Infohäppchen für den Praxis-Alltag | Änderungen bei Krankentransport, Impfhonoraren und Laborwirtschaftlichkeitsbonus
Immer mal wieder was Neues: Ständig gibt es für die vertragsärztliche Versorgung im Detail Regeländerungen, über die Ärzt:innen und Verantwortliche in den Praxen Kenntnis haben sollten – auch wenn es bisweilen um Kleinigkeiten zu gehen scheint. Nachfolgend haben wir einige solcher Details in Form von Kurz-Häppchen, die reinen Informationscharakter haben, bedarfsorientiert zusammengefasst. Thema dieser Ausgabe sind die Veränderungen bei der Verordnungsfähigkeit von Krankentransporten, die bereits seit drei Monaten gilt, ein Update zu den regionalen Vereinbarungen über die Impfhonorare sowie der Hinweis auf die Laborreform, in deren Folge die Korridore für den arztindividuellen Laborwirtschaftslichkeitsbonus abgesenkt werden.
Krankentransportverordnung: Seit dem 17. Dezember können Verordnungen zur Krankenbeförderung auch via Videosprechstunde ausgestellt werden. Die KBV veröffentlichte dazu am 13.02.2025 die ergänzende Notiz, dass die Versandkosten des Muster 4 (Krankenbeförderung) nach der Kostenpauschale 40128 in Höhe von 0,96 € abgerechnet werden können (~ KBV v. 12.02.2025). Zusätzlich zur Möglichkeit der Verordnung via Videosprechstunde gibt es zudem die Möglichkeit, die Verordnung auch telefonisch auszustellen. Allerdings unter den bekannten Bedingungen für den telefonischen Patientenkontakt: Dass der aktuelle Gesundheitszustand sowie die Mobilitätsbeeinträchtigung bereits im persönlichen Kontakt oder in einer Videosprechstunde erhoben wurde und keine weiteren für die Verordnung relevanten Informationen nötig wären (~ KVSachsen v. 15.01.2025). Mehr dazu: ~ G-BA v. 19.09.2024 | Krankenbeförderung kann zukünftig auch per Videosprechstunde verordnet werden
Impfhonorare: Nach und nach hatten sich die 17 KVen mit den Kassen auf die aktuellen Impfhonorare für die Impfsaison 2025/2026 geeinigt. Am 5. März zog nun auch die KV Bremen nach. Kern der Information ist im Grunde: Vergewissern Sie sich über die Einigung bezüglich der Impfvereinbarung in ihrem KV-Gebiet. Während die Mehrfachimpfungen in der Regel um wenige Prozentpunkte höher vergütet werden als vorher, sind bundeseinheitlich die Vergütungen für Corona-Impfungen herabgesenkt worden. Am Beispiel Bremen von 15 € auf 10 €, womit sie nun den Standard Influenzaimpfungen gleichen. (~ KVHB v. 05.03.2025)
Als weitere Randnotiz sei angemerkt, dass zum großen Ärger vieler Praxen und MVZ die Kassen deutschlandweit derzeit zahlreiche Regress-Schreiben verschicken. (~ ÄZ 07.03.2025) Hintergrund ist die Pneumokokken-Impfung mit dem Impfstoff Apexxnar, die per Beschluss vom 16. November 2024 vom GBA in den Pflichtleistungskanon der Kassen aufgenommen war. Allerdings trat dieser Beschluss formal erst Mitte Januar 2025 in Kraft, weswegen Impfstoffbestellungen zwischen Mitte November und Mitte Januar von den Kassen regressiert werden, wie bspw. die KVMV berichtet. Derartige Spitzfindigkeiten mögen juristisch korrekt sein, tragen aber nicht wirklich zur guten Patientenversorgung bei. Merke: „Beschluss vom ….“ ist nicht gleichzusetzen mit der (Außen-)Wirksamkeit ab dem Datum des Inkrafttretens!
Laborwirtschaftlichkeitbonus: Der Bewertungsausschuss hat im Kontext der Laborreform 2025 die begrenzenden Fallwerte für die Berechnung des Labor-Wirtschaftlichkeitsbonus angepasst. Diese wurden abgesenkt, wodurch erreicht werden soll, dass die Höhe des maximal verfügbaren Wirtschaftlichkeitsbonus unverändert bleibt. Als kurzer Reminder zum Wirtschaftlichkeitbonus: Der Bonus wird von den KVen zugesetzt. Er bezieht sich auf die Berechnung zweier Werte: „Die tatsächlich veranlassten und die eigenerbrachten Laborleistungen der EBM-Abschnitte 32.2 (Allgemeine Laboratoriumsuntersuchungen) und 32.3 (Spezielle Untersuchungen) der Praxis sowie die arztgruppenspezifischen begrenzenden Fallwerte. Letztere geben vor, wie hoch die durchschnittlichen Laborkosten je Fall sein dürfen, um den Wirtschaftlichkeitsbonus zu erhalten.“ Je Fachgruppe gibt es einen oberen und einen unteren Grenzwert (~ KBV v. 13.03.2025). Bei Unterschreiten des unteren Grenzwertes wird der maximale Bonus ausgezahlt, bei Überschreiten des oberen Wertes entsprechend kein Bonus; dazwischen anteilig. Ein Fachartikel des Virchowbunds beschreibt die Anforderungen für eine Auszahlung ausführlicher, auch wenn er nicht die aktuellen Grenzwerte abbildet (~ Laborbonus im EBM: So erhalten Sie den Wirtschaftlichkeitsbonus | v. 22.05.2023).
Univadis.de v. 23.03.2025
Regresswut: Impf-Ärger bei Pneumokokken und Co.
KBV-Praxis-Info v. Januar 2025
Krankenbeförderung: Hinweise zur Verordnung (PDF | 5 Seiten)
Medical Tribune v. 14.12.204
Neue Vergütungsregeln: 2025 bringt Abwertungen im Labor
Unklarer Zeitplan für ePA & Co. | Fluch und Segen der zahlreichen Verzögerungen
Karl Lauterbach und seine BMG-Kollegen beteuern weiterhin – öffentlich zuletzt am 13. März – dass die flächendeckende ePA-Pflicht, sprich der bundesweite Rollout, im April erfolgen soll. Besonders realistisch ist das allerdings nicht. Eher wirkt es wie ein frommer Wunsch des ambitionierten Ministers, diesen Pflock unbedingt noch innerhalb seiner Amtszeit einzuschlagen. Dürfte doch – so alles glattgeht – etwa Mitte April die neue Regierung stehen, und das – sehr gut möglich – mit einem anderen Gesundheitsminister. Aus der Not geboren, war das BMG bereits zum Start am 15. Januar mit der Info an die Öffentlichkeit gegangen, dass der ePA-Start auf frühestens März, April verschoben werde (~ Ärzteblatt v. 15. Januar). Denn, so formulierte es das BMG vier Wochen später schriftlich: „Trotz Bemühungen und mit vollem Einsatz aller Beteiligten müssen wir aktuell mehr Zeit und Ressourcen für die Einführung und Stabilisierung der ePA in diesem Jahr einplanen.“ (~ PRAXIS.KOMPAKT KW8/2025: ePA – Bewegung in der Zeitschiene)
Diese ‚Ressourcen-Umplanung‘ betrifft auch weitere, mit der ePA verbundene Projekte. So wurde bereits im Oktober 2024 bekannt, dass das elektronische BTM-Rezept nicht, wie vorgesehen, zum Sommer 2025 umgesetzt werden kann, sondern nach 2026 verschoben wird. Ein Plan, der Gegenwind erhalten hat: „Ärzteschaft protestiert gegen Verschiebung elektronischer Betäubungsmittelrezepte.“ Auch bereits einmal verschoben wurde das Projekt, in der ePA (native) Bilddaten für Röntgen & Co. speichern zu können (~ ePA: Bilddaten monatelang nur über Umweg möglich). Unklar ist allerdings, ob das diesbezüglich zuletzt veröffentlichte Datum (Juli 2025) gehalten wird. Denn die zugehörige Aussage dazu war, dass diese Funktionalität mit der ePA-Version 3.1 kommen soll. Diese wiederum ist nach aktuellem Stand auf März 2026 verschoben worden. Auf Frühjahr 2026 wurden auch die Pläne zum elektronischen Medikationsplan, der die digitale Entsprechung des gedruckten Medikationsplanes werden soll, verschoben. Für diesen Sommer wurde dagegen neu ein „Zwischen-Release ePA 3.0.5“ angekündigt, das vor allem der Stabilisierung und Optimierung des Systems dient und auch den Messenger (TIM) für die Kommunikation zwischen Leistungserbringern und Patienten in die ePA einbinden soll.
Das bedeutet, dass es für die nächsten Montae hinsichtlich der Medikationskontrolle weiterhin ‚nur‘ die eML – die elektronische Medikatonsliste – im Sinne eines Dauerprovisoriums geben wird, die in etwa vergleichbar ist mit der Bestellhistorie eines Kundenkontos bei Amazon & Co. Soll heißen: In der eML werden schlichtweg und ohne weitere Einordnung die eRezepte der letzten 12 Monate chronologisch aufgezählt, die seit Anlage der Akte verschrieben wurden. Damit ist die Hauptfunktionalität der ePA derzeit – da rund 70 Millionen angelegt wurden, von denen aber deutlich weniger als 3 Millionen patientenseitig aktiv kontrolliert werden – das Sammeln von eRezeptdaten. Das funktioniert völlig unabhängig vom bundesweiten Rollout und bereits seit Anlage der Akten, die Mitte Februar von den GKV-Kassen abgeschlossen worden ist. Allerdings sehen Apotheken und Praxen der Testregionen gerade in dieser Funktion bereits einen tatsächlichen und relevanten Mehrwert und Nutzen sowohl für die Patienten, als auch für die eigene Arbeit.
Als vorläufiges Fazit lässt sich damit festhalten: (1) Das ePA-Projekt ist und bleibt ein Marathon. Der (2) wahrscheinlich nicht vor (Früh-)Sommer in die Breite gehen wird; außer es wird (3) politisch eine alternative Lösung gewählt, z.B. ein bundesweiter Rollout, jedoch ohne ärztliche Nutzungsverpflichtung. Folgeprojekte wurden und werden (4) aus technischen sowie finanziellen Gründen gestreckt. Hier hat es (5) wahrscheinlich noch nicht die letzte Verschiebung gegeben.
Der weitere Fahrplan ist also insgesamt nach wie vor offen. Aus Sicht der Praxisleitung ist damit natürlich eine sinnvolle Planung unmöglich. Anderseits: Stellen Sie sich als Gedankenspiel einmal kurz vor, unter welchem Druck, die ePA zum Fliegen zu bringen, das BMG jetzt gestanden hätte, wenn der Bundestag nach einem Sommerwahlkampf regulär im September 2025 neu besetzt worden wäre. Möglicherweise ist somit das ePA-Projekt einer der Anwendungsfälle, wo sich das frühe Ampel-Aus von November 2024 als Glücksfall erweist, gerade weil Luft ist, solche Verschiebungsentscheidungen nach praktischen, bzw. technischen Notwendigkeiten, anstatt nach politischen Befindlichkeiten zu treffen.
Ärzteblatt v. 14.03.2025
ePA: Das berichten Ärztinnen und Ärzte aus den Testregionen
Apotheke Adhoc v. 12.03.2025
ABDA fordert mehr Testzeit: Unterschiedliches Feedback von Test-Apotheken
PTA in Love v. 11.02.2025
ePA: Bundesweiter Rollout frühestens ab April, eMP erst 2026
Schwarz-rote Findungsphase und das Schattendasein der Gesundheitspolitik
Insgesamt sechszehn Arbeitsgruppen wurden nach der offiziellen Aufnahme von Koalitionsgesprächen gebildet, die nun jeweils für Ihr Thema eine Arbeitsgrundlage erstellen sollen. Nummer 6 ist mit ‚Gesundheit + Pflege‘ überschrieben. Ihr Auftrag lautet gemäß Sondierungspapier: „Die Gesundheitsversorgung muss für alle gesichert bleiben. Wir wollen eine große Pflegereform auf den Weg bringen. Wir stehen für eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung in der Stadt und auf dem Land.“ So weit, so nichtssagend. Oder vielmehr, so bezeichnend: Denn wieder einmal ist die ambulante Versorgung nicht mal eine Randnotiz wert. Das spiegelt auch die Besetzung der beiden Spitzenämter in dieser AG wider: Karl-Josef Laumann (CDU) ist quasi die Vermenschlichung der Krankenhausreform. Und Katja Pähle (SPD), die Soziologie und Psychologie studiert hat, bringt zwar u.a. drei Jahre Erfahrung als Referentin im sachsen-anhaltinischen Gesundheitsministerium mit, steht aber eher für die sozialen und gesellschaftlichen Themen und hatte zumindest in den letzten zehn Jahren nur wenig konkrete Berührungspunkte zur Gesundheitspolitik. Sie hat derzeit den Fraktionsvorsitz der SPD im Magdeburger Landtag inne.
Dass ihr bei der Ausschussbesetzung von der SPD der Vorzug vor Karl Lauterbach gegeben wurde, lässt Raum für Spekulation. Und muss als klares politisches Signal verstanden werden. Im Übrigen ist für die CSU in der Gesundheitspolitik sowohl der ehemalige bayerische Gesundheitsminister Holetschek (~ „Wir müssen investorengetragene MVZ stärker regulieren.“), als auch der Hausarzt Stefan Pilsinger besetzt, die beide in den letzten Jahren beim MVZ-Thema auffällig aktiv gewesen waren. Wenig überraschend hat MdB Pilsinger daher dem Virchowbund im Januar 2025 bei der Aktion 4 Ärzte, 5 Fragen zu Protokoll gegeben, dass er „etwas dagegen [habe], wenn MVZ faktisch klar bessere Wettbewerbsbedingungen haben und diese auch ausnutzen.“ Daher fordert er, dass „MVZ zukünftig nur noch dann eine Zulassung erteilt werden darf, wenn und solange die Betreiberschaft mehrheitlich in der Hand von Ärzten liegt,“ und es „einen regionale[n] Bezug des Betreibers zu seinem MVZ [gibt].“ (~ Antwort im Volltext) Allerdings ist noch offen, ob es das MVZ-Thema überhaupt auf die Agenda der AG schafft – und ob und inwieweit zwischen SPD (Lauterbach) und CSU (Pilsinger) dabei dann gegebenenfalls eine Inhaltskoalition gebildet wird.
Vordringlich sind natürlich die großen Fragen der Kostendämpfung und Ausgabensteuerung, die primär den stationären und den Pflegesektor betreffen. Als sicher kann zudem gelten, dass es einen neuen Ansatz zur Reform der Notfallstrukturen gibt. Großer Streitpunkt ist auch, wie es mit der Krankenhausreform weitergeht. Klar dürfte zudem sein: Spielraum für finanzielle Geschenke an die Vertragsärzteschaft gibt es kaum. Die Debatte hier wird sich entsprechend vorranging um Fragen der Patientensteuerung und Kosteneffizienz drehen. (~ PRAXIS.KOMPAKT KW 8/2025: Patientensteuerung und Termingarantien in der GKV | Eine Diskussion wie ein Schwelbrand) Spannend ist dabei, dass die KBV jüngst in persona ihres Vorsitzenden Gassen die Debatte mit einem Um-die-Ecke-denken-Move belebt hat. Die Ansage war: „Kassen-Kontingent für Terminvergabe denkbar.“ „Aber dann muss Folgendes ganz klar sein,“ führte Gassen weiter aus: „Ein von der Krankenkasse gebuchter Termin muss von dieser auch zu 100 Prozent vergütet werden, auch wenn der Termin dann nicht wahrgenommen wird.“
Was sagt uns das alles über die (wahrscheinlichen) Inhalte der Koalititonsverhandlung? Nicht viel. Hier heißt es schlicht abwarten. Erste Ergebnisse der Arbeitsgruppen sollen bereits zu Ende März bekannt gemacht werden. Dann schließen sich allerdings weitere Detailverhandlungen sowie im April die eigentlichen Koalitionsverhandlungen an, in denen bis nach Ostern der eigentliche Koalitionsvertrag finalisiert werden soll. Folglich werden wir erst in einigen Wochen wesentlich schlauer sein.
ÄrzteZeitung v. 19.03.2025
Selbstverwaltung hat keine Lust mehr auf Lauterbach
Pharmazeutische Zeitung v. 12.03.2025
Koalitionsgespräche: Lauterbach in zweiter Reihe
ÄrzteZeitung v. 08.03.2025
Union und SPD wollen „große Pflegereform“ auf den Weg bringen
Neustart-Chance statt Kuckuck: Hintergrundwissen zur MVZ-Insolvenz
Gut möglich, dass das Nachrichten sind, die wir, infolge von Klinikreform und allgemein des hohen wirtschaftlichen Drucks, künftig öfter lesen werden: Verbundkrankenhaus Linz-Remagen ist insolvent oder Insolvenz des Warendorfer Josephs-Hospitals zieht Kreise. Bei zweiterer Klinik, die an neun Standorten mit mehr als 100 Mitarbeitern auch MVZ betreibt, gab es sofort auch die erwartbaren besorgten Folgeartikel: MVZ mit elf Arztpraxen insolvent: Patienten und Ärzte in OWL in Sorge. Grundfrage ist dabei stets, sowohl für die betroffenen Mitarbeiter, als auch für die MVZ-Patienten: Was bedeutet die Anmeldung der Insolvenz für mich? Finden Sprechstunden etc. wie bisher statt? Fließt mein Gehalt weiter? Und wie lange noch? Diese Sorgen sind nachvollziehbar, jedoch angesichts des heutigen Insolvenzrechtes oft übertrieben oder sogar unberechtigt.
Um diese Aussage zu untermauern, werfen wir im Folgenden ein Schlaglicht auf das unliebsame Thema Insolvenz, das – zugegeben – in der öffentlichen Wahrnehmung einen ähnlich geringen Charme hat, wie die Auseinandersetzung mit (drohenden) Krankheiten. Meist wird die Thematik ignoriert, bis man selbst betroffen ist. Dabei hat sich das Insolvenzrecht stetig weiterentwickelt und ist heute nicht mehr mit der finalen Abwicklung eines Unternehmens zu vergleichen. Vielmehr verbergen sich hinter einer Insolvenz auch Chancen, das Unternehmen neu zu positionieren und zu konsolidieren. Beispiele der jüngeren Vergangenheit für solch einen sinnstiftenden Konsolidierungsprozess sind das Krankenhaus Spremberg mit dem dazugehörigen MVZ und die Erfolgsgeschichte um das MVZ-RGZ-Duo in Holzminden.
Doch worin liegen die Vorteile einer Insolvenz? Um zur Beantwortung dieser Frage auch jene abzuholen, die bisher das Glück hatten, sich dem Thema entziehen zu können, ein paar kurze Eckpunkte: Eine Insolvenz kann auf Grundlage dreier Gründe zustande kommen: Zahlungsunfähigkeit (§17 InsO), drohende Zahlungsunfähigkeit (§18 InsO) und Überschuldung (§19 InsO). Eine knappe Übersicht zu den jeweiligen Bedingungen bietet die Webseite insoguide (~ Link). Grundlage für die Bewertung ist die Erhebung eines ‚Zahlungsstatus‘, wonach die liquiden Mittel den Verbindlichkeiten gegenübergestellt werden. Besteht dabei eine Liquiditätslücke, so wird ein Finanzplan für 21 Tage aufgestellt, der die Tragfähigkeit der Unternehmung nach bestimmten Kriterien abbildet (~ IHK Limburg | Wie stelle ich fest, ob ich zahlungsunfähig bin?). Versäumt die Geschäftsführung, dem Grundsatz der kaufmännischen Vorsicht nachzukommen, ergeben sich Haftungsansprüche, unter Umständen auch gegen die Gesellschafter. Ein Insolvenzantrag hebt dieses Damoklesschwert gewissermaßen auf und erlaubt der betroffenen Geschäftsführung, sich auf den zukünftigen Unternehmenserfolg zu konzentrieren.
Weitere unmittelbare Vorteile einer Insolvenz sind die Übernahme der Gehälter durch die Zahlung des Insolvenzgeldes durch die Bundesagentur für Arbeit für 3 Monate, eine Beschränkung der Pensionsverpflichtungen und Sozialplankosten sowie das Sonderkündigungsrecht für unwirtschaftliche Verträge. Je nach Zukunftsprognose des Unternehmens wird ein Sanierungskonzept erstellt, das in der Regel darauf abzielt, wichtige Kernelemente des Unternehmens vor der Zerschlagung zu bewahren. Damit bleiben Handlungsfähigkeit, Expertise, Markenwert und Vertrauen in das Unternehmen erhalten. Im Falle medizinischer Einrichtungen wird somit auch der Verlust von erworbenen Versorgungslizenzen unterbunden und die Versorgung sichergestellt. Unter dem Schutzschirm einer Insolvenz gewinnen Unternehmen etwas Zeit, sich neu zu orientieren, anstatt Energie in dysfunktionale Finanzierungsplanspiele zu investieren.
Im Falle des MVZ Spremberg hatte sich dieMuttergesellschaft „Spremberger Krankenhausgesellschaft mbH“ unter dem Regelinsolvenzverfahren neu aufgestellt. Die Kommune stieg in die von einem Förderverein getragene GmbH ein, wodurch genügend Momentum erzeugt wurde, um das Krankenhaus in Richtung einer ambulant-stationären Einrichtung – im Sinne der neuen Level 1n – umzugestalten. Das MVZ konnte bestehen bleiben und trägt seinen Teil zu diesem Ambulantisierungsansatz bei (~ Interview mit dem GF v. März 2025). Bei einem anderen Beispiel in Holzminden konnte die Klinik in ihrer ursprünglichen Form nicht gerettet werden. Allerdings werden die Räumlichkeiten nun von einem regionalen Versorgungszentrum (RVZ) genutzt, welches der Idee der Level 1i-Einrichtungen folgt und in Symbiose mit dem regionalen MVZ die medizinische Versorgung sichert (kma online v. 25.02.2025). Derartige Umstrukturierungen bedürfen in aller Regel eines disruptiven Ereignisses, um ausreichend Dringlichkeit aufzubauen. Ein Insolvenzverfahren bietet diese Möglichkeit.
Wie sich die Konsolidierung des eingangs erwähnten niedersächsischen „Jo.MED MVZ“ mit seinen 16 Sitzen und 100 Angestellten entwickelt, bleibt abzuwarten. Die ÄrzteZeitung berichtet: „Geschäftsführer Dr. Dietmar Herberhold betont, dass der Betrieb der Praxen durch den Insolvenzantrag nicht beeinträchtigt wird und uneingeschränkt weiterlaufen soll. (…) Über die Insolvenz in Eigenverwaltung will das MVZ … eine nachhaltige Restrukturierung vorantreiben.” (~ Quelle) Daraus folgt: Die KV-Welt, die regionale Politik und auch Lokalpresse täten gut daran, statt angesichts einer Insolvenz als erstes das MVZ-Konstrukt als solches in Frage zu stellen, ergebnisoffen zu beobachten, welche Strukturen im gegenwärtigen Finanzierungssystem überhaupt noch für tragfähig empfunden werden. Hier einer solchen Planinsolvenz die Einzelniederlassung entgegenzuhalten, bei der es – quasi von Natur aus – keine bis kaum Insolvenzen gibt, ist sinnfrei. Ist doch der korrekte Vergleichspunkt die Absicht der Vertragsärzte, ihre Zulassung frühzeitig abzugeben: Und nach einer aktuellen Umfrage „wollen etwa die Hälfte der Praxisinhaber [genau dies]… bereits vor dem eigentlichen Ruhestandsalter“ tun. (~ Ärzteblatt v. 13.02.205)
BBR Legal v. 20.03.2025
Insolvenz von Krankenhäusern, Reha-Kliniken und medizinischen Versorgungszentren (MVZ) – Chancen der Sanierung
gesundheitsmarkt.de v. 13.03.2025
JO.MED MVZ GmbH: Insolvenz in Eigenverwaltung
ÄrzteZeitung v. 31.01.2025
Nach Krankenhausrettung mehr Geld für Beschäftigte in Spremberg
KBV-Vertreterversammlung fordert Patientensteuerung, aber wie?
Während der stationäre Versorgungssektor auf den opulenten ‚Finanzierungsplan‘ schielt, der gerade von der Koalition in Spe in Aussicht gestellt wird, sind die Forderungen aus dem ambulanten Sektor deutlich verhaltener. Die KBV-Vertreterversammlung beschloss am 3. März 2025 die altbekannten Forderungen an die zukünftige Regierung zu unterstreichen. Neben der Stärkung der ambulanten Versorgung und dem Bürokratieabbau wird allerdings das Erfordernis einer Patientensteuerung weiter in den Vordergrund gerückt. Konkret verspricht sich die KBV eine Finanzspritze für den Ausbau des Service um die 116117. Insbesondere bei der Akut- und Notfallversorgung fordert die KBV eine bessere Koordination und eine verbindliche Nutzung der Ersteinschätzung.
Darüber hinaus hat sich die Vertreterversammlung einen Zeitrahmen bis 6./7. Mai 2025 gesetzt, um in Zusammenarbeit mit dem Zi konzeptionelle Vorschläge für Koordinierungsmodelle auszuarbeiten. Hinter dieser Umschreibung verbergen sich schlicht potenzielle Maßnahmen zur Patientensteuerung. Die KBV verweist in ihrem aktuellen Beschluss konkret auf die Relevanz der Koordination durch die Hausärzte sowie die Weiterentwicklung des Kollektivvertrags durch „innovative Vergütungsmodelle und Modelle der Zusammenarbeit“ (Beschlüsse KBV VV v. 07.03.2025 | öffnet als PDF). Zwar klangen die Forderungen nach einer Patientensteuerung auch schon während der letzten Jahre an, jedoch schärfen sich nun die Konturen. Grob betrachtet geht die KBV damit in den Schulterschluss mit den Forderungen der Kassen, Ökonomen und dem Ärztetag, die ähnliche Vorstellungen haben, um das System zu stabilisieren.
Im Detail allerdings droht ein ähnlicher Zwist, wie bei der BÄK im Rahmen der GOÄ-Debatte, denn der Fokus auf die Hausärzte als Gatekeeper stößt manch einem auf. Nicht nur äußern die Facharztverbände ihre Einwände, darüber hinaus steht auch die Dualität zwischen der HZV und den Kollektivverträgen zur Diskussion. Bemüht unvoreingenommen öffnete KBV Vorstand Gassen für die anstehenden Sondierungen der Koordinierungsmodelle zunächst nochmal alle Türen: „Natürlich sei Koordinierung primär eine hausärztliche Aufgabe, aber es werde auf jeden Fall Konstellationen geben, in denen eine fachärztliche Koordinierung sinnvoller wäre oder zumindest eine Alternative darstelle“ (Ärzteblatt v. 7.03.2025). Doch wie das alte Sprichwort sagt: ‚Wer alle Türen und Fenster offen lässt, der riskiert, dass es zieht‘. Im übertragenen Sinne besteht die Gefahr, dass Politik und Kassen ihre eigenen Koordinierungsideen vorantreiben, während die KBV noch in Grabenkämpfe zwischen den Fachgruppen verstrickt ist und somit ihre Beteiligung an der Mitgestaltung verspielt.
ÄrzteZeitung v. 19.03.2025
Facharztverband besteht auf Direktzugang zum Spezialisten
Deutsches Ärzteblatt v. 30.12.2024
KBV-Chef schlägt bessere Patientensteuerung vor
Deutsches Ärzteblatt v. 10/2024
Patientensteuerung: Medizinische Versorgung zielgerichtet gestalten
EU-AI-Act | Zungenbrecher mit Folgen (& neuen Pflichten) auch für kleine und große MVZ/BAG
Hinter dem EU-AI-Act verbirgt sich eine EU-Verordnung zur Regulierung der Anwendung künstlicher Intelligenz, die seit dem 2. Februar 2025 in Kraft ist und unmittelbar auch in Deutschland gilt. Verpflichtet werden Unternehmen aller Größen und Branchen, inklusive des Gesundheitswesens, die KI anwenden – also keineswegs nur deren Hersteller. Eine der neuen Vorschriften ist die Auflage, dass bei KI-Nutzung durch ein Unternehmen, die Mitarbeiter speziell zu schulen sind. Hier zielt die Verordnung folglich darauf ab, Bewusstsein und Kompetenz für den Einsatz z.B. von Chat-GPT oder dem Microsoft Co-Pilot im Arbeitskontext zu schaffen. Wirtschaftsjurist Alexander Hönsch erläutert dazu: „Der AI Act bewegt sich in einer Regelung, die in der EU schon oft angewandt wurde: dem Produktsicherheitsrecht und dem risikobasierten Ansatz. Unternehmen können ihr Wissen aus der Erfahrung mit der DSGVO nutzen, es gibt viele Parallelen.“ (~ Handelsblatt v. 18.03.2025)
Jedem sollte klar sein, dass vom EU-AI-ACT nicht nur spezialisierte KI-Software betroffen ist, sondern auch Standard-Unternehmenssoftware, die mit Hintergrund-KI-Unterstützung arbeitet. Dadurch stellt sich die EU-KI-Verordnung als ein Thema dar, dem sich auf Dauer wohl kein Unternehmen entziehen kann. Die Unterteilung, wer von den Regularien betroffen ist, wird auch nicht – wie sonst oft – nach Unternehmensgröße bestimmt, sondern ist risikobasiert in Bezug auf die KI-Produkte selbst. Für deren Unterteilung gibt es drei Kategorien: Hochrisiko-KI-Produkte, mittleres und niedriges Risiko. Überdies beschreibt die KI-Verordnung auch verbotene KI-Software, wie ‚social scoring‘ Software. Wichtigste neue Pflicht ist es, für alle Produktklassen risikoadjustierte ‚KI-Kompetenz‘ aufzubauen und nachzuweisen.
Die Norm nimmt dabei sowohl den Hersteller der Software in die Verantwortung, als auch den unmittelbaren Betreiber, wie z.B. das konkrete MVZ. Hier kommen KI-gestützte Systeme bisher überwiegend bei der Mustererkennung (Detektion von Krankheiten), bei der Telefonie oder bei der Transkription von Sprache in Schriftstücke zum Einsatz. Teils als gesonderte Software, zunehmend aber auch vermehrt als integrales Element von Standard-Software. In welche Risikokategorie das verwendete Produkt fällt, muss gegebenenfalls beim Hersteller erfragt werden. (~ heise.de v. 11.02.2025) Sollte ein MVZ ein KI-gestütztes Programm verwendet, das unter die Hochrisiko-Klasse fällt, ist darauf zu achten, dass die Systeme gemäß der Gebrauchsanweisung betrieben werden. Zudem muss die Qualität der Eingabedaten sichergestellt sein, und das Unternehmen ist verpflichtet, ‚besondere‘ KI-Kompetenzen aufzubauen.
Rund um den EI-AI-Act boomt damit derzeit ein ganzer Berater-Markt. Vermehrt gibt es zudem Angebote für ‚KI-Kompetenz-Zertifikate.‘ Mitunter wird – wenig seriös, aber dennoch nicht ganz verkehrt – mit den erheblichen Strafen bei Verstoß gegen die KI-Verordnung geworben. Diese reichen bis zu 35 Mio. Euro oder 7 Prozent des Jahresumsatzes. Aufgrund des schrittweisen Inkrafttretens gelten aber für Verstöße gegen die Pflicht zur Beschaffung von KI-Kompetenz bisher keine direkten Sanktionen. Am 2. Februar sind nur zunächst die ‚allgemeinen Bestimmungen und verbotene Praktiken‘ verbindlich geworden. Für die Regulierung der Hochrisiko-Software gibt es eine lange Übergangsfrist bis Sommer 2027. Derweil aktivieren sich im Laufe schrittweise auch die übrigen Teile der Verordnung.
Wichtig für den MVZ-Betrieb ist daher zunächst Folgendes: Ob ein verwendetes System zukünftig auch KI unterstützt wird, ist vom Hersteller abhängig. Betroffen wird immer mehr auch normale Unternehmenssoftware sein. Der EU-AI-Act macht daher auch vor dem kleinen MVZ mit zwei Ärzten nicht Halt, weswegen es unabdingbar ist, perspektivisch auch für diese Norm entsprechende Ressourcen einzuplanen. Zunächst vornehmlich die Ressource ‚Zeit‘, um auf dem Laufenden zu bleiben, wie sich Markt und Rechtsprechung entwickeln. Eine gute erste Orientierung bietet Ausgabe 2/2025 der Fachzeitschrift iX: AI Act: Weitreichende Pflicht zur KI-Kompetenz sowie aus anderer Perspektive der Beitrag Was der AI Act für Medizinprodukte- und IVD-Hersteller bedeutet.
Handelsblatt v. 18.03.2025
Was Mittelständler über den EU AI Act wissen müssen
Heise.de | iX-Magazin Heft 4/2025
KI-Kompetenz: Sind Zertifikate erforderlich?
Wegweiser Regulatorik – Gesundheitswirtschaft Baden-Württemberg v. 14.08.2024
AI Act: Regulierung von KI im Gesundheitswesen