Analoge Chancen durch digitale Hürden bei ePA und eRezept | Patienten fehlt noch der ‚Zugang‘
Die ePA, die eML und eRezepte: Solche Vorhaben im gesellschaftlichen Kontext zu etablieren, benötigt Zeit. Zurzeit nutzen lediglich 5 % der Patienten die ePA aktiv. Da es sich, wie politisch gewünscht, um eine patientengeführte Akte handelt, sind damit die meisten ePAs von den Patienten unberührt und auch ungefüllt. Diese fehlenden Informationen sind einer der Hauptkritikpunkte aus der Ärzteschaft. Diese Informations-Leere war allerdings absehbar. Inwieweit die Krankenkassen momentan aktiv sind, die von Patienten eingeschickten Unterlagen in die ePA hochzuladen, ist unbekannt. Es lässt sich jedoch vermuten, dass viele Patientinnen und Patienten noch keinen Zugang zu ihrer ePA haben, im wörtlichen und aber vor allem auch im übertragenen Sinne.
Als Lichtblick wird darum ärztlicherseits immer wieder die eML angeführt, die geeignet sein soll, ein Gamechanger zu sein. Eine Aussage, die sich meist auf die Möglichkeit bezieht, als betreuender Arzt erstmals fächerübergreifend einen weitgehend vollständigen Einblick in die Medikationswirklichkeit des Patienten zu bekommen. Vernachlässigt wird dabei oft der zusätzliche Mehrwert, dass sich in dieser Liste auch erkennen lässt, ob Patient;innen ihre eRezepte auch tatsächlich in einer Apotheke eingelöst haben. Denn das ist ja noch ein Baustelle: Der Gap zwischen Verordnung und Patientencompliance.
Aus den Zeiten vor dem eRezept gibt es dazu wenig verlässliche Zahlen, aber momentan lässt die neue digitale Infrastruktur erkennen, dass 10 % aller eRezepte nicht abgeholt werden. Um welche Medikamente es sich im Detail handelt und wie ausschlaggebend diese für den Behandlungserfolg sind, geht aus den Meldungen nicht hervor. Allerdings eröffnen sich durch die Erkenntnis nicht nur Abwägungen, die hinsichtlich der Patientenfürsorge vorzunehmen sind, sondern auch Chancen. Zumindest dann, wenn man annimmt, dass ein Teil dieser nicht eingelösten Rezepte schlicht vergessen wird, weil das einstige rosa Muster 16 als Gedankenstütze, dass man noch zur Apotheke muss, im Portemonnaie, Kalender o.ä. fehlt.
Für MVZ und Praxen bietet sich hier die Möglichkeit, mit wenig Aufwand ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln, indem dieser Art Vergeßlichkeit bedingter Non-Compliance präventiv begegnet wird. Dabei kann der Kreativität freien Lauf gelassen werden: Von einem schlichten Erinnerungsschild an der Innenseite der Eingangstür – Vergessen Sie nicht, Ihr Rezept einzulösen.‚ – bis zu papiernen Kreationen, die an das alte Muster 16 erinnern, aber auf denen eine entsprechende Erinner-Mich-Notiz aufgedruckt ist, vielleicht samt einem Gruß und Wegbeschreibung zur Praxis. Warum nicht den Patienten gleichzeitig zur Signatur des eRezeptes eine Quasi-Visitenkarte mit Erinnerungsfunktion mitgeben?
Denn unabhängig von der Einstellung der Praxen und der Patienten zur neuen ‚digitalen Kultur‘: Die ePA ist gekommen, um zu bleiben, auch wenn ihre Funktionalität momentan noch eher kriecht, als zu fliegen. Mit den angekündigten neuen Modulen soll sich künftig jedenfalls der Mehrwert steigern. Der elektronische Medikationsplan soll ab Frühjahr 2026 dazukommen, wobei auch diese Frist noch von vielen Faktoren abhängt und keineswegs fix ist. Bis dahin und solange 95 % der Patienten die ePA nicht im Sinne des Erfinders aktiv steuern, bzw. überhaupt nicht reingucken, könnten kleine analoge Helfer – wie die beschriebenen – eine hilfreiche Zwischenlogik mit Charme, Funktion udn Witz gleichermaßen sein.
Apotheke Adhoc v. 19.05.2025
„Viele E-Rezepte verfallen einfach“
ÄrzteZeitung 18.05.2025
Arztpraxen berichten: Das sind die Erfahrungen aus dem ePA-Testbetrieb
Der Privatarzt v. 20.10.2020
Visitenkarten für Ärzte: 10 goldene Regeln
Ende des Honorardeckels für die Allgemeinmedizin beschlossen | Umstellung des Pauschalensystems weiter offen
Nachdem zwischen KBV und GKV-Spitzenverband bis zuletzt Details strittig geblieben sind, hat am 20. Mai der Erweiterte Bewertungsausschuss in seiner 85. Sitzung mit Geltung ab Q4/2025 die Umsetzung der Hausarztentbudgetierung beschlossen. Damit werden entsprechende Regelungen, die überraschend noch kurz vor Schluss von der rot-grünen Rumpfregierung mit maßgeblicher Unterstützung der FDP durchgesetzt worden waren (~ Ausgabe KW6: Reform der hausärztlichen Honorierung | Zwischen Tatendrang und Komplexitätsproblemen) – tatsächlich, und genau so, wie im Gesetzesbeschluss vorgesehen, zur Realität; während die parallel vom Bundestag beschlossene Umsetzung des Pauschalensystems noch auf sich warten lässt. Konkret bedeutet dies, dass sich Erbringer hausärztlicher Leistungen (ohne Kinder- und Jugendmedizin) in den bis dato besonders schlecht honorierten Stadtstaaten sowie in BaWü, S-Anhalt und S-Holstein ab Oktober über echtes Mehr-Honorar freuen können. Die Hausärzte in den anderen KV-Gebieten dürften dagegen aufgrund der dort bisher schon recht hohen Auszahlungsquoten einen deutlich geringeren Effekt spüren.
Schätzungen gehen bundesweit von Mehrausschüttungen von 75 bis 125 Millionen € je Quartal aus. Im Detail wird dieses Zusatzhonorar jedoch ungleichmäßig verteilt. Zur Folgenabschätzung sollten betroffene Praxen sich die Auszahlungsquote ihrer Hausärzte in den letzten Honorarbescheiden anschauen. Liegt diese deutlich unterhalb von 100% kann mit entsprechenden Mehreinnahmen kalkuliert werden. Zu beachten ist dabei, dass lediglich das Kapitel 3 (und auch das nur eingeschränkt) sowie die Hausbesuchsziffern entbudgetiert werden. Zahlreiche relevante, hausärztliche Leistungen wie die Psychosomatik, problemorientierte Gespräche oder Sonographien verbleiben dagegen unter dem Budgetdeckel. Dieser Umstand führt dazu, dass letztendlich die Entbudgetierung eben doch keine 100%-Honorierung bedeutet. Der Hausärzteverband rechnet dazu vor: „Denkbar ist beispielsweise, dass eine Praxis, [deren …] Auszahlungsquote bislang bei 75 % gelegen hat, auch psychosomatische sowie schmerztherapeutische Leistungen abrechnet (zusammen 6 % der gesamt abgerechneten Leistungen). In der Summe bedeutet die Entbudgetierung ein bedeutendes Plus für die Praxis: Die Auszahlungsquote des überwiegenden Teils ihrer Leistungen (94 Prozent) steigt nämlich von 75 auf 100 Prozent.“ (~ Quelle) Unklar bleibt, in welcher Größenordnung zusätzlich ein Effekt eintritt, infolge dessen die weiterhin budgetierten Leistungen künftig noch schneller unter die Budgetierung fallen, wodurch das echte Honorar-Mehr bei der gesonderten Hausarzt-MGV real durch diese Mindereinnahmen aus dem Bereichen der ‚normalen‘ MGV ein Stück weit aufgezehrt würde.
Im Hintergrund spalten die KVen ab Oktober 2025 vorab, basierend auf dem Aufsatzjahr 2023, die Honorartöpfe weiter auf, und es wird – neu – ein gesonderter Honorartopf für die Hausarzt-MGV gebildet. Reicht dieser in der Rückschau auf das jeweilige Quartal nicht aus, müssen die Kassen künftig den Fehlbetrag zuschießen. Das entspricht dem Modell der MGV+ wie es bei den Kinderärzten seit Q2/2024 bereits praktiziert wird. Die komplexen Details können Interessierte im Originalbeschluss nachlesen: PDF | 18 Seiten. In der Sache verständlicher und kürzer gefasst ist allerdings die zugehörige Entscheidungsbegründung: PDF | 7 Seiten.
Strittig, und damit Grund für die Anrufung des Erweiterten Bewertungsausschusses, war im Übrigen nicht die Umsetzung der Entbudgetierung an sich. Der Anlass war allein die Frage, wie bei dem Vorwegabzug des Anteils der neuen Hausarzt-MGV der Aufwand für die Finanzierung von Sicherstellungsmaßnahmen zu berücksichtigen ist, den die KVen stemmen müssen (~ HÄV spricht von Durchbruch, warnt aber vor „Tricksereien“ der Kassen). Hier hat der Gesetzgeber bei seinem Beschluss eine Regelungslücke gelassen, die die Kassen versuchen, zu einer Honorarkürzung hintenrum zu nutzen. Was nicht verwundern sollte, bedenkt man, dass diesseitig ohnehin von Beginn an eine Nullbegeisterung für das Projekt bestand: „Dieses Gesetz ist so aufgebaut, dass die Hausärzte garantiert 400 Millionen Euro Honorar zusätzlich bekommen, selbst wenn es keinen einzigen zusätzlichen Arzttermin gibt. […] Eine Verbesserung der Versorgung wird sich nicht einmal in sozial benachteiligten Stadtteilen oder ländlichen Regionen einstellen, da notwendige Steuerungsmechanismen fehlen.“ (~ Quelle)
Allerdings war der politische Ansatz der Entbudgetierung in der Tat ja primär auch, den Hausarztberuf durch eine verlässlich-umfängliche Honorierung wieder attraktiver zu machen. Steuerungswirkung sollen dagegen die beiden flankierenden Maßnahmen bringen, die ebenfalls als Teil des GVSG im Januar 2025 vom Bundestag verabschiedet worden waren: (1) Reform der Vorhaltepauschale und (2) Ablösung der Quartalslogik bei Vorhaltung und Chronikervergütung. Zu diesen beiden höchst komplexen Aspekten gibt es aber noch keine Detaileinigung. Vielmehr hat die KBV aktuell nur bekannt gegeben, dass man sich dazu mit dem GKV-Spitzenverband auf Eckpunkte für die weiteren Beratungen verständigt habe. Danach ist eine Übergangsphase für eventuelle Neuerungen angedacht, sodass sich Praxen auf die neuen Anforderungen einstellen könnten. (~ KBV.de v. 22.05.2025) Weiterführende Informationen zum Zeitplan oder Inhalten sind bisher nicht bekannt gemacht worden. Bis auf den Punkt, dass die KBV dafür kämpfe, die Umverteilungswirkungen für alle(!) nach Kräften möglichst gering zu halten. Sollte sie sich mit dieser Haltung durchsetzen – würde dieses Vorgehen der KBV die Pläne des Gesetzgebers, das Honorar hin zu besonders versorgungsrelevanten Praxen und MVZ umzuverteilen, klar konterkarieren. Zu den Hintergründen können Sie sich – nach wie vor inhaltlich aktuell – über diese BMVZ-Analyse vom Januar 2025 informieren: Mehr als Entbudgetierung: Zusammenhänge und offene Fragen zur Honorarreform der Hausärzte.
Hausärztliche Praxis v. 23.05.2025
Ab 1. Oktober: Bye, bye Budget für Hausärzte
Ärzteblatt v. 23.05.2025
Hausärztliche Leistungen werden ab Oktober entbudgetiert
KBV Praxisnachrichten v. 22.05.2025
Hausärztliche Leistungen werden ab Oktober entbudgetiert – Eckpunkte zur neuen Vorhaltepauschale vereinbart
Sicherheitszertifikate, die Fortsetzung: Abschaltung von Karten und Konnektoren Ende 2025 droht | Komödie oder Drama?
Die Schlagworte: Konnektoren-Tausch beziehungsweise Konnektoren-Abschaltung werden in den kommenden Wochen viele Gemüter erregen. Ein Brandbrief der KBV alarmiert vor dem umfangreichen Tauschvorhaben von 330.000 verschiedenen TI-Komponenten. Deren Sicherheits-Zertifikate werden zum Ende des Jahres auslaufen. Laut Medieninformationen sollen davon ca. 35.000 Konnektoren, 100.000 eHBAs, 30.000 Praxisausweise und 160.000 gerätespezifische gSMC-KT Karten für die E-Health-Kartenterminals betroffen sein. Letztere verbergen sich in der Regel hinter den Siegeln am Terminal. Für die Terminals bedeutet dies also, dass das Gerät selbst, die SMC-B oder eben die gSMC-KT von dem Ablauf der Sicherheitszertifikate betroffen sein können. Überdies müssen alle Computer, die mit der TI kommunizieren, ein Update durchlaufen. Allerdings gehört ein Großteil des Tausches zur Routine, und Praxen werden rechtzeitig von den Anbietern informiert. In einigen Fällen könnte es aber dennoch zu Verwerfungen kommen, da Komponenten, die ausschließlich ein bestimmtes Sicherheitszertifikat verwenden, im Jahr 2023 bis 2025 verlängert wurden. Ob hier also die Bedenken der KBV gerechtfertigt sind, muss sich zeigen. Gerade wegen dieser Unsicherheit ergibt es Sinn, ein Schlaglicht auf das Thema Sicherheitszertifikate zu werfen.
Um zu beantworten, inwiefern die eigenen Komponenten von den veralteten Zertifikaten betroffen sind, braucht es ein wenig Basiswissen. Die Sicherheitszertifikate werden verwendet, damit sich – vereinfacht ausgedrückt – die elektronischen Komponenten gegenseitig authentifizieren können. Wenn eines der Zertifikate veraltet ist, ‚verstehen‘ sich die Komponenten nicht mehr und der Zugriff wird verweigert. Die Debatte um die Sicherheitsbedenken alter Zertifikate ist nicht neu. Bereits 2023 wurde das, von zahlreichen TI-Komponenten verwendete, Zertifikat RSA2048 vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für nicht mehr zeitgemäß befunden. Damals gab es jedoch, nach reichlichem Ringen, einen Kompromiss zum Aufschub der Ablauffristen. Danach können all jene Komponenten, die nur mit Zertifikat RSA2048 arbeiten, bis Ende 2025 betrieben werden. Zur Klarstellung: Gemeint sind Geräte und elektronische Authentifizierungskarten, die nur den RSA2048 Algorithmus verwenden und andere, modernere Zertifikate nicht unterstützen (~ zm online v. Nov. 2023 | Was Praxen zum Ablauf ihrer Konnektoren wissen sollten). Das moderne (neue) Verfahren ist die ECC256 Zertifizierung. Wenn praxiseigene Geräte dies bereits nutzten, ist kein Handeln notwendig, außer dem Zulassen von zukünftigen Updates.
Wer und was ist betroffen? Die Kassenzahnärztliche Bundesverwaltung (KZBV) hat eine bündige FAQ herausgegeben, indem auch die Zertifikate aufgegriffen werden (~ KZBV Informationen zum Austausch von Konnektoren). Während sich bei den Konnektoren das verwendete Zertifikat über die Management-Optionen auslesen lässt, gestaltet sich dies beim eHBA nicht so einfach. Hier empfiehlt die KZBV als Indikator das Ablaufdatum zu nutzen. Ob das Ablaufdatum allerdings immer mit Zertifikatsablauf aufeinander fällt, ist unklar. Nach Rücksprache mit d-Trust, dem Vertrauensdienstanbieter der Bundesdruckerei, welcher die eHBAs ausstellt, lässt sich das verwendete Zertifikat des eHBA bei gesteckter Karte über das Terminal auslesen. Allerdings soll dies für Laien wohl umständlich sein und ist somit ohne Unterstützung nicht geeignet als modus-operandi. Eine klare Praxisempfehlung kann somit nur lauten, sich rechtzeitig mit den eigenen Anbietern in Verbindung zu setzen. Eine separate Vergütung gibt es nicht. Der Austausch ist durch die TI-Kostenpauschale gedeckt.
Aussicht und Folgen: Trotz der Bemühungen der KBV, die Frist abzuwenden und zumindest eine Verschiebung zu erreichen, sollten Praxen und MVZ momentan davon ausgehen, dass die Fristsetzung bis Ende 2025 bestehen bleibt. Die gematik nennt die Frist zwar „ambitioniert“, hält aber daran fest. Sofern die alten Zertifikate vonseiten der Ti nach dem Ablauf der Frist nicht mehr unterstützt werden, haben die Geräte keinen Anschluss mehr an die TI. Je nach Komponente mit den entsprechenden Konsequenzen. Gemäß eines aktuellen Artikels in der ÄrzteZeitung ist die Wirtschaft wohl auf den Austausch vorbereitet, was dem Tenor des KBV-Briefes allerdings widerspricht. Momentan ist nicht wirklich abschätzbar, wie sich der Komponententausch in den kommenden Monaten auswirkt und ob es wirklich zu Lieferengpässen kommt.
ÄrzteZeitung v. 22.05.2025
KBV-Alarmruf zum Konnektortausch: Viel Lärm um nichts?
Ärzteblatt 14.05.2025
Austausch hunderttausender TI-Komponenten droht
heise.de v. 14.05.2025
Patientenakte, E-Rezept & eAU: Viele Praxen könnten bald auf der Strecke bleiben
Ministerin Warken und ihre Pläne | „Das ist das Ziel, und um das zu erreichen, werde ich meinen eigenen Weg finden.“
Am 15. Mai hat die neue BMG-Chefin im Bundestag in einer 10-minütigen Rede ihre Feuertaufe absolviert, die von vielen Seiten als inhaltsleer kritisiert wurde, und die das ZDF mit dem Attribut „im Ton emotionslos“ belegte. Nun ja: Vielfach wird Nina Warken als ‚Anti-Lauterbach‘ beschrieben – eine betonte Sachlichkeit dürfte daher gewolltes Programm sein. Um so spannender ist es, dass sie und die neue Koalition inhaltlich – nachlesbar im Koalitionsvertrag, der auch im Zentrum ihrer Rede stand – in vielen Aspekten für eine erstaunlich geradlinige Fortsetzung der Lauterbach’schen Pläne steht. Die Antrittsrede vor dem Bundestagsplenum bot insofern keinerlei Überraschungen: Hängen blieb vor allem die starke und in Variation mehrfach erfolgte Betonung, dass sie viel zuhören und mit allen Akteuren in den Austausch treten wolle. (~ Redeprotokoll | Seiten 228 – 230)
Wer an dieser Stelle noch einmal pointiert aus der Vertragsarztperspektive wissen will, was der Koalitionsvertrag vorgibt, ist mit der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitung der KV Schleswig-Holstein gut bedient, die zudem auch die Person der Ministerin noch mal beleuchtet: Nordlicht – Ausgabe 5/2025 (ePaper – Seiten 4ff). Konkreter wird es dagegen im ausführlichen Interview, das die Ministerin am 16. Mai dem RND gegeben hat (~ direkt zu), und das mit dem Zitat „Die Krankenhausreform bleibt“ überschrieben wurde. Dazu ergänzte sie inhaltlich, sie wolle die Krankenhausreform „verbessern, nicht verwässern“. Angesprochen auf die Geschwindigkeit der Normsetzung, springt Warken in dem Interview allerdings direkt zur ambulanten Versorgung und sagt: „Wir müssen das Gesundheitssystem sehr schnell effizienter machen. Der Koalitionsvertrag sieht dafür eine Reihe von Möglichkeiten vor. Die Einführung des Primärarztprinzips zum Beispiel, wonach der Hausarzt in der Regel die erste Anlaufstelle für Patienten ist, werden wir schnell umsetzen.“
Eine Schwerpunktsetzung, die aufhorchen lässt, da dieses Thema wegen der (drastischen) Eingriffe in ‚gewohnte‘ Rechte beim Arztzugang als besonders komplex gilt und das Potential hat, nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch die Patienten massiv gegen die Regierung aufzubringen. Die KBV positionierte sich bereits deutlich: „Die Aussage im Koalitionsvertrag, „ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl“ einführen zu wollen, passe nicht zusammen – sie widerspreche sich sogar. Realitätsfern sei auch die Idee, einen Facharztzugang im Krankenhaus für Patienten anzulegen, die nicht zeitnah einen Termin dafür über die KV-Hotline 116 117 erhalten.“ (~ ÄrzteZeitung v. 14.05.2025) Noch drastischer formuliert der HNO-Verband: „Ein solcher hausärztlicher Flaschenhals wäre ein versorgungspolitischer Super-GAU.“ (~ Quelle) Und auch wenn die Bundesärztekammer in der aktuellen Apotheken-Umschau (~ direkt zu) mit der Erläuterung zitiert wird, dass „das Primärarztsystem das Ziel [hat], die Patientenversorgung zu verbessern, nicht die gesundheitliche Versorgung zu beschränken“, ist in der Tat mehr als fraglich, ob diese Sichtweise von der Mehrheit der Betroffenen geteilt wird …
Auf die konkrete Frage, ob – mit Blick auf die klammen Kassen – bis zur Sommerpause eine ‚Notgesetzgebung geplant sei, unterstreicht Warken auch durch die Reihenfolge der Aufzählung, dass sie die ambulante Versorgung im Fokus habe: „Zunächst geht es darum, das schnell umzusetzen, worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben: das Primärarztsystem, die Weiterentwicklung der Krankenhausreform, die Notfall- und Rettungsdienstreform. Wir werden zügig, aber nicht hektisch handeln. Mein Ziel ist, Ruhe in die Beitragsentwicklung zu bringen. Die Menschen müssen wieder Vertrauen fassen.“
Was Nina Warken also auszeichnet, ist offensichtlich ein großes Selbstbewusstsein und die offen vorgetragene Absicht, ihre unbestrittene Fremdheit mit vielen Details der gesundheitspolitischen Arena in eine Stärke umzuwandeln. Wichtig sei, sagt sie, die Fähigkeit, aus „dem Wust an Akten, die einem jeden Tag hingelegt werden, die eine rausfischen zu können, die eventuell anbrennen könnte“. Warken, so schrieb es die KMA angesichts ihrer Ernennung, sei keine Politikerin der lauten Töne, und bekannt für ihre offene und direkte Art und ihren Willen, zuzuhören und zu lernen. Als Quereinsteigerin bringe sie zudem einen frischen Blick und eine unvoreingenommene Perspektive mit (~ KMA v. 29.04.2025). Von vielen Seiten erhält sie insoweit erst einmal Vorschusslorbeeren … ob berechtigt, werden die nächsten Monate eher früher als später zeigen.
Nicht zuletzt darf man aber betonen, dass sie mit 46 Jahren relativ jung und nach eigenen Angaben GKV-versichert ist; nicht aus einer Riesen-Großstadt kommt, sondern ihren Wahlkreis im Ländlichen hat und drei (mindestens zum Teil) minderjährige Kinder hat, die sie aus der Öffentlichkeit raushält. Vor diesem Hintergrund bekommt ihr Statement auf die rnd-Frage, was sie anders machen wolle als ihr Amtsvorgänger, möglicherweise eine ernst gemeinte Tiefe, die über das Sprechblasenhafte der Worte hinausgeht. Es gehe nicht ums ‚Andersmachen‘ gibt sie als Replik. Sie wolle vielmehr „dafür sorgen, dass sich die Menschen in ganz Deutschland unabhängig vom Einkommen oder Wohnort auf eine gute, erreichbare und bezahlbare Gesundheitsversorgung verlassen können. Das ist mein Ziel, und um das zu erreichen, werde ich meinen eigenen Weg finden.“
RedaktionsNetzwerk Deutschland v. 17.05.2025
Neue Gesundheitsministerin im Gespräch: „Die Krankenhausreform bleibt.“
ZDF v. 16.05.2025
Neue Gesundheitsministerin: Die Unbekannte mit Mammutaufgabe
KMA v. 16.05.2025
Nina Warken: Dialog und Zusammenarbeit als Schlüssel
Primärarztsystem | Start in eine aufreibende Reform
Seitdem sich die amtierende Bundesregierung die Etablierung des Primärarztmodells in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, formieren sich die Fronten zwischen den Befürwortern und den Widersachern. Dazwischen reihen sich Stimmen des vorsichtigen Bedenkenträgertums, welche zuweilen aber im politischen Getöse untergehen. Doch gerade in den Nuancen wird erkennbar, welches Ausmaß diese Reform für den gesamten medizinischen Sektor hätte. Denn der Einfluss eines Primärarztmodells, also einer Neuauflage der hausarztzentrierten Versorgung mit dem angedachten Gate-Keeper Prinzip, wird sich auch über den ambulanten Bereich hinaus auswirken.
Die aktuelle Skizze der Reform sieht vor, dass Patienten zunächst eine Ersteinschätzung vom Hausarzt einholen und dieser eine Überweisung zum Facharzt oder in die Klinik ausstellt, sofern er dies für notwendig erachtet. Ausgenommen sind die Facharztgruppen Augenheilkunde und Gynäkologie. Eine Termingarantie in einem definierten Zeitkorridor soll den Patienten dann den Facharzttermin ermöglichen. Verantwortlich dafür soll die KBV mittels der Terminservicestelle bzw. der 116117 sein. Ein wichtiger Punkt, auf den wir später zu sprechen kommen (~ Koalitionsvertrag | vgl. S.106). Sollten keine Termine vergeben werden können, ist eine diskutierte Option, die Patienten an die stationäre fachärztliche Versorgung zu übergeben. Abseits dieser Grundstruktur gibt es viele Meinungen und offene Fragen, beispielsweise wie mit Chronikern umzugehen ist. Im Gespräch sind diesbezüglich beispielsweise Jahresüberweisungen für die Behandlung von Chronikern bei Fachärzten. Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit die Quartalslogik in dem neu angedachten System Platz findet.
Während sich die Hausarztverbände positiv bis begeistert äußern, fällt die Kritik bei den Facharztverbänden erwartbar stark aus. Dazwischen positioniert sich die BÄK, deren Präsident Klaus Reinhardts bescheinigte einem Primärarztsystem Einsparungspotenzial für Kosten und Ressourcen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass nur „eine wirklich smarte Patientensteuerung könnte helfen…“ (~ Quelle). Eine Formulierung, die es in Zukunft wohl noch oft geben wird. Denn wenn es nicht gelingt, dann war die Umsetzung halt nicht ‚wirklich smart‘. Die KBV formuliert die Kritik an den Plänen der Koalition ganz offen und sieht das Vorhaben, in seiner jetzigen Skizzierung, als realitätsfern. Auf dem Land sei es nicht praktikabel, 50 km zum Hausarzt und dann 100 km in die andere Richtung zum Facharzt zu fahren. Darüber hinaus gebe es in Großstädten wie Berlin zurzeit eh schon kaum freie Kapazitäten bei den Hausärzten. (~ rbb 24 v. 22.04.2025)
Der Sozialverband vdk bringt seine Bedenken deutlich ‚leiser‘ in die Debatte ein und verweist auf die Schwierigkeiten auf dem Land, wirklich genügend geeignete Hausarztpraxen ‚zur Verfügung‘ zu stellen, die auch behindertengerecht sind. Außerdem stelle sich die Frage, was geschehe, wenn der Arzt dem Patienten nicht die gewünschte Überweisung ausstellt. Dahingehend gibt es Befürchtungen, dass sich ‚stadtbekannte Überweisungsärzte‘ etablieren und es zu Qualitätseinbußen in der Behandlung kommt.
Wie sich die großen Player der ambulanten Versorgung aufstellen werden, hängt von mehreren Faktoren ab. Aus einer makroskopischen Brille können der neuen Gesundheitsministerin die Verhandlungen um das Primärarztmodell in vielerlei Hinsicht als Hebel dienen, um auch andere Interessen des BMG durchzusetzen. Beispielsweise hatte die KBV einen Bedarf aus dem Sondervermögen angemeldet, um die 116117 auszubauen. Mittel, die sicher mit Zugeständnissen bezahlt werden müssen. Inwieweit sich die Länder-KVen gegen die zunehmenden Eingriffe der Bundespolitik in die Selbstverwaltung wehren können, wird maßgeblich von ihrer Geschlossenheit abhängen. Die x-te Kampagne à la „Praxis-Tod“ wird es im Schatten der vergangenen und aktuellen Projekte – wie #Praxenkollaps und rettet-die-praxen.de – schwer haben, die Patienten davon zu überzeugen, dass es ‚dieses Mal aber nun wirklich ernst ist‘.
In vielerlei Hinsicht ist die Bewegung des BMG durch die Ernennung von Frau Warken noch eine Blackbox. Dem Thema haben wir in dieser Ausgabe einen extra Artikel gewidmet: ~ Ministerin Warken und ihre Pläne. Unabhängig mit welchem Eifer die neue ‚BMG-Crew‘ an die Gate-Keeper-Reform herantritt, bleibt es fraglich, ob die neue Gesundheitsministerin die massiven Spannungen, die ein Primärarztsystem durch die Bank weg auslösen wird, wirklich wegmoderieren kann.
Als Abbinder ein Addendum zur Berichterstattung in den Breitenmedien. Darin wird des Öfteren auf die Niederlande oder Norwegen verwiesen. Die Vergleiche hinken allerdings. Norwegen beispielsweise hat keinen ambulanten Facharztsektor. Auch unterscheiden sich dort grundsätzliche Annahmen bezüglich der Versorgung, die sich bei der Bevölkerung etabliert haben, wie die Anerkennung von Hausärzten. Ein interessanter Beitrag dazu findet sich hier: Inanspruchnahme von Ärztinnen und Ärzten: Lehrreicher Blick nach Norwegen. Selbst die Theoretiker, von der Sozialökonomie bis zur Versorgungsforschung, sind sich bezüglich des Nutzens eines Primärarztsystems für die Anwendung auf das deutsche Gesundheitswesen nicht einig. Nur in einem Punkt gibt es einen Konsens, nämlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Der Spiegel v. 25.05.2025
Erst zum Hausarzt, dann zum Facharzt?
ndr v. 16.04.2025
Erst Hausarzt, dann Facharzt: Diskussion um neu geplantes System
Deutsches Ärzteblatt v. 10.04.2025
Primärarztsystem stößt auf Anklang, führt aber auch zu Kritik
Umfrage zum PVS-System soll sich als jährlicher ‚TÜV‘ etablieren | Mitwirkung erbeten
Das Zi hat die nächste Befragungsrunde bezüglich der Zufriedenheit mit Praxisverwaltungssystemen gestartet. Damit bemüht sich das Zentralinstitut weiter um eine valide Grundlage für die dringend gewünschte Transparenz im PVS-Markt. Ein nachvollziehbarer und unterstützungswürdiger Ansatz. Im Dezember des vergangenen Jahres hatte das Zi die Ergebnisse seiner zweiten Umfrage zu dem Thema PVS herausgegeben. Seitdem ist nach Aussage des Instituts einiges geschehen: So hätten die PVS-System-Anbieter, die teils desaströsen Bewertungen zur Kenntnis genommen und Verbesserungen umgesetzt. Das Zi bittet daher um eine rege Teilnahme und verspricht sich dadurch eine Qualitätsverbesserung. Die insgesamt 95 Tsd. angeschriebenen Praxen und MVZ sollten für die Teilnahme bis Mitte Mai 2025 die Zugangsdaten (Code) via Post oder eine entsprechende E-Mail bekommen haben. Ende Mai wird es für diejenigen, die eine Mail erhielten, noch eine Erinnerung folgen. Gibt es Fragen zur Teilnahme, so hat die KBV unter diesem Link (~ KBV) die Kontaktinformationen der Zi-Treuhandstelle gebündelt. Offiziell endet die Erhbung am 31.Mai 2025, allerdings ist eine Teilnahme noch bis zum 06.Juni 2025 möglich. Dirket zur Studie geht es über die Themenseite des Zi ~ PVS Monitoring.
In der Tat barg die Auswertung aus dem Dezember 2024 interessante Einblicke, wie die verschiedenen Hersteller und Angebote von den Kunden wahrgenommen wurden. Die Grundlage der Auswertung bildeten die 10.000 teilnehmenden Praxen, MVZ und Psychotherapiepraxen. Die Quintessenz ergab, dass insbesondere die marktdominanten Player reichlich Nachholbedarf bei der Kundenzufriedenheit hatten. Die Kunden ließen sich durch Unzuverlässigkeit, schlechten Service und ein mangelhaftes Preis-Leistungs-Verhältnis zum Anbieterwechsel bewegen und waren danach überwiegend zufriedener mit dem neuen PVS-Partner. Eine ausführlichere Einordnung der Umfrageergebnisse findet sich hier: Vollumfängliches Paper zum PVS-Qualitäts-Ranking (PRAXIS.KOMPAKT KW 8). Geht es nach dem Zi sollen die Umfragen zu den PVS künftig auf jährlicher Basis erfolgen. Somit könnte sich in der Tat eine Grundlage für mehr Markttransparenz ergeben, die aber auch den Herstellern nützen kann.
Health-Care Digital v. 28.04.2025
Erneute Umfrage Praxissoftware unter der Lupe
Deutsches Ärzteblatt v. 05.12.2025
Große Unterschiede bei Zufriedenheit mit Praxisverwaltungssystemen
Zentralinstitut der kassenärztlichen Versorgung v. 02.05.2024
Zi veröffentlicht erste Ergebnisse einer bundesweiten Umfrage unter Arzt- und Psychotherapiepraxen zur Praxissoftware