Die Frage begleitet uns seit inzwischen 17 Monaten: Wird es eine MVZ-Regulierung durch die aktuelle Regierung geben oder nicht? Zumindest Karl Lauterbach scheint diesbezüglich mit sich im Reinen. Auch in seiner Ärztetagsrede vom 7. Mai ging er auf die 'Gefährlichkeit' investorenbetriebener MVZ ein: „Wir wünschen hier keine Rosinenpickerei,“ sagte er konkret. Man könne nicht Kliniken entökonomisieren wollen und gleichzeitig private Investoren bei den MVZ zulassen. Außerdem bekräftigte er, die beschränkende Regulierung von Investoren-MVZ weiter auf seiner Agenda zu haben. Diese Sätze fielen jedoch in Reaktion auf die zuvor gehaltene Eröffnungsrede des BÄK-Präsidenten Reinhardt, der seinerseits die 'MVZ-Frage' am Ende seiner Ausführungen prominent platziert hatte: "Wenn Profitgier vor dem Patientenwohl steht, untergräbt dies das Vertrauen der Menschen in unser Gesundheitswesen insgesamt und schadet auch der Einrichtung „MVZ“ als eigentlich durchaus sinnvolle Ergänzung der ambulanten Versorgung. Sie alle wissen, dass die Bundesärztekammer ... konkrete Vorschläge ausgearbeitet hat, wie der Einfluss von Fremdinvestoren auf die Patientenversorgung eingedämmt werden kann. ... Wir haben die Arbeit für Sie bereits erledigt, Herr Minister! Greifen Sie unsere Vorschläge auf und schützen Sie die MVZ vor einer rein renditeorientierten Einflussnahme fachfremder Finanzinvestoren!" (~ Quelle)
Unklar bleibt, inwieweit von Lauterbachs eingangs zitierter Aussage auf eine aktualisierte und vor allem zeitlich klar definierte Gesetzgebungsabsicht geschlossen werden kann. Um das abschätzen zu können, müsste man wissen, ob er das Thema auch ohne die Vorrede Reinhardts angeschnitten hätte. Möglicherweise war er aber in dieser Konstellation schlichtweg gezwungen, eine Antwort geben zu müssen. Angesichts dieser ungeklärten Frage scheint in jedem Fall spannend, dass die bei diesem Thema rechte Hand des Ministers, Abteilungsleiter Michael Weller, ein Tag zuvor bei der Verbändeanhörung zum GVSG die MVZ-Thematik gerade nicht erwähnt hatte, als er zu Beginn eine Zusammenfassung dazu gab, welche neuen, bzw. weiteren Elemente im parlamentarischen Verfahren diskutiert werden sollen, obwohl sie nicht Teil des Entwurfs sind. Als ganz neuen Punkt brachte Weller hierbei übrigens die 'Stärkung der fachärztlichen Versorgung durch bessere Terminvermittlung' - was immer sich dahinter konkret verbergen soll.
In der zweieinhalbstündigen Fachanhörung zum GVSG-Entwurf, die am 6. Mai per Videokonferenz mit allen relevanten Verbänden stattfand, hat die MVZ-Thematik jedenfalls eine höchst untergeordnete Rolle gespielt. Dies gilt auch für die zahlreichen schriftlichen Stellungnahmen, die eingereicht worden sind. Nur wenige Verbände, darunter Pro der BBMV sowie Contra die BÄK und der Sozialverband VDK greifen das Thema der (fehlenden) Regulierung überhaupt auf. Als BMVZ haben wir uns in der Kommentierung darauf beschränkt, auf die geplante Betriebserleichterung bei den MVZ-Bürgschaften einzugehen und weitere derart pragmatische Änderungen allgemein im Kontext der Zulassungsverfahren vorzuschlagen: Stellungnahme des BMVZ zum Referentenentwurf des GVSG v. 2. Mai 2024 (PDF | 6 Seiten).
Interessant ist in jedem Fall, dass die jüngste (vorläufige) Kabinettszeitplanung, die das Datum vom 16. Mai trägt für die Befassung mit dem GVSG zumindest innerhalb der vier Juni-Sitzungen kein Beschlussdatum vorsieht. D.h. es bliebe allenfalls die erste Juliwoche und auf keinen Fall könnte es so gelingen, das Gesetz noch vor der Sommerpause in den Bundestag zu bringen. Was aber erklärtes Ziel des Ministers war. Insofern öffnet sich ein neuer Raum für Spekulationen: Wird es dann vielleicht doch noch größere Textänderungen geben, bevor dann im Herbst ein Kabinettsbeschluss gefasst wird. Und könnte dies bedeuten, dass das MVZ-Thema dann doch bereits Teil des Regierungsentwurfes wird? Bei der aktuellen rot-grün-gelben Regierungskoalition lässt sich das wirklich schwer voraussagen. Man betrachte nur das vom Kabinett kürzlich beschlossene KHVVG, in dem - wie Kai aus der Kiste – bei Verabschiedung durch die drei Koalitionäre urplötzlich die Diagnosegruppen integriert wurden – obwohl den hierzu opponierenden Ländern zugesagt worden war, diese einvernehmlich im Herbst zu regeln (~ Reiter Nachrichten: Kabinettsbeschluss der Klinikreform | Reaktionen und Aussichten).
Die versammelte Ärzteschaft hat auf dem Ärztetag jedenfalls genau dies, also ein Gesetz zur MVZ-Trägerbeschränkung, erneut eingefordert. Der Beschluss, den allerdings mit 169 Stimmen auffällig wenig Delegierte gefasst haben, da möglicherweise einfach viele schon beim Netzwerken oder in der Pause waren, heißt: Investorenbetriebene MVZ endlich regulieren (PDF | 2 Seiten). Er war vom Vorstand der BÄK eingereicht worden, atmet somit offizieller BÄK-Luft und verweist daher folgerichtig auf die zwölf Regulierungsvorschläge, die von der Bundesärztekammer vor rund anderthalb Jahren vorgelegt worden waren (~ Positionen der BÄK zu MVZ). Die Reaktion des BMVZ damals – neben Ablehnung der meisten Punkte: "Anders als der BBMV erkennt der trägerübergreifende Bundesverband MVZ (BMVZ), durchaus einzelne diskussionswürdige Ansätze im BÄK-Papier. In einer ersten Reaktion unterstützte Geschäftsführerin Susanne Müller den Vorschlag der BÄK, künftig zu prüfen, ob MVZ den Versorgungsauftrag der beteiligten Fachgruppen erfüllen und auch die Kernleistungen tatsächlich erbringen. „Allerdings muss diese Prüfung dann natürlich sämtliche Leistungserbringer erfassen“, so Müller. Technisch lasse sich das im Sinne einer Auffälligkeitskontrolle prüfen.“ (~ MVZ-Verbände zu BÄK-Vorschlägen zur MVZ-Regulierung)
Den Handlungsbedarf bezüglich der MVZ leitet die BÄK im Übrigen "sowohl [aus dem] ärztlichen Gelöbnis als auch [aus dem] in der ärztlichen Berufsordnung verbrieften Primat des Patientenwohls sowie aus der Gemeinwohlorientierung als wesentlichem Merkmal der Freiberuflichkeit" ab. Sie fährt damit recht große ethisch-moralische Geschütze auf und dürfte damit vermutlich den Nerv des Ministers treffen. Für die gesamte Regierung bleibt allerdings festzuhalten, dass sich ein Drittel davon – namentlich die FDP – offiziell für den Beibehalt der aktuellen Trägeroptionen ausgesprochen hat (~ FDP-Papier zur MVZ-Regulierung geht auf Distanz zu Lauterbach . Tatsächlich hatte die Bundestagsfraktion in November 2023 ein förmliches Papier vorgelegt, das schon im Titel fordert, die „Trägervielfalt in der ambulanten Versorgung erhalten“ und damit meint, dass „statt eines pauschalen Ausschlusses von Investoren als Träger sicherzustellen ist, dass MVZ jeder Trägerart transparent und qualitätsorientiert einen Beitrag zur ambulanten Versorgung leisten können.“ Ob und inwieweit diese Gegenposition Bestand hat, wenn es in der Koalition in den nächsten Monaten - auch bei anderen Themen - hart auf hart kommt, ist aber naturgemäß genauso offen, wie Lauterbachs Fähigkeit, seine Position beim MVZ-Thema letztendlich doch durchzusetzen. Nur eine Botschaft ist damit weiterhin wirklich belastbar: Strategische Planbarkeit und normative Verlässlichkeit gibt es für MVZ und ihre Träger weiterhin nicht.