Die Aufhebung des Budgetdeckels für hausärztliche Leistungen hat sich die Ampelregierung bereits vor reichlich zwei Jahren ins Pflichtenheft geschrieben. Allerdings gab es hierzu bisher nur leere Versprechungen, während die Kinderärzte in einem nur drei Monate dauernden Expressverfahren tatsächlich eine Art Entbudgetierung mit Start zum 1. April 2023 erfahren haben. Zu der im Übrigen – mit Veröffentlichung der ersten Honorarberichte für das Q2/2023 – inzwischen auch erste valide Ergebnisse vorliegen. Nun allerdings hat das BMG einen ausformulierten Gesetzestext als Teil des neuen GSVG-Entwurfes (~ Reiter ‘Nachrichten’) vorgelegt, nach dem die Hausarztbudgetierung nach dem Kinderärztevorbild angeblich zügig beschlossen werden soll.: „Wir werden die Entbudgetierung machen, um das jetzt mal klar zu machen, bei den Hausärzten,“ sagte Karl Lauterbach vor dem Ärzte-Krisengipfel am 9. Januar im ZDF-Morgenmagazin und kündigte dabei eben jenen, jetzt vorliegenden, Gesetzentwurf an.
Exkurs Kinderärzte-Entbudgetierung:
Nachdem bisher die skeptischen Stimmen im Sinne von, dass hier nur wieder Geld von A nach B verschoben werde, überwogen (~ Bericht in der KW43/2023), ist es zuletzt auffällig still geworden. Der Umstand aber, dass weder die Pädiaterverbände noch die KVen klagen, obwohl (oder gerade weil?) die Honorarwirkungen mindestens für das erste relevante Quartal (Q2/2023) nun valide feststehen, ist ein handfestes Indiz, dass die Honorare wohl doch effektiv gestiegen sind. Ein kurzer Schnellcheck bereits verfügbarer Honorarberichte ergab, dass die KV Berlin einen durchschnittlichen Honoraranstieg von knapp 10 % bei den Pädiatern sowie in dem Bereich insgesamt 18 Millionen € Mehreinnahmen aus unbudgetierten MGV-Leistungen ausweist. (~ Quelle | im PDF – S. 12) In Hessen dagegen scheint sich das Ganze nicht so offensichtlich darzustellen – aber ein pädiatrisches Honorarplus von 3,4 % im Schnitt wird auch hier vermerkt. (~ Quelle | im PDF – S. 17). Zum Verfahren der Honorarberechnung, das sich nach dem Gesetzestext als höchst komplex darstellt, notierte zudem das Ärzteblatt kürzlich: „Anfangs geäußerte Befürchtungen, dass damit ein erheblicher bürokratischer Aufwand auf die Praxen zukommen könnte, scheinen sich nicht zu bewahrheiten. Die Berechnung scheint kompliziert, aber machbar zu sein. Je nach KV hört man dazu entweder keine oder geringe Klagen.“ (~ Quelle) Damit kann – bei aller Vorsicht – das als MGV+ bekannt gewordene Entbudgetierungsverfahren der Kinderärzte für diese wohl durchaus als echter Erfolg gewertet werden.
Zurück zu den Hausärzten: Insofern verwundert es nicht, dass alle aktuellen Forderungen (Ärzte) und Versprechungen (Politik) in Bezug auf die Hausärzte an eben diesem Modell MGV+ ansetzen. So sollen künftig alle Leistungen des Hausarztkapitels (EBM-Kapitel 3) unbudgetiert vergütet werden. Die Vergütung von Hausärzten erbrachter Leistungen aus anderen EBM-Kapiteln ‒ soweit diese nicht generell extrabudgetär honoriert werden – würden dagegen weiterhin regional geregelt werden. Das Ministerium plant dazu den Begriff des hausärztlichen Leistungsbedarfs einzuführen. Dieser definiert den finanziellen Bedarf, der sich aus der Summe aller erbrachten und abgerechneten hausärztlichen Leistungen ergibt. „Dabei müssen die abgerechneten Leistungen nach sachlicher und rechnerischer Prüfung anerkannt sein,“ heißt es in der Entwurfsbegründung. Selbsternanntes Ziel ist es, generell, die „Leistungen der allgemeinen, hausärztlichen Versorgung von mengensteuernden und honorarmindernden Maßnahmen der MGV und Honorarverteilung [auszunehmen].“
Gemeint ist im Ergebnis, dass die MGV wie bisher bestehen bleibt, so dass dem hausärztlichen Versorgungsbereich auch künftig ein fester Geldbetrag zur Verfügung steht. Übersteigen jedoch die Leistungsanforderungen der Hausärzte in ihrer Gesamtheit diese Summe, wird der Mehrbetrag von den Krankenkassen zusätzlich vergütet. Für die Kassen bedeutet, dies, dass die MGV nicht mehr mit der bisherigen ‘befreienden’ Wirkung gezahlt wird, sondern dass ggf. eine Nachschusspflicht besteht. Parallel trifft aber weiter voll zu, was BMG-Staatssekretärin Dittmar im Herbst 2022 ausführte – damals mit dem Ziel, zu erklären, warum der Honorardeckel nicht aufgehoben werde: „Die hausärztliche Entbudgetierung steht im Koalitionsvertrag drin, das stimmt. Mir sagen aber wirklich ganz, ganz viele der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, dass das Budget für sie eigentlich kein Thema mehr ist. Wenn wir die Entbudgetierung jetzt umsetzen würden, hätte es für die Hausärzte keine gravierenden Auswirkungen.“ (~ Quelle)
Die unten verlinkte, ausführliche Hintergrundrecherche des änd – bereits aus November 2023 – bestätigt diesen Befund. Befragt wurden alle KVen. Deutliche positive Honorareffekte erwarteten dabei lediglich Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein. Allerdings wurde dennoch das Vorhaben von allen zitierten KV-Verantwortlichen begrüßt. Der Hausärzteverband meint dazu: „In der Tat ist die Situation nicht überall identisch. Aber auch Praxen in weniger betroffenen Regionen wie Bayern könnten von der Entbudgetierung aufgrund einer besseren Planbarkeit profitieren. (…) Nicht zuletzt mit Blick auf eine flächendeckende hausärztliche Versorgung in Zukunft ist eine Entbudgetierung im hausärztlichen Bereich also keinesfalls überflüssig.“ (~ Entbudgetierung – ein Weg ohne Alternative)
Dass es einen spürbaren Honorareffekt geben wird, belegen zudem allein die Kassenreaktionen. Sowohl vdek als auch AOK-Bundesverband haben sich – verbunden mit eigenen Vorschlägen, was Ärzte besser machen sollten (~ vdek-Mitteilung v. 25. Januar) – gegen die BMG-Pläne ausgesprochen. Die AOK-Vorsitzende Reimann meint: „Eine Entbudgetierung, so wie sie auch im Koalitionsvertrag steht, ist nicht zielführend. Wollen wir eine ambulante ärztliche Versorgung auch in der Fläche erhalten, müssen wir über andere Lösungen nachdenken. Da ist Geld nicht das zentrale Thema.“ (~ Quelle) Und so wird wohl noch viel Wasser die Flüsse hinunterlaufen, bevor MVZ und Praxen des hausärztlichen Bereiches wissen, woran sie künftig sind.
Ärzteblatt v. 26.01.2024
Entbudgetierung: Mehr Freiraum für Hausärzte (PDF)
Pharmazeutische Zeitung v. 24.01.2024
Hausärztliche Entbudgetierung: vdek erwartet 2 Milliarden Euro Mehrausgaben
Ärztenachrichtendienst v. 28.11.2023
Entbudgetierung: Wer profitiert wie stark?