Update zum ePA-Rollout | Konfrontation mit der Praxis & Überblick zur Sicherheitsdebatte
In den ersten zehn Tagen wurde die ePA – oder besser: jeweils mindestens eine ePA – von mehr als 40 Tausend Einrichtungen genutzt, bzw. aufgerufen. Diese Zahl gab die gematik bekannt, ohne indes zu spezifizieren, zu welchem Anteil es sich dabei um Arztpraxen oder bspw. Apotheken handelt. (~ Quelle | Video Florian Hartge v. 9. Mai) Nimmt man daher die gut 17 Tsd. Apotheken und die 99 Tsd. Praxen und MVZ als aktuelle Hauptnutzergruppe zusammen, hat sich damit im Schnitt bisher jeder dritte Apotheken- bzw. Praxisstandort am freiwilligen Flächentest beteiligt. Eine durchaus beachtliche Zahl, bedenkt man die Vehemenz derer, die gegen das Projekt Stimmung machen. Gematik-Chef Hartge bescheinigt weiter, dass ‚seit dem Start am 29. April die ePA-Aktensysteme zu 100 Prozent verfügbar und stabil seien‘ – und tatsächlich lassen sich auch nirgends anderslautenden Meldungen finden.
Somit startet dieses viel gescholtene Mammutprojekt, das der nun Ex-Minister-Lauterbach hinterlassen hat, unerwartet geräuschlos. Das bedeutet freilich nicht, dass es keine Reibungspunkte gäbe. Je mehr beispielsweise hervorgehoben wird, dass allein das Vorhandensein der elektronischen Medikationsliste (eML) von den Ärzten als Gamechanger wahrgenommen werde, umso mehr fällt auch auf, dass alle weiteren inhaltlichen Funktionalitäten – eMedikationsprozess + -plan, Röntgenbilder, Suchfunktion, u. v. m. – nicht vor Frühjahr 2026 nutzbar werden. Als Hintergrund hat die gematik immer wieder Kapazitäts- und Finanzierungsprobleme angegeben. Es bleibt somit vorerst ein Rumpfprojekt, das jetzt anläuft; das aber offenbar dennoch geeignet ist, zu demonstrieren, welches Potenzial darin schlummert. Zu dieser Aussage passen jüngst veröffentlichte Detailauswertungen der KVHH, die sich auf die 50 Hamburger Praxen, die an der eigentlichen Testphase (15. Februar – 28. April) beteiligt waren, beziehen. „82 % der Befragten gaben demnach an, dass das ePA-Modul in ihrer Praxis bereits nutzbar ist. Von diesen gaben wiederum 70 % an, sie ohne Probleme testen zu können. (…) Mehr als zwei Drittel der Befragten würden die ePA demnach an andere Praxen weiterempfehlen.“ (~ Quelle)
Auf der anderen Seite steht natürlich die Sicherheitsdebatte. Dabei stehen aktuell zwei gegenläufige Prozesse im Fokus. Einerseits geht es darum, dass Unbefugte durch entsprechend intentionale Kombination von ‚unlauter erbeuteter TI-Hardware‘ mit eigentlich gewollten TI-Prozessen, Zugriff auf fremde ePA-Datensätze erhalten könnten – wie es der ChaosComputerClub (CCC) am 30. April demonstriert hat. Zum anderen hat ein Whistleblower darauf hingewiesen, dass es für den Löschprozess der ePA keinerlei weiterführende Identitätsprüfung gibt. Stein des Anstoßes ist hierbei, dass eine befüllte ePA von den Kassen gelöscht werden muss, wenn ein Widerspruch eingeht. Der anonyme Tippgeber führte hierbei allerdings den Nachweis, dass dazu ein in fremden Namen verfasstes Widerspruchsschreiben mit erfundener Unterschrift ausreichend war, was für den Versicherten zu einem ungewollten und ggf. nicht wiederherstellbarem Datenverlust führt. Insofern ist klarzustellen, auch wenn die Berichterstattung häufig alles vermengt: Es handelt sich weder um einen Hack oder um (potentiellen) Datenabfluss, noch um eine technische Sicherheitslücke. Vielmehr müssen offenbar die Kassenroutinen rund um den Widerspruch noch mal überdacht werden.
Der CCC hat dementgegen Beschwerde eingelegt, weil es ihnen möglich war, das Verfahren der eEB (~ mehr Infos Ausgabe KW48/2024: Praxiswissen zur Elektronischen Ersatzbescheinigung (eEB) ) zu nutzen, um für eine gezielte Person an all jene Daten zu kommen, die wiederum nötig wären, um sich in der Folge den ePA-Zugriff zu verschaffen. „In Kombination mit der Versichertennummer, einem Codierungsschlüssel sowie einem illegal beschafften Praxisausweis (SMC-B) und einem Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) wäre damit theoretisch der Zugriff auf Patientenakten vereinzelt möglich.“ (~ Quelle) Auch hier geht es also um Fragen des Identitätsnachweises und seiner Prüfung – nicht aber per se um einen technischen Hack. Denn natürlich ist klar, dass, wenn die Zugangsdaten zur ePA, bzw. zur TI nicht genügend geschützt werden, dann kann mit (gezielt) erbeuteten Zugangsdaten Aktivität mit und auf fremden ePAs ausgelöst werden. In der Folge dieser CCC-Aktion wurde jedenfalls unmittelbar der eEB-Prozess abgeschaltet. (~ CCC knackt erneut ePA – gematik schließt neue Sicherheitslücke)
Bezogen auf das Massenangriffsszenario, das der CCC hingegen bereits im Dezember 2024 hingewiesen hatte, hat die gematik seitdem mit den Verfahrensbeteiligten mehrere Schritte eingeleitet, um das Problem abzuschwächen. Zum einen sind sogenannte Hashwerte als neues (automatisiertes) Prüfmittel für jeden Datenzugriff eingeführt worden, die sich aus weiterführenden personenbezogenen Angaben speisen, etwa dem Datum des Versicherungsbeginns. Das bedeutet, jemand, der eine fremde ePA hacken will, benötigt schlichtweg mehr der Daten, die auf der eGK gespeichert sind … und die sich der CCC dann aber ersatzweise über das oben beschriebene, unlautere Auslösen des eEB-Prozesses besorgen konnte. Zum anderen wurde dem Massenzugriff ein genereller Riegel vorgeschoben, indem ein quantitatives Limit für die Zahl der Abrufe je SMC-B verankert wurde, das bei monatlich 10.000 Zugriffen je Praxis, bzw. 200.000 je Krankenhaus liegt. Unklar ist allerdings, welchen konkreten Nutzen ein solcher Alarm hat. Denn auch ein Datenzugriff auf ‚nur‘ 9.999 ePAs bleibt ein veritables Problem. Zusätzlich wurde im Übrigen mit den KVen auch die zeitlich nahe Zwangsabschaltung von SMC-Bs vereinbart, wenn die mit ihnen verknüpften Zulassungen zurückgegeben wurden. (~ Beispiel KV Rheinland-Pfalz)
Überblick und Zusammenfassung zur Sicherheitsdebatte bietet u. a. der Ärztezeitungs-Podcast (38 Minuten) vom 8. Mai 2025, in dem die Bundesdatenschutzbeauftragte ausführlich die Frage beantwortet: Wie steht es um den Datenschutz bei der ePA, Frau Specht-Riemenschneider? Wo sich in dieser Frage im Weiteren die beiden fachliche Aussicht führenden Behörden – BSI und BfDI – sehen und warum sie das Ihnen mit dem DigiG im Jahr 2023 entzogene Vetorecht wieder zurückfordern, zeigt dieser Beitrag auf heise.de v. 12. Mai. Etwas polemischer kommt in derselben Causa dieser Artikel von netzpolitik.org daher: Elektronische Patientenakte: Keine Verantwortung, nirgends.
Letztlich zeigt dieser Überblick zu den aktuellen Entwicklungen deutlich noch einmal die Verantwortung eines jeden Patienten, für sich selbst eine Entscheidung über die Gewichtung von Chance und Risiko zu treffen. Zu Recht wird jedoch ausgerechnet für diese Zielgruppe die Informationspolitik kritisiert (~ ePA-Start auf Raten verschärft Unsicherheit). Denn es stimmt: Es kostet die Patient:innen durchaus Arbeit, (vor-)Wissen und Zeit, sich alle für einen bewussten Umgang mit der ePA nötigen Informationen zusammenzusuchen. In der Folge verlagert sich dieser Aufklärungsbedarf vielfach an die Praxistresen und ins Sprechzimmer …
… Eine Herausforderung, mit der sich Praxen und MVZ daher – egal, wie sie selbst zum Rollout-Prozess stehen – befassen werden müssen. Praktische Hilfestellung dafür bietet die BMVZ-Arbeitshilfe zu betriebsorganisatorischen Aspekten des ePA-Rollouts (PDF | 7 Seiten).
Gelbe Liste v. 07.05.2025
TK zieht positive Bilanz zur ePA-Testphase
Ärzteblatt v. 02.05.2025
Endgültige Lösung für Sicherheitsprobleme der elektronischen Patientenakte kommt erst im nächsten Jahr
BMVZ-Beitrag v. 30.04.2025
Praxistipps für Ärzt:innen, Praxismanagement und MVZ-Leitung zum effizienten Umgang mit dem ePA-Rollout
Mind-Up Fortbildungszertifikate | Ärzte und MVZ: Wen, wann, welche Pflicht trifft
Ein aktuelles Urteil des LSG Baden-Württemberg zum Thema Fortbildungszertifikate zeigt in der Schlichtheit des Sachverhaltes, dass es fortwährend Aufklärungsbedarf im Hinblick auf die CME-Punkte und ihren Nachweis gibt. Bevor wir daher am Ende des Textes eine Zusammenfassung der Entscheidung geben, stellen wir die Kernpunkte, quasi als Reminder, noch einmal dar. Möglicherweise entdecken dabei auch ein paar erfahrene ‚alte Hasen‘ die ein oder andere neue, schlaue Passage, um sie im Dialog mit jungen Kollegen zu nutzen. Dabei gilt grundsätzlich: Während es in Hinsicht auf die ärztliche Pflicht zur Fortbildung und die Verantwortung des Arbeitgebers einige unumstößliche Fakten gibt, fallen wesentliche Punkte der konkreten Umsetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eher in die Kategorie ‚implizite Übereinkunft‘.
Eineindeutig regeln die Absätze 1 und 2 des § 95d SGB V die Verantwortung des Vertragsarztes, -zahnarztes und -psychotherapeuten, sich sein Berufsleben lang fortzubilden. § 95d SGB V Absatz 5 dehnt diese Verantwortung auch auf angestellte Ärzte aus. Hierbei gibt es im Übrigen keinerlei Zugeständnisse an ’nur‘ in Teilzeit vertrags(zahn)ärztlich tätige Kolleg:innen. Diese trifft die Nachweispflicht von 250 CME-Punkten (bzw. 125 Punkte bei Zahnärzten) exakt genauso wie in Vollzeit tätige Ärztinnen und Ärzte. Die Nachweispflicht der Weiterbildung für Vertragsärzte hat nach Absatz 3 alle fünf Jahre gegenüber der KV mittels fristgerechter Zertifikatsvorlage zu erfolgen.
Für angestellte Ärzte übernimmt nach Absatz 5 Satz 2 das MVZ diese Nachweispflicht. Die Sanktionen, wenn die Fortbildungszertifikate unvollständig oder nicht fristgerecht eingereicht werden, sind ebenfalls unmissverständlich im § 95d SGB V beschrieben. Ganz uneinsichtigen Ärzten droht nach zweijähriger Verfehlung der Frist, den Fortbildungsnachweis nachzureichen, der Zulassungsentzug. Bei MVZ ist nach dieser Frist vorgesehen, die betreffende Anstellungsgenehmigung zu widerrufen. Unmittelbar ab Fristverletzung sind zudem drastische Honorarkürzungen vorgesehen. Diese steigern sich von 10 % (erstes Jahr) auf 25 % des Honorarumsatzes im zweiten Jahr und enden erst mit dem Nachreichen der Zertifikate jeweils zum Ende des dann laufenden Quartals. Wurde also im ersten Quartal des Jahres gekürzt und der Nachweis im Februar nachgereicht, fallen die Vergütung im März noch unter die Kürzung, ab April dann aber nicht mehr.
CAVE für Arbeitgeber angestellter Ärzte!
Durch den erwähnten Übergang der Verantwortung über den Fortbildungsnachweis vom angestellten Arzt auf das MVZ, bzw. auf die anstellende Praxis trifft die Honorarkürzung als Sanktion – als schmerzhaftes Druckmittel – stets die gesamte Einrichtung und nicht nur die LANR des betroffenen Arztes. Denn obwohl sich der Gesetzgeber bisher bei der Übertragung der Rechte und Pflichten auf die MVZ-Geschäftsführung nicht immer als konsequent erwiesen hat, ist er es bei diesem Thema. In der Folge lässt der Gesetzestext (in Kraft seit 2004), aber auch die einstige Gesetzesbegründung wenig Zweifel daran, dass dem MVZ als Arbeitgeber aus der ihn treffenden Berichtspflicht auch ein Weisungsrecht bezüglich der Fortbildung erwächst. „Das medizinische Versorgungszentrum oder der Vertragsarzt kann als Arbeitgeber aufgrund seiner Weisungsbefugnis und durch organisatorische Maßnahmen, wie z. B. das Aufstellen eines Fortbildungsplans, frühzeitig dafür Sorge tragen, dass alle bei ihm angestellten Ärzte die Fortbildungspflicht erfüllen und im Falle hartnäckiger Weigerung das Beschäftigungsverhältnis kündigen und damit Honorarkürzungen vermeiden oder deren Laufzeit reduzieren.“ (GMG-Entwurf ab Seite 109 | zu Absatz 5: Seite 111)
Im Praxisalltag stellt sich die Situation jedoch oft so dar, dass Ärzt:innen ihre Fortbildungen selbstständig organisieren, was aber nichts am Einsichtsrecht des Arbeitgebers ändert, da er sonst seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen kann. Inwieweit Arbeitgeber zusätzlich das ‚Managen‘ und bisweilen auch die Finanzierung der Fortbildung übernehmen, muss organisationsspezifisch entschieden werden. Eine eindeutige Empfehlung gibt es dafür nicht, da sich dieser Bereich im Spannungsfeld aus freier Berufsausübung und betrieblicher Interessen befindet. Umso spannender ist dieser ältere Beitrag von Arzt+Wirtschaft, der sich mit der Detailfrage befasst, wann Arbeitgeber, die ihren angestellten Ärzten die Fortbildung finanziert haben, ein Rückforderungsanspruch zukommt. (~ Fortbildungen: Hier besteht für angestellte Ärzte Rückzahlungspflicht). Wesentlich ist in diesem Fall, aber auch allgemein, dass sich das Thema zwecks Streitprävention von Beginn an in jedem ärztlichen Anstellungsvertrag niederschlägt. Das betrifft einerseits die simple arbeitsvertragliche Festschreibung der Fortbildungspflicht der Ärzte, aber eben sinnvollerweise auch Details dazu, wie das Thema organisatorisch in der betreffenden Praxis, bzw. dem MVZ gehandhabt wird.
Die Selbstverwaltung verlässt sich an dieser Stelle weitgehend auf die Eigenverantwortung der Akteure. Nur das Endresultat, sprich das Zertifikat, möchte die KV rechtzeitig und im korrekten Format auf dem Tisch haben. Und, apropos Frist und Form: Nachfolgend ein paar Ausführungen zum aktuellen Fall, der jedoch beim BSG zur Revision vorliegt und daher bislang nicht abschließend entschieden ist:
| ~ Volltext L5 KA 3215/22 | Das LSG Baden-Württemberg urteilte am 27.11.2024 über einen Fall, der sich bereits 2017 ereignete. Ein Arzt übernahm eine Praxis, in der er zuvor angestellt war. Er ging davon aus, dass sich damit die 5-jährige Nachweispflicht-Frist für ihn ab der Übernahme neu berechnen würde. Das Gericht urteilte schlicht: ‚Nein-tut sie nicht.‘ Der Arzt hatte ferner seine Nachweise in Form eines Ausdrucks der Fortbildungspunkte der Ärztekammer vorgelegt und nicht in dem von der KV vorgesehenen Format. In seiner Verteidigung betonte der Arzt, er hätte sogar die doppelte Anzahl der geforderten Fortbildungspunkte erbracht. Die Richter legitimierten jedoch die Honorarkürzung der KV und verwiesen auf die Irrelevanz zusätzlicher Punkte über das Mindestmaß hinaus und die unabdingbare Notwendigkeit des Einhaltens der KV-Formalien bezüglich der Formate zum Nachweis der Fortbildungen. (~ ÄrzteZeitung v. 24.04.2025)
Themenseite KV Bayerns
Fortbildungsverpflichtung nach § 95d SGB V
KBV-Merkblatt v. 24.10.2024
FAQ Fortbildungsverpflichtung nach § 95d SGB V (PDF – 4 Seiten)
ZWP Online v. 28.12.2017
Unterschätztes Risiko: Verstoß gegen die Fortbildungspflicht
Wer zieht da eigentlich ein ins BMG? | Anwalts-Trio übernimmt Lauterbachs ‚Reformmaschine‘
In den diversen historischen Niederschriften zur ‚Kunst des Krieges‘ gibt es immer wieder Ausführungen zu Überraschungsmanövern. Inwieweit die völlig unerwartete Ernennung von Nina Warken zur Bundesgesundheitsministerin solch einem ‚genialen‘ Manöver gleichkommt, ist allerdings eine Frage für zukünftige Bewertungen. Im Hier und Jetzt bietet die ins BMG berufene Personalie aber immerhin reichlich Spekulationspotenzial. Im Bemühen um eine unbedarfte Einordnung, lässt sich zumindest festhalten, dass die 45-jährige Juristin aus Baden-Württemberg gesundheitspolitisch ein unbeschriebenes Blatt ist. Das heißt aber auch: Auf Bundesebene und in diesem Ressort hatte Warken bisher keine Chance, es sich mit dem Wähler oder den Akteuren der ambulanten und stationären Versorgung zu verscherzen. Folgerichtig begrüßen KBV und DKG die Nominierung. (~ Quelle) Gegenwind gab es dagegen vom bisherigen BMG-Leitungsstabschef und SPD-Mann Boris Velter, nicht konkret an der Person Warkens, sondern an der Tatsache, dass das Ministerium an die Unionsfraktion geht und damit der Dissens der Unionsparteien in Fragen der GKV-Finanzierung in eine gesellschaftliche Situation getragen würde, die keine Handlungsstarre zuließe. (~ Die neue BMG-Chefin – so tickt Nina Warken) Das Ausbleiben von substanzieller Kritik aus der medizinischen Fachwelt an Frau Warken lässt aber vermuten, dass man sich mit dem neu besetzten BMG alles in allem einen Verhandlungspartner erhofft, bei dem sich die eigenen Interessen – anders als beim Lauterbach-BMG – konstruktiv platzieren lassen.
Das notwendige fachliche Know-How für diese Verhandlungen sollen die beiden Gesundheitspolitiker Tino Sorge und Georg Kippels, beide CDU, einbringen. Die beiden Juristen werden als Staatssekretäre in das BMG berufen. Ob Tino Sorge, der zwischenzeitlich als Lauterbach Nachfolger gehandelt wurde, die Position als Downgrade empfindet, bleibt allerdings offen. Der Jurist aus Magdeburg sitzt seit 2013 als Abgeordneter im Bundestag und konzentriert sich schon länger auf den Themenbereich Gesundheitswesen. Während er in der vergangenen Wahlperiode gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion war, beschäftigte sich Sorge in den Legislaturperioden zuvor unter anderem mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Im Kontext der Lauterbach‘schen Reformen nahm Sorge allerdings vornehmlich die Kontra-Rolle ein – so wie die Unionsfraktion insgesamt. Auch der zweite Staatssekretär Kippels ist seit Jahren mit dem Gesundheitsthema befasst und seit 2015 Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Wie Tino Sorge kennt er die Akteure und Schmerzpunkte des Gesundheitswesens. Gerade erst im April 2025 hat er in einer BBMV-Veranstaltung zur MVZ-Thematik auf dem Podium gesessen und dabei allerlei gemäßigte Aussagen und Ansichten – gemessen am Lauterbach-Duktus zur MVZ-Debatte – zu Protokoll gegeben. (~ LinkedIn-Post von Georg Kippels zur Veranstaltung: Ist nach der Wahl vor der MVZ-Regulierung?)
Parallel wurde Prof. Karl Lauterbach vollends vom Thema abgezogen und sitzt nicht einmal mehr im Gesundheitsausschuss. (~ „Gesundheitsminister war sein Traumjob“) Seine teils ‚fast fertigen‘ Gesetzesentwürfe verbleiben jedoch auf dem Schreibtisch der neuen Ministerin. Inwieweit das Trio Warken, Kippels und Sorge dieses Potpourri an Gesetzen-in-Spe reinweg als Altlast ansehen darf, wird aber nicht allein im BMG, sondern eben auch vom Koalitionspartner SPD mitentschieden. Lauterbachs Schatten könnte unter diesen Umständen doch länger werden, als von vielen erhofft.
Handelsblatt v. 30.04.2025
Was das Profil der Lauterbach-Nachfolgerin kennzeichnet
Deutsches Ärzteblatt v. 28.04.2025
Sorge und Kippels sollen Staatssekretäre im Bundesgesundheitsministerium werden
ÄrzteZeitung v. 28.04.2025
Überraschende Personalie: Eine Juristin wird Gesundheitsministerin: Das ist Nina Warken
Neue Grenzen bei der Videosprechstunde: Ein Schritt vor und zwei zurück?
Vor zwei Monaten hatten wir berichtet, dass KBV und GKV-Spitzenverband in Umsetzung des DigiG – mit ordentlich Verspätung – die gemäß § 87 2o SGB V geforderten Detailvorgaben zu Qualität und Durchführung von Videosprechstunden (VS) vereinbart hatten. Während der parallele Auftrag in § 87 2n SGB V, „die Erbringung von Videosprechstunden in einem weiten Umfang zu ermöglichen“, also eine quantitative Regelung zu treffen, nach wie vor der Erledigung harrte. Weitgehend unbeachtet wurde dieses Versäumnis Anfang April nachgeholt und der EBM in diesem Punkt durch die 778. Sitzung des Bewertungsausschusses umfassend geändert. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Ausweitung der Mengenbegrenzung stellt in vielen Kontexten real eine Einschränkung dar und untermauert den Ansatz der KV-Welt, kommerzielle Anbieter absichtsvoll auszumanövrieren. (~ KW50/2024: Telemedizin-Anbieter weitet sein Geschäftsmodell aus – K(B)V fordert Beschränkungen der Videosprechstunde)
Die KBV hatte dazu am 3. April in ihren Praxisnachrichten bereits in der Überschrift herausgestellt, dass, mit Rückwirkung zum 1. Januar 2025, „Videosprechstunden in noch größerem Umfang möglich [seien]“ – eine die Fakten eher verschleiernde Lesart, die jedoch in der Berichterstattung konsequent übernommen wurde: Ärztezeitung | Zahnärztliche Mitteilungen | Ärzteblatt. Erst in einem späteren Artikel ging etwa die ÄrzteZeitung darauf ein, dass „die Debatte um mögliche Rosinenpicker bei der … per Videosprechstunde tobt: Erst vor ein paar Tagen … [hat sich der] Bewertungsausschuss auf neue … Obergrenzen für die … Videosprechstunde geeinigt. Demnach werden die Spielräume für Praxen erweitert, regelmäßig behandelte … Patienten ausschließlich per Video zu betreuen. Bei Patienten, die … gänzlich unbekannt sind, bleibt dagegen eine Obergrenze von 30 Prozent.“ (~ 17. April: Umfrage zur Telemedizin) Der Passus lenkt den Blick auf das Wesentliche: Die beschlossene Anhebung der Mengenbegrenzung auf 50 % betrifft lediglich die per Video durchgeführte Betreuung von Patienten, die binnen des letzten Jahres bereits in der Praxis persönlich vorstellig waren.
Alle anderen Cluster, also Patienten, die nur selten zu ihrem Arzt gehen, die mangels Krankheit gar keinen Hausarzt haben, oder eben jene, die über kommerzielle Vermittler – wie die Teleclinic – auf ihnen völlig fremde Ärzte treffen, unterliegen weiterhin der bisherigen 30%-Begrenzung. Hinzukommt, dass diese Grenze ab sofort nicht mehr an der Gesamt-Behandlungsfallzahl der Praxis gemessen wird, sondern an der Behandlungsfallzahl der unbekannten Patienten in diesem Quartal. Das bedeutet für den ‚Cluster Neupatienten‘ nach Adam Riese eine effektive Absenkung der Fallzahlgrenze, da die Zahl der unbekannten (Neu-)Patienten in den meisten Praxen – zumindest in der Allgemeinmedizin – naturgemäß nur eine kleine Teilmenge aller Patienten ausmacht.
Damit sind Praxen und MVZ, die sich bisher auf das Terrain der Videosprechstunde (VS) begeben und entsprechend im Markt positioniert haben, nachhaltig von den neuen Regelungen betroffen. Denn naturgemäß werden per Video vor allem leichte Erkrankungen und AUs behandelt, und das folgerichtig vorwiegend nicht bei Patienten, die ohnehin regelmäßig die Praxis aufsuchen. Man muss also gar nicht an die TeleClinic GmbH und verwandte Geschäftsmodelle denken, um hier zu erkennen, dass die beabsichtigte Steuerungswirkung des Bewertungssauschusses darauf abzielt, die Behandlungsszenarien im Allgemeinen möglichst konservativ zu halten. Die verkündete Flexibilisierung stellt insoweit primär eine Bremse für all jene Ärzte dar, die bisher in die digitalen Möglichkeiten der VS investiert haben. Denn, das darf nicht vergessen werden: Um als MVZ oder Praxis VS regelkonform anbieten zu können, sind zunächst einmal Investitionen in Know How und Equipment nötig, die sich keinesfalls amortisieren, wenn nur ab und zu eine VS den sonst reinen Sprechstundenalltag in Präsenz unterbricht.
An dieser kritischen Bewertung ändert es nichts, dass der Bewertungsausschuss im Weiteren auch zusätzliche Honorare und Klarstellungen vorgenommen hat: (1) Ab 1. April dürfen auch Nuklearmediziner VS anbieten. (2) Die Zusatzhonorare des Hausarztvermittlungsfalls werden auch bei Terminvermittlung per VS ausgelöst. (3) Für unbekannte Patienten, die per VS behandelt werden, gibt es zu den Grund- und Versichertenpauschalen seit 1. April einen Aufschlag von 30 Punkten, der automatisch von der KV hinzugesetzt wird. (4) Beginnend mit dem dritten Quartal kann der Technikzuschlag (GOP 01450) nur noch maximal 18 Mal je Quartal angesetzt werden. Eine Honorarreduktion, die mit „gesunkenen Preisen der Videodienstanbieter“ begründet wird.
Im Ergebnis gilt: Im Zusammenspiel der bereits seit März geltenden neuen Qualitätsstandards und der am 1. September in Kraft tretenden räumlichen Beschränkungen (~ KW10: Neue Standards für die Videosprechstunde seit 1. März 2025) sowie der hier dargestellten neuen Mengen-Vorschriften werden die Rahmenbedingungen des ‚Marktes‘ für Anbieter von Videosprechstunden deutlich verändert. Praxen und MVZ, die hier bisher agiert haben, werden sich zwingend anpassen müssen. Dass dies großen Anbietern, wie bspw. der Teleclinic GMBH deutlich leichter fällt, als den Praxen, die Videosprechstunden in Eigenregie angeboten haben, dürfte auf der Hand liegen. Fraglich ist nur, ob GKV-Spitzenverband und KBV ausreichend bedacht haben, dass ihre Vorschriften – mal wieder – vor allem ‚die Kleinen‘ belasten, während die großen kommerziellen Anbieter wahrscheinlich problemlos in Richtung Selektivverträge mit den Kassen umsteuern können.
ÄrzteZeitung v. 17.04.2025
Online-Arztbesuche werden langsam zu einem Teil der Normalität
KBV-Merkblatt | Stand April 2025
PraxisInfo Videosprechstunde (PDF | 4 Seiten)
Bewertungsausschusses v. 04.04.2025
Volltext-PDF | Beschluss 778. Sitzung ‚Weiterentwicklung Videosprechstunde‘
GOÄ-Reform | Showdown auf dem Deutschen Ärztetag?
Beim dreitägigen Deutschen Ärztetag, der ab dem 27. Mai 2025 in Leipzig stattfindet, steht als eines der Kernthemen die Abstimmung über die GOÄ-Novellierung im Fokus. Nachdem das Thema bereits eine lange Vorgeschichte hat (~ KW50/2024: GOÄ-Reform | Hinterm Horizont geht’s weiter), bahnt sich im Vorfeld des Ärztetags ein weiteres Aufeinandertreffen zweier Fronten an. Während der PKV-Verband den jetzigen Stand der GOÄ-Neu als nicht weiter verhandelbar erklärt, haben sich in der Gegenbewegung „GOÄ-neu so nicht!“ insgesamt 33 verschiedene ärztliche Fachverbände zusammengeschlossen. (~ zur Kampagnen-Webseite) Betrachtet man dabei die Breite und Vehemenz des Widerstandes, lässt sich nur resümieren, dass die seit Herbst 2024 durchgeführten Clearinggespräche und ausführlichen Erklärungsversuche der Bundesärztekammer offensichtlich nicht den erwünschten Effekt hatten. (~ KW38/2024: GOÄ-Novelle ante portas?) Aber: Ein destruktiver Diskurs beim Ärztetag könnte spürbare Folgen haben und damit das Vorhaben GOÄ-Reform erneut auf unabsehbare Zeit verschieben.
Der Grundtenor der Aktion „GOÄ-neu so nicht!“ kann übergesetzt werden mit: ‚Gerne wolle man eine Novellierung, aber nur, wenn für alle Fachgruppen deutlich mehr Geld drin ist.‘ Dass die BÄK den privaten Krankversicherungen aber bereits eine grundsätzliche Ausweitung des Honorarvolumens abgetrotzt hat, wird dabei häufig unterschlagen. Denn tatsächlich war der PKV-Verband einst unter der Maßgabe der ‚Volumenneutralität‘ in die Verhandlungen gestartet. Im Laufe der vergangenen Reformanläufe hatte man sich dann aber auf eine – im Gesamtkontext beachtliche – Steigerung um 13,2 % des Vergütungsvolumens binnen der kommenden drei Jahre geeinigt. BÄK und PKV-Verband betonen dabei gleichermaßen, dass diese Zahl zudem ‚keine Budgetierung‘ darstelle. Alle erbrachten Leistungen könnten weiterhin voll abgerechnet werden. Nach drei Jahren soll allerdings evaluiert werden, ob die neue GOÄ-Vergütung tatsächlich die angestrebte Steigerung der Vergütung zur Folge hatte. Sollten die Kosten der Versorgung aus der GOÄ-Neu unter oder über der Honorarsteigerung von 13,2 % liegen, würde nachjustiert werden.
Nach wie vor stören sich die Widersacher des aktuellen Entwurfes der GOÄ-neu vor allem an der Intransparenz der Neuberechnung. Stets wird das Argument ins Feld geführt, es fehle eine fundierte betriebswirtschaftliche Grundlage für die neuen Bewertungen (~ Beispiel: Radiologie). Aber natürlich stößt besonders auch die geplante Umverteilungswirkung innerhalb der Ärzteschaft von den Geräte-lastigen Fachgruppen hin zur sprechenden Medizin den negativ betroffenen Fachgruppen auf (~ GOÄneu: Radiologen kritisieren Minus von rund 29 %). Offen zugeben möchte den ‚Bruderneid‘ aber natürlich keiner. Fakt ist: Der sogenannte ‚Mehrumsatz‘ der PKV-Versicherten und damit auch die Ausgaben der PKVen stieg von 2022 auf 2023 um rund 14 %. Was für Praxen und MVZ positiv scheinen mag, ist für die Versicherer ein Zeichen, das Portemonnaie eng an der Brust zu halten. Denn auch abseits einiger Nachholeffekte gibt es zahlreiche Faktoren, die langfristig für einen Kostenanstieg bei den PKV sorgen werden.
Es wird damit in Leipzig spannend werden, ob die Gegner der aktuellen GOÄ-neu Fassung selbst eine tragfähige Lösung präsentieren werden, oder ob man darauf abzielt, mit bloßem ‚Dagegen Sein‘ ein erneutes Scheitern zu provozieren. Im Übrigen gilt: Selbst wenn der Ärztetag ein positives Signal senden sollte: Bis die Reform wirklich in den Praxen ankommt, würde es weiter dauern, da dann erstmal der entsprechende parlamentarische Beratungsprozess angestoßen werden müsste.
Ärzteblatt Ausgabe 09/2025
Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ): Was man zur GOÄ-Novelle wissen muss
Quintessenz Publishing Deutschland v. 05.05.2025
Wichtiges Signal an die Politik – PKV-Verbandschef Reuther: ohne Zustimmung keine Nachverhandlungen
ÄrzteZeitung v. 05.05.2025
Gut drei Dutzend Berufsverbände und Fachgesellschaften machen gegen die GOÄneu mobil
EU-Entgelttransparenzrichtlinie | Unmittelbarer Erkenntnisbedarf, obwohl die nationale Umsetzung noch aussteht
Bis spätestens Ende Juni 2026 soll die EU-Richtlinie für die Entgelttransparenz ins nationale Recht umgesetzt werden. Trotz des damit verbundenen politischen Konfliktpotentials müssen Unternehmen davon ausgehen, dass Deutschland diese Frist einhält, was zu schwerwiegenden Konsequenzen in der innerbetrieblichen Gehaltsstruktur führen kann und daher am besten schon heute, und nicht erst in einem Jahr, die notwendige Aufmerksamkeit verdient. Denn nach dem jetzigen Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass die bisherigen Schwellenwerte für wesentliche Offenlegungsmechanismen entfallen, die momentan nach deutschem Recht noch gelten, und somit viele MVZ und Praxen bisher unberührt lassen. Dies könnte sich ab 2026 ändern. Was die Kernpunkte der neuen Regelung sind, welche politischen Hürden das Gesetz noch nehmen muss und welche Maßnahmen bereits jetzt für das Unternehmen sinnvoll sind, haben wir daher grob zusammengefasst.
Um Verwirrungen vorwegzunehmen und das Gesetzes-‚Update‘ einzuordnen: Es gibt bereits ein nationales Entgelttransparenzgesetz – die EU-Verordnung verschärft jedoch die Kriterien. Ob das neue Gesetz dann einen völlig neuen Namen bekommt, ist noch offen. Die bereits am 26. Juni 2023 in Kraft getretene EU-Verordnung (~ Volltext) soll europaweit für mehr Lohngerechtigkeit sorgen, muss aber noch, wie einleitend angedeutet, in nationales Recht übertragen werden. Die Ampel-Koalition hatte sich bereits daran versucht, mit zahlreichen Bekenntnissen über die Dringlichkeit und Relevanz des Vorhabens. Gleich drei Ministerien hatten am Vorhaben mitgeschraubt: das BMFSFJ (~ Familienministerium) sowie das Arbeits- und das Justizministerium. Sollte sich dieses Kompetenzgerangel in der neuen Regierung fortsetzen, könnte das zu Verzögerung und/oder einem für die Unternehmen sehr nachteiligen, weil widersprüchlichem Gesetz führen. Wenn in den kommenden Monaten über das Gesetzesvorhaben und die Diskussionen drumherum berichtet wird, ist es demnach empfehlenswert, dass der Leser jeweils das Maß zwischen sicherer Vorhersage und Eventualität richtig abschätzt. Ignorieren sollten die Geschäftsführungen das Vorhaben aber auf keinen Fall.
Worum geht es? Nach den jetzigen Projektionen stellen sich die neuen Vorschriften wie folgt dar: Grundsätzlich muss zwischen verschiedenen Verpflichtungen unterschieden werden, die auf die Arbeitgeber zukommen. Der sogenannte Auskunftsanspruch berechtigt Arbeitnehmer, die Gehaltsinformationen für gleiche oder gleichwertige Arbeit einzufordern. Dieser Anspruch wird nach der neuen Regelung gemäß einiger Expertenvoraussagen „voraussichtlich“ unabhängig von der Unternehmensgröße gelten. Das bedeutet, für diese Auskunftspflichtpflicht würde dann die jetzt geltende Untergrenze von 200 Beschäftigten ersatzlos entfallen. Ferner müssen bei Stellenausschreibungen zukünftige Gehaltsspannen angegeben werden. Unternehmen werden verpflichtet, objektive Kriterien zur Gehaltsentwicklung transparent darzulegen. Eine Untergrenze gibt es für die vorgesehene ausführliche Berichtspflicht. Arbeitgeber mit mehr als 250 Beschäftigten sollen jedes Jahr einen Bericht zum geschlechterspezifischen Lohngefälle vorlegen müssen, Unternehmen von 150 bis 249 müssten dieser Berichtspflicht vorerst nur alle drei Jahre nachkommen. Die EU-Richtlinie sieht eine Verschärfung der Grenzwerte zu einem späteren Zeitpunkt vor, wonach dann auch Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden diese Berichtspflicht auferlegt wird.
Die Konsequenzen: Gehen bei größeren Unternehmen aus den oben genannten Berichten zum Lohngefälle Abweichungen von mehr als 5 Prozent hervor, so müsste der Arbeitgeber gegensteuern. Die EU-Richtlinie sieht vor, dass Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entschädigung haben, und zwar – CAVE! – auch rückwirkend. Die Beweislast liegt im Falle eines Rechtsstreites beim Arbeitgeber. Die Hürden für Arbeitnehmer, hier gegen den Arbeitgeber vorzugehen, werden gesenkt, und auch Arbeitnehmervertreter, sollen berechtigt werden, in Namen der Arbeitnehmer Sammelklagen zu initiieren. Dies träfe eher auf den Klinik-Betrieb zu, könnte aber auch im größeren Kontext zu Verwerfungen führen, beispielsweise wenn auf diesem Wege höhere Gehälter in Bereichen durchgesetzt werden, die mit den MVZ um Arbeitnehmer konkurrieren. Für das Nichtbefolgen drohen Unternehmen zudem Strafen, die voraussichtlich wieder an der Höhe des Jahresumsatzes bemessen werden. All dies ist noch nicht in Stein gemeißelt. Die deutschen Arbeitgeberverbände mahnen zur Umsicht und auch die CDU/CSU-Fraktion hatte, solange sie noch in der Opposition war, eingefordert, dass durch das Gesetz ‚keine überzogenen nationalen Sonderlasten entstehen‘ dürften. (~ Quelle)
Was können Unternehmen jetzt tun? Nur ein Bruchteil der deutschen Unternehmen fühlt sich auf das neue Regularium vorbereitet. Insbesondere bei MVZ in Regionen mit Arbeitnehmermangel ist das Gehalt oft ein unerlässliches Steuerungskriterium. Hier gilt es nun vorausschauend zu agieren. Laut der Zeitschrift Arzt +Wirtschaft könnte ein erster Schritt in das Projekt ‚Gehaltstransparenz‘ derart aussehen, dass sich medizinische Einrichtungen zunächst Listen anlegen, in denen die Durchschnittsgehälter nach Tätigkeitsgruppe und Geschlecht aufgeführt sind. Ferner kann ein Kriterienkatalog erstellt werden, aus dem die individuellen Vergütungen nachvollziehbar und transparent abgeleitet werden können. Dieser Katalog ist im Bearbeitungsprozess explizit auf die Geschlechterneutralität zu prüfen.
Unabhängig von der dann konkreten Gesetzesumsetzung sind sich hier die einschlägigen Quellen einig, dass derlei Maßnahmen eine gute Vorbereitung auf die neuen Pflichten abgeben. Es scheint daher ratsam, dass sich Geschäftsführungen auch von MVZ und anderen komplexen Praxisstrukturen zeitnah mit dem Thema auseinandersetzen.
Arzt & Wirtschaft v. 11.04.2025
EU-Entgelttransparenzrichtlinie: Mitarbeitende können bald offiziell ihre Gehälter vergleichen
Vogt-Consulting v. 26.02.2025
EU-Entgelttransparenzrichtlinie 2023/970 und gesetzlich geplante Umsetzung in Deutschland mittels Entgelttransparenzgesetz
haufe.de v. 15.11.2024
Umsetzung der EU-Richtlinie für mehr Lohntransparenz