Deutschland hat weiterhin eine (funktionierende) Regierung – das als Wichtigstes vorweg. Dass es sich dabei um eine Minderheitenregierung handelt, ist demokratietheoretisch kein Beinbruch. Praktisch ist es aber natürlich ein Problem, da Rot-Grün alle in Frage kommenden Partner so verprellt hat, dass deren Ambitionen, themenbezogen wenigstens zu einzelnen Gesetzen ihre Zustimmung zu geben, gen Null geht. Oder zumindest durch unverhohlen verkündete Eigeninteressen stark erschwert wird. Also ist die Frage, was in den nächsten Wochen in und mit der Gesundheitspolitik passiert, höchst relevant. Immerhin gehört das Ressort auch noch nicht einmal zu denen, in denen der Bundeskanzler besonders wichtige Vorhaben ausgemacht hat, die unbedingt noch zu Ende gebracht werden sollen. Ist also alles offen?
Tatsächlich scheint gar nichts mehr offen. Sieht man von Minister Lauterbach selbst ab, sind sich im gesundheitspolitischen Berlin im Wesentlichen alle einig, dass auf diesem Themenfeld gar nichts mehr passiert. Von der ÄrzteZeitung wird die KBV-Spitze mit dem Satz, der auf das GVSG-Projekt zielt, zitiert: „Mit Entbudgetierung und Entbürokratisierung können Praxen erst einmal nicht rechnen.“ (~ Quelle). Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, erklärte: „Eine projektbezogene Zusammenarbeit mit den Ampel-Trümmern wird es in der Gesundheitspolitik nicht geben.“ Und: „Als Insolvenzverschlepper und Mehrheitsbeschaffer für eine rot-grüne Trümmerkoalition stehen wir nicht zur Verfügung.“ (~ Quelle). Geht man davon aus, dass die FDP logischerweise ebenfalls nicht bereit ist, mit der verbliebenen Regierung zu stimmen, sowie davon, dass die inhaltlichen Schnittmengen mit BSW, Linke und AFD schon immer vergleichsweise klein waren, verbleibt keinerlei Spielraum für Fantastereien, dass es eine Mehrheit für die etwa zehn offenen Gesetzgebungsprojekte des BMG geben könnte. Hier rächt sich das lange Verschleppen vieler Verfahren.
Einzige Ausnahme ist die Krankenhausreform, die zwar noch nicht in Kraft ist, zumindest aber den Bundestag in abschließender Lesung erfolgreich passiert hat. Die große Frage ist hier also eine andere: Wird im Bundesrat am 22. November das Quorum erreicht, das diese Reform zwänge, eine Extra-Runde durch den Vermittlungsausschuss zu drehen? Das wäre mit gewisser Wahrscheinlichkeit das Aus auch für diesen so hart errungenen Kompromiss, denn für die Beratungen im Vermittlungsausschuss ist – je nachdem, wann der Neuwahltermin angesetzt wird – womöglich einfach nicht mehr genug Zeit. Und so stehen die Bundesländer mit dem Ampel-Aus plötzlich vor einer zusätzlichen Frage: Nämlich nicht nur, ob sich durch eine solche Extra-Runde noch ein paar regional gewünschte Ausnahmen in die Klinikreform reinverhandeln lassen, sondern eventuell schwarz-weiß: Kommt die Krankenhausreform oder nicht?
Und dieser Gedanke, dass, wenn es nicht diese Klinikreform wird, dann eben gar keine, könnte für die Abstimmung am 22. November relevant werden. Denn faktisch sind sich auch die unionsgeführten Länder völlig im Klaren, dass der Grundtenor der Reform, die Kliniklandschaft quantitativ zu bereinigen und – bei Umstellung der Finanzierungsbasis – eine höhere Behandlungsqualität durch Schwerpunkt- und Zentrenbildung quasi zu erzwingen, nicht ganz verkehrt ist. Würde das KVHHG jetzt aber durchfallen, müsste die nächste, wahrscheinlich unionsgeführte neue Bundesregierung an dieses heiße Eisen ran. Der Gedanke, um wie viel bequemer es wäre, in den nächsten Jahren sagen zu können, dass man als Regierung ja nur ausbade, was Vorgänger Lauterbach angerichtet habe, könnte da dem einen oder anderen CDU-Politiker vermutlich schon kommen. Zumal ja ohnehin diverse Nachschaltgesetze nötig sind, mit denen die Nachfolgeregierung den einen oder anderen Punkt ‘heilen’ könnte. Und so wird der 22. November ein sehr spannendes Datum.
Die Gesundheitsministerkonferenz, die am 6. November, also nur Stunden vor dem Ampel-Aus getagt hat, kam hier in einer Probeabstimmung zu einem knappen, sprich unklaren Ergebnis. Bezüglich der Empfehlung zum KHVVG heißt es in den offiziellen Unterlagen: „Im Gesundheitsausschuss ist eine Empfehlung an den Bundesrat zu der Frage der Anrufung/Nicht-Anrufung des Vermittlungsausschusses n i c h t zustande gekommen.“ (~ Bundesrat-Drs. 532/1/24) Die KMA analysiert ergänzend: „Hessen scheint, das Zünglein an der Waage zu werden. Sollte sich das CDU-SPD-geführte Bundesland – wie am Mittwoch in der GMK simuliert – für die Anrufung des Vermittlungsausschusses aussprechen, wäre eine Mehrheit von 39 Stimmen erreicht.“ (~ Ampel-Aus – Katastrophe für geplante Gesundheitsgesetze?) Allerdings hieß es am 8. November, also zwei Tage nach dem Ampel-Aus, auch: „Zwei SPD-Länder sprechen sich gegen Krankenhausreform aus.”
Und somit ist in der causa Klinikreform eigentlich alles offen …
Anders als – wie gesagt – bei den Gesetzen, die die ambulante Versorgung betreffen. Für den 11. und 13. November sind im Bundestag durch den Ausschuss für Gesundheit weiterhin zwei Fachanhörungen angesetzt, zum einen zum Digitalagenturgesetz, zum anderen zum GVSG. Es ist davon auszugehen, dass diese formal auch durchgeführt werden, mindestens um den Anschein von Regierungsfähigkeit zu wahren. Ob freilich hierbei irgendetwas Substanzielles bei rumkommt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Auf die Fragen des änd, nach den Chancen für eine Umsetzung des GVSG antworte Dirk-Ulrich Mende, in der SPD-Bundestagsfraktion Berichterstatter für eben jenes Gesetz: „Wenn ich das belastbar vorhersagen könnte, wäre ich sehr froh. (…) Vielleicht gibt es den Willen tatsächlich notwendige Regelungen auf den Weg zu bringen. […] Aus den bisherigen Äußerungen im Rahmen der Gespräche kann ich mir nur vorstellen, dass ein Gesetz ganz eng angelehnt an den Regierungsentwurf noch Chancen haben könnte. Vieles von dem, was [sonst noch] diskutiert wurde, bleibt auf der Strecke.“
Was im Übrigen für die Frage der MVZ-Regulierung bedeutete, dass den zwei Jahren Ankündigungen des Ministers tatsächlich wohl tatsächlich einfach gar nichts folgt. Unklar bleibt aber natürlich, was die nächste potentielle Regierung aus dieser Debatte mitnehmen und gegebenenfalls inhaltlich aufwärmen wird. Was das betrifft, haben wir, als BMVZ, die Agenda sein Längerem klar gesetzt: 1) Neu denken in der MVZ-Debatte | 2) Drei Maßnahmen zu mehr Transparenz für MVZ.
änd – Ärztenachrichtendienst v. 10.11.2024
Dirk-Ulrich Mende (SPD): „Viele Gesetze werden es nicht mehr schaffen“
Ärzteblatt v. 08.11.2024
Verbleibende Regierung möchte noch einige Gesundheitsvorhaben umsetzen
Apotheken-Umschau v. 07.11.2024
Was der Bruch der Ampel für die Gesundheitspolitik bedeutet
Handelsblatt v. 06.11.2024
Krankenhausreform: Bundesministerium droht Ländern – keine Zustimmung, kein Geld