In diesem Jahr ist nicht mehr mit einem ausformulierten Entwurf aus dem
BMG zur MVZ-Thematik zu rechnen. Zum einen resultiert diese Annahme aus der geschilderten zeitlichen Verschleppung des Versorgungsgesetzes I. Zum anderen gibt es dem Vernehmen nach weiterhin selbst innerhalb des Bundesgesundheitsministeriums keine einheitliche Meinung zur Grundfrage, ob es überhaupt grundsätzlichen Nachregelungsbedarf bei der MVZ-Frage gibt. Von der ebenso wichtigen rot-grün-gelben Koalitionsführung ganz zu schweigen. Dass Lauterbach als Person und Minister hierzu eine klare und oft wiederholte Haltung hat, reicht eben – wie man sieht – nicht aus.
Aber ja, Lauterbach hält persönlich daran fest, die Zulassung von Investoren-MVZ, mindestens für die Zukunft, verbieten zu wollen – so geäußert z.B. in einer Videoansprache zum deutschen Apothekertag am 27. September. In etwas diplomatischeren Worten des zuständigen BMG-Abteilungsleiters Michael Weller klang das Mitte Oktober , ebenfalls im Rahmen eines Kongresses, so:
Michel Weller [Oktober 2023] „Wir werden – soweit es möglich ist – die investorengetriebenen MVZs regulieren.“ Das sei im Rahmen des Versorgungsstärkungsgesetzes II vorgesehen. Es sei klare Aussage des Ministers, dass er bei iMVZ regulatorisch eingreifen wolle. „Wir wissen, dass wir hier verfassungsrechtliche Probleme haben und dass wir hier berufsrechtliche Probleme haben. Aber wir werden den Rahmen so weit wie möglich ausschöpfen, damit iMVZs so weit wie möglich eingegrenzt werden können.“ (~ Quelle)
Ohne Frage steckt darin ein vorsichtiges Anerkennen der Komplexität der Regulierungsproblematik und insoweit auch ein Erfolg der Bemühungen unter anderem des BMVZs, Gesetzesänderungen nach der Methode Rasenmäher abzuwenden. Besonders spannend ist die Äußerung hinsichtlich der verfassungs- und berufsrechtlichen Problematiken, wenn man bedenkt, dass eine Woche zuvor der durchaus renommierte Verfassungsrechtler Prof. Sodan im Auftrag der Kassenzahnärzte bescheinigt hat, dass deren Änderungsvorschläge ebenso wie der des Bundesrates absolut verfassungskonform sein. (~ mehr dazu)
Nimmt man die Äußerungen des niedersächsischen Gesundheitsministers Dr. Philippi – ebenfalls SPD – hinzu, dass es vor allem darum gehe, Transparenz und Kontrolle für Investorenbeiteiligungen zu schaffen, und ergänzt die vom SPD-Berichterstatter für die ambulante Versorgung im Bundestag auf dem BMVZ-Kongress getätigten Erklärungen zur ‚Überinterpretation von Lauterbachs Äußerungen‘, zeichnet sich allein innerhalb der SPD eine gesundheitspolitische Debatte ab, die keinesfalls als eindeutig interpretiert werden kann.
Andreas Philippi [Juli 2023] „Bei dem gemeinsamen Ziel, allen Bürgern vor Ort die bestmögliche Gesundheitsversorgung zu bieten, spielten ambulante Angebote eine immer wichtigere Rolle. Das gilt immer mehr auch für von Investoren geführte Medizinische Versorgungszentren.“ Es gelte, Mechanismen zu entwickeln, die eine angemessene Überwachung, Transparenz und Qualitätskontrolle für investorengeführte MVZ und deren Beteiligungen sicherstellen. „Um der Sorge vor dem Einfluss von Kapitalgebern zu begegnen, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die Transparenz schaffen und so für Akzeptanz sorgen“, betonte der Minister. In diesem Sinne werde er die weiteren Beratungen über ein MVZ-Regulierungsgesetz konstruktiv begleiten.“ (~ Quelle)
Dirk Ulrich Mende [September 2023] „Ein genereller Ausschluss von Investoren wie Private-Equity-Gesellschaften sei aus Sicht [des Bundestagspolitikers] hingegen nicht denkbar. „Juristisch tragfähige Lösungen, die ein Verbot vorsehen, kann ich mir nicht vorstellen“, erklärte er. „Das muss auch klar gesagt werden.“ Auch Lauterbachs Äußerungen hätten zwar drastisch geklungen, seien aber „überinterpretiert“ worden, erklärte er. „Pauschale Verteufelungen von MVZ sind nicht zielführend, wir brauchen mehr Sachlichkeit.“ (~ Quelle)
Und dann ist das Ganze natürlich auch noch in den größeren Kontext des nicht eröffneten Gesetzgebungsprozesses für das Versorgungsgesetz I zu sehen. Bereits seit Sommer wehen diesbezüglich Gerüchte durch das politische Berlin, nach denen bei weiterer Blockade die beiden geplanten Gesetze zu nur einem, dann inhaltlich verschlankten, Gesetz zusammengelegt werden. Das würde sowohl für die kommunal orientieren Reformprojekte des BMG Einschnitte bedeuten, wie es auch ein geeigneter und gesichtswahrender Anlass wäre, von einer drastischen Regulationsankündigung bei den MVZ abzurücken. Diese Annahme ist allerdings – das sei betont – blanke Spekulation.
Um noch einmal auf den Auftritt von BMG-Mann Weller vom 17. Oktober zurückzukommen: Zur zeitlichen Abfolge machte dieser dabei folgende Angaben: „Wir wollten im Herbst mit einem VStG II starten. Das hat sich verzögert. Daraus mache ich keinen Hehl. Wir sind gestoppt worden durch die desolate Finanzsituation wie alle Resorts.“ Und er schloss nicht aus, dass statt zwei Gesetzen am Ende nur eines kommt: „Wenn sich das Versorgungsstärkungsgesetz I noch länger verzögert, würden wir das zusammenfassen.“ Im Moment gehe er jedoch noch davon aus, dass es in den nächsten Wochen kommt.
Wenn wir also aktuell die Glaskugel polieren, ist eine der wichtigsten Fragen, die, ob die Koalition Lauterbach sein Versorgungsstärkungsgesetz (= Versorgungsgesetz I) doch noch irgendwie durchgehen lässt – oder eben nicht. Darüber hinaus wird wichtig werden, welche Problemsicht sich im BMG bei der MVZ-Frage durchsetzt, bzw. ob die von den SPD-Parteikollegen Philippi und Mende eingeforderte Sachlichkeit eine echte Chance bekommt.
Am Ende entscheidet ohnehin der Gesetzgeber, also der Bundestag – und diesem kommen dabei weitreichende Befugnisse zu, sowohl den Rechtsrahmen neu zu setzen als auch die ministriellen Pläne noch mal zu ändern. Nicht ohne grund heißt es, dass kein Gesetz so aus dem Bundestag rausgeht, wie es vom Kabinett eingebracht wurde. D.h. selbst wenn das BMG in den nächsten Monaten einen Gesetzesentwurf vorlegt, der vorsieht, nicht-ärztliche Träger im Sinne der Forderungen von BÄK oder Bundesrat streng zu regulieren, muss dieser Plan die mehrstufige Beratung im Parlament und den Fachausschüssen (hier vor allem Gesundheit & Justiz) überstehen. Im Ergebnis als dieser Unsicherheiten gilt daher aktuell, dass die Debatte, was, wann und mit welcher Schärfe an MVZ-Regulation eingezogen werden wird, weiterhin und in jede denkbare Richtung relativ offen ist.