.‘ Gemeint sind die verschiedenen Gesetzesvorhaben. Auf der stationären Seite das KHVVG in enger Verbindung mit der Notfallreform, etc. und ambulant natürlich das GVSG. Wir hatten auf diese Interkonnektivität schon des Öfteren hingewiesen. Es gilt also, dass zumindest auf dem Reißbrett vom BMG der ganz große Coup geplant ist. 2) ‚Es liegt ganz bei den Parlamentariern welche Punkte noch in das GVSG aufgenommen werden.‘ Und ja, damit gemeint ist u.a. eine mögliche MVZ Regulierung. Aber auch vieles mehr.
Ein kurzer Blick zurück:
Das GVSG war ursprünglich als komplexes Zusammenspiel aus ganz neuen Versorgungsebenen (Gesundheitskioske, Gesundheitsregionen, Primärversorgungszentren) und zahlreichen Anpassungen im Status Quo der vertragsärztlichen Versorgung geplant. Gleichzeitig sollte mit ihm eine strenge MVZ-Regulierung implementiert werden. Bekannterweise wurde dem Kabinett aber eine stark gekürzte Version – ohne MVZ-Regulierung und ohne die versorgungspolitischen Herzensprojekte des Ministers zum Beschluss vorgelegt. Diese Elemente gelten seitdem als ‚Used, but still good – bereit zur Wiederverwendung.‘ Weller beschreibt diesen Schritt der Verschlankung des GVSG als notwendig, um das Gesetz überhaupt durch das Kabinett und in den Bundestag zu bekommen. In derselben Podcast-Reihe hatte die BMVZ-Geschäftsführerin drei Wochen zuvor bereits zu diesem Vorgang Stellung bezogen und auf die kritische Position insbesondere der FDP verwiesen. Die Verschlankung war also aus reiner Notwendigkeit heraus geboren, die den Minister vermutlich in Missmut zurückließ und u.a. zu der trotzigen Worteskapade führte: „Sie [die ‚iMVZ‘] werden zum Schluss verboten werden.“ (~ Reaktion des BMVZ auf die BMG-Pressekonferenz v. 22. Mai 2024)
Und nun? Im gesetzgeberischen Verfahren bestimmen fortan die Parlamentarier über den Inhalt. Im Gespräch macht Weller auf deren gestalterische Möglichkeiten aufmerksam: „und dann wird man sehen, ob eine Regierungsfraktion Bedarf hat […] Themen wieder auf die Agenda zu heben und darüber hinaus auch weitere Themen.“ Praktisch heißt das: Neben den klassischen Änderungsanträgen, die im Herbst zu erwarten sind, können die Fraktionen mit sogenannten Prüfbitten das BMG um Stellungnahmen und Formulierungshilfen bitten, um gewünschte Inhalte in das Gesetz hineinzunehmen. Dieses Prozedere läuft bereits aktuell hinter verschlossenen Türen. ABER: Wenn Lauterbach im Kabinett keine Mehrheit bei den Koalitionspartnern bekommen konnte und darum sein Vorhaben verschlankte, mit welcher Motivation geht er dann davon aus, eine Mehrheit im Bundestag zu bekommen? Das ist quasi die Gretchenfrage zum GVSG, die auch erfahrene Politikbeobachter nicht hinreichend beantworten können.
Was bedeutet das für die MVZ?
Ursprünglich sollte eine Regulierung im ‚Versorgungsgesetz II‘ unterkommen. Die Zeit für solch ein Gesetz wird in dieser Legislaturperiode allerdings sehr knapp. Das gesteht Weller selbst ein, allerdings lässt er sodann einen bemerkenswerten Satz fallen. In Bezug auf die Aussagen Lauterbachs zu den iMVZ und deren Einschränkung sagt er: „Wenn so eine Prüfbitte käme, von einer der Regierungsfraktionen, dann könnte das so aussehen […] oder wird so aussehen, wie der Minister sich bisher immer geäußert hat“. [ ~ zum Nachhören: Minute 17:07] Die BMVZ-Geschäftsführerin Müller hatte ihrerseits jedoch gerade erst wieder ausführlich auf die vielen Hürden für die angekündigte Regulierung – sowie auch auf konstruktive Regelungsalternativen hingewiesen (~ Was passiert eigentlich, wenn iMVZ wirklich verboten werden, Frau Müller?).
Insgesamt ist der Hörer nach den 45 Minuten mit Michael Weller nicht wirklich schlauer, zumal das BMG inhaltlich im Gesetzgebungsprozess nicht mehr am Zug ist. Dennoch bietet der ausführliche Kommentar des hochrangigen Abteilungsleiters einen aufschlussreichen Schlüssellochblick in das strategische Denken des BMG. So macht Weller eine weitere Sache noch deutlich: „Was klar ist: Es geht darum einen über 300 Milliarden Markt […] zu gestalten. Da sind immense Kräfte die da wirken.“ [Minute 29:36] Hier ist herauszuhören – was Lauterbach selbst auch mehrfach genau so bereits beim Namen genannt hat – dass man sich im BMG entschieden hat, Ablenkungen durch diese ‘wirkmächtigen Kräfte’ (gemeinhin Lobbygruppen genannt) nicht nachzugeben. Diese Strategie des BMG zwingt die Interessenvertretungen, ihrerseits umzudenken. Seit geraumer Zeit gebraucht der BMVZ deshalb den Satz: ‚Wer andere mit ins Boot holen will, muss Ihnen auch eines anbieten.‘ Und so sind wir konsequent bemüht, Lösungsansätze zu präsentieren, die sich gleichermaßen am Koalitionsvertrag und dem realistisch Machbaren orientieren. Ausführlich sind die Positionen selbstredend auf der Webseite des BMVZ lesen. Auf der Tonspur hatte Susanne Müller die aktuellen Kernthemen im besagten Podcast pointiert zusammengefasst.
Podcast d. ÄrzteZeitung v. 25.06.2024
ÄrzteTAG: Klimasensible Beratung, iMVZ, Kioske: Welche Ideen schaffen es noch ins GVSG, Herr Weller?
Podcast d. ÄrzteZeitung v. 04.06.2024
ÄrzteTAG: Was passiert eigentlich, wenn iMVZ wirklich verboten werden, Frau Müller?
MFA-Azubis der Generation Z | Mitarbeiterwerbung in neuen Welten
In allen Branchen ist der Mangel an geeigneten Bewerbern zum Beginn des Ausbildungsjahres zu spüren. Der Ausbildungsmarkt hat sich gedreht, und wer sich nicht aktiv um Nachwuchskräfte bemüht, hat schlicht das Nachsehen. Doch welche Form sollten diese Bemühungen annehmen? Vor dem Beginn des Ausbildungsjahres weisen wir auf aktuelle Initiativen und Wissenswertes zur Anwerbung von MFA-Azubis hin. Nach wie vor ist die Werbemaßnahme „von Beruf wichtig.de“ online. Es handelt sich um eine Webseite, die in Kooperation von KBV und BÄK betrieben wird und im – gerade noch – modernen Chic daherkommt. (~ „von Beruf Wichtig.de“) Die Seite bietet im Stil von Social-Media kurze Einblicke in die Ausbildung und den Beruf, samt eines ‚Eignungstestes‘ für Azubis in spe. Für den Praxisalltag mag es unter Umständen relevant sein, interessierte Jugendliche auf diese Webseite zu verweisen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Ohne Zweifel ist es jedoch relevant, dass die Ausbildungsverantwortlichen auch einmal selbst über die Webseite surfen, um sich einen Eindruck zu verschaffen, wie der Beruf dort dargestellt wird und welche Erwartungen dadurch vielleicht geweckt werden. Außerdem beinhaltet die Webseite explizit einen Bereich, der die Ausbildungsbetriebe selbst adressiert (~ direkt zu). Als Ergänzungslektüre empfiehlt sich die Darstellung des Virchowbundes (~ direkt zu), in welcher weiterführend auch aktuelle Musterausbildungsverträge verlinkt sind.
‚Reels‘ sind der neue Schrei.
Als Werbeträger für die eigene Praxis können ganz klassisch Poster, Info-Zettel oder gar Flyer dienen. Auch die Verwendung von QR-Codes als günstige und flexible Alternative sind inzwischen kein Hexenwerk mehr. Der aktuelle Trend in der Personalgewinnung könnte allerdings zur Herausforderung werden. Reels sind kurze Videos von etwa 90 Sekunden, die vertikal mit dem Smartphone aufgenommen werden. Ursprünglich für Instagram entwickelt, haben inzwischen auch andere Plattformen, wie YouTube nachgezogen. Laut der Fachpresse und Unternehmensberatungen ist das der Zugang zu den Sinnen der Generation Z. Auch wer selbst keine Reels anschaut, hat das Konsumverhalten bei Teenagern sicher schon einmal gesehen. Um deren Aufmerksamkeit zu bekommen, empfehlen die Experten authentisches Storytelling. Beispielsweise eine MFA, die bereits im MVZ arbeitet, und in kurzen Clips über ihren Alltag berichtet.
Ein wesentlicher Nachteil: Der ‚Feed‘, also der Kanal, ist äußerst hungrig und muss engmaschig und konstant gefüttert werden – die englische Übersetzung ist also wörtlich zu nehmen. Hintergrund sind zum einen die Algorithmen der Social-Media-Plattformen, aber auch die der Nutzer-Gehirne. Eine Verteilung der Verantwortung im Team wäre also erwägenswert. Große kooperative Strukturen sind somit eher in der Lage, solche Projekte mit mehreren Verantwortlichen dauerhaft erfolgreich zu realisieren. Zu bedenken sind darüber hinaus die datenschutzrechtlichen Aspekte (z.B. Patientinnen oder Fallakten im Hintergrund) und die personal- und urheberrechtlichen Erwägungen. Voraussetzung ist ein Konzept für die Nutzung der Arbeitszeit für Planung und Aufnahme der Reels sowie ein Rahmen für die Weisungs- und Nutzungsrechte durch den Arbeitgeber.
Im Übrigen kann die Vergabe von wirksamer Verantwortung im Unternehmen zur Mitarbeiterbindung beitragen. Am Rande sei an dieser Stelle erwähnt, dass aus den Worst-Practice-Beispielen in der Literatur ersichtlich ist, dass viele dieser Kompetenzübertragungen am mangelnden Commitment der Vorgesetzten scheitern, die Mitarbeiter innerhalb der ihnen übertragenen Kompetenzen auch walten zu lassen. Um im Management-Slang zu bleiben, benötigt es für solche Prozesse ein vorangestelltes, dem gemeinsamen Ziel dienendes ‚Self-Commitment‘ der Führungsebene.
ÄrzteZeitung v. 29.07.2024
Mit Reels können MFA per Smartphone auf Azubi-Akquise gehen
Ärzteblatt v. 26.07.2024
Personalbindung: Mit guter Führung die Zukunft gestalten
Ärzteblatt v. 06.01.2024
Wie Social Media die Hirnentwicklung beeinflusst