WICHTIG IM PRAXISALLTAG
Gesetzgebung: Kommt das GVSG oder kommt es nicht?
Ein Bericht aus der Schwebe
Triggerwarnung: Eigentlich berichten wir in dieser Rubrik ‚Wichtig im Praxisalltag‘ nur über Fakten und Feststehendes, das Praxisteams wissen und beachten sollten. Im Kontext der GVSG-Gesetzgebung ist dies aktuell nicht möglich. Der folgende ‚Bericht aus der Schwebe‘ soll daher allen Praxisverantwortlichen die Möglichkeit geben, aus den vorhandenen Ungewissheiten, die eigenen Schlüsse zu ziehen. Fakt ist: Am 13. November hat im Gesundheitsausschuss des Bundestages die ursprünglich bereits für Mitte Oktober angekündigte Anhörung zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) stattgefunden. Durch die Verschiebung allerdings unter den besonderen Vorzeichen des Ampel-Bruchs und daher verbunden mit der Frage, ob es sich überhaupt lohnt, in dieser Causa weiter zu reden.
Auch der BMVZ war in Gestalt seiner Geschäftsführerin als Sachverständiger geladen und anwesend; allerdings waren die Kernthemen des Verbandes ja bekanntermaßen durch die politischen Umstände von der Agenda verdrängt worden, und kamen daher nur am Rande in der Sitzung vor (~ im Stream ab Minute 1:05:30). Obwohl das von einigen Seiten (KZBV | Bürgerbewegung Finanzwende) anhaltend kritisiert wird, ist es insoweit auch eher unwahrscheinlich, dass – sollte das GSVG tatsächlich noch den Bundestagtag passieren – auf dem Weg bis dahin die MVZ-Regulierung doch wieder hineingenommen wird. Das wäre nach dieser Anhörung schon rein ablauf-organisatorisch nicht leicht, weil es sich um Inhalte handelt, die bis dato gar nicht Bestandteil der formalen parlamentarischen Diskussion waren.
Es gibt aber andere Gründe, warum der weitere Fortgang des GVSG alle MVZ und Praxen etwas angeht. Nicht zuletzt, weil die als Entbürokratisierungsmaßnahme gelabelte Einführung der Abschaffung von Kleinregressen (< 300 €) eine sehr sinnvolle Maßnahme ist. Im Zweiten hinsichtlich der Betriebserleichterungen, die im Entwurf für alle MVZ-GmbHs hinsichtlich die bis dato in unbegrenzter Höhe abzugebenden Bürgschaftsforderung enthalten ist. Über allen steht als wichtigster Schatten die Honorarreform der Hausärzte mit ihren drei Säulen Entbudgetierung, neue Vorhaltepauschale, neue Chronikerfinanzierung. Bezüglich der Möglichkeit, dass sich Rot-Grün hierfür hinter den Kulissen eine Mehrheit zu verschaffen mag, sagte Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion allerdings unmittelbar im Anschluss an die Anhörung: „In einem letzten Akt der Torschlusspanik versuchen SPD und Grüne, ihr Sammelsurium gesundheitspolitischer Restposten aus drei glücklosen Ampel-Jahren durch das Parlament zu bringen. Dass es dafür längst keine Mehrheit mehr gibt, ignorieren sie völlig.“ (~ Quelle)
Auf der Gegenseite rührt MdB Dirk-Ulrich Mende, der in der SPD-Fraktion Berichterstatter für die ambulante Versorgung und das GSVG ist, unverdrossen (bzw. notgedrungen) weiter die Werbetrommel: „Insbesondere diese warnenden Hinweise des geballten Sachverstands der Vertreter der gesamten gesundheitspolitischen Fachwelt sollten CDU und FDP dazu bewegen, in den kommenden Wochen doch noch notwendige Entscheidungen im GVSG zu ermöglichen. Wir dürfen nicht die … Patienten im Regen stehen lassen.“ ( ~ Quelle) Wie wahrscheinlich es ist, dass Christdemokraten oder die FDP diesem Werben nachgeben, ist unklar. Es wirkt aktuell aber eher unwahrscheinlich. Klar ist allerdings auch, dass die Möglichkeit, dass sich doch noch eine Mehrheit für das GVSG findet, nicht komplett ausgeschlossen ist. … egal wie vehement in diesen Tagen von Tino Sorge & Co. das Gegenteil behauptet wird. Beim Deutschlandticket etwa hat diese Phase genau drei Tage gedauert: Kehrtwende nach vorheriger Absage – Union will beim Deutschlandticket nun doch zustimmen.
Die rot-grüne Rumpfregierung scheint jedenfalls durchaus daran zu glauben, dass ihr GVSG eine tatsächliche Chance auf Umsetzung hat. Denn am Tag zuvor war noch ein 42 Seiten starkes Papier mit inhaltlich substantiellen Ergänzungen versandt worden. Das deutet entweder auf das gelebte Vogel-Strauß-Prinzip hin, dass man also einfach die Augen vor den Dingen verschließt, die man nicht sehen will. Oder aber es deuten sich hinter den Kulissen Mehrheiten für das Gesetz an, die das BMG möglichst extensiv ausnutzen wollen. Korrekterweise ist das Antragsdokument auch gleich im Dateinamen, unter dem es versandt wurde, als ‚GVSG_fachfremd‘ gekennzeichnet worden.
Mit den 18 Änderungsanträgen ist vorgesehen, zahlreiche neue Themen an das GVSG ‚anzuflanschen‘, wodurch es zu einer Art Omnibusgesetz würde, wie sie häufig am Ende einer Legislaturperiode vorkommen, um Themen, die noch übrig sind, unterzubringen. Die von Rot-Grün eingereichten Änderungen betreffen u.a. die Direktabrechnung von Minderjährigen in der PKV, den Anspruch auf Notfallverhütung von Vergewaltigungsopfern und die Frage der Doppelbesteuerung von Mutterschaftsgeld bei Grenzgängern … um einfach einmal die inhaltliche Bandbreite zu illustrieren. Zwei Punkte, die dagegen die ambulante Versorgung direkt betreffen, sind die „Gesetzlichen Klarstellungen zu im vertragsärztlichen Notdienst tätigen Ärzten“ sowie die „MGV-Bereinigung“ im Kontext der Hausarztvermittlungsfälle. Ersteres bezieht sich auf die Einigung bezüglich der SV-Pflicht im KV-Bereitschaftsdienst und dient somit der Entlastung der KV-Haushalte. Zweiteres dürfte sich dagegen zu einem großen Ärgernis entwickeln, sollte die Regelung tatsächlich Gesetz werden. Ist es doch ihr einziges Ziel, die Gelder, die über HA-Vermittlungsfälle extrabudgetär fließen, innerhalb der MGV zu kürzen, da – ausweislich der Änderungsbegründung – „der größte Teil auf die extrabudgetären Vergütungen der Behandlungsfälle nach Vermittlungen entfällt, mithin auf Leistungen, die bereits in der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung finanziert wurden.“
Das wäre eine bittere Pille für die Hausärzteschaft, die ja derzeit besonders intensiv dafür plädiert, dass das GVSG noch in Kraft gesetzt wird, um die hart erkämpfte Entbudgetierung der Fachrichtung endlich real werden zu lassen. Denn auch die stünde wieder völlig in den Sternen, sollte der Gesetzgebungsprozess aufgrund der vorgezogenen Neuwahl ergebnislos abgebrochen werden: „Die Lage ist prekär und dringlich,” betonte daher HÄV-Chef Beier in der Anhörung, die Entbudgetierung müsse kommen. Keine Entscheidung zu treffen, sei auch keine Lösung, sekundierte mit Prof. Ferdinand Gerlach ein weiterer der geladenen Experten.
Ansonsten war die Anhörung an sich wenig aufregend. Gemäß der parlamentarischen Regularien waren Redezeiten nach Parteiproporz verteilt und streng limitiert. Folge war das in solchem Rahmen übliche Themenhopping, das es nicht eingeweihten Zuschauern schwermacht, den Sinn der Veranstaltung zu erkennen. Das Lexikon der Parlarmentsbegriffe erklärt den Zweck damit, „den Mitgliedern des Ausschusses Informationen zu einem Beratungsthema zu vermitteln, beispielsweise ob ein Gesetzentwurf zur Lösung des Problems geeignet ist, ob Alternativen in Betracht kommen und ob ein Gesetzentwurf verfassungskonform ist.“ (~ Quelle) Faktisch werden solche Fragen natürlich eher außerhalb geklärt, weswegen der praktische Nutzen solcher Veranstaltungen schlicht ist, dass die geladenen Fachverbände sowie die Parteien mit ihren Fragen und Antworten noch einmal besondere Aufmerksamkeit auf die ihnen wichtigen Themen lenken. Das wiederum ist eigentlich nur beim hausärztlichen Honorarthema wirklich gelungen, weshalb – wie oben dargestellt – am Ende die Frage steht, ob der Bedarf und Wunsch, hierzu noch einen Beschluss herbeizuführen und damit das Thema Entbudgetierung vorläufig (auch für alle anderen Fachgrupen) erst einmal abzuschließen, ausreicht, damit sich eine der relevanten Oppositionsparteien als Mehrheitsbeschaffer hergibt. Wie schon notiert, halten wir das für unwahrscheinlich, aber eben auch nicht für unmöglich.
Dieser Artikel erschien in der PRAXIS.KOMPAKT der KW 46 am 16.11.2024.