Benchmarkdaten für 2022 zur Kostenstruktur von Arzt- & Zahnarztpraxen vorgelegt | Neue Erhebungsrunde mit Auskunftspflicht startet im Oktober
Regelmäßig werden vom Statistischen Bundesamt im Auftrag des Bundes u.a. ausführliche Daten zur Kostenstruktur von Arztpraxen erfasst und veröffentlicht. Es handelt sich dabei – ähnlich wie bei der wahrscheinlich bekannteren Haushaltsbefragung (Mikrozensus) – um eine von Staats wegen organisierte Erhebung, für die eine Auskunftspflicht besteht und deren Ergebnisse dafür aber umfänglich öffentlich zur Verfügung gestellt werden. Aktuell werden alle Berufsverbände informiert, dass ab Oktober die neue Erhebungsrunde mit dem Bezugsjahr 2023 beginnt. Die Stichprobe liegt bei 7% aller MVZ und Praxen und wird „auf Basis einer rotierenden …Stichprobenziehung“ konkretisiert. Soll heißen, es werden andere 7 % angeschrieben als im letzten Jahr. Wer mehr wissen will, kann in diese Hintergrundinformationen der KZV Brandenburg, bzw. der KZV Nordrhein schauen oder sich direkt beim destatis-FAQ informieren, das u.a. die Fragen beantwortet, zu welchen Themen die Praxen befragt werden und wofür die Daten genutzt werden. Diesbezüglich heißt es u.a.: „Die Ergebnisse dienen der Erstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) und der berufspolitischen Arbeit von Verbänden und Kammern im Gesundheitsbereich. Zudem bilden die Ergebnisse der Kostenstrukturstatistik im medizinischen Bereich eine wesentliche Datengrundlage für die Arbeit des so genannten Bewertungsausschusses.“
Wer erhält diese Briefe? Bitte informieren Sie Ihre Standorte, dass die Schreiben der Statistik-Behörde ernst zu nehmen sind (~ § 5 Absatz 1 KoStrukStatG). Gegebenenfalls wird mit einem Zwangsgeld nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen nachgeholfen. Auf konkrete Nachfrage des BMVZ, wie diese Schreiben adressiert werden, haben wir diese Antwort erhalten: „In erster Linie werden von uns die Praxisadressen angeschrieben. Unser Ziel ist es, im Fall von mehreren Standorten den Hauptsitz einer Praxis bzw. eines MVZs anzuschreiben. Die Auskunftspflicht bezieht sich dann immer auf das komplette Praxiskonstrukt. Sollte es sich bei einem MVZ also beispielsweise um eine GmbH mit 3 Standorten handeln – ein Hauptsitz und 2 Zweigstellen – so würden wir den Hauptsitz anschreiben (Geschäftsführung) und um Angaben für die gesamte GmbH bitten.“ D.h. für MVZ mit überörtlichen Verantwortlichkeiten gilt es sicherzustellen, dass die Post auch die richtige Stelle erreicht. Ob Sie das betrifft? – Setzt man die Größe der Zufallsstichprobe in Bezug zu allen MVZ-Standorten, werden pi mal Daumen auch 350 MVZ Empfänger solcher Briefe sein.
Ein Blick auf den neusten Bericht: Am 3. September wurden die Zahlen für das Jahr 2022 öffentlich gemacht. Der zugehörige Bericht ist im PDF- und Excel-Format verfügbar. Gerade Letzteres stellt ein nützliches Werkzeug für Controller oder Geschäftsführer dar, die Benchmarks für den ambulanten Medizinsektor suchen. Gut zu wissen ist auch: Die Kostenstrukturstatistik für Vertragsarztpraxen erscheint seit dem Berichtsjahr 2021 jährlich. Dies ermöglichte für das Berichtsjahr 2022 erstmals auch einen direkten Vorjahresvergleich. Passend für alle Fachrichtungen fasste Hausarzt.Digital (~ Quelle) die Ergebnisse 2022 wie folgt zusammen: „Arztpraxen in Deutschland mussten 2022 deutlich höhere Kosten verkraften. Sie konnten sich zwar auch über gesteigerte Einnahmen freuen – doch am Ende blieb bei vielen weniger Geld übrig.“
Statistisches Bundesamt: Abruf der aktuellen Berichtbände
Kostenstrukturstatistik im medizinischen Bereich 2022 (PDF | 46 Seiten)
Links zu den entsprechenden Excelübersichten für 2022 und 2021
Berufsverband niedergelassener Gastroenterologen v. 09.09.2024
Amtlich bestätigt – Reinerlöse der Ärzte im Sinkflug
Pressemitteilung d. Statistischen Bundesamtes v. 03.09.2024
Arztpraxen 2022: 11,0 % höhere Aufwendungen als im Vorjahr
Änderung der Ärzte-ZV erlaubt Homeoffice für Ärzte | Möglichkeiten und normatives Korsett im Überblick
Mit dem Inkrafttreten des Digitalgesetzes (Digi-G) am 26. März 2024 wurde die Bindung der ärztlichen Tätigkeit an den Vertragsarztsitz partiell aufgehoben, womit der Weg nun frei ist für die Videosprechstunde aus dem Homeoffice. Ausgenommen sind allerdings die Psychotherapeuten, da hier bis Jahresende noch eine Anpassung der psychotherapeutischen Sprechstunden und probatorischer Sitzungen im Rahmen einer Videosprechstunde aussteht. Nachdem ein halbes Jahr vergangen ist, und die verschiedenen Rechtsprofessionen und Interessengruppen Zeit hatten, ihre Bedenken anzumelden, lohnt sich u.E. ein Blick auf die wichtigen Eckpunkte für diese neue Option, vertragsärztlich tätig zu sein. Eine gute Nachricht vorweg: Es gibt vermehrt positive Rückmeldungen, nach denen sich das ärztliche Homeoffice insbesondere in größeren Einrichtungen sinnvoll etablieren lässt.
Rechtliche Grundlage: Durch die Einfügung eines zusätzlichen Absatzes 8 in § 24 ZV-Ärzte wird die Möglichkeit geschaffen, dass „die vertragsärztliche Tätigkeit … in Form von Videosprechstunden außerhalb des Vertragsarztsitzes erbracht werden [darf], sofern der Vertragsarzt seiner Verpflichtung nach § 19a Absatz 1 Satz 2 und 3 am Ort des Vertragsarztsitzes nachkommt.“ Wobei sich § 19a Ärzte-ZV, auf den verwiesen wird, um die Sprechstundenverpflichtung dreht. Damit ergänzt sich normativ die bereits seit Längerem bestehende Öffnung der Fernbehandlungsregeln aus der MBO-Ärzte. Zwar war die Fernbehandlung auch vor der Anpassung durch das Digital-Gesetz möglich, dann aber über das Konstrukt der Nebenbetriebsstätte. Diese teils umständliche und bürokratische Form ist nun überflüssig. Mit dem Digi-G wurde zudem der Bewertungsausschuss damit beauftragt, die Mengenbegrenzung und Vergütung der Videosprechstunde neu zu bewerten. Bislang konnten wir hier allerdings noch keine News vom G-BA ausmachen. Die Neujustierung wird sich wohl am ‚Willen des Normengebers‘ orientieren. Dieser Wille kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Fernbehandlungsmöglichkeiten sollen gestärkt werden, ohne aber, dass diese überhandnehmen. Für die Mengenbegrenzung ist also eher eine gemäßigte Adjustierung nach oben als eine völlige Aufhebung ihrer zahlenmäßigen Limitierung zu erwarten. Mitunter gibt es jedoch auch gegensätzliche Signale zu dieser impliziten Marschrichtung des Normgebers in Sachen Fernbehandlung. So schreibt das BMG in einem FAQ zum Digi-G: „Die bisherige Mengenbegrenzung für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte wird aufgehoben. Vertragsärztinnen und Vertragsärzte können nach Umsetzung durch die Selbstverwaltung Videosprechstunden noch flexibler Einsetzen.“ (~ Quelle)
Pflicht zur Präsenz: Die Mindestsprechstundenzeit am Vertragsarztsitz bleibt von der Option auf Homeoffice unberührt. Entsprechend des Versorgungsumfanges muss die Erreichbarkeit des Arztes vor Ort gewährleistet sein – bei einer 1,0-Stelle also für 25 Wochenstunden. Auch die offene Sprechstunde muss bei dazu verpflichteten Fachrichtungen weiter am Vertragsarztsitz erbracht werden. Die Möglichkeit der Videosprechstunde vom Homeoffice aus ist demnach als reine Ergänzung und nicht als Ersatz zu verstehen. Der Normengeber und allen voran auch die KVen sehen in der Präsenzpflicht am Vertragsarztsitz ein Hauptelement der Steuerungsmöglichkeit der Versorgung und damit auch des Sicherstellungsauftrages.
Voraussetzung für Fernbehandlung: Inzwischen sind die Bedingungen, die an die Behandlung via Videosprechstunde gestellt werden, weitestgehend bekannt. Zuletzt hatten wir diese noch einmal im Artikel „Auch Kind-AU via Videosprechstunde“ zusammenfassend dargestellt (~ PRAXIS.KOMPAKT KW 34). Dem Grunde nach kann jede Arztgruppe eine Videosprechstunde – nun auch im Homeoffice – anbieten, wenn die patientenindividuellen Rahmenbedingungen gemäß der ärztlichen Sorgfaltspflicht dies für vertretbar erscheinen lassen. Entscheidend ist folglich die Art und Schwere der Erkrankung und die Möglichkeit der Behandlung, Aufklärung und Beratung des Patienten.
Homeoffice, die Basics: Eine der größeren Bedenken gegen die Homeoffice-Option war bisher die ärztliche Schweigepflicht. Es versteht sich aber von selbst, dass Ärzte nicht über das Handy und nicht z.B. in der Bahn behandeln sollten. Für die Einhaltung der berufsrechtlichen Regelungen, wie der Schweigepflicht, bleiben Vertragsärzte auch im Homeoffice selbst verantwortlich. Wie in der Praxis vor Ort, ist die Videosprechstunde in einem geschlossenen Raum abzuhalten und mit Beginn der Behandlung müssen – im Übrigen auch auf Patientenseite – alle anwesenden Personen vorgestellt werden. Die Einzelheiten zu den technischen Voraussetzungen und dem Datenschutz sind in der Anlage 31b BMV-Ärzte geregelt (~ Link dazu | PDF). Um eine Videosprechstunde vom Homeoffice abhalten zu können, ist der Nachweis der Registrierung bei einem der zertifizierten Videodienstanbieter notwendig. Wichtig ist zudem die Anzeige der ‘ausgelagerten Praxisräume’ bei der zuständigen KV. Die besonderen Anforderungen an die Videodienstanbieter hat die KBV auf ihrer Themenseite zusammengefasst (~ KBV Videosprechstunde). Eine Liste aller zur Zeit zertifizierten Anbieter finden Sie (~ hier | PDF).
Beachten Sie als Praxisleitung, dass der Arbeitgeber grundsätzlich für die Ausstattung des Homeoffice-Arbeitsplatzes verantwortlich ist. Das gilt im weitesten Sinne auch für die Cyber-Sicherheit, sofern dem Arbeitnehmer hier nicht grobe Fahrlässigkeit unterstellt werden kann, bspw. durch das Nutzen des Arbeits-PCs durch fragwürdiges Surfverhalten. Es bedarf diesbezüglich klar kommunizierter Spielregeln im Betrieb, auch für die oft unbedachten, laufenden Kosten eines Homeoffice-Arbeitsplatzes. Nimmt man es genau, zählen zu den Kosten neben Druckerpapier auch die Stromkosten. Eine nichtärztliche, dafür betriebswirtschaftliche Sichtweise bietet der unten verlinkte Artikel von haufe.de, der einer ganzen Artikel-Reihe entspringt, die sich mit der Thematik “Homeoffice” beschäftigt.
Nach unserem jetzigen Kenntnisstand sind bisher keine bedeutsamen Gerichtsverfahren anhängig, die auf besondere arbeits- oder berufsrechtliche Hürden schließen lassen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass insbesondere das Arbeitsrecht in seiner Rechtsfortbildung, aber auch die Interpretation der KVen, immer mal wieder für Überraschungen gut sind. Bei jedweder Auslegung der Homeoffice-Regelung im Betrieb ist demnach Obacht und eine Recherche bei der regionalen KV und Ärztekammer zu empfehlen.
Haufe.de v. 18.09.2024
Homeoffice (Teil 4): Ausstattung und Kosten
Apotheke Adhoc v. 08.08.2024
Hochphase nur während Corona: Interesse an Videosprechstunden deutlich gesunken
KV Baden-Württemberg v. 11.04.2024
Patientenbetreuung aus dem Homeoffice
GOÄ-Novelle ante portas? oder Und jährlich grüßt das Murmeltier
Die Bundesärztekammer hat am 11. September mit einigem Tamtam und Selbstlob den mit der PKV abgestimmten Entwurf zur neuen GOÄ vorab den ärztlichen Berufsverbänden präsentiert. Die offizielle Vorstellung ist für den 9. Oktober angekündigt. Bedeutet dies, dass nun tatsächlich zeitnah die Honorare von D-Mark in Euro übertragen werden? Leider gibt es daran berechtigte Zweifel – mindestens was eine ‘schnelle’ Umsetzung betrifft, denn das Ganze ist nicht nur innerärztlich umstritten, sondern hat auch eine politische Dimension. Eine Novellierung müsste sowohl das Kabinett als auch den Bundesrat passieren (~ Infos zum Rechtsrahmen). Zudem ist nicht ausgemacht, dass Lauterbach die GOÄ einfach durchwinkt. Zwar hatte der Minister Anfang 2024 verkündet, die Vorschläge ‚undogmatisch und vorurteilsfrei‘ prüfen zu wollen, allerdings ist fraglich, ob er in dieser Legislatur genügend Wille aufbringt, um ausgerechnet für das GOÄ-Projekt noch Platz auf der vollen To-do-Liste des BMG zu finden. Die BÄK hofft ihrerseits genau darauf, dass also das BMG die Beschlussfassung der GOÄ-Neu noch mit in die Riege der Gesetzesvorhaben aufnimmt: „Wir haben schon so viele Omnibusgesetze gesehen, da sollte doch noch Platz sein für eine GOÄ.“ (~ Quelle) Einmal abgesehen davon, dass es sich bei der GOÄ förmlich gerade nicht um ein Gesetz, sondern um eine Rechtsverordnung handelt, die also ohne Beteiligung des Bundestages umgesetzt werden kann.
Seit der Präsentation vom 11. September haben unterdessen die ärztlichen Fachgesellschaften und Verbände die Möglichkeit, Stellung zur GOÄ-Neu zu beziehen. Auf dem Fuß folgte dann auch gleich die Kritik vom Bund Deutscher Radiologen (BDR) und von MEDI Baden-Württemberg. Denn es werden in der GOÄ-Neu die Leistungen der sprechenden Medizin auf-, technische Leistungen aber abgewertet. MEDI-BW begrüßte entsprechend, dass Gesprächsleistungen im Kontext von technischen Leistungen abrechenbar werden sollen, allerdings sieht der Verband eine Benachteiligung der technisch orientierten Fachgruppen und kritisiert die Abwertung. Der Radiologenverband kündigte seinerseits genau deshalb massiven Widerstand an. Die Verbandschefin des BDR kritisierte darüber hinaus auch das Vorgehen der BÄK: „Diese Abwertungen erfolgten ohne vorherige Rücksprache mit dem BDR respektive mit allen Berufsverbänden.“ (~ ÄZ v. 16.09.2024). Auch der Dachverband der bayrischen Fachärzte sowie die Laborärzte lehnen den vorgelegten GOÄ-Vorschlag rundweg ab.
Nachdem die Fachverbände die ersten Fakten der GOÄ-Neu sichten konnten, macht sich grundsätzlich ein wenig Ernüchterung breit. Der informative Beitrag der Privatabrechnungsstelle privadis ordnet das Geschehen ausgezeichnet in die komplexe Historie ein: „Erst 2025? – GOÄ-Novelle nur in kleinen Schritten.“ Spannend ist hier etwa der Bezug zur Aktion der BÄK vom letzten Frühjahr, die Ärzte aufzufordern, prinzipiell mit höheren Steigerungssätzen abzurechnen. In einem Merkblatt der BÄK zu abweichenden Honorarvereinbarungen vom März 2023 sind dabei ab Seite 3 einige aktuelle GOÄ-Positionen, denen der GOÄ-Neu gegenübergestellt. (~ mehr Infos | BÄK-Merkblatt & Material zur Patientenaufklärung). Sollte der aktuelle Entwurf, dem vor anderthalb Jahren ähneln, ergäben sich nur marginale Steigerungen zu den faktormodifizierten Gebührensätzen, die die BÄK einst den Ärzten vorgeschlagen hatte. Eine Beispielrechnung aus dem Merkblatt von 2023: Die Beratung unter 10 Minuten (Pos.1) wurde nach GOÄ-Alt mit € 4,66 vergütet und würde bei einem 1,8-fachen Satz dann € 8,39 ergeben. Nach GOÄ-Neu sollen für die persönliche Beratung unter 10 Minuten € 8,41 angesetzt werden. Wer also nicht zum Basisfaktor 1,0 abrechnet, dürfte hier schon jetzt im Bereich der GOÄ-neu liegen. Allerdings soll die Erhöhung der Honorare künftig stufenweise fortgesetzt werden, um auf Entwicklung, die zu einer Über- und Unterschreitung der Finanzmittel führen, „rechtzeitig mit gemeinsamen Empfehlungen an den Verordnungsgeber reagieren zu können“, schreibt die BÄK. (~ ÄZ v. 11.09.2024) Sollte die GOÄ-Neu jetzt eingeführt werden, ergäbe sich, nach den Berechnungen der BÄK und PKV, ein Honorarplus von 13,2 % über drei Jahre.
Die Bundesärztekammer hält den jetzigen Entwurf für hinreichend ausgehandelt und erwartet nun das weitere Feedback der Verbände. Bis 9. Oktober wird sich zeigen, ob Berufsvertreter, PKV und Beihilfe es schaffen, sich hinter dem Vorschlag geschlossen zusammenzufinden. Allerdings ist ein leises Fragezeichen erlaubt. Und, antizipiert man die bisherigen Versuche, die GOÄ Novellierung auf die Agenda des BMG zu setzen, ist es möglich, dass Lauterbach genau dieses Fragezeichen nutzt, um das politisch heiße Eisen ‚GOÄ‘ weiterhin nicht anfassen zu müssen. Zu dieser verquasten Situation passt auch die etwas skurril anmutende Einschätzung des Virchowbundes: „Die neue GOÄ ist im Grund eine Fehlkonstruktion, die massive Verwerfungen bringt – allerdings die einzige Chance, an der GOÄ überhaupt noch etwas zu modernisieren.“ (~ Pressemitteilung vom 19. September)
Ärzteblatt v. 20. + 23.09.2024
Gebührenverordnung für Ärzte: Politik muss rechtssicheren Abrechnungsrahmen umsetzen
Teleradiologen wehren sich gegen Leistungsabwertung
ÄrzteZeitung v. 12.09.2024
Hausärztinnen- und Hausärzteverband zur GOÄ-Novelle: „Regierung soll Blockade aufgeben“
Ärztenachrichtendienst v. 12.09.2024
FDP – Ullmann: “Es gibt keine Begründung mehr, diese GOÄ weiter zu blockieren”
Cybersicherheit in ‘wichtigen Infrastrukturen’: Verschiebung von NIS2?! | Interpretation einer Galgenfrist
Die Umsetzung der neuen NIS2-Pflichten wird für viele mittelständische Betriebe, darunter zahlreiche Praxen und MVZ, ein dickes Ding. Die Plattform industrie.de spricht davon, dass die Umsetzungsherausforderung der „NIS-2-Richtlinie von größerem Umfang [sei] als [damals] die DSGVO.“ (~ Quelle) Derzeit scheint sich allerdings eine Galgenfrist abzuzeichnen. Denn eigentlich sollte das Gesetz dringend noch im Oktober durch den Bundestag, doch bisher taucht es nicht in der Planung der Plenarsitzungen auf. Eigentlich hätte die Richtlinie längst aus dem europäischen ins nationale Recht übertragen werden müssen, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass es zu einer langfristigen Verschiebung kommt. Wahrscheinlicher ist, dass das Cybersicherheitsgesetz mit all seinen Konsequenzen im Herbst die noch ausstehenden Wege durch Bundesrat und Bundestag geht und damit mittelfristig, bspw. zum Jahresanfang 2025, bindend wird. Wer jetzt überlegt, warum um NIS2 so ein Wirbel gemacht wird, dem sei unser Artikel aus der 32. Kalenderwoche empfohlen, der auch weiterführende Hinweise zum federführenden BSI und zu lesenswerten Veröffentlichungen enthält: ~ Da kommt was auf (so manches) größere MVZ zu: Bundesregierung beschließt NIS2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz. Da wir aber die damalige Zusammenfassung einen Monat später nicht besser oder kürzer hinbekommen als damals, erlauben wir uns direkt die folgende kleine Wiederholung.
Der Geltungsbereich erstreckt sich auf sämtliche Unternehmen mit entweder mindestens 50 Mitarbeitern oder 10 Millionen € Bilanz-, bzw. Umsatzsumme in die neu geschaffene Kategorie ‚wichtige Einrichtung‘ fallen und damit als Adressat des Gesetzes zusätzliche Pflichten auferlegt bekommen. Für größere und große Kliniken hat das kaum Neuigkeitswert, da sie bereits nach der bisherigen NIS-Richtlinie Träger solcher Pflichten waren. Die neue Einstufung erfasst jedoch darüber hinaus erstmalig auch sehr viele Großpraxen und MVZ als ‚Kritische Infrastruktur, für die es künftig statt zwei, drei Abstufungsgrade gibt‘ – und darüber hinaus auch viele lokale Sanitätshäuser, Pflegedienste, etc., für die dieselben Größenabgrenzungen gelten.
Bundesweit ist nach unserer Schätzung von mindestens 1.000 Großpraxen und MVZ in ärztlicher, kommunaler und sonstiger Nicht-Krankenhaus-Inhaberschaft auszugehen, die den Anforderungen und Sanktionen des NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz neu unterliegen. Das bringt für die betroffenen Praxen primär drei Herausforderungen mit sich: 1) Registrierungserfordernis & Meldepflichten bei Vorfällen beim BSI (~ mehr dazu). 2) Ein höheres Pflichtmaß an präventiven Schutzmaßnahmen zu Angriffsabwehr. 3) Die direkte und nicht delegierbare Verantwortung und Haftung der Geschäftsleitung für diese Fragen. Hauptproblem ist dabei, für die kleineren Unternehmen, dass sie – anders als die Kliniken – nicht nur keine IT-Abteilung o.ä. haben, die sich um solche Fragen kümmert, sondern dass es im Vertragsarztbereich augenscheinlich überhaupt kein Bewusstsein dafür gibt, dass das geplante Gesetz hier Relevanz entfalten wird.
Allerdings hat sich entscheidend geändert, dass zumindest mit der ÄrzteZeitung ein prominenter Teil der ärztlichen Fachpresse das Thema branchenspezifisch aufgegriffen hat und entsprechend informiert. Und auch insgesamt nehmen die Informationsangebote zu, z.B. direkt von staatlicher Seite: BSI – Bundeamt für Informationssicherheit (Webinar 8. Oktober): NIS-2 für die Wirtschaft: Was wir schon sagen können.
ÄrzteZeitung v. 22.08. und 03.09.2024
ÄrzteTag“-Podcast | NIS-2: Was müssen Praxen und Kliniken in Sachen IT-Sicherheit tun, Dr. Grosmann?
Cybersicherheit im Gesundheitswesen: Über 1.000 Praxen und MVZ könnten vom NIS-2-Gesetz betroffen sein
Berufsverband niedergelassener Chirurgen
EU-NIS-2-Richtlinie: Große MVZ und BAG könnten betroffen sein
MT – Medizintechnik v. April 2024
NIS-2: Diese 8 Sofortmaßnahmen sollten Verantwortliche im Gesundheitssektor jetzt ergreifen
Gesetzgebung: Über das GVSG und seine Inhalte wird (viel) geredet. Aber wird es auch beschlossen?
Am 19. und 20. September gab es in Berlin gleich drei Ereignisse, bei denen öffentlichkeitswirksam die Frage erörtert wurde, wann denn nun mit dem GVSG zu rechnen sei und welche Inhalte dies beträfe: (1) den Hausärztetag, (2) den BMVZ PRAKTIKERKONGRESS und (3) die Herbsttagung der ArGe Medizinrecht. Pointiert lassen sich die Ergebnisse in etwa bereits aus den unten verlinkten Überschriften ablesen. Obwohl die konkretesten Angaben wohl auf der Juristentagung gemacht wurden, über die es wiederum keine Presseberichte gibt. Dort hat u.a. Katja Kohfeld, die Leiterin der Unterabteilung 22 des BMG über den Stand der aktuellen Gesetzgebungsaktivitäten und über das GVSG referiert. Eine ihrer Aussagen war, so ist zu hören, dass ein zweites Versorgungstärkungsgesetz, das ja lange angekündigt wurde, tatsächlich nicht mehr kommen werde, dass aber geplant sei, weiterführende MVZ-Regelungen in den bestehenden GVSG-Entwurf noch einzuarbeiten. Allerdings seien diesbezügliche Inhalte in der Regierung nach wie vor nicht konsentiert.
Durchdenkt man diese Worte genau, wird klar, dass sich qualitativ dahinter nichts anderes verbirgt, als die vergleichbaren bisherigen Ansagen aus dem BMG: Der Wille zur Begrenzung der MVZ-Trägerschaft ist im BMG vorhanden, konkret ausgearbeitete Vorschläge auch, aber ob sich dafür koalitionsintern eine Mehrheit finden lässt, ist offensichtlich weiter offen. Und das zum jetzigen, doch recht fortgeschrittenen Stand des Gesetzgebungsprozesses. Insofern passt dazu die im Rahmen des BMVZ PRAKTIKERKONGRESS getätigte Aussage der BMVZ-Geschäftsführerin Müller, dass sich zwar derzeit nicht seriös vorhersagen lasse, dass es keine MVZ-Regulierung geben wird, aber die Wahrscheinlichkeit für eine solche sei weiter gesunken. Konkreter kann man leider in diesen besonderen Zeiten zu dieser besonderen Frage nicht werden.
Zumal die als nächster Schritt notwendige Fachanhörung des Gesundheitsausschusses im Bundestag für das GVSG auf ein noch unbestimmtes Datum nicht vor Mitte Oktober verschoben wurde – nachdem es lange geheißen hatte, dass sie am 26. September stattfinden solle. Terminiert ist von den laufenden Gesetzgebungsverfahren jedoch allein die Anhörung zur Krankenhausreform – auf den 25. September | ~ mehr Infos. Lauterbach selbst nimmt die beständige Kritik an ihm und seine folgenlosen Ankündigungen offenbar mit Galgenhumor. Bei seiner Eingangsrede zum Hausärztetag sagte er am 19. September: „Auf meine Gesetze wird wenigstens gewartet“, sie seien offenbar eine „Verheißung.“ (~ Quelle)
Dabei ging es im Kern bei dieser Rede vor der versammelten Hausärzteschaft natürlich vor allem um die hausärztliche Honorarreform und Entbudgetierung, die ja zwei der weniger umstrittenen Teile des GVSG sind. Obwohl einerseits die hausärztlich tätigen Diabetologen mit großer Sorge auf diese Pläne schauen, da sie als atypische Versorger – völlig zu Recht – befürchten, bei einer Reform, die reinweg auf klassische Hausarztpraxen ausgerichtet ist, honorartechnisch unter die Räder zu kommen (~ Diabetologen mahnen Nachbesserungen bei Reformplänen an). Andererseits hat der Bundesrechnungshof gerade erst Anfang September noch einmal seine vehemente Kritik an sämtlichen Entbudgetierungsplänen und generell an der Höhe der extrabudgetären Honorarzahlungen erneuert. In einer Pressemeldung vom 3. September fordern die Haushaltsprüfer daher: „Mehr Ausgabenkontrolle für ambulante ärztliche Versorgung,“ und führen aus, dass Karl Lauterbach zwar eine Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen ins Spiel gebracht habe, dass aber „der Bundesrechnungshof daran [zweifelt], dass damit insgesamt die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung von Versicherten maßgeblich verbessert wird.“ Diese These wird u.a. mit Zahlenwerk zur fehlenden wirtschaftlichen Effizienz der TSVG-Boni, die ja bis 2023 auch mit Entbudgetierungen einhergingen, belegt. Die unmittelbar erfolgte Gegenrede des ‘Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung’ (Zi) lässt sich hier nachlesen: Kritik des Bundesrechnungshofs an Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen trifft auf Unverständnis
Zusammengefasst bleibt somit eigentlich für alle Inhalte, die bereits im GVSG-Entwurf enthalten sind, oder von denen diskutiert wird, dass sie neu oder wieder hineingenommen werden sollen, fortgesetzt nur die Erkenntnis: Nichts Genaues weiß man nicht. Und das wird wahrscheinlich auch die nächsten vier bis sechs Wochen noch so bleiben.
Ärztenachrichtendienst v. 21.09.2024
BMVZ-Geschäftsführerin: „Wahrscheinlichkeit für starke MVZ-Regulierung gesunken“
Ärzteblatt v. 20.09.2024
Lauterbach zur Entbudgetierung: „Das Gesetz wird kommen, darauf können Sie sich verlassen“
ÄrzteZeitung v. 20.09.2024
Praktikerkongress des BMVZ: KBV-Fachanwalt – Entbudgetierung der Hausärzte noch nicht konkret erkennbar
Baustein der MVZ-Debatte – Die GmgV | Neue Rechtsform nimmt eine Hürde und steht vor der Nächsten
Seit geraumer Zeit begleitet und unterstützt der BMVZ die Initiative zur Etablierung einer neuen Rechtsform, namentlich der Gesellschaft mit gebundenem Vermögen (GmgV). Federführend bei den Bemühungen ist die Stiftung Verantwortungseigentum, die zusammen mit dem Justizausschuss des Bundestages am 10. September zu einem Symposium eingeladen hatte. Dabei wurde ein Entwurf vorgestellt, in dem namhafte Experten die rechtliche Ausgestaltung der neuen Rechtsform ausgeführt haben. Allen, die bisher nichts mit der Idee der GmgV anfangen können, sei unsere ausführliche Darstellung vom Januar 2024 empfohlen, bei der auch dargestellt wird, wie sich die neue Gesellschaftsform in die fortwährende MVZ-Debatte einfügt. (~ BMVZ v. Januar 2024) Fast sträflich vereinfacht könnte man die Kernidee des Verantwortungseigentums wie folgt zusammenfassen: Das Eigenkapital der GmgV wird der Entität – also der Gesellschaft – zugeschrieben und verbleibt auch in ihrem Besitz. Ziel dahinter ist eine langfristige wirtschaftliche Perspektive, ohne dass die Gesellschafter das Kapital – über eine angemessene Entlohnung für ihre Arbeit und Einsatz hinaus – aus der Gesellschaft ziehen können. Dahinter steckt die Absicht, den Kreis der möglichen Gesellschafter von den eigentlichen Erben, also der genetischen Familie, auf die Wertefamilie in Form von bisherigen Angestellten zu erweitern. (~ Hintergrundwissen & FAQ zum Verantwortungseigentum)
Beim Symposium waren neben den politischen Berichterstattern aller drei Koalitionsparteien und der Union auch zahlreiche Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft vertreten. Dabei gelang es den Verantwortlichen – was im politischen Berlin leider keine Selbstverständlichkeit ist – sowohl der Dringlichkeit und der mannigfaltigen Expertise als auch den Bedenken vor allem des Finanzministeriums (aka weniger Steuereinnahmen) genügend Platz einzuräumen. Entschwurbelt formuliert: Trotz der teils ernüchternden Erkenntnisse war das Symposium ein rarer Leuchtturm gelebter Demokratie.
Der Gesetzesentwurf der Experten, auch Professoren-Entwurf genannt, ist selbstredend sehr komplex. Er spiegelt – soweit der Spagat zwischen Wunsch und normativer Realität es zulässt – die Wünsche der Wirtschaft wider und ist bereits durch etliche Filter der Erkenntnis gelaufen. So hatten auch die Experten einst erwogen, die neue Rechtsform im GmbH-Recht zu verorten, sind aber aus diversen Gründen davon abgekommen und sehen nun ein gänzlich neues Gesetz im Gesellschaftsrecht vor. Dieses allerdings speist sich aus vorhandenen Normen, wie beispielsweise dem Stiftungsrecht, wodurch die Umsetzung der neuen Normen für die Wirtschaft erleichtert wird. Die Gesellschaft mit gebundenen Vermögen (GmgV) wäre nach dem Entwurf ein Zwitter aus Stiftung, Kapital- und Personengesellschaft, wobei der Schwerpunkt eher auf Letzterem liegt.
Der jetzige Sachstand des Gesetzgebungsprozesses ist allerdings ergebnisoffen, denn das beim Symposium anwesende Bundesministerium für Justiz vertrat einen Standpunkt, der zunächst unvereinbar mit dem Vorschlag der Experten ist. Konkret sieht das BMJ die neue Rechtsform klar im GmbH-Recht – quasi als Ergänzung – verortet und möchte den Zusatz „thesauriert“ für die neue Gesellschaftsform einführen. Aus dieser Verortung im GmbH-Recht leiten sich auch die Bedenken des Ministeriums bezüglich der sogenannten EU-Mobilitätsrichtlinie ab (~ mehr dazu). Die nationale Einführung einer neuen Form der Kapitalgesellschaft sei dahingehend problematisch, als dass es Unternehmen möglich sein muss, innerhalb der EU den Rechtsstandort zu wechseln. Die zwingende Bindung des Vermögens, nach deutschem Recht, würde sich dann lösen, wenn Unternehmen ins Ausland wechseln und dort die Gesellschaftsform ändern. Der Widerspruch der Experten und Wirtschaftsvertreter gegen die vom BMJ angestrebte Verortung im GmbH-Recht und die vorgesehene Liberalisierung der Vermögensbindung war einhellig. Während die anwesenden Professoren fachlich dagegen argumentierten, stellten die Wirtschaft- und Unternehmensvertreter klar, dass diese – vom BMJ bevorzugte – Ausführung, die Kernidee des Verantwortungseigentums konterkarieren würde, nämlich das Kapital, ohne ‘Wenn und Aber’, an das Unternehmen zu binden.
Eine Prognose zu geben, wie es mit dem Projekt weitergeht, ist schwierig. Zwar steht die Etablierung der Gesellschaftsform im Koalitionsvertrag, jedoch geht auch aus unserer Wahrnehmung das Konzept des BMJ an den Wünschen der Wirtschaft vorbei. Doch selbst wenn sich das BMJ auf den validen Unterbau stellen sollte, der dem Ministerium zugearbeitet wurde, wird es für den ambulanten Sektor zweifelsohne eine beschauliche Kluft zum Berufs- und Zulassungsrecht der Ärzte geben, mit dem wir uns dann zum gegebenen Zeitpunkt auseinandersetzen müssen.
Stiftung Verantwortungseigentum v. 18.09.2024
Pressemitteilung: Bedenken des Ministeriums hinsichtlich des EU-Rechts sind unnötig
Mohr Siebeck | Volltext des Entwurfes über Webseite einsehbar
Gesetz zur Einführung einer Gesellschaft mit gebundenem Vermögen
BMVZ Mitwirkung | Gemeinsames Verbändepapier (PDF | 2 Seiten)
Wie die „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“ den Wirtschaftsstandort Deutschland stärkt
KBV fordert Ausfallhonorar für Terminschwänzer | Dieses Mal mit einem Twist
Die Bild-Zeitung hat am 10. September getitelt: „Neue Extra-Gebühr bei Ärzten“. Angeblich sollen bis 100 € als Ausfallhonorar fällig werden (~ Quelle 1 | Quelle 2). Auch KBV-Chef Gassen kam dabei zu Wort und äußerte seinen Unmut über die vielen von Patienten verpassten Termine. Dies in auffällig zeitlicher Nähe zum Abschluss der diesjährigen Honorarverhandlungen, weshalb es eher kein Zufall sein dürfte, dass dieses Reizthema wieder einmal eröffnet wird. Gassen forderte, nach Angaben der ÄrzteZeitung, die Gebühr aber von den Kassen und nicht von den Patienten. Ein innovativer Ansatz mit bedenkenswertem Potenzial. Allerdings hat sich rechtlich nichts an der – schwierigen bis unmöglichen – Ausgangslage zur Geltendmachung solcher Ansprüche geändert, weshalb zu hinterfragen wäre, mit welchem Ziel das Thema eigentlich von der KBV aufgegriffen wurde.
Für eine grundsätzliche Erhebung von Ausfallgebühren bedürfte es einer höchstrichterlichen Entscheidung, von denen es bisher nur wenige gibt: Ausfallhonorar bei kurzfristig abgesagten Terminen? BGH bestätigt engen Korridor (Bericht in der PRAXIS.KOMPAKT KW45/2022 – Reiter ‘Was sonst noch relevant ist’). Stattdessen beschäftigen sich Gerichte mit Einzelfallentscheidungen. Aus den Urteilen gehen zwei unterschiedliche Perspektiven der Juristen hervor. So behandeln einige Gerichte das Nicht-Erscheinen des Patienten als einseitige Aufkündigung des Behandlungsvertrages, andere Gerichte sehen dafür die Erhebung eines Ausfallhonorars als angemessen. Grundsätzlich gilt allerdings, dass der Praxis ein Schaden entstanden sein muss. Das Nicht-Erscheinen eines Patienten bei einem vollen Wartezimmer rechtfertigt somit keine Schadensbekundung. Bei Bestellpraxen, wie Zahnärzten, chirurgischen Einrichtungen und Psychotherapien etc. bestünde hingegen die Möglichkeit, den Schaden kausal zu erklären.
Die notwendige Anpassung der normativen Regelungen zum Behandlungsvertrag gehen über die Ausführungen zum Sachleistungsprinzip bei Kassenpatienten hinaus und fußen im BGB; für die Kündigung im Speziellen gilt der §627 BGB. Damit die Judikative ausgerechnet im weitreichenden BGB Hand anlegt, müssten die Verfahren zur Ausfallhonorarerstattung in die höheren Instanzen kommen, was meist wegen des begrenzten Streitwertes nicht der Fall ist. Vielleicht versucht die KBV deshalb, das Thema auf die Agenda zu setzen, um anderweitig eine Entscheidung herbeizuzwingen. Oder aber es ist doch ein politischer Stunt zum Kühlen der aufgeheizten Gemüter der ambulanten Ärzteschaft nach dem Bekanntwerden der – absehbaren – aber unbefriedigenden Punktwertsteigerung bei den Honorarverhandlungen. Die Motive bleiben offen. Ohne Zweifel wäre aber eine – wie auch immer geartete – Maßnahme zur Erhöhung der Termintreue ein Grundbaustein der oft beschworenen Patientensteuerung.
ndr v. 10.09.2024
Diskussion um Gebühr für versäumte Arzttermine
ÄrzteZeitung v. 10.09.2024
„Arzttermin-Schwänzer“ erhitzen erneut die Gemüter
Verbraucherzentrale NRW (Stand Februar 2024)
Gebühr für verpassten Arzttermin?