Hausarztvermittlungsfall | Nachrichtensplitter zu Auffälligkeitsgrenze, HZV-Patienten & Missbrauchspotential
Viereinhalb Monate leben und arbeiten die deutschen Praxen und MVZ inzwischen mit dem (verbesserten!?) Hausarztvermittlungsfall. Umso mehr steigt die Spannung auf die ersten Honorarbescheide, die jetzt nach und nach verschickt werden dürften. Noch war diesbezüglich kein Aufschrei zu hören. Allerdings kommen fachübergreifende MVZ ja bekanntermaßen – jedenfalls intern – ohnehin nicht in den ‚Genuss‘ der neuen Aufschläge (~ Mehr Bewusstsein für Leistungen der MVZ) – umso honorarrelevanter dürfte daher die Frage sein, wie gut (oder schlecht) die seit Januar neue Honoraroption praxisindividuell den Wegfall der Neupatientenregelung tatsächlich zu kompensieren vermag.
Solange wir uns diesbezüglich in Geduld üben, verweist die ärztliche Tagespresse auf ein anderes Problem. In der Prüfvereinbarung, die Kassen und KBV gemäß SGB V verpflichtend vereinbaren, ist noch aus den ‚alten Tagen der TSVG-Fälle‘ festgehallten, dass 15 % HA-Vermittlungsfälle als Auffälligkeit gelten. Zwar hatten sich KBV und GKV-Spitzenverband darauf verständigt, die Abrechnungsprüfungs-Richtlinien bis spätestens zum 31. März 2023 auf Anpassungsbedarf zu überprüfen – erfolgt ist jedoch bisher nichts. Maßstab ist die Häufigkeit der Ansetzung von GOP 03008 und 04008. D.h. besonders vermittlungsfreudigen Hausärzten, die mehr 15 % ihrer Patienten mit dringenden Facharztterminen versorgen, kann hier von Amts wegen eine auf diese patientenfreundliche Serviceleistung bezogene Wirtschaftlichkeitsprüfung ins Haus stehen. Allerdings erklärt der änd-Abrechnungsexperte Zimmermann: „Ein Regress wäre auf dieser Grundlage juristisch nur haltbar, wenn dem Arzt/der Ärztin nachgewiesen werden könnte, dass er/sie Terminvereinbarungen für „Wunschüberweisungen“ getätigt und abgerechnet hätte, die es nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot im § 12 SGB V aber überhaupt nicht geben darf.“
Eine Anmerkung, die auf ein weiteres Phänomen im Kontext der Neuregelung verweist. Fast alle KVen und Experten gehen davon aus, dass Haus- wie Fachärzte mit der neuen Service-Option ‚Ausweitung‘ zum eigenen Vorteil betreiben. Anders kann man es u.E. jedenfalls nicht werten, dass fast alle KVen teils recht drastische Warnungen an ihre Mitglieder ausgegeben haben, dass die HA-Vermittlung keinesfalls eine Leistung auf Wunsch der Patienten oder von Facharztkollegen sein dürfe. Die KV Thüringen erklärt etwa: „Ein Vertragsarzt darf eine vertragsärztliche Behandlung nur in absoluten Ausnahmefällen ablehnen.“ Also nicht etwa, weil der Patient selbständig den Termin vereinbaren will oder gar ohne kommt. Weiter heißt es: „Eine Ablehnung aus rein wirtschaftlichen bzw. finanziellen Gründen ist unzulässig. Werden Patienten trotz bestehender Kapazitäten abgewiesen, kann dies eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten begründen, die abhängig von der Schwere disziplinarisch geahndet werden kann.“ (~ Quelle | im PDF Frage 10) Die unten verlinkte Aufklärungsseite der Hamburger KV verweist klar darauf, dass es „unzulässig [sei], Patienten mit herkömmlicher Überweisung oder ohne Überweisung zurück zum Haus- oder Kinderarzt zu schicken, um einen Hausarztvermittlungsfall anzufordern.“ Und, dass es „im Rahmen der offenen Sprechstunde […] grundsätzlich ausgeschlossen [ist], eine Behandlung zwingend an einen Überweisungsschein zu knüpfen.“ Die KV stellt den Hausärzten zusätzlich ein Formularvordruck zur Verfügung, mit dem diese sich gegen unangemessene Nachfragen, bzw. Patientenrückschickungen seitens der Fachärzte wehren können: Formular der KVHH – Dringender Hausarztvermittlungsfall. Über ähnliche Meldungen anderer KVen hatten wir bereits berichtet – Vgl. KW7 + KW3). Die KV Schleswig-Holstein war dabei die erste – wie hier noch mal via Medical Tribune nachlesbar: Facharzttermine: Druck und Tricks für Taler.
Apropros Taler: Eine als positiv einzustufende Klarstellung hat es unterdessen gegeben. Ende März wurde vom G-BA mit Rückwirkung zum Jahresanfang entschieden, dass auch HZV-Ärzte den Zuschlag abrechnen dürfen. Das war bis dato an der Kopplung der Zuschlagsziffern 03008 und 04008 an die Grundpauschale 03000/04000 gescheitert, die im HZV-Kontext nicht angesetzt wird. Nun gilt, dass der Zuschlag bei HZV-Patienten auch ohne die Grundleistung abgerechnet werden kann. Allerdings – und jetzt kommt der Haken – nur dann, wenn die Leistung nach GOP 03008 bzw. 04008 nicht Gegenstand des Selektivvertrags, also nicht im Versorgungsziffernkranz der Vertragspartner enthalten ist. Und wenn außerdem der Fall mit der GOP 88196 gekennzeichnet wird, damit die KV überhaupt Kenntnis vom Honoraranspruch erhält. Also doch wieder nicht ganz so einfach – zumal die erste Ausschlussbedingung tatsächlich nach Information der KV BaWü (~ Quelle) bedeutet, dass – mindestens derzeit – Patienten der AOK, der bkk Bosch und der bkk VAG herausfallen. Also gilt: Honorarzuschlag für HZV-Patienten? Ja. Aber eben nicht in allen Fällen.
Ärztenachrichtendienst v. 29.04.2023
Hausarztvermittlungsfälle – ein „Drama“ in zwei Akten
KV Bremen v. 18.04.2023
Terminvermittlung durch Hausärzte: Zuschläge auch für Patienten in Hausarztverträgen
KV Hamburg v. 30.03.2023
Klarstellung zu Hausarztvermittlungsfall und TSS-Fällen
Hinweisgeberschutzgesetz vor Inkrafttreten | Änderungen schwächen Aufwand etwas ab – Umsetzung bleibt für viele MVZ aber relevante Aufgabe
Bereits im Februar hatten wir eine ausführliche Orientierungshilfe zum Hinweisgeberschutzgesetz veröffentlicht, mit dem Vermerk, dass das Gesetz noch eine Runde durch den Vermittlungsausschuss ‚drehen‘ müsse (~ Whistleblowergesetz: Eine Orientierungshilfe des BMVZ). Diese ist nun erfolgreich abgeschlossen: Am Freitag, den 12. Mai, hat das Gesetz den Bundesrat passiert. Der veränderte Entwurf soll auch schon in der aktuellen KW20 im Bundestag besprochen werden. Damit wird nach aller Voraussicht das Gesetz bereits im Juni 2023 in Kraft treten. Für Firmen ab 250 Beschäftigten gilt eine verpflichtende Umsetzung binnen eines Monates nach Inkrafttreten. Für Firmen von 50 bis 249 Beschäftigten bleibt der 17. Dezember als Stichtag.
Im Vermittlungsausschuss ist die vonseiten der Arbeitgeberverbände kritisierte Pflicht, anonymisierte Meldemöglichkeiten innerhalb des Betriebes zu schaffen, deutlich abgeschwächt worden. Was verbleibt, ist die Verpflichtung, auch anonym eingegangene Meldungen zu bearbeiten. Außerdem wurden im Vermittlungsausschuss die Strafen bei Verstößen reduziert. Ferner wurde die Aufbewahrungsfrist der Dokumente verlängert, um hier auch die Anforderungen der anderen Rechtsvorschriften zu erfüllen. Schlussendlich wurde noch ein Kompromiss im Vermittlungsausschuss erzielt, der eine wichtige Klarstellung beinhaltet. Demnach sind Verstöße nur dann durch das Hinweisgeberschutzgesetz erfasst, wenn sie den Arbeitgeber oder eine andere Stelle betreffen, mit der die den Hinweis gebende Person beruflich in Kontakt steht oder stand.
Kritisch bleibt eine Rechtsunsicherheit, die darin besteht, dass nach EU-Recht Unternehmen ab 250 Beschäftigten ein eigenes Meldestellensystem bräuchten. In der deutschen Fassung des Gesetzes würde jedoch ein zentrales System im Konzern ausreichen. Ebenso gibt es keine eineindeutige Schilderung, wie – im Sinne des Gesetzes – die Beschäftigten gezählt werden sollen. Zwar findet sich in § 3 Abs. 8 eine Definition, wer zu den Beschäftigten zählt, aber ein konkreter Verweis auf bereits geltende Zählverfahren in anderen Gesetzen findet sich auch in der Gesetzesbegründung nicht. Bei der Recherche stößt man auf unterschiedlich hilfreiche Ausführungen. Ohne Gewähr sei ein Auszug von der Webseite der Beratungs-Firma „Cortina Consult“ zitiert: „Im Sinne dieses Gesetzes zählen alle intern Beschäftigten zu den Mitarbeiter:innen des Unternehmens – also auch geringfügig Beschäftigte, Praktikanten, Auszubildende, arbeitnehmerähnliche Beschäftigte, Teilzeitkräfte unabhängig von ihrer Stundenzahl und Geschäftsführer. Bei Konzernen, Filialbetrieben und Betrieben mit mehreren Standorten dürften die Mitarbeiter:innenzahlen zusammenzurechnen sein.“ (~ Quelle). Einen Einblick, wie man es machen könnte, bietet Haufe.de per Interview mit der HR-Leiterin der Börlind GmbH, die als eines der ersten deutschen Unternehmen ein digitales Hinweisgebersystem eingerichtet haben.
Im Grunde bleibt es trotz dieser Detailanpassungen bei unseren früheren Einschätzungen bezüglich Dringlichkeit und Aufwand. Die IHK Stuttgart hat auf ihrer Webseite eine Checkliste für die Implementierung zur Verfügung gestellt, anhand derer die ersten wichtigen Schritte ‚abgearbeitet‘ werden können (~ IHK Stuttgart | letzter Punkt). Wahrscheinlich wird das Thema spätestens im Juli noch stärker in den Fokus rücken, wenn mehr Erfahrungsberichte der größeren Unternehmen aus der Medizinbranche praxistaugliche Tipps generieren.
Bundesrat v. 12.05.2023
Sitzungsbericht – TOP 59 ‚Whistleblower-Schutz‘
Legal Tribune Online v. 10.05.2023
Whistleblower-Gesetz könnte noch Mitte Juni kommen
Bundesverband MVZ v. 15.02.2023
Hinweisgeberschutzgesetz: Aktuelle Managementaufgabe auch für MVZ – trotz Schonfrist
Bisherige Erfahrungen zum eRezept | Potenziale und Perspektiven
Nach wie vor gibt es viele Unsicherheiten rund um die Einführung des e-Rezeptes und die Auswirkungen auf den Praxisalltag. In unserer Praxis.Kompakt-Ausgabe der KW13 sind wir auf die Zeithorizonte für die geplante Umsetzung das eRezeptes (Januar 2024) und der elektronischen Patientenakte (Januar 2025) eingegangen. Ferner haben wir auf den Umfang der geplanten Reformen verwiesen (~ zum Artikel: Digitalstrategie des BMG). Quasi als Addendum ist die nachfolgende Zusammenfassung einer ‚Wortmeldung‘ des Geschäftsbereichsleiters IT & E-Health der KVWL zu verstehen. Dieser hatte im Podcast der ÄrzteZeitung Ende April die Planungen der KVWL zum Thema e-Rezept erörtert.
Zur Erinnerung: Die KVWL ist eine der Regionen, die am eRezept Rollout partizipier(t)en. An dem Einführungsversuch waren rund 250 Praxen beteiligt. Allerdings war nach dem Start im September 2021, dann etwas mehr als ein Jahr später, schon wieder Schluss. So zumindest der wahrgenommene Tenor. Denn zwar hatte die KVWL am 3.11.2022 das vorzeitige Pausieren des Rollout-Prozesses bekannt gegeben, allerdings führten zahlreiche Praxen die Erprobung weiter durch. Nur die zusätzliche Akquise wurde eingestellt. Der Auslöser war – bekanntermaßen – die Kritik am gewählten Rezeptübermittlungsweg durch den Bundesdatenschutzbeauftragten.
Zusammengefasst dreht sich das unten verlinkte Interview um die Erfahrungen der im Prozess verbliebenen Praxen und um die Aussicht, das Rollout-Verfahren wiederaufzunehmen. Zum ersten Punkt gibt der IT-Beauftragte an, dass viele Praxen durchaus gute Erfahrungen gemacht hätten. Für eine Fortsetzung des Rollout-Prozesses nennt er als Voraussetzung, dass der elektronische Übertragungsweg soweit sichergestellt sein müsse, dass die Apothekenverwaltungssysteme eine Patientenidentifikation über das Einstecken der e-GK ermöglichen. Mit der Wiederaufnahme, voraussichtlich im dritten oder vierten Quartal dieses Jahres, werde dann zunächst begutachtet, ob der „Reifegrad der Praxisverwaltungssysteme“ ausreichend sei. Allerdings weist KV-Mann Scholz auch darauf hin, dass keineswegs eine komplette Umstellung weg vom Muster 16 geplant sei. Vielmehr soll eine „Parallelität der Wege“ gewährleistet bleiben. Zum einen für Patienten, die auf das Papier bestehen, zum anderen als Ausfallsicherheit, falls die TI nicht funktioniert.
Ob der Januar 2024 als Termin gehalten werden kann, um das eRezept dann tatsächlich abschließend einzuführen, kann zurzeit wahrscheinlich niemand bindend äußern. Abschließend gefragt zur Einführung der ePA, teilt Herr Scholz im weitesten Sinne die Ansicht der Geschäftsführerin des BMVZ, Susanne Müller, die bereits im Januar den zeitlichen Zielvorgaben in einem Interview mit Skepsis begegnet ist (~ zum Podcast #EinBlick Nr. 161 v. 25.01.2023). Es bleibt dahingehend abzuwarten, wie die KVWL – aber auch die anderen KVen – bei der Wiederaufnahme des Rollout-Prozesses das Erwartungsmanagement mitgestalten, um berechtigte Zweifel von Seiten der Praxen nicht in Widerstand umschlagen zu lassen.
Wie sich bei all dem die Patienten-Kommunikation gestaltet, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn Scholz macht im Ärzte-Podcast klar, dass es nicht das Ziel sein kann, die Aufklärung über die diversen Digitalisierungswerkzeuge am Praxistresen abzuwickeln. Allerdings hatte ausgerechnet die BMG-Digitalisierungschefin Ozegowski auf der DMEA konstatiert, dass sie gerade die Kassen und Ärzte in der Verantwortung sieht: „Wir versuchen sehr stark über die Ärzteschaft zu informieren. Auch die KBV ist in der Pflicht zu informieren. Ich hoffe, dass das Verfahren sich selbst erklärt, weil es so einfach ist“ (~ Quelle). In Ccnclusio haben die bisherigen Erfahrungen der KVWL also durchaus Potenziale des eRezeptes aufgezeigt, die auch genutzt werden. Ab dem dritten, respektive vierten Quartal 2023, wird es aber auch um die Erprobung einer entsprechenden Kommunikationsstrategie gehen müssen, sowohl gegenüber der Ärzteschaft als auch gegenüber den Patienten.
Apotheke Adhoc v. 03.05.2023
Digitalisierung: Apotheken sehen Chancen und haben Nachholbedarf
Podcast der ÄrzteZeitung v. 26.04.2023
E-Rezept-Test bis Anfang 2024 – reicht die Zeit, Jakob Scholz?
Erhebung | Einer von elf Vertragsärzten hatte bereits Kontakt mit einem MVZ-Investor
Regelmäßig erhebt die Hamburger Stiftung Gesundheit Daten zum Medizinklima als Indikator für die wirtschaftliche Zuversicht in der ambulanten Versorgung (~ zum aktuellen Klima-Index). Sonderthema im ersten Quartal 2023 war dabei die Frage, ob Ärzte schon einmal ein Angebot zum Praxiskauf erhalten haben und wie ihre Reaktion darauf ausgefallen sei. Die zugehörige Pressemeldung wurde mit: „Praxisübernahmen durch Investoren: Ein Drittel der Ärzte wäre interessiert – wenn die Bedingungen stimmen“ überschrieben (~ zur Meldung mit allen Ergebnissen). Spannend ist hierbei vor allem die darauf folgende Rezeption.
Während die Stiftung die Haltung der Ärzte zu den Übernahmen in den Mittelpunkt stellt (‚Ein Drittel wäre interessiert‘), folgt die Darstellung in der ärztlichen Presse dem üblichen Muster, die Kollegen als passive Leidtragende der Investoren darzustellen, denn, ‚jeder neunte Arzt hat bereits ein Angebot von einem Investor vorliegen‘ – wie die Zahnärztlichen Mitteilungen titeln. Oder, wie die Hausärzte es formulieren: MVZ-Investoren: ‚Jede achte Hausarztpraxis hat Angebot erhalten.‘ Alle drei Aussagen sind richtig – gleichzeitig spiegelt die gegensätzliche Perspektive auf die mitschwingende Frage, ob die Ärzte in dem Prozess eine aktive Rolle einnehmen oder quasi passiv bis wehrlos den Investoren mit ihren Angeboten gegenüberstehen, die ganze Ambivalenz der aktuellen MVZ-Debatte wider. Denn, wie der BMVZ-Vorstandsvorsitzende Velling schon im Dezember erklärte: „Es sind die Ärzte selbst, die die Verbreitung von MVZ befeuern“ (~ ÄrzteZeitung v. 27.12.2022) – dies wird von den Ärzteinstitutionen nur allzu gern ignoriert.
Aber zurück zur Erhebung: In der ersten Märzwoche waren 10.000 Ärzte befragt worden, von denen knapp 1.700 per Onlinefragebogen geantwortet hatten. Gestellt wurden zwei Fragen: 1) Haben Sie schon einmal ein Angebot für die Übernahme von einem Investor erhalten? – wobei es augenscheinlich jedem Teilnehmer selbst überlassen war, zu entscheiden, wie der Begriff ‚Investor‘ zu verstehen sei. Und 2) Wie haben Sie auf das Angebot reagiert?, bzw. Falls Sie ein Angebot bekommen würden: Käme dies prinzipiell für Sie in Frage? Bei den Ärzt:innen, die noch kein Angebot erhalten haben, gaben fast 40 Prozent an, prinzipiell interessiert zu sein – vorausgesetzt, die Konditionen stimmten. Von den 94 Befragungsteilnehmern, die bereits Kontakt mit Investoren hatten, erklärten 34 % grundsätzliche Bereitschaft zu verkaufen, bzw. 8,5 % haben dies bereits getan. Weiter aufgesplittet zeigt sich, dass Fachärzte häufiger von Investoren kontaktiert wurden, als Hausärzte, und die wiederum häufiger als psychologische Psychotherapeuten. Die Zahnärzte sortieren sich hier zwischen den Fach- und Hausärzten ein. Damit unterfüttert die Studie die ohnehin klar sichtbaren Trends, dass im Fokus der Marktveränderungen am stärksten die Zahnärzte sowie Fachärzte stehen.
Letztlich ist der Aussagewert der vorgelegten Zahlen jedoch begrenzt. Sie bestätigen allerdings die bestehende Strukturdynamik in der ambulanten Versorgung und lässt eine Umkehrung des Trends, dass Ärzte zunehmend in die Anstellung gehen, bzw. die persönliche Inhaberschaft einer Arztpraxis nicht länger für den Goldstandard halten, sehr unwahrscheinlich erscheinen. In ihrem Kommentar betont die Stiftung Gesundheit, dass Finanzinvestoren ebenso wenig „Heilsbringer“ seien wie Praxen in Privatbesitz Garanten für Leistung und Qualität. Und: Finde sich kein Nachfolger, sei der Verkauf für die Patienten möglicherweise besser als eine Schließung. Wünschenswert seien „lokale, unabhängige und vom Patienten her gedachte Formen der Medizin,“ um neue Versorgungsformen zu entwickeln, „mit oder ohne Investoren.“
Zahnärztliche Mitteilung v. 01.05.2023
Jeder neunte Arzt hat bereits ein Angebot von einem Investor vorliegen
Hausarzt.Digital v. 14.04.2023
MVZ-Investoren: Jede achte Hausarztpraxis hat Angebot erhalten
Stiftung Gesundheit v. 28.02.2023
Analyse zur ambulanten Versorgung: Der Trend geht zum Angestelltenverhältnis
Bundesländer zu MVZ | Entschließungsantrag fordert (erneut) MVZ-Regulierung
Am 12. Mai hat der Bundesrat getagt und seine – berühmt ellenlange und themenvielfältige – Tagesordnung abgearbeitet. TOP 60 trug die Überschrift: Entschließung des Bundesrates „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes.“ Damit haben die Länder Bayern, Rheinland-Pfalz & Schleswig-Holstein zügig umgesetzt, was die Gesundheitsministerkonferenz von Ende März bereits vorgesehen hatte (~ Bericht der KW13: ‚Die GMK im Wiederholungsmodus | Länderminister fordern strenge MVZ-Regulierung‘). Inhaltlich ist – trotz des aktuellen Bundesratsbeschlusses – unserem dazu vor sechs Wochen veröffentlichtem Fazit nichts hinzuzufügen:
„Die GMK hat einen weiteren Stein auf dem politischen Spielfeld gezielt bewegt, um Zugzwang zu erzeugen. Bleibt man in der Metapher des Spiels, könnte man aber dennoch konstatieren: Die Figuren befinden sich nach wie vor in der Phase der Spieleröffnung und strategischen Aufstellung. Aussagen über Dauer des ‚Spiels‘ und darüber, ob am Ende jemand (z.B. Investoren als Träger) Matt gehen oder ein Remis stehen wird – lassen sich derzeit nach wie vor nicht valide ableiten. Insbesondere besteht kein Anlass anzunehmen, dass die Ländervorschläge eine 1 zu 1 Umsetzung erfahren. Wirklich lesen müssen die Eckpunkte daher nur die Akteure des gesundheitspolitischen Berlins. Für die Praktiker in den MVZ vor Ort entfaltet der aktuelle GMK-Beschluss keinerlei konkrete Relevanz.“
Nach einer Rede der Kieler Gesundheitsministerin Prof. von der Decken (~ zum Nachhören) wurde der Entschließungsantrag an den zuständigen Gesundheitsausschuss überwiesen, der am 31. Mai wieder zusammenkommt. D.h. der Antrag dreht jetzt die nächste Runde im Bundesrat. Natürlich macht es einen Unterschied, ob ein Thema – wie bisher – ausschließlich auf der Fachebene der Gesundheitsministerkonferenz behandelt wurde, oder eben im Plenum des Bundesrates. Entsprechend war der Antrag auch nicht vom Münchner Minister Holetschek, sondern direkt von Markus Söder unterzeichnet. Dennoch verweisen wir auf das obige Fazit. Dies scheint umso valider, als inzwischen seitens des Bundesgesundheitsministerium ein neuer Zeitplan vorgelegt wurde, in dem das Versorgungsgesetz II – so der Arbeitstitel des Gesetzes, mit dem u.a. die MVZ reguliert werden sollen – in das dritte Quartal 2023 geschoben wurde.
Aber ja: Die Frage der MVZ-Regulierung bleibt eine Glaskugel, bei der es wirkliche Garantien, was, wann und wie kommen wird, derzeit nicht gibt. Die Länder wünschen sich jedenfalls ausweislich des aktuellen Entschließungsantrages, sowohl regionale als auch anteilsmäßige Beschränkungen für MVZ-Träger. Und außerdem die Abschaffung der Option nach § 103 Absatz 4a SGB V, dass Vertragsärzt:innen ihren Sitz in MVZ ohne Ausschreibung einbringen können. (Ein Abschaffung der analogen Option für Praxen und BAG – § 103 4b SGB V – sucht man im Übrigen in dem Entwurf vergeblich.) Im Weiteren wird ein besonderer Abberufungsschutz für Ärztliche Leiter gefordert und natürlich ausführlicher Schilder- und Registerpflichten beschworen. Gefordert wird nicht zuletzt, dass „Disziplinarmaßnahmen künftig auch gegen MVZ verhängt werden können und nicht nur gegen Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen.“ Hierfür soll das SGB V umständlich angepasst werden. Zielführender wäre aus unserer Sicht jedoch der Weg, die MVZ gemäß ihres ohnehin bestehenden Teilnahmestatus‘ an der vertragsärztlichen Versorgung zu KV-Mitgliedern – mit allen Rechten und Pflichten – zu machen. Die Unterwerfung unter die Disziplinarhoheit der KV wäre dann sogar eine logische und richtige Folge.
Ärzteblatt v. 12.05.2023
Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein bringen MVZ-Initiative in Bundesrat ein
Bundesrat v. 10.05.2023
Drucksache 211/23 – „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes“ (PDF)
ÄrzteZeitung v. 09.05.2023, bzw. 12.05.2023
Bundesrat: Länder drängen auf MVZ-Regulation
KV Westfalen-Lippe ruft nach Gesetz gegen Investoren-MVZ
Gesetzgebung zur elektronischen Arbeitszeiterfassung | Pflicht zur analogen Erfassung gilt weiterhin ab sofort
Dieser Beitrag wurde bereits mit der Ausgabe der KW17 veröffentlicht.
Aufgrund besonderer Relevanz wird er in dieser Ausgabe erneut ausgegeben.
Beachten Sie ergänzend das Update des BMAS vom 3. Mai:
Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung
Einer der primären Wünsche der meisten Arbeitgeber bezüglich des neuen Arbeitszeitgesetzes wäre wohl, dass nicht wieder unzählige Arbeitsstunden in die gesetzeskonforme Erfassung eben jener Zeit eingehen. Für ganz kleine MVZ könnte dieser Wunsch sogar in Erfüllung gehen. Denn, der kürzlich veröffentlichte Referentenentwurf des neuen Arbeitszeitgesetzes (ArbZG-E | Volltext als PDF öffnen), sieht Ausnahmen für Kleinunternehmen vor. Doch das Wichtigste vorweg: 1) Der Entwurf bezieht sich nur auf die elektronische Erfassung. D.h. unverändert muss bereits jetzt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG v. 13.09.2022) von jedem Betrieb, also auch von Praxen und MVZ, Arbeitszeit und Überstunden für jeden Mitarbeiter gegebenenfalls analog erfasst werden – Arbeitszeiterfassung: Alles was man dazu wissen muss. 2) Dem Entwurf folgt in der Gesetzgebung nun zunächst eine Zeit, in der Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Branchenverbände ihre Stellungnahmen abgeben, woran sich wiederum die parlamentarische Beratung anschließt. Der aktuelle Stand ist also nicht mehr, als eine Aussicht auf die Vorhaben der Regierung. Wenn das Gesetz allerdings beschlossen wird, so gelten die Vorgaben zur digitalen Erfassung mit dem ersten Tag des darauffolgenden Quartals, aber auch hier mit Ausnahmen.
Kern des neuen Entwurfes ist § 16 Absatz 2, nach dem „der Arbeitgeber verpflichtet [ist], Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen.“ Die Erfassung kann auch durch Dritte oder den Arbeitnehmer selbst geschehen, allerdings verbleibt der Arbeitgeber in jedwedem Fall in der Verantwortung. Nach Arbeitsrechtsexperten entsteht durch die Fixierung auf ‚jeweils am Tag der Arbeitsleistung‘ allerdings ein Widerspruch zum geltendem Recht nach dem Mindestlohngesetz (~ Haufe v. 20.04.2023). Gemäß ebendieser Quelle klärt der Referentenentwurf auch nicht befriedigend darüber auf, was mit „Arbeitgeber“ gemeint sei. In der Begründung zum Entwurf heißt es auf Seite 15: „Der Absatz enthält eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung.“ Einen Absatz später ist jedoch von einer Kleinbetriebsklausel die Rede. Meint der Gesetzgeber nun Unternehmen oder Betriebe?
Im Übrigen sieht Haufe.de diese Kleinbetriebsklausel in Korrelation zu § 23 Absatz 1 Satz 3 KSchtG „ohne die anteilige Berücksichtigung von Teilzeitkräften.“ Bis dahingehend Klarheit herrscht, scheint es müßig, auszuloten, ob das MVZ mit x Teilzeitkräften, im Sinne des Gesetzes als Kleinbetrieb gilt. Wäre dem so, gilt die eingangs erwähnte Ausnahmeregel, nach der „ein Arbeitgeber mit bis zu zehn Arbeitnehmern die Arbeitszeit in nichtelektronischer Form aufzeichnen [dürfen soll]“ (§16 Absatz 8 Satz 3 ArbG-E). Im gleichen Absatz sind auch die abweichenden Fristen für Unternehmen ab 250 Arbeitnehmern (2 Jahre nach Inkrafttreten) und 50 Arbeitnehmern (5 Jahre nach Inkrafttreten) beschrieben. Ausnahmen gibt es zudem bei Betriebs- und Tarifvereinbarung (~ § 16 Absatz 7). Hier findet eine mögliche Erfassung binnen sieben Tagen Erwähnung, auch eine Abweichung von der elektronischen Aufzeichnung und die Ausnahme für Arbeitnehmer, „deren besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt“ werden kann. Dies ist insoweit relevant, als dass dies Aufhänger weiterer Ausnahmen werden könnte.
Haufe.de merkt dazu im Fazit an: „Eine großzügigere Herausnahme von bestimmten Arbeitnehmern auch ohne Tarifvertrag wäre wünschenswert.“ In der Tat wäre es darüber hinaus wünschenswert, dass das Ministerium die für die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung veranschlagten 450 € je Betrieb noch einmal hinterfragt und vor allem dann auch die laufenden Kosten mit einberechnet. Die im Entwurf unter Erfüllungsaufwand der Wirtschaft angegebenen Beträge, scheinen doch mehr als unrealistisch. Gerade der Medizinsektor ist bei der Einführung elektronischer Verfahren ja ein gebranntes Kind und eine halbwegs belastbare Abschätzung der finanziellen Konsequenzen wäre zumindest ‚fair‘.
Ärztenachrichtendienst v. 21.04.2023
So will die Ampel die Arbeitszeiterfassung durchsetzen
Personalwirtschaft.de v. 20.04.2023
Arbeitszeiterfassung: Details zum BMAS-Gesetzesentwurf bekannt geworden
Bundesrechtsanwaltskammer v. 24.04.2023
BMAS legt Referentenentwurf für geändertes Arbeitszeitgesetz vor
Krawall am Praxistresen | Von umherfliegende Rollatoren und stillen Alarmen
Die ÄrzteZeitung hat in einem aktuellen Beitrag gemeinsam mit einem Kriminalhauptkommissar, der Praxisteams zur Gewaltprävention berät, das wachsende Problem der schwierigen oder gar gewalttätigen Patienten in den Fokus genommen. Das Thema ist längst als ‚Mainstream‘ in allen Praxen und MVZ angekommen, allerdings gibt es nach wie vor keine verlässlichen Zahlen zum Umfang von verbalen und körperlichen Übergriffen in ambulanten Praxen. Nach einem Artikel von hausarzt.digtial vom 20. März hatte der Verband der medizinischen Fachberufe (vmf) zwar eine Studie angeregt, zu der allerdings noch keine Ergebnisse vorliegen. In dem Artikel heißt es ferner: „Der Gesetzgeber in Deutschland habe mittlerweile reagiert und das Strafrecht verschärft, sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt damals. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es mittlerweile Fortbildungen auch zur Selbstverteidigung.“ (~ zum Artikel)
Dass es nicht zielführend sein kann, zukünftige Stellenausschreibungen für MFA mit dem Zusatz „Einzelkämpferausbildung erwünscht“ zu ergänzen, liegt wohl auf der Hand. Umso mehr rückt ein ganzheitlicher Ansatz in der Praxisorganisation in den Mittelpunkt. Der eingangs erwähnte ÄZ-Beitrag legt ein besonderes Augenmerk auf die Prävention. Vom freundlichen Umgangston seitens der MFA, bis zum Vermeiden von Gegenständen, die im Tresen-Bereich als „Waffen“ dienen könnten. Auch die Option eines stillen Alarms wird erwähnt. „Um es gar nicht erst eskalieren zu lassen, empfiehlt der Experte, das eigene Verhalten zu überdenken. Bestimmte Verhaltensweisen, die uns selbst nicht bewusst sind, können … Aggressionen befördern.“ Worauf der Artikel nicht eingeht, ist ein vermeintliches und trügerisches Sicherheitsgefühl, wenn Maßnahmen nicht mit der entsprechenden Achtsamkeitsschulung einhergehen. Das gilt im Übrigen für die Mitarbeiter – und hier passt der sprachliche Vergleich – an der Front, aber auch für die Vorgesetzten.
Konzeptionelle, teambasierte Präventionsmaßnahmen, Teamgespräche, Rollenspiele, Achtsamkeitstraining und Selbstverteidigung für das Personal sind zwar nicht im EBM bedacht, dennoch scheint es erwägenswert, wie kostenintensiv die Neubesetzung von Stellen sein kann, wenn Mitarbeitende aufgrund mangelnder Unterstützung bei diesem Thema das Weite suchen. Ohne Frage bleibt es ein Balanceakt, die wertvolle Weiterbildungszeit hier pointiert einzusetzen. Sollten sich derartige Vorfälle ereignen, ist zudem die Nachbereitung für betroffenen Angestellten essenziell. Eine Studie aus dem Jahr 2020, in der die Gewalt in Pflegeberufen beobachtet wurde, zählt zahlreiche „organisatorische Probleme bei der Einrichtung eines Erstbetreuungssystems“ auf. Darunter fallen unter anderem die „mangelnde Unterstützung der Thematik durch Vorgesetzte“ und eine unzureichende Strukturierung und Erreichbarkeit der Ersthilfe. Anteilig lassen sich die Erkenntnisse sicher auch auf MVZ übertragen.
ÄrzteZeitung v. 09.05.2023
Deeskalation in der Praxis: Ein Hauptkommissar gibt Praxisteams Tipps
Südkurier v. 20.03.2023
Der wütende Patient – Aggressionen in Praxen nehmen zu
Virchow Bund v. 05.08.2019
Gewaltprävention: So gehen Sie mit aggressiven Patienten um
MVZ als Politikum | Wer aktuell Was? und Warum? über MVZ zu sagen hat
Nach wie vor melden sich nicht nur regelmäßig die Bundesländer (~ siehe Reiter Nachrichten) oder einzelne Gesundheitspolitiker – nein, insgesamt erfreut sich das MVZ Thema eines breiten Interesses. Der BMVZ selbst hat sich Mitte April hier geäußert: Wie Lauterbach die schrille Debatte um MVZ befeuert. Seit dem ist auf vier größere relevante Veröffentlichungen zu verweisen, von denen die wohl spannendste allerdings noch eine Vorankündigung ist. Der BMVZ hatte jedoch vorab ein Rezensionsexemplar und unser Fazit für das Diskussionspapier des MVZ-Marktexperten Rainer Bobsin ist eine volle Kauf- & Leseempfehlung.
Davon unabhängig haben die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung sowie der Beratungsriese PwC Studien bzw. Beobachtungen zu MVZ herausgegeben. Erstere kommt mit 120 Seiten recht umfänglich daher, beruht aber nach den Angaben zur Methodik auf lediglich 11 Experteninterviews sowie 85 Onlinefragebögen von MVZ-Mitarbeitern (Ärzte + Nichtärzte), unter denen Gewerkschaftsmitgliedern mit 88 % völlig überrepräsentiert sind. Folgerichtig widmet sich ein Großteil des Berichtes auch der allgemeinen Beschreibung und Zusammenfassung bisheriger Entwicklungen bzw. Studien und Berichten Dritter. In dieser Überblicksarbeit liegt durchaus auch ein eigener Wert dieser ‚Branchenanalyse‘.
Inhaltlich gegensätzlich aufgebaut ist die Marktanalyse von PwC, die unter dem Label ‚Transaktionsmonitor‘ eine im Jahresrhythmus regelmäßige Veröffentlichung darstellt (~ mehr zu) und recht technisch beschreibt, wer im letzten Jahr welches Krankenhaus oder Rehaklinik gekauft, bzw. verkauft hat, und was das für den Markt bedeutet. MVZ werden auf den Seiten 6f thematisiert. Einer der für M&A Healthcare zuständigen Partner des Unternehmens kommentiert dazu: „Transaktionen in diesem Bereich haben sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Den Trend befeuern vor allem fachfremde Finanzinvestoren und strategische Investoren aus dem Ausland… Dahinter steckt aus meiner Sicht eine Art Torschlusspanik, denn das Bundesgesundheitsministerium plant eine Verschärfung der Regulierung…“
Im Vierten erwähnenswert ist die nachgeschobene Ergänzung der Bundesärztekammer zu ihrem 26-seitigen Positionspapier von Januar 2023. Dessen Forderungen werden hier noch einmal 1 zu 1 wiederholt. Anlass dieser Ergänzung scheinen somit vor allem zwei Aspekte zu sein: Zum einen die Klarstellung, dass sich „diese Vorschläge … nicht gegen MVZ als solche [richten] und … auch nicht darauf ab[zielen], sinnvolle Investitionen in die Strukturen der ambulanten Gesundheitsversorgung zu erschweren.“ Zum anderen geht es der BÄK aber vor allem darum, deutlich zu machen, dass die seit Januar gegen ihre Vorschläge zahlreich vorgebachten Einwände nicht tragfähig seien. In einer Mischung aus neuen und alten Argumenten bekräftigt sie daher, die „im Januar 2023 vorgelegten Vorschläge … [und] … dass es für eine erfolgreiche Regulierung nicht ausreicht, sich auf einige wenige der vorgeschlagenen Regelungen zu beschränken.“ Inhaltlich scheint das Papier daher eine Spielart der BZÄK/KZBV-Aussagen zu sein, mit denen gewarnt wurde, dass „Alibivorschläge der Investoren-Lobby …die politische Debatte nicht weichspülen [dürfen]!“ (~ ZM-Online v. 28. März 2023) Mithin könnte der Schluss gezogen werden, dass die Arztverbände wahrnehmen, dass sich die Debatte etwas verschiebt und sich deshalb genötigt sehen, mit vergleichsweise drastischen Worten nachzulegen.
Rainer Bobsin | Erscheinungsdatum: 18.05.2023
„Konzerne kaufen Arztpraxen“ – Ein Arbeits- & Diskussionspapier
Hans-Böckler-Stiftung v. 12.05.2023
Branchenanalyse MVZ: Medizinische Versorgungszentren: Kostendruck schlägt auf Arbeitsbedingungen durch | als PDF (120 Seiten)
PriceWaterhouse v. 02.05.2023
Transaktionen im Gesundheitswesen: Investoren greifen bei Arztpraxen zu, bevor Regulierung greift | als PDF (21 Seiten)
Bundesärztekammer v. 19.04.2023
Ergänzende Stellungnahme (PDF):
Regelungsbedarf für Medizinische Versorgungszentren zur Begrenzung der Übernahme von MVZ durch fachfremde Finanzinvestoren
ARMIN und pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) | Das Miteinander von Ärzten und Apotheken
Zum letzten Mal hatten wir zum Jahresende über die pharmazeutischen Dienstleistungen berichtet (~ Ausgabe KW50/2022). Seither gibt es einige interessante Entwicklungen, die aber nur am Rande tatsächlich für den MVZ-Betrieb praxisrelevant sind. Im Januar war die KV Hessen mit einem Eilantrag gescheitert, in dem sie forderte, den Schiedsspruch, gemäß dem die Vergütungen für die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) aus Apothekensicht doch sehr gut dotiert festgesetzt worden waren, wieder außer Kraft zu setzen (~ zum Artikel). Es bleibt also zunächst bei den Honoraren, die teils deutlich über der ärztlichen Vergütung liegen. Dafür hat die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA) klargestellt, dass die pharmazeutischen Dienstleistungen per Videosprechstunde dem Grundsatz der Beratung vor Ort im „strukturierten Patientengespräch“ zuwiderläuft, also nicht gestattet ist.
Perspektivisch relevant ist vor allem, wie Kassen auf die pDL gucken. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage von Daniela Teichert, Chefin der AOK Nordost, spannend, wonach die Zielvorgabe der Zusammenarbeit Arzt – Apotheker eine neue Dimension bekommt. Denn: „In einer anderen Region ist die Apotheke vielleicht der Nukleus der Versorgung und kann mehr leisten, etwa mit pharmazeutischen Dienstleistungen“ (~Quelle). Die Verzahnung von Arzt und Apotheke würde demnach ihre Gewichtung verschieben.
Spannend sind auch die Ergebnisse aus der Medikamenteninitiative ARMIN, bei der es in einem fünf Jahre währenden Langzeitversuch um die kooperative Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern bei der Medikation ging. Das Projekt umfasste die Kooperation der AOK Plus, also Thüringen und Sachsen sowie die jeweiligen KVen und Apothekerverbände. Dabei wurden 16.000 chronisch Kranke, die dauerhaft fünf oder mehr Medikamente einnehmen mussten, über fünf Jahre lang begleitet. Ziel des Versuches war, die Auswirkungen einer gemeinsamen Medikationsanalyse von Apothekern und Ärzten zu testen.
Konkret sind die Resultate in der Pressemitteilung, die zum Projektabschluss veröffentlicht wurde, wie folgt zusammengefasst: 1) Die Patienten hatten ein „um 16 Prozent verringertes relatives Risiko […] zu versterben“ 2) 90 Prozent der Ärzte bewertete die Erfassung der Gesamt-Medikation durch die Apotheken gut. Dreiviertel der Patienten begrüßte die strukturierte Zusammenarbeit (~ Pressemitteilung als PDF | Studienergebnisse – Veröffentlichung im Ärzteblatt). So gesehen stellt sich schon die Frage, ob die Ärzte die Apothekenleistung pDL nicht mehr in ihre Arbeit einbinden statt bekämpfen sollten? Allerdings gibt es für eine zukünftige Integration solcher Maßnahmen auch noch viele Hürden, wie etwa eine fehlende bundesweite Regelung für eine einheitliche Erfassung der Medikation und eine entsprechende Vergütung für die Arztseite. Einen konkreten Zeithorizont gibt es folglich nicht.
Medical Tribune v. 03.05.2023
Geringere Mortalität bei abgestimmter Medikation
Apotheke Adhoc v. 21.04.2023
ABDA: Keine pDL per Videosprechstunde