Praxiswebseite: Neue Pflichten durch das Barrierefreiheitsgesetz | Hintergründe und Handlungsempfehlung
Ab Sommer 2025 gelten branchenübergreifend für gewerbliche Webseiten – also grundsätzlich auch für Homepages von BAG und MVZ – neue Pflichten. Ausgenommen sind Kleinbetriebe und Praxen mit weniger als zehn Mitarbeitern oder unter 2 Millionen € Jahresumsatz. Cave! Wegen des Oder-Kriteriums dürften die meisten MVZ und Gemeinschaftspraxen formal betroffen sein und sollten sich daher im Minimum theoretisch mit den Vorgaben befassen und auf jeden Fall einen individuellen Betroffenenheits-Check machen. Rechtlicher Hintergrund ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – BFSG vom Sommer 2021, das am 28. Juni 2025 in Kraft tritt und zum Ursprung eine europäische Initiative hat (~ EU-Richtlinie 2019/882). Verstöße können ab nächsten Sommer sowohl wettbewerbsrechtlich als auch mit Bußgeldern sanktioniert werden. Niederschwellige Anlaufstellen für Beschwerden von Nutzern oder auch seitens geschäftlicher Konkurrenten sind u.a. die Verbraucherschutzzentralen sowie eigens eingerichtete regionale Überwachungsstellen (~ Linkliste der 16 Bundesländer).
Das Gesetz zielt vor allem auf das große Feld des E-Commerce; die ambulante Versorgung ist lediglich ‚mitbetroffen‘. Folglich verpflichtet das BFSG nur solche Webseitenbetreiber, die nach dem 28. Juni 2025 „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ (~ § 1 Absatz 3 Nr. 5 BSFG) anbieten. Eine Übersicht dazu, was damit gemeint ist, sowie weiterführende Verlinkungen bietet das Kurzbriefing für Arztpraxen und MVZ (PDF | 1 Seite) der Kanzlei Taylor Wessing. Dienstleistung im Sinne des BFSG sind bei Praxiswebseiten als erstes Terminbuchungs-Tools sowie im zweiten elektronische Formulare, soweit sie zur Rezeptbestellung oder Terminanbahnung dienen. Dabei gilt: „Fällt die Webseite aufgrund mindestens eines darin enthaltenen und barrierefrei zu gestaltenden Elementes unter das BFSG, so muss als Rechtsfolge die gesamte Seite barrierefrei gestaltet werden.“ (~ Quelle) Barrierefreiheit meint in dem Kontext die Berücksichtigung besonderer Vorgaben u.a. zu Lesbarkeit, Farbkontrasten, Bildbeschriftung, Seitenstruktur, usw.
Fazit ist: Jede Praxiswebseite, die solche Tools nutzt, muss sich mit den neuen Pflichten befassen. Parallel greift allerdings, wie Jurist Dr. Martin Jäger (~ Infos + Kontakt) auf Nachfrage der BMVZ-Redaktion ausführt, dass „in § 1 Abs. 4 Nr. 4 BFSG eine Ausnahme für Inhalte von Drittanbietern vorgesehen ist. Bei Doctolib oder vergleichbaren Terminbuchungstools handelt es sich um solche Inhalte von Dritten.“ Aber: „Die Ausnahme gilt nicht, wenn das Terminbuchungstool von der Arztpraxis/der Trägergesellschaft eigens entwickelt oder mit einem Drittanbieter entwickelt, finanziert oder kontrolliert wird.“ Soweit also eine Arztpraxis ein fertiges Tool eines Drittanbieters als Dienstleistung einkauft und weder an der Entwicklung beteiligt war, noch weiterführende Kontrolle über das Produkt ausübt, löst die Nutzung „die Anforderungen des BFSG regelhaft nicht aus,“ bzw. der Drittanbieter muss sich um die Barrierefreiheit kümmern.
Die Plattform Aktion Mensch empfiehlt jedoch korrekterweise: „Ziehen Sie auf jeden Fall einen Rechtsbeistand hinzu, wenn Sie vermuten, nicht unter die Regelungen zu fallen, oder wenn Sie die notwendigen Änderungen nicht vornehmen können. Eine barrierefreie Website hat viele Vorteile, auch wenn Sie nicht dazu verpflichtet sind.“ (~ Gibt es Ausnahmen zur Pflicht zur Barrierefreiheit?) Im Übrigen ist – Stand 12. Dezember 2024 – weder bei Doctolib noch bei Konkurrent Samedi bisher die ab Sommer verpflichtend vorzuhaltende Barrierefreiheitserklärung zu finden (~ aktuelle, reale Beispiele solcher Erklärungen: Arztpraxis | MVZ 1 | MVZ 2 | Krankenhaus | BMG). Auch hier gibt die Aktion Mensch den richtigen Hinweis: „Sie sind für die Barrierefreiheit Ihres Online-Auftritts selbst zuständig, unabhängig davon, ob Sie eine Funktion selbst programmiert oder von einem Drittanbieter eingebunden haben. Sie sollten also nach Drittanbietern suchen, deren Produkte barrierefrei sind. […]“ – Pflicht zur Barrierefreiheit | Wie gehe ich mit Systemen von Dritten um?
Da das Erstellen barrierefreier Webseiten und insbesondere das entsprechende Anpassen bestehender Homepages nicht trivial ist, sollten betroffene Praxen das verbleibende halbe Jahr nutzen, eine klare Entscheidung zu forcieren, ob sie ihre Webseite BFSG-konform umbauen oder alternativ entscheiden, ggf. durch gezielten Rückbau, bzw. Weiterentwicklung des Online-Angebots den BFSG-Betroffenenstatus für den Moment zu unterlaufen. Auch wenn natürlich das Gesamtziel, den digitalen Verkehr für Sehbehinderte und kognitiv beeinträchtigte Menschen leichter nutzbar zu machen, in jeder Hinsicht zu unterstützen ist. Eine interessante und differenzierte Orientierung dazu bietet dieser Text: Die Einführung des EU Accessibility Act? Das wird teuer! Und für alle, die sich weiterführend, aber kurzweilig über barrierefreies Webdesign informieren wollen, bietet der Blog ‚Gehirnfasching‘ (Eintrag v. 24.10.2024) einen schnellen Einstieg: Barrierefrei – Wie man eine Arztpraxis-Website für ALLE erstellt.
Aktion MENSCH
Barrierefreie Webseite: Pflichten + Fristen
Website barrierefrei machen: So gehen Sie vor
Portal Digitale Barrierefreiheit (Joint Venture von Bundes- + Landesbehörden)
Was bedeutet eigentlich digitale Barrierefreiheit?
Umsetzungshilfen + Checklisten
Arzt + Wirtschaft v. 22.10.2024
Die eigene Praxis-Webseite barrierefrei gestalten
eRechnungs-Pflicht ab 1.1.2025 | Praxis und MVZ müssen empfangsbereit sein
Bereits seit einem Jahrzehnt laborieren Deutschland und die EU an einem einheitlichen Rechnungsstandard, der digital und automatisiert verarbeitbar ist. Für Behörden und öffentliche Dienste gab es eine entsprechende Nutzungspflicht seit November 2019. Zum Januar 2025 wird diese nun auch stufenweise in den ‚gewöhnlichen‘ Geschäftsverkehr eingeführt. Zunächst werden alle Unternehmen verpflichtet, eRechnungen empfangen und lesen zu können. Wobei eRechnung gerade nicht das klassische per Mail versandte PDF meint, sondern spezielle Datenformate. Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass sich jede Praxis und jedes MVZ zunächst einmal mit den Grundsätzen der eRechnung befasst. Dazu hat der BMVZ einen gesonderten Beitrag mit Hintergrundinformationen und weiterführenden Links als Arbeitshilfe verfasst.
Klarzustellen ist: Mit dem Zwang, eRechnungen empfangen können, geht zunächst nicht auch die Verpflichtung einher, selbige auszustellen. Das wird für Unternehmen mit mindestens 800 Tsd. € Umsatz ab 2027 Pflicht – für alle anderen ein Jahr später. Da aber das Projekt auf vielen Ebenen des Beleg- und Rechnungswesens Vereinfachungen und dadurch bedingte Einsparungen verspricht, ist anzunehmen, dass – beginnend bei den größeren Zulieferern und Unternehmen – immer mehr Firmen im Laufe des Jahres 2025 freiwillig auf das neue eRechnungsformat umstellen. Wie eingangs beschrieben, sind Sie als Geschäftskunde verpflichtet, es verarbeiten zu können. Dazu braucht es technisch gesehen nicht viel mehr als ein Mail-Eingangspostfach sowie ggf. ein Programm, dass die nur maschinenlesbare eRechnung auf für Menschen verständlich macht.
Obwohl also Praxen und MVZ selber erst einmal keine eRechnungen ausstellen müssen, müssen sie sich bereit halten, elektronische Rechnungen im strukturierten Format digital empfangen und archivieren zu können. Perspektivisch ist davon auszugehen, dass etwa ab Mitte 2025 ein guter Teil der Eingangsrechnungen von Lieferanten und Dienstleistern ausschließlich digital zugestellt wird. Sinnvollerweise sollte sich daher jede Praxis auch konzeptionelle Gedanken machen, wie sich der Workflow rund um die Buchhaltung in dem Kontext sinnvoll anpassen lässt.
BMVZ-Beitrag v. 16.12.2024
Hintergründe + Handlungsempfehlungen zu eRechnungspflicht
NAV-Virchowbund v. 03.12.2024
Pflicht zur E-Rechnung ab 2025 – Das gilt für die Arztpraxis
ZP – Zahnarztpraxis Professionell | Heft 11/2024
Die e-Rechnung kommt: akuter Handlungsbedarf für Zahnärzte? Jein!
Telemedizin-Anbieter weitet sein Geschäftsmodell aus – K(B)V fordert Beschränkungen der Videosprechstunde
Der Telemedizinanbieter Teleclinic, der zum Schweizer Apothekenkonzern DocMorris gehört (~ Eigentümerstruktur), ist derzeit offensichtlich auf Erfolgskurs. Unter dem Claim – hier in der Version eines technikorientierten Verbraucherportals: Kostenlos-App verschafft Arzttermine am gleichen Tag – verspricht das Unternehmen mehr oder weniger unmittelbare Krankschreibungen oder Verordnungen per Videokonsultation, ohne dass Patienten aus dem Haus gehen müssten oder Kosten hätten. Viele Kassen unterstützen das Angebot inzwischen mit eigener Öffentlichkeitsarbeit – bspw. IKK gesundplus | bkk Miele | HEK | AOK Rheinland/Hamburg). Mit der Techniker Kasse bedient sich zudem seit 1. Dezember auch ein GKV-Schwergewicht des Angebots: DocMorris und die TK: Verbotene Liebe? Der Doc Morris-Deutschland-Chef Walter Hess meinte dazu kürzlich: „Die telemedizinische Plattform … gewinnt derzeit fast jede Ausschreibung von Versicherungen und Verbänden, weil sie optimal auf deren Bedürfnisse ausgerichtet ist und es schlicht kaum Mitbewerber gibt. Zudem ist die Telemedizin in der neuen deutschen Gesetzgebung als Pfeiler des Gesundheitssystems im Bereich der medizinischen Versorgung verankert.“ (~ Quelle | Übersicht aller Kooperations-Kassen) Dieses breit vorgetragene Selbstvertrauen hat nun – nach den Apothekerverbänden – auch die KV-Welt auf den Plan gerufen.
So sieht die KV-Nordrhein in der Arbeitspraxis des Telemedizinanbieters wettbewerbsrechtliche Verstöße. Die KVNO erwägt darum, Klage gegen das Unternehmen einzureichen und darüber hinaus, strenge Regularien in die Verhandlungen mit den Selbstverwaltungspartnern auf Bundesebene einzubringen. Diese Kritik wird auch von der KBV unterstützt. Darum möchte man eine „sinnvolle Priorisierung der Behandlungsfälle“ in der Telemedizin vorantreiben. Für alle jene, die in ihrer strategischen Unternehmensplanung den Ausbau eigener Telemedizin-Aktivitäten vorsehen, lohnt sich daher ein kurzer Blick auf die geforderten Einschränkungen. Ausgangspunkt ist der Vorwurf, an die ‚Teleclinic‘-Betreiber, Rosinenpickerei durch Fokussierung auf sogenannte Verdünnerfälle zu betreiben, wodurch die niedergelassenen Ärzte den Nachteil erlitten, dass genau diese ‚einfachen‘ Patienten in ihrer Praxis, bzw. Videosprechstunde fehlten. Ein Vorwurf, den Teleclinic im unten verlinkten änd-Artikel zurückweist: „Die Vergütung unterliege denselben Budgets und Grundsätzen wie die Behandlung vor Ort und liege je nach Fachrichtung sogar 20 bis 30 Prozent niedriger. Rosinenpickerei oder eine Bevorzugung bestimmter Fälle gebe es nicht, da die Fallauswahl ausschließlich den Ärztinnen und Ärzten obliege.“ Wichtig zu wissen: Der Anbieter selbst tritt tatsächlich ausschließlich als Vermittler auf. Die Videosprechstunden führen Vertragsärzt:innen durch, die dafür einen Kooperationsvertrag mit Teleclinic eingegangen sind. Die Webseite spricht aktuell von 3.200 solchen Partner-Praxen. (~ Jederzeit behandeln. Wann Sie wollen. Wo Sie wollen.) Die Abrechnung erfolgt ganz regulär durch die Praxis im Rahmen der Quartalsabrechnung.
Die Mitgliederversammlung der KVNO sprach sich angesichts dessen geschlossen für Marktbeschränkungen aus. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihnen die kurzen Patientenkontakte von unbekannten Patienten, bei denen es nur um die Ausstellung von Folge-Rezepten gehe. Die KVNO formulierte daher folgende Regulierungsvorschläge: (1) Fallzahlenbegrenzung im EBM für unbekannte Patienten, (2) verpflichtende Nutzung von SmED, (3) Beschränkung des Angebots virtueller Warteräume auf Vermittlung über die Hotline 116 117 und ihre Digitalsysteme – um eine diskriminierungsfreie Triagierung alleine anhand des medizinischen Bedarfs zu gewährleisten, (4) ein Verbot, Drittanbieter zu nutzen, die keine Regionalisierung bei der Terminvermittlung vornehmen, und (5) ein Verbot beziehungsweise eine Begrenzung der Möglichkeit, bestimmte Arzneimittel zu verschreiben. Diese Forderungen sollen in den Bundesmantelvertrag aufgenommen werden, wenn dieser ab Januar nachverhandelt wird.
Sowohl die KVNO, als auch KBV wollen sich – trotz Kritik – jedoch richtig verstanden wissen. So erachte man die Telemedizin durchaus für sinnvoll, wenn diese nicht die vertragsärztliche Versorgung benachteiligt. Ähnlich ambivalent äußert sich allerdings auch der AOK-Bundesverband. Der Kassenverband sieht, insbesondere im ländlichen Raum, Chancen durch die telemedizinische Versorgung, weist aber auch auf die Risiken hin. So binde die telemedizinische Versorgung Ressourcen, die dann nicht mehr für die wohnortnahe Versorgung zur Verfügung steht. Der Ausgang der Debatte ist völlig offen. Es gibt momentan auch kein konkretes gesetzgeberisches Ziel, das erreicht werden kann. Allerdings steht nach wie vor noch die Aufhebung der Mengenbegrenzung bei der Videosprechstunde durch den Bewertungsausschuss, wie durch Lauterbachs Digitalgesetz (DigiG) seit Frühjahr 2024 vorgesehen, aus. (~ KVRP: Mengenbegrenzung gilt weiterhin ). Im Kontext der dargestellten Entwicklungen könnte das ein Politikum werden.
änd v. 08.12.2024
Debatte um Telemedizin „Das ist Medizin to go“
Apotheke Adhoc v. 02.12.2024
Teleclinic/DocMorris: Mit E-Rezept auf Apotheken-Akquise
ÄrzteZeitung v. 25.11.2024
KV Nordrhein will Telemedizin einschränken
Normsetzung auf den letzten Metern | Aktuelle Aktivitäten des BMG
Die Woche vom 16. – 20. Dezember wird noch einmal spannend. Nicht nur wegen der am Montag (16.12.) zur Abstimmung stehenden Vertrauensfrage, mit der die Neuwahlen eingeleitet werden sollen. Sondern, weil es sich überhaupt um die letzte Sitzungswoche in diesem Jahr handelt, in der folglich noch zahlreiche Beschlüsse zu diversen Themen gefasst werden sollen (~ Tagesordnung). Aus dem Bereich Gesundheitswesen ist jedoch nichts darunter. Vielmehr bewegen sich die gesundheitspolitischen Aktivitäten seit dem Bruch der Regierungsampel nur noch auf untergesetzlichen Ebenen.
Anzuführen wäre da etwa am 14. November die zeitgleiche Veröffentlichung von gleich zwei Empfehlungen der BMG-Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung; konkret zum ‚Abbau überbordender Bürokratie‘ einerseits sowie zum ‚Erhalt des flächendeckenden geburtshilflichen Angebots‘ andererseits (~ zu den PDF-Berichten | BMG: Regierungskommission legt Empfehlung für Bürokratieabbau vor). Arbeiten für die Schublade, die aufgrund der äußeren Umstände in jeder Hinsicht folgenlos bleiben werden, obwohl es gerade bei dem Bericht zur Bürokratie im Kern viel um die ePA geht. (~ Neue Empfehlungen: Kommission setzt beim Bürokratieabbau auf die ePA) Ebenfalls für die Schublade, aber nun einmal parlamentarisch gesetzt, war die am 4. Dezember durchgeführte Bundestagsanhörung mit dem Thema ‚Gesundheit für alle‘ – die auf eine frühere Initiative der Partei Die Linke zurückging (~ BT-Drucksache 20/11427), und die von der ZM-Redaktion treffend unter der Überschrift „Streit um das duale System“ zusammengefasst wurde.
Ein wenig mehr praktische Relevanz hat dementgegen der am 2. Dezember von Karl Lauterbach vorgestellte „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen.“ (~ PDF öffnen | 77 Seiten) Dies vor allem deshalb, weil zu den geplanten Maßnahmen gehört, die Belange von Menschen mit Behinderungen im Sicherstellungsauftrag der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung expliziter unterzubringen und insbesondere die Arbeit von SPZ und MZEB zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das BMG derzeit auch versucht, zeitnah noch einen ergänzenden Ermächtigungstatbestand in die Ärzte-Zulassungsverordnung einzubringen, der es körperlich oder kognitiv beeinträchtigten Patienten erleichtern soll, Zugang zu psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung zu finden. Formal handelt es sich um die Ergänzung von § 31 Ärzte-ZV, die das BMG, da die Zulassungsverordnung eine untergesetzliche Norm darstellt, ohne Beteiligung des Bundestages vornehmen kann. (~ LinkedIN-Post des BMVZ v. 13. Dezember)
Dass diese Änderung noch in Kraft tritt, kann als ziemlich wahrscheinlich gelten, da das BMG angibt, dass die nötige Zustimmung des Bundesrats bereits erteilt wurde. Wer von Ihnen also im Kontext von MZEB, SPZ oder Suchtberatungsstellen mit Psych-Versorgung zu tun hat, sollte sich den kurzen Regelungsentwurf auf jeden Fall einmal im Original ansehen: BMG v. 5. Dezember: Verordnung zur Änderung der Ärzte-ZV.
Inhaltlich kommentierte der BMVZ-Vorsitzende Dr. Peter Velling dazu: „Für besonders vulnerable Gruppen den Zugang zu passgenauer psychologischer und psychiatrischer Betreuung zu erleichtern, ist ohne Frage sinnvoll. Auf formaler Ebene stellt sich uns aber vor allem die Frage, wieso das BMG diese ZV-Änderung per Rechtsverordnung priorisiert, während die Gesamtmodernisierung der Ärzte-ZV seit nunmehr zwei Jahren praktisch fertig in einer normativen Zwischenwelt verharrt? Die Entscheidung des BMG, dieses selbst angestoßene Normsetzungsprojekt, für das es laut Begründungstext schon im Herbst 2022 keine Alternative gab, nicht zu Ende zu bringen, ist schlicht nicht zu verstehen.“ Der BMVZ habe wiederholt kritisiert, dass dieses Projekt überhaupt so lange nicht weiterbearbeitet wurde. Mit der aktuell angestrebten Mini-ZV-Änderung wird das Vorgehen des BMG allerdings noch unverständlicher.
Vor diesem Hintergrund hat der BMVZ das Bundesgesundheitsministerium noch einmal aufgefordert, die Novellierung der (zahn)ärztlichen Zulassungsverordnung zu einem konstruktiven Ende zu bringen. Denn: „Wir, d.h. Politik, Vertragsärzteschaft und Gesellschaft, brauchen die enthaltenen Modernisierungs- und Entbürokratisierungsansätze sowie die mit dem Entwurf ebenfalls angestrebte Strukturtransparenz als Basis aller weiteren Reformbemühungen.“ (s.a. BMVZ-Mitteilung v. 4. November). Leider bestehen realistischerweise kaum noch Umsetzungschancen für dieses Projekt.
Dt. Ärzteblatt v. 09.12.2024
Änderung der Zulassungsverordnung nur in entkernter Version
Hib 844/2024 – heute im Bundestag v. 04.12.2024
Gesundheitsexperten befürworten grundlegende Reformen
BMG v. 02.12.2024
Lauterbach legt Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen vor
KBV Positionspapier der Vertreterversammlung | Justierung des Erwartungsmanagements
Die Vertreterversammlung (VV) der KBV hat sich bei ihrer Sitzung am 6. Dezember 2024 schon einmal für die kommende Legislaturperiode in Stellung gebracht. Im verabschiedeten Beschluss wurde ein Forderungskatalog vorgelegt, anhand dessen binnen der ersten 100 Tage der neuen Regierung die ambulante Versorgungslandschaft ‚neu gestartet‘ werden soll (~ Beschluss der VV v. 06.12.2024 | öffnet als PDF). Die Forderungen an sich sind keineswegs neu: Auslagerung der versicherungsfremden Leistungen, Patientensteuerung, Entbudgetierung, problemgerechte Implementierung der KI. Soweit also keine Überraschungen. Für das Erwartungsmanagement lohnt sich allerdings ein Blick auf den Kontext und die Zwischentöne.
Der ambitionierte Zeithorizont orientiert sich wohl an den Aussagen der CDU, innerhalb der ersten drei Monate einen politischen Kurswechsel vollziehen zu wollen. So interpretiert es zumindest die ÄrzteZeitung (~ ÄZ vom 6.12.2024). Die Einschätzung, dass sich die KBV Richtung Union wendet, scheint nachvollziehbar. Daraus leitet sich wohl auch der harsch fordernde Impetus des VV-Forderungspapiers ab, denn die CDU möchte am 17.12.2024, also ein Tag nach der Vertrauensfrage im Bundestag, ihr Wahlprogramm vorstellen. Selbst wenn die Forderungen der KBV darin bedacht werden, müssen die Vertreter des ambulanten Sektors die Dringlichkeit für die notwendigen Reformen bis zum Abschluss der zukünftigen Koalitionsverhandlungen aufrechterhalten. Insofern scheint es naheliegend, dass die KBV ihre ‚Spielhand‘ ausreizt. Politisch, sozial- und volkswirtschaftlich wird aber auch die kommende Regierung nicht um Kompromisse herumkommen. Durch die harschen Forderungen der VV und das forcierende Narrativ „100 Tage“, verbleibt am Ende vielleicht ein akzeptabler Anteil aus den Forderungen der KBV für die kommende Legislatur.
Abseits dieses politischen Schachzuges sei allerdings angemerkt, dass es unwahrscheinlich ist, dass die Union in den vier Jahren Oppositionszeit die ‚magische Formel zur Rettung der Nation‘ entdeckt hat. Ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen stellt anschaulich dar, an welchen Stellen die Union bereits jetzt ihre politischen Ansichten aus der Oppositionsrolle zurück in die Regierungsverantwortung ‚überträgt‘ (~ FAZ: Der milde Merz in Wirtschaftsfragen v. 30.11.2024). Der Rahmen des politisch Machbaren scheint sich zudem einzuengen. So präsentieren die Krankenkassen zum Jahresende allenthalben neue Defizitrekorde und das lahmende Wirtschaftswachstum, wird auch zukünftig die Sozialkassen eher belasten, als entlasten (~ Institut der deutschen Wirtschaft v. 5.12.2024). Es ist zudem bis dato unklar, welchen Umverteilungseffekt die Auslagerung der versicherungsfremden Leistungen auf andere Transfersysteme hätte und inwieweit das den Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds beeinflussen würde. Ein unfehlbares Patentrezept zur Neusortierung der medizinischen Versorgung ist dies also keineswegs.
In Form einer reinen Vermutung sei dahingestellt, dass dies auch der KBV bewusst ist. Einen, unseres Erachtens, guten Eindruck in das Erwartbare, bietet dabei die Pressekonferenz der KBV im Anschluss der Vertreterversammlung. Im Kontrast zum harschen Positionspapier der KBV lässt sich der Auftritt von Gassen, Hofmeister und Co. auf eine schwer zu definierende Weise, am konkretesten jedoch als ‚ambivalent‘, beschreiben. Wer über die Feiertage 20 Minuten Zeit hat, mag in dem Mitschnitt vielleicht auch die Mischung aus Kampfgeist und realpolitischer Resignation erkennen. Wegen der vielen schwierigen Faktoren im komplexen Gefüge der ambulanten Versorgung scheint eine realistische Einstellung des eigenen Erwartungsmanagements vielleicht auch ratsam.
KBV v. 06.12.2024
Videomitschnitt der Pressekonferenz und der Vertreterversammlung der KBV
Ärzteblatt v. 06.12.2024
KBV-Vertreterversammlung: Viele Aufgaben für die künftige Gesundheitspolitik
ÄrzteZeitung v. 05.12.2024
Zusatzbeiträge 2025: Hiobsbotschaften im Tagesrhythmus
GOÄ-Reform | Hinterm Horizont geht’s weiter
Durch die dichte Berichterstattung zur GOÄ Reform in den vergangenen Monaten könnte der Eindruck entstehen, dass es nur noch einen kleinen Stups bräuchte, bis die GOÄ-Neu zur Geltung kommt. Auch wir hatten trotz – und wahrscheinlich wegen – der Kenntnis der Sachlage versäumt, dediziert auf den realistischen Zeithorizont zu verweisen. Spoiler: Weder im kommenden Jahr noch 2026 ist mit einer praxisfertigen GOÄ-Neu zu rechnen. Zuletzt hatten wir im Artikel ‚GOÄ-Novellierung | 30 Jahre und immer noch Missverständnisse‘ (PRAXIS.KOMPAKT KW 46) darauf verwiesen, dass eine GOÄ-Einigung innerhalb der Ärzteschaft bis zum 129. Ärztetag im Mai des kommenden Jahres eine Herausforderung darstellt. Zum einen müssten sich die verschiedenen Fachgruppen einigen, die seit der Bekanntgabe der GOÄ-neu durch die BÄK im September 2024, das Machwerk und das Vorgehen der BÄK kritisieren. Als Konsequenz aus dem Zwist läuft momentan das von der BÄK einberufende Clearing-Verfahren. Zum anderen ist der Mai 2025 im Kontext der Neuwahlen ein schwieriger Zeitpunkt, um Vorhaben auf die Agenda der zukünftigen Regierung zu setzen. Wie im Artikel in dieser Ausgabe zum KBV Positionspapier der VV beschrieben, hat die CDU angekündigt, binnen der ersten drei Monate bereits elementare Veränderungen anzustoßen, sofern sie an die Macht kommt. Wer entweder mit gestoßen werden möchte, oder aber dem Stoß ausweichen will, muss sich also rechtzeitig positionieren.
Ferner sind die Einigungen innerhalb der Ärzteschaft und zischen Ärzteschaft und PKV nur die ersten Schritte. Anschließend wird die – dann hoffentlich endgültig – konsentierte Fassung der GOÄ-Neu an das BMG übergeben. Das Ministerium wird die Gebührenordnung auf die Auswirkungen bezüglich des dualen Versicherungssystems prüfen. Nach Einschätzung des Geschäftsführers des Verbands der Privatärztlichen Verrechnungsstellen (PVS) Stefan Tilgner, wird für diese Prüfung wohl „(…) externer Sachverstand rekrutiert, ‚der nicht vor Ende 2025 zu einem Ergebnis kommen dürfte‘“. (ÄZ v. 24.11.2024) Daraufhin muss die GOÄ-Neu als Verordnung noch den kompletten Novellierungs-Prozess gehen, also inklusive Bundesratszustimmung. Als letzten Schritt müsste die Infrastruktur um die GOÄ-Neu angepasst werden, also Praxissysteme, Abrechnungsstellen, Patienteninformationen etc.. Stefan Tilgner resümiert: Im „Best Case wird die neue GOÄ nicht vor Mitte, Ende 2027 Realität werden.“
ÄrzteZeitung v. 11.10.2024
Neue GOÄ: Und wieder vier Jahre rum!
BÄK v. 10.10.2024
Clearingverfahren zur neuen GOÄ
BMVZ v. 23.09.2024
GOÄ-Novelle ante portas? oder Und jährlich grüßt das Murmeltier