Hausarzt-Entbudgetierung + der Kooperationszuschlag: Umsetzungsherausforderungen aus der Praxisperspektive
Der 1. Oktober ist ein Stichtag, den der Hausärzteverband gar nicht rosa genug malen kann: Liest man deren Statements, würde jedenfalls kaum einer auf die Idee kommen, dass es unklare Fragen oder gar ernsthafte Problematiken bei der Aufhebung des Budgetdeckels für Kapitel-3-Leistungen gibt. Obwohl das Problem natürlich genau da bereits anfängt, wo hausärztliche Leistungen, die in anderen EBM-Kapiteln als Nr. 3 beheimatet sind (Sonos, Wundbehandlung, Psychosomatik, uvm.), in der MGV verbleiben und als Folgeeffekt eher noch schlechter als bisher honoriert werden. Außerdem gibt es relevante Wechselwirkungen in fachübergreifenden MVZ und BAG, wenn die Gruppe der Hausärzte ab dem nächsten Quartal aus dem RLV-Bezug herausfällt. Denn das hat – je nach Konstellation – teils spürbare Folgen für die Berechnung des Kooperationszuschlags. Und das betrifft dann auch all jene Praxen, die eigentlich von der Entbudgetierung sonst nichts spüren, weil in ihrer KV die Auszahlungsquote bei den Hausärzten jetzt schon nah bei 100 % lag.
Unabhängig, ob RLV dran steht, oder eine andere, inhaltlich aber verwandte Abkürzung: In allen KVen, in denen Budgets irgendwie arztbezogen berechnet und zugewiesen werden, wird die Entbudgetierung auch beim Kooperationszuschlag Konsequenzen haben. Vor allem dann, wenn die KV die bisher zwischen den Fachgruppen gewichteten Behandlungsfälle nicht sauber trennt, bzw. wie bis dato gehabt, zuordnet. Leicht erklärbar ist das Problem an einem MVZ mit nur zwei Fachgruppen, von denen ab 1. Oktober nur noch eine RLV relevant ist. 1) Der Kooperationsgrad sinkt rapide ab, bzw. geht gegen Null, schlichtweg weil formal plötzlich der Kooperationspartner fehlt. Wird 2) dann bei der RLV-Zuweisung für die verbleibende Fachgruppe deren bisheriger Anteil an der Behandlungsfallzahl zugrunde gelegt, statt korrekterweise deren bisherige (und entsprechend höhere) Arztgruppenfallzahl, kommt das MVZ trotz Entbudgetierung schnell in eine deutliche Unterdeckung.
Hier gilt es also bei den RLV-Bescheiden für das vierte Quartal (und folgend) ganz genau hinzuschauen. Gleichzeitig kann insbesondere für große, fachgruppenkomplexe MVZ mit Allgemeinmedizinanteil nicht ausgeschlossen werden, dass die Wechselwirkung der Entbudgetierung mit dem Kooperationszuschlag dazu führt, dass am Ende weniger Honorar für die Einrichtung zur Verfügung steht.
Und dann besteht parallel ja noch die grundsätzliche Verwirrung um die mit der Entbudgetierung normativ verbundene Reform der Vorhalte- und der Chronikerpauschale. Zu letzterer gibt es bisher noch keinerlei konkreten Pläne. Und man darf getrost unterstellen, dass es die Selbstverwaltung, mindestens ärztlicherseits auch nicht eilig hat, an diesem Zustand etwas zu ändern. Im Gesetz vom Februar 2025 ist der 31. August 2025 als Frist gesetzt worden – die ereignislos verstrichen ist. Vielmehr waren zu diesem Zeitpunkt gerade erst einmal die Details der Vorhaltpauschale veröffentlicht worden, die eigentlich zu Ende Mai bereits hätten stehen sollen. Allerdings stammen diese tatsächlich sehr engen Fristen aus der Feder Lauterbachs … insofern verlässt sich die Selbstverwaltung möglicherweise (und möglicherweise auch zu Recht) darauf, dass Amtsnachfolgerin Warken hier Milde walten lässt. Eine Ersatzvornahme aus dem BMG käme zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall überraschend.
Bezüglich der Inhalte und Folgen der Neuregelung der Vorhaltepauschalen verweisen wir auf unsere Darstellung in der KW34: Minimales Ergebnis bei maximalem Aufwand, mit dem ergänzenden Hinweis, dass alle Kriterien, die sich auf die Praxis beziehen, stets BSNR-bezogen betrachtet und gemessen werden (nicht LANR-bezogen). Im Übrigen hat die KV BaWü in der unten verlinkten Darstellung auch Rechenbeispiele angefügt, was die jeweiligen Quoten z.B. beim Impfen oder bei den Heimbesuchen konkret bedeuten. Die KV Westfalen-Lippe hat dazu wiederum auf die Honorarwirkung bezogene Zahlen veröffentlicht: „Wir haben Berechnungen durchgeführt, dass bis jetzt schon alleine 90 Prozent aller Praxen in Westfalen-Lippe diesen ersten Zuschlag bekommen. Damit erhielten sie auch dasselbe Honorar wie bisher bei der Vorhaltepauschale nach der GOP 03040. Weitere drei Prozent der Praxen erfüllten acht oder mehr Kriterien und erhielten somit auch den zweiten Zuschlag.“ (änd v. 05.09.2025) Aber Achtung: Anders als die Entbudgetierung greift die Reform der Vorhaltepauschale erst ab nächstem Jahr, also ab Q1/2026.
KV Baden-Württemberg | Stand v. 19.09.2025
Entbudgetierung der Hausärzte: Ab 1. Oktober 2025 – das sollten Sie wissen
ÄrzteZeitung v. 09. bzw. 03.09.2025
Hausarzt klärt auf: Das ist bei der neuen Vorhaltepauschale zu beachten
Welche Kriterien für die Vorhaltepauschale sind am schwersten zu erfüllen, Dr. Afzali? (ÄrzteTag-Podcast)
Medical Tribune v. 07.06.2025
Wer gewinnt, wer verliert? So soll die Entbudgetierung umgesetzt werden
KV-Abschlagszahlungen: Zur Bedeutung der Zahltermine
& Niedersachsen regional: Betroffene BAG + MVZ können sich auf § 8 III des HVM-Anhangs beziehen
Bekanntermaßen erhalten Praxen und MVZ ihr Honorar wegen der komplexen Regularien erst mit monatelanger Verzögerung. Da es gleichzeitig aber viel Wiederholung und Routine bei Abrechnung und Leistungserbringung gibt, hat sich ein System etabliert, wonach die KVen in monatlichen Tranchen an jede Praxis Vorabzahlungen in Höhe von insgesamt 80 – 90 % des zu erwartenden Honorars überweisen. Die Erwartbarkeit dieser Zahlungen ist elementar für die Sicherung einer stabilen Liquidität jeder Praxis. Folgerichtig haben Änderungen, die die KV am Zahlrhythmus vornimmt, weitreichende Folgen für die Haushalte von Praxen und MVZ. Vor diesem Hintergrund wirft das aktuelle Vorgehen der KV Niedersachsen große Fragen auf. Zwar wurde bereits im Dezember 2024 informiert, dass ab Juli 2025 die Zahltermine um eine Woche nach hinten verschoben werden. Die Annahme der KVN, dass dadurch „keine Liquiditätsprobleme auftreten“ sollten, ist dennoch realitätsfern, vor allen auch, weil der zwölfte Abschlag des Jahres 2025 erst am 2. Januar 2026 fließen soll.
Da davon auszugehen ist, dass nicht wenige MVZ und Praxen z.B. den großen Kostenblock der Gehaltszahlungen auf den Eingang der KV-Honorartranche angepasst haben, spielt eine einseitige, mit nur sechs Monaten Vorlauf erfolgte Terminverschiebung natürlich eine große Rolle. Denn die terminliche Zahlverpflichtung der Arbeitgeber bleibt ja beim alten Datum bestehen. Die KV Niedersachsen hatte angesichts dessen ihren Mitgliedern geraten, „eigene Zahlungsmodalitäten zu ändern – oder wo dies nicht möglich ist – Rücklagen aus den Restzahlungen zu bilden, bzw. den Termin für die Privatentnahme zu modifizieren.“ (~ Quelle) Ein hehrer Ratschlag, der gerade bei komplexen BAG- und MVZ-Strukturen schnell an seine Grenzen stößt. Zumal die Umstellung der Zahltermine z.B. bei den Löhnen, also die Weitergabe der Problematik vom MVZ an den einzelnen Mitarbeiter, kein wirklich gangbarer Weg ist, da Lohntermine vielfach arbeitsvertraglich festgelegt sind. In der ÄrzteZeitung kommentiert daher ein betroffenes MVZ: „Wir haben versucht, Rücklagen zu bilden, sind aber doch in einen Liquiditätsengpass gekommen und mussten unseren Überziehungskredit in Anspruch nehmen, um die Mitarbeitergehälter sowie die anderen Terminzahlungen (Miete, Leasing- und Wartungsgebühren etc.) bedienen zu können. Das Vorgehen der KV sei „im Grunde unzumutbar“, da auch die Mitarbeiter Verpflichtungen hätten und sich deren Gehaltsüberweisungen daher nicht einfach aufschieben ließen.“
Das Thema bekam als niedersächsisches Regionalthema lange keine besondere Öffentlichkeit. Als Bundesverband MVZ haben wir hier, nachdem die Problematik uns erreicht hatte, daher erst einmal über die ÄrzteZeitung (~ direkt zum Artikel) eine solche hergestellt. Dabei war und ist uns vor allem wichtig, auf die Schutzparagrafen im Anhang des niedersächsischen HVM (§ 8 Absatz 3) hinzuweisen: „Im Einzelfall können auf Antrag des Mitglieds Zahlungstermine individuell vorgezogen werden, wenn die Praxis eine vorübergehende Notlage nachweist und ein individuelles Beratungsangebot innerhalb einer angemessenen Frist wahrnimmt.” Zwar erklärte der Pressesprecher der KVN gegenüber der ÄrzteZeitung, dass „aktuell keine Beratungswünsche aufgrund der Verschiebung der Abschlagszahlungen vor[liegen]“; allerdings sind uns zwischenzeitlich mehrere gegenteilige Fälle bekannt, in denen im Ergebnis solcher Beratungen in der Tat auch praxisspezifisch Veränderungen der Zahltermine mit der KV vereinbart wurden. Insofern liegt die Krux für die niedersächsischen Leistungserbringer wohl vor allem darin, dass die KV von sich aus in keinster Weise über diese Option informiert.
Für die anderen 16 KVen stellt sich angesichts dieser rein regionalen Problematik vermutlich vor allem die Frage: Wie wahrscheinlich es ist, dass die eigene KV ähnlich agiert? Vielfach haben wir jedenfalls bei den Recherchen erschrockene Gesichter zu sehen bekommen, wenn Praxischefs und MVZ-Geschäftsführer sich ausgemalt haben, was das für ihre Liquidität bedeuten würde.
Insofern ist es wichtig zu wissen, dass das Vorgehen der Niedersachsen hier als singulär einzustufen ist. Begründet wurde es damit, die KV-eigene „langfristige Liquidität dauerhaft zu gewährleisten.“ Gleichzeitig wehrt die KV Niedersachsen die Nachfrage zu den Gründen ihrer Liquiditätsprobleme ab: „Spekulationen, sie befinde sich in finanziellen Schwierigkeiten, weist Sprecher Haffke zurück. Derartige Gerüchte entbehrten jeder Grundlage.“ Gerade dann bleibt natürlich die von der ÄrzteZeitung bereits im Titel-Teaser aufgeworfene Frage virulent, weshalb ‚die KV, die nicht länger vertragsärztliches Honorar vorstrecken [will], etwaige Zinskosten [kurzerhand] auf ihre Mitglieder verlagert?‘
LinkedIn-Post des BMVZ v. 12.09.2025
KV Niedersachsen stellt die Abschlagstermine um: Folgen & Probleme
ÄrzteZeitung v. 08.09.2025
Niedersachsen: Neue Abschlagstermine bereiten manchen Praxen Liquiditätsprobleme
Niedersächsisches Ärzteblatt Heft 12/2024 (Seite 50)
KVN passt Abschlagszahlungen an – Änderung greift ab dem 2. Halbjahr 2025
Ist die MVZ-Debatte wieder da? Grüne, KV Bayerns, Ministerin Warken & der Bundesrat äußern sich
Am 18. September war Bundesgesundheitsministerin Warken im ZDF-Morgenmagazin zu Gast. Anlässlich des Hausärztetages ging es in dem Gespräch eigentlich um die Sicherstellung der Versorgung. Allerdings nahm die Moderatorin Bezug auf eine in einem MVZ angestellte Hausärztin, die im Einspieler zu Wort kam, und hakte explizit auch beim ‚Investoren-Thema‘ nach. Doch nicht nur Frau Warken bügelt das kurzerhand weg, auch der folgende Sendebericht greift die Sequenz explizit nicht auf (~ Ministerin fordert neue Versorgungsmodelle). Und so läuft die Berichterstattung unter dem Frame: „Warken wirbt für Gemeinschaftspraxen“ (~ bspw. Deutschlandfunk). Dabei war dieser Auftritt tatsächlich der erste Öffentliche der neuen Ministerin, in dem die MVZ-Thematik eine Rolle spielte, wenn auch eher von Außen durch die moma-Redakteurin an sie herangetragen. Machen Sie sich daher gern selbst ein Bild (Videostream | ab Minute 1:02:15).
Der Ausschnitt lässt sicher viele Interpretationen zu. Eines aber dürfte unstrittig sein: Dass die Ministerin ausgesprochen unaufgeregt das Thema einordnet und explizit anerkennt, dass der Trend nun einmal dahin geht, dass sich mehrere Ärzte zusammentun, um gemeinsam die bürokratische Last zu tragen und Ärzte anzustellen, was neuer Versorgungsmodelle bedürfe. Dabei scheint sie allerdings offensichtlich – das gehört zu einer seriösen Einordnung dazu – nicht explizit über MVZ zu sprechen … anders als es beinah zeitgleich in KW38 die KV Bayerns und die grüne Bundestagsfraktion getan haben. Letztere haben förmlich einen Antrag gestellt (~ Volltext Bdrs. 21/1667), „MVZ zu reformieren.“ Auf den sechs Seiten geht es einerseits mal mehr, mal weniger sinnvoll um Strukturtransparenz, andererseits um eine Art ‚Best-Of‘ aller bisherigen Forderungen, nicht-ärztliche MVZ-Träger einzuhegen. Auch die Bürgschaftserleichterung für kommunale MVZ, die Lauterbach ursprünglich einführen wollte, ist Teil des Forderungskatalogs. Als Oppositionsantrag sind dem Anliegen naturgemäß eher geringe Erfolgsaussichten zu bescheinigen. Aber auf jeden Fall ist die MVZ-Debatte damit demnächst wieder Befassungsobjekt des Gesundheitsausschusses. Völlig unklar ist dabei, wie sich Schwarz-Rot dazu positionieren wird.
Um dieser Unklarheit abstrakt zu begegnen, hat die KV Bayerns mit ihrer aktuellen Mitgliederzeitung (~ KVB-Forum | Heft 9-10/2025 | PDF) ihre Debattensicht in einer ausführlichen Titelstrecke aktualisiert und um zwei anonyme(!) Berichte von Ärzten, die in einem ‚Investoren-MVZ‘ gearbeitet haben, erweitert. Die ÄrzteZeitung fasst zusammen: „Ausgebeutet, ausgelaugt und willfährig zu grundlosen Operationen bereit? Die KV Bayerns zeichnet ein düsteres Bild von der Arzttätigkeit unter Privat-Equity-Ägide.“ (~ Quelle) Der BBMV e.V. kommentiert in dem Artikel völlig zu recht: „Sofern Ärzte durch Druck gezwungen wären, Kataraktoperationen ohne Indikation durchzuführen, gehört das angezeigt und rechtlich geahndet – nicht in einem anonymen Bericht verarbeitet, um Stimmung gegen eine bestimmte Trägergruppe zu machen.“ (~ siehe auch: Offener Brief an die KVB v. 18. September) Gesteigert wird die Fragwürdigkeit der Art und Weise, wie die anonymen Interviews geführt werden, noch durch die zuspitzende Tonalität und Wortwahl im Editorial des KVB-Vorstandes (Seite 3). Da ist sektengleich von „iMVZ-Aussteigern“ die Rede, die „regelrecht Erschütterndes“ berichten. Und: „Die Redaktion konnte die Interviews nur deswegen führen, weil wir den Kollegen Anonymität zugesichert haben. Das war notwendig, um Ihnen die Gefahren des zunehmenden Einflusses von Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland für die ambulante Versorgung in aller Klarheit und Deutlichkeit aufzuzeigen.“
Der Bericht der anonymen Hausärztin ist im Übrigen optisch hervorgehoben damit übertitelt, dass von ihr Termine im Zehn-Minuten-Takt gefordert wurden, was sicher in manchen Behandlungskontexten nicht angemessen ist, aber grundsätzlich wahrscheinlich einfach die Realität sämtlicher ambulanter Ärzte beschreibt … Schade, dass sich die KV Bayerns damit in der Debatte gleich wieder selbst disqualifiziert. Denn andere Aspekte der aktuellen MVZ-Titelstrecke zeigen durchaus auch Bemühen um eine halbwegs sachliche Berichterstattung. Wie beim moma-Interview gilt allerdings auch hier: Machen Sie sich am besten selbst ein Bild: KVB-Forum | Heftarchiv (im aktuellen Heft Editorial + Seiten 6 – 16).
Bleibt noch die Kombination Bundesrat und MVZ. Auch das passierte in KW38. Wobei insgesamt alle vier Ereignisse unabhängig voneinander sind. Zufälliger gemeinsamer Nenner ist vielmehr das Ende der Sommerpause und der Start in den parlamentarischen Herbst. Als Teil davon hat am 15. September der Gesundheitsausschuss der Länderkammer getagt und Stellung zum Entwurf der Bundesregierung für das Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege genommen. (~ mehr Infos zur Relevanz für die ambulante Versorgung | BMVZ-Beitrag v. 20. August) Da es sich ohnehin um ein mit einer bunten Themenmischung gefülltes Omnibusgesetz handelt, dachten die Landesvertreter wohl, ein wenig MVZ schade nicht und haben in ihrer Gegenäußerung den bereits mehrfach vorgetragenen Wunsch wiederholt, dass auch KVen in den Kreis der zulässigen MVZ-Träger aufgenommen werden sollen (~ Bundesrats-Drs. 365/1/25 | PDF). Bekanntermaßen wird diese Forderung vor allem vom Freistaat Thüringen vorangetrieben. Inwieweit Neu-Ministerin Warken sich hier vielleicht zugänglicher zeigt als ihre Vorgänger: Wir werden es sehen. Erst einmal bedeutet dieser Antrag nicht viel mehr als der der oppositionellen Grünen. Vielmehr sind beides Akte der Selbstbehauptung aus einer in dieser Frage ähnlich untergeordneten Rolle heraus.
Nimmt man alle vier Ereignisse aber zusammen, war das insgesamt – vor allem nach der diesbezüglich ruhigen Sommerpause – wirklich viel ‚MVZ-Thematik‘ für eine Woche. Ob daraus ein neuer Debattenherbst resultiert, wird maßgeblich von der neuen BMG-Spitze abhängen und muss für den Moment als offen gelten. Dann aktuelle Informationen zu genau diesem Aspekt bietet Ihnen – so oder so – der 19. BMVZ PRAKTIKERKONGRESS am 7. Oktober in Berlin. Hier geht’s zu Programm und Anmeldung.
Susanne Müller (BMVZ) & Martin Degenhardt (FALK) | 07.10.2025
Gesundheitspolitik & Gesetzgebung: Was ist vom Warken-BMG zu erwarten?
ÄrzteZeitung v. 19.09.2025
Bundesrat: Auch KVen sollen berechtigt sein, ein MVZ zu gründen
ZDF heute v. 18.09.2025
Hausärztliche Versorgung: Ministerin fordert neue Versorgungsmodelle
hib – Heute im Bundestag v. 17.09.2025
Grüne fordern Reform bei Medizinischen Versorgungszentren
Honorarverhandlung: Nichts für große Emotionen
Die diesjährigen Honorarverhandlungen haben zu einem „fast“ erwartbaren Ergebnis geführt. „Fast“, weil die Erhöhung des Orientierungspunktwertes um 2,8 Prozent mit Zustimmung beider Verhandlungspartner bereits im Bewertungsausschuss und nicht erst im erweiterten Bewertungsausschuss (EBA) beschlossen wurde. Im Grunde ein gutes Signal, denn der Weg über den EBA schien sich in den vergangenen Jahren zu verstetigen, mit den einhergehenden Problemen, wie dem Verlust von Vertrauen durch mangelnde Kompromissbereitschaft der Selbstverwaltungspartner. Das diesjährige, am 17. September von den Selbstverwaltungspartnern verkündete Ergebnis, ist zumindest aus Sicht der dargestellten Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung positiv zu bewerten. In Kombination mit der bemüht harmonisch dargestellten Ergebnispräsentation, lässt die Übereinkunft eine vage, aber interessante Deutung zu. Doch dazu später mehr. Unterm Strich ist die Punktwertsteigerung auf 12,7404 Cent die Mindestpflichterfüllung der Selbstverwaltungspartner in Anbetracht steigender Kosten für Praxen und MVZ.
Gemäß des zweiseitigen Beschlusses des Bewertungsausschusses (~ direkt dazu) wurden die Kostensteigerungen durchaus berücksichtigt, jedoch im Gegenzug „Möglichkeiten zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven“ und die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen verrechnet, soweit diese nicht schon ohnehin per Gesetz in die Verhandlung einfließen. Wie schon im vergangenen Jahr, wurden die steigenden Personalkosten bei den aktuellen Verhandlungen paritätisch bedacht, was bedeutet, dass die „aktuellen Ergebnisse der Verdiensterhebung 2023/2024 und die Anpassungsrate des MFA-Tarifvertrages 2024/2025 mit einem Gewicht von jeweils 50 Prozent“ einflossen. Auswirkungen auf die Verhandlungen hatte selbstredend auch die Entbudgetierung der Hausärzte. Wie wir im Vorjahr ausführlich beschrieben hatten, sind die Finanzierungsverhandlungen ein ausgesprochen komplexes Konstrukt, bei dem im Kern das Gesamtbudget der MGV verhandelt wird, die Kassen aber selbstredend auch die erwarteten Ausgaben der EGV im Blick haben. (~ PRAXIS.KOMPAKT KW 40/2024: Verhandlungen über den Orientierungspunktwert | Hintergründe und Einordnung der Praxisrelevanz)
Die Reaktionen auf die aktuellen Finanzierungsverhandlungen sind binnen der letzten Jahre zu einem generischen „copy/paste“ der Vorjahre geworden. Die KBV spricht von „einem Kompromiss unter schwierigen Rahmenbedingungen“, der GKV-Spitzenverband von einem „angemessenen und fairen“ Ergebnis. Der Hausärzteverband zeigt sich wenig überrascht: „Das ist das befürchtete, schlechte Ergebnis“. (~ ÄZ v. 17.09.2025) Die Kommentare der übrigen Interessenvertretungen werden entsprechend ausfallen. Gesonderte Betonung findet, zumindest bei den Selbstverwaltungspartnern, der Umstand, dass die Einigung des Bewertungsausschusses gezeigt habe, dass die Selbstverwaltung „funktioniere“.
Wie eingangs beschrieben, lässt sich daraus eine interessante Theorie formen. Wenn Frau Warken – hypothetisch gesprochen – im Rahmen ihrer oft zitierten Dialogbereitschaft die Zusammenarbeit und Reformbereitschaft mit einer funktionierenden ambulanten Selbstverwaltung vorausgesetzt hätte, dann wäre eine Honorareinigung ohne Erweiterten Bewertungsausschuss – so wie dieses Jahr geschehen – gewissermaßen eine Vollzugsmeldung von KBV und Kassen. Das könnte also auf einen ‚Pakt des Handelns‘ hindeuten, oder zumindest auf ein ‚Päktchen der Dialogbereitschaft‘. Letzteres wäre, mit Erinnerung an den Missmut der KBV über die Kommunikation mit Lauterbach, schon ein Fortschritt.
KBV v. 18.09.2025
Finanzierung der ambulanten Versorgung: Finanzierungsverhandlungen
änd v. 17.09.2025
Orientierungswert steigt im Jahr 2026 um 2,8 Prozent
Deutsches Ärzteblatt v. 17.09.2025
Einigung bei Honoraren: 2,8 Prozent mehr für die ambulante Versorgung
GKV-Finanzkommission und neue BMG-Personalie lassen hoffen
Angesichts einer drohenden Finanzierungslücke in zweistelliger Milliardenhöhe ab 2027 hat Gesundheitsministerin Warken, entsprechend dem Koalitionsvertrag, eine zehnköpfige Expertenkommission einberufen, um Vorschläge zur Stabilisierung der GKV-Finanzen auszuarbeiten. Die „Finanzkommission Gesundheit“ soll bis Ende März 2026 erste kurzfristige Vorschläge zur Beitragsstabilisierung vorlegen und bis Ende 2026 einen zweiten Bericht mit strukturellen Anpassungen erarbeiten. In Zukunft wird darum vermutlich oft von „dem ersten“ und „dem zweiten“ Bericht der Kommission die Rede sein. Was in dieser Kommission erarbeitet wird, könnte durchaus bedeutsam werden, denn das Expertengremium dient gewissermaßen auch als Scharnier zwischen den beiden Koalitionspartnern CDU/CSU und SPD, die in sozialen Belangen unterschiedliche Ansätze haben.
Die paritätisch besetzte Kommission besteht aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Disziplinen Ökonomie, Medizin, Sozialrecht, Ethik und Prävention. Laut Ministerin Warken soll das Gremium „frei von politischer Einflussnahme“ arbeiten und hat keine Denkverbote. Kommissionsmitglied Gregor Thüsing betonte, man werde „alles prüfen und das Gute bewahren“, um am Ende effektive, zumutbare und politisch vermittelbare Vorschläge zu unterbreiten (ÄZ v. 12.09.2025). Themen wie Arzneimittelpreise, Prävention, Effizienzsteigerungen und auch versicherungsfremde Leistungen stehen auf der Agenda. Eine klare Vorgabe des Ministeriums ist jedoch, die duale Struktur aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu erhalten und zu würdigen.
Für etwaige Deutungen, was aus der Besetzung der Kommission als Ergebnis abgeleitet werden könnte, reicht die Leistung unserer Glaskugel nicht aus. Ganz ohne Glaskugel darf aber angenommen werden, dass die diversen Vorschläge, die momentan durch die Medien schwadronieren, wie etwa die Selbstbeteiligung der GKV-Patienten oder die Reduzierung der Krankenkassenanzahl, Versuche darstellen, die Arbeit der Kommission ‚zu begleiten‘. Auch der BMVZ schließt sich auf seine Art der Riege dieser „Begleiter“ an, allerdings mit Vorschlägen, die mit wenig Aufwand eine große Wirkung erzielen könnten. Darunter auch die simple Erkenntnis, dass die GKV-Kommission keine neuen Namen und Konstrukte für fachübergreifende ambulante Versorgung finden muss. MVZ, BAGs und Co. haben sich hinreichend bewährt und benötigen lediglich eine Gleichbehandlung durch den Normgeber, der noch zu oft die Einzelpraxen zum Standardmaß erklärt.
Als Adressat würde für diese Vorschläge allerdings nicht nur die Kommission infrage kommen, sondern auch die neue Leiterin der Abteilung 2 „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“ im BMG. Die Sozialrichterin Barbara Geiger war bereits seit Juli 2025 im Gespräch und ersetzt Michael Weller auf dem wichtigen Posten. Die unaufgeregte Stellennachbesetzung lässt den wohlwollenden Schluss zu, dass Frau Warken sich über die Relevanz der Personalie durchaus bewusst ist. In Kombination mit der Expertenkommission ist zwar nicht der große Wurf zu erwarten, weil das BMG durch Sachzwänge und den Koalitionsvertrag gebunden ist, dennoch lässt der Fortgang die Hoffnung keimen, dass die Verantwortlichen gestaltungswillig sind.
Deutsches Ärzteblatt v. 12.09.2025
Richterin vom Bundessozialgericht wechselt ins Bundesgesundheitsministerium
Deutsches Ärzteblatt v. 12.09.2025
GKV-Finanzkommission soll bis Frühjahr erste Maßnahmen vorschlagen
ÄrzteZeitung v. 12.09.2025
„Keine Denkverbote“: Zehn Fachleute sollen Nina Warken Sparvorschläge liefern
Arbeitsmarkt: Eine apoBank-Umfrage bestätigt anhaltenden Teilzeittrend
Die apoBank hat eine Umfrage in Auftrag gegeben, die ein Schlaglicht auf ein schwerwiegendes Problem wirft, das insbesondere Angestellte im Gesundheitssektor betrifft. Obwohl der Trend zur Teilzeit inzwischen in allen Branchen um sich greift, ist die Wahl der Teilzeitanstellung in Medizin und Pflege überdurchschnittlich hoch (~ wdr v. 3.09.2025 | Teilzeitquote auf dem Höchststand – woran liegt’s?). Der Fokus der aktuellen repräsentativen apoBank-Umfrage liegt auf den angestellten Ärztinnen und Ärzten im ambulanten Sektor. Die Ergebnisse bestätigen die Dringlichkeit, mit der die Thematik auf die politische Agenda gehört. Wieviel Potenzial an ärztlicher Arbeitsleistung bleibt durch die Teilzeit tatsächlich ungenutzt? Oder zeigen die Zahlen ein unvollständiges Bild, weil sich die Arbeitszeit, beispielsweise von angestellten MVZ-Ärzten, sektorübergreifend auch auf eine Teilzeitstelle im Krankenhaus aufteilt?
Die am 3. September veröffentlichten Ergebnisse der Umfrage bestätigen den Teilzeittrend der vergangenen Jahre. Befragt wurden 700 ambulant angestellte Ärzte. Die Daten können im 8-seitigen PDF eingesehen werden, das sich auf der Webseite der Bank herunterladen lässt (~ direkt dazu). Von den 700 Befragten waren jeweils die Hälfte Ärztinnen und Ärzte aus der hausärztlichen und aus der fachärztlichen Versorgung. Im hausärztlichen Bereich ist die Anzahl der Teilzeitangestellten von 36 Prozent im Jahr 2021 auf nun 43 Prozent gestiegen. Teilzeit ist bekanntlich ein Spektrum und wurde in der Umfrage für den hausärztlichen Bereich mit 21 Wochenstunden gemittelt.
Bei den Fachärzten liegt die durchschnittliche Arbeitsstundenzahl der insgesamt 49 Prozent Teilzeitangestellten bei 20 Stunden. Während 33 Prozent der männlichen Fachärzte in Teilzeit arbeiten, sind es 61 Prozent aller Ärztinnen. In den Fachbereichen Gynäkologie und Pädiatrie sind die Teilzeitquoten (68 % und 64 %) besonders ausgeprägt. In Städten ist der Anteil von Teilzeitanstellungen höher als auf dem Land. Die Umfrage geht ferner auf die Überstunden ein, wonach die Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis minimal mehr Überstunden leisten als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen. Bezogen auf die Gehaltsdisparität zwischen Voll- und Teilzeit kommt die Umfrage zu dem Schluss, dass „im Schnitt die Teilzeit-Gehälter anteilig dem Vollzeit-Verdienst [entsprechen].“
Die Auswertung der apoBank-Umfrage ist rein deskriptiv und spekuliert daher nicht auf eine Antwort auf die Frage „Warum so viele in Teilzeit arbeiten?”. Dafür reichte auch die Detailtiefe nicht aus. Spannend wäre es aber dennoch gewesen, die Stundenzahl der Teilzeitangestellten differenzierter zu beleuchten. Ein Wunsch an das von der apoBank beauftragte Institut „DocCheck Insights“ wäre, dass man auch aktuelle Daten erhebt, wie viele Fachärzte neben ihrer Teilzeitanstellung im MVZ noch andere Anstellungsverhältnisse haben und wie sich diese prozentual aufteilen. Solche Daten würden Aufschluss darüber geben, in welchem Rahmen die viel beschriebenen Potenzialreserven ärztlicher Arbeitszeit tatsächlich vorhanden sind. Gesamtgesellschaftlich müssen die Fragen und Antworten nach dem Trend zur Teilzeit aber in einem deutlich größeren Rahmen gesucht werden. Wir hatten das komplexe Zusammenspiel der Vektoren – Steuerlast, Demografie, Arbeitsbelastung, Work-Life-Balance – schon einmal ausführlicher beleuchtet und waren zu dem Schluss gekommen, dass eine Adjustierung des Faktors ‚Arbeit‘ maßgeblich außerhalb des ambulanten Sektors, also auch in der Zuständigkeit anderer Ministerien, erfolgen müsste. (~ PRAXIS.KOMPAKT v. 23.02.2025: Teilzeit als volkswirtschaftliches Problem | Arbeits- & Gehaltsbedingungen für MFA & Co.)
Deutsches Ärzteblatt v. 05.09.2025
Flexible Arbeitszeitmodelle: Mehr Spielraum für künftige Ärztegenerationen
Tagesschau v. 02.09.2025
So viele Menschen arbeiten in Teilzeit wie noch nie
AOK: Gesundheit + Gesellschaft v. 20.06.2024
Medizin in der Teilzeitfalle