PRAXIS.KOMPAKT | UPDATE Gesetzgebung
„Ich muss so viele Gesetze machen“, sagte Minister Lauterbach im Februar 2024 (~ Quelle). Und das stimmt! In seinem Ressort hat sich über die letzten 2,5 Jahre einiges angestaut. Zwar gehen Gesetze selten schnell, aber bei der Gesundheitspolitik derzeit besonders langsam.
Aus diesem Grund geben wir Ihnen in dieser Spezialausgabe zum Finale der Redaktionspause unseres Teams zu fünf konkreten Themen, die den gesetzlichen Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung im Besonderen berühren, jeweils ein kurzes Update zum Verfahrensstand – verbunden mit passenden Originalbeiträgen aus früheren PRAXIS.KOMPAKT-Ausgaben, die inhaltlich weiter Bestand haben und daher – gerade in unserer schnelllebigen Zeit – auch beim wiederholten Lesen Erkenntnismehrwert versprechen.

+++ UPDATE  Gesetzgebungsperspektive Sommer/Herbst 2024

„Jahresplan des Ministers: Lauterbach kündigt 14 Gesetze an.“ – so titelte der Bibliomed-Manager vor 13 Monaten (~ Bericht v. 5. Juli 2023). Bis zu unserem Bericht von Anfang Mai 2024 war Karl Lauterbach dabei nur wenig vorangekommen. Und auch von den im April vom BMG aktualisierten Ankündigungen konnte erneut manches nicht eingehalten werden. Allerdings wurden im Juni/Juli tatsächlich sechs weitere Vorhaben durchs Kabinett gebracht, also sozusagen koalitionsintern genehmigt, und damit immerhin der eigentliche parlamentarische Beratungsprozess eingeleitet. Das betrifft neben 1. dem GVSG (siehe das eigenständige Update) und 2. der Krankenhausreform (~ Eckpunkte & Kritik einfach erklärt), 3. die Reform der Notfallversorgung, 4. die Neuregelung der Organspende, 5. den Umbau der Gematik zu einer ‚Digitalagentur‘, und 6. die Schaffung der Superbehörde BiPAM (Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin), mit dem die Zuständigkeiten von RKI, ÖGD & Co. neu geordnet werden sollen. Beschlüsse zur Apothekenreform und dem Herzkrankheiten-Präventionsgesetz wurden dagegen verschoben und sind aktuell für die Kabinettssitzung am 21. August angekündigt.

Für all diese Projekte gilt trotzdem aber weiterhin, dass es aus Sicht der Versorger nach wie vor nichts belastbar Konkretes gibt, da die Bundestagsberatungen, die in vielen Punkten vermutlich kontrovers laufen werden, nicht vor Mitte September beginnen, auch wenn der Gesundheitsausschuss natürlich auch während der Sommerpause arbeitet. Außerdem sind für zahlreiche Gesetzgebungsprojekte erhebliche inhaltliche Erweiterungen angekündigt, die die derzeit bekannten Entwürfe noch weiter zur Makulatur werden lassen. Zur Einschätzung, wie realistisch die Verabschiedung im Herbst ist, verweisen wir auf den ‚alten‘ Artikel.

KW 18  – 4. Mai: Gesetzgebungsagenda des BMG | Bis zu zehn Gesetze sollen noch vor der Sommerpause ins Kabinett

Ärzteblatt v. 23.07.2024
Kabinett soll Herzgesetz und Apothekenreform im August beschließen

Heise.de v. 17.07.2024
Viel Kritik am geplanten Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz

Apotheke Adhoc v. 17.07.2024
4 Gesetze auf den Weg gebracht | Im Kabinett beschlossen: BMG-Gesetze im Überblick


+++ UPDATE  Ti-Anwendungen & ePA-Pflicht

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Ti-Anwendungen wurden ja bekanntermaßen mit früherer Gesetzgebung gelegt – teilweise bereits in der vorherigen Legislatur. Insoweit ist hierzu im Grunde kein Update zu geben. Spannend sind folglich zum einen, wie sich das eRezept in der Praxis bewährt (~ augenscheinlich ganz gut) und zum anderen, ob es gelungen ist, der Telematikinfrastruktur insgesamt zu mehr Stabilität zu verhelfen (~ naja). Diesbezüglich gab es im Juni neue vage Ankündigungen aus dem Hause Lauterbach (~ Quelle): „Wir haben Instrumente aufgesetzt, um die Daumenschrauben auch anzuziehen“, versprach [der zuständige BMG-Abteilungsleiter Zilch]. Das werde nicht in drei Wochen erledigt sein, „aber wir meinen es ernst.“ Gleichzeitig haben die Verbände eine „überwiegend positive Bilanz“ zum eRezept gezogen. Und ganz aktuell geistern Meldungen durch die Fachpresse, wonach nun auch die PKV-Versicherten flächendeckend das eRezept nutzen können (~ Elektronisches Rezept für Privatversicherte gestartet). Das ist allerdings nicht wirklich neu und vor allem keine Pflicht – weder für die Kasse, noch für den Privatpatienten. Einen kurzen Einblick bietet das Handelsblatt: E-Rezept und ePA – Was die privaten Krankenversicherer jetzt planen.

Bleibt als Hauptfrage also: Kommt die ePA nun Anfang 2025 als Pflichtanwendung für alle? Oder nicht? Hierzu lässt sich Folgendes sagen: Der 15. Januar 2025 steht als Startdatum ziemlich verbindlich fest, allerdings zunächst nur für die zwei Testregionen Hamburg und Franken (Nordbayern). Weiter heißt es: „Verlaufen die Tests reibungslos, soll der bundesweite Rollout erfolgen. Als Starttermin wird der 15. Februar 2025 angestrebt.“ – Ein Satz mit gleich drei Konjunktiven. Von daher ist nicht sicher, dass die ePA-Pflicht für alle am 15. Februar 2025 starten wird. Der vor Kurzem neu berufene Leiter der Stabsstelle Digitalisierung der KBV, Dr. Philipp Stachwitz, meinte dazu vorsichtig kritisch: „Wenn ich jetzt bei der ePA höre, was die PVS-Hersteller sagen, wann sie voraussichtlich das erste Mal ihre Systeme gegen die neue ePA werden testen können, dann kann ich mir ausrechnen, wie lange die Hersteller und wie lange wir dann in den Praxen Zeit zum Testen haben werden. Nicht lang. Das ist definitiv nicht so, wie wir uns das wünschen.“ (~ Quelle). Klar ist aber auf jeden Fall, dass es seitens des BMG einen starken Druck geben wird, die ePA so früh wie möglich (aka deutlich vor der Neuwahl im Herbst 2025) flächendeckend einzuführen. Gilt sie doch als eines von Lauterbach’s Herzensprojekten, mit dem die Patienten unmittelbar erfahren können (sollen), wie nützlich und wertvoll die angestrebte Digitalisierung  im Gesundheitswesen ist. Für alle anderen Fristen, Bedingtheiten und Hintergrundinformationen verweisen wir auf den Beitrag vom 21. April.

KW 16  – 21. April: Das Digitalgesetz (DigiG) ist in Kraft | Kurzer Überblick zu Pflichten und Terminen

FAQ der Verbraucherzentrale (Stand 01.07.2024)
Elektronische Patientenakte (ePA): Digitale Gesundheitsakte für alle kommt

KBV-Praxisnachrichten v. 04.07.2024
Übermittlungspauschale für eArztbriefe bleibt vorerst bestehen

heise.de v. 03.07.2024
Elektronische Patientenakte: Ärzte sorgen sich vor „digitaler Schriftenrolle“


+++ UPDATE  Hausärzte: Entbudgetierung und Jahrespauschalen

Die Hausarztvergütungsreform ist Teil des GVSG und somit den Zeitläufen dieses Gesetzes unterworfen. Anzunehmen ist, dass die Koalition eine Verabschiedung noch in 2024 anstrebt, denn zu den groben Reforminhalten besteht in dieser Frage an sich Konsens. Damit wäre ein Inkrafttreten zum 1.1.2025 wahrscheinlich. Aber: Losgelöst von den vielen inhaltlichen Variablen, denen die Vergütungsreform trotzdem 1) wegen der noch ausstehenden parlamentarischen Detaildiskussion und 2) wegen der fehlenden direkten Regelungskompetenz des Gesetzgebers unterliegt, sollte jedem auch klar sein, dass – wenn überhaupt – nur die Entbudgetierungsvorgabe sofort greifen würde. Denn die Einführung der geplanten Vorsorge- sowie Vorhaltepauschale und die Umstellung auf die jahrweise Leistung erfordern weitere Schritte der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, für die mindestens ein halbes Jahr nach Inkrafttreten anzusetzen ist – wahrscheinlich sogar ein deutlich längerer Zeitraum. Vor diesem Hintergrund wäre die Umverteilung innerhalb der Hausarztmedizin, die diesem Teilprojekt der Honorarreform als Absicht immanent ist, sogar eher erst ab 2026 zu erwarten.

Insgesamt gibt es nach wie vor keine valide Wirkungsanalyse zu den geplanten Homorarveränderungen – was auch ein Grund ist, weswegen Kassen, KBV und Hausärzteverband, wie im Artikel vom 21. April geschildert, zu verschiedenen Einschätzungen kommen. Mal abgesehen davon, dass – wie beschrieben – wichtige Regelungsdetails eben gar nicht per Gesetz geregelt werden (können), sondern später vom Bewertungsausschuss festzulegen sind. Hier liegt ebenso viel Freiheit wie Veranwortung bei KBV und GKV-Spitzenverband. Bis mehr Klarheit besteht, verweisen wir auf den BMVZ-Homepage-Beitrag: Neue Pauschalen für die Hausärzte gemäß GVSG-Entwurf, in dem wir die diversen offenen Variablen beleuchtet und eingeordnet haben. Und was die Entbudgetierung im Wortsinne betrifft: Die soll ja nach dem Muster der Kinderärzte erfolgen. Eine aktuelle Wirkanalyse zu deren seit April 2023 geltenden Regeln, die die ÄrzteZeitung veröffentlicht hat, ist unten verlinkt. Hier können sich Akteure derjenigen KV-Regionen, die in der Allgemeinmedizin nicht heute schon faktisch entbudgetiert sind – bspw. S-Holstein, Hamburg und Berlin – den ein oder anderen Analogschluss ableiten.

KW 16  21. April: Details zur Honorarreform der Hausärzte nach GVSG: KBV, Kassen und Hausärzte uneins in der Bewertung

ÄrzteZeitung v. 20.07.2024
Zahlen aus sechs KVen ausgewertet: Nach Entbudgetierung
– Pädiatrie notiert weniger Fälle, aber höhere Fallwerte

Ruhr24 v. 02.07.2024
Lauterbach will Hausarzt-Reform: Millionen Patienten profitieren

Medical Tribune v. 23.05. + 18.04.2024
Neue Versorgungspauschale: Wie sich die Altersstruktur der Patienten und die
Leistungen einer Hausarztpraxis auf die Einnahmen auswirken können

Neue Honorarregeln: Kleinen und spezialisierten Praxen könnten Einbußen drohen


+++ UPDATE  Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

Im Grunde können alle im Artikel vom 4. Mai getroffenen Annahmen als bestätigt gelten. Die Verbändeanhörung hat am 6. Mai stattgefunden; und vom Kabinett ist der erschlankte Entwurf am 22. Mai abgenickt worden. Trotzdem ist das Gesetz erst am 28. Juni im Bundestag in die erste Lesung gekommen, so dass weiterführende Beratungen den Verzögerungen der parlamentarischen Sommerpause unterliegen. Die Reden der Abgeordneten am 28. Juni gaben wenig inhaltlichen Aufschluss. Besonders oft wurde betont, dass es sich das GVSG dem Struck’schen Gesetz unterwirft, das – in Kurzform – so viel sagt, wie: Kein Gesetz kommt so aus dem Bundestag, wie es reinging. – was sich in dieser Debatte vor allem auf die fehlenden Großprojekte Primärversorgungszentren sowie Gesundheitskioske und -regionen bezieht.

Der diesbezügliche Karl-Schlag des Gesundheitsministers zwischen dem dritten und vierten GVSG-Entwurf, der im Beitrag der KW 18 beschrieben wird, hatte wohl auch primär den Zweck, das Gesetzesvorhaben mit dem nötigen Initial zu versehen, um durch das Kabinett zu kommen, da leichte Massen bekanntlich weniger Trägheit haben. SPD-Parteigenosse Dirk-Ulrich Mende bedauerte entsprechend am 28. Juni in seiner Rede, dass die Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen aus dem Entwurf genommen wurden und konstatierte Nachbesserungsbedarf. Zusammengefasst traf dies – in Variation – auf alle Sprecher der Koalitionsparteien zu. Man darf also mehr als gespannt sein, was sich hier bei den Bundestagsberatungen noch tun wird. Zumal ähnliche Forderungen auch vom Bundesrat, der den Gesetzesentwurf am 5. Juli behandelt hat, erhoben wurden.

KW 18  4. Mai: Gesetzgebungsprozess zum GVSG offiziell gestartet | Inhalte, Einordnung, Zeitläufe

Krankenkassen-Info v. 12.07.2024
Bundesrat macht sich für Gesundheitskioske, MVZ und Gesundheitsregionen stark

Ärzteblatt v. 28.06.2024
Versorgungsgesetz: Hitzige Debatte im Bundestag und viele Nachbesserungswünsche

Bundestagsberichtsdienst v. 28. Juni
Regierung will hausärztliche Betreuung stärken


+++ UPDATE  MVZ-Debatte | Wer, was warum gesagt hat.

Die Debatte um MVZ tritt auch im Sommer weiter auf der Stelle. Sprich: Es es gibt weiter keine wirklich relevanten Neuigkeiten. Außer vielleicht, dass vom Bundesrat im Rahmen der Aussprache zum GVSG-Entwurf am 5. Juli erneut gefordert wurde, dass eine MVZ-Regulierung endlich umgesetzt wird. Allerdings in erstaunlich ent-dramatisierter Wortwahl: „Der Bundesrat bedauert, dass der Gesetzentwurf nicht die angekündigten Vorschriften zur Regulierung investorengeführter MVZ enthält. (…) Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat um Prüfung dieser Vorschläge im weiteren Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich einer Berücksichtigung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz.“ (~ Beschlussdokument | im PDF Seiten 31f). Auch insgesamt ist zumindest aus der öffentlichen Debatte momentan etwas die Luft raus, obwohl Lauterbach selbst am 22. Mai noch einmal so richtig ordentlich nachgelegt hatte: ~ BMVZ-Beitrag zur BMG-Pressekonferenz v. 22. Mai 2024.

Spannender ist daher vielleicht der Bericht zum Hauptstadtkongress von Ende Juni, in dem über den gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, berichtet wird (~ Quelle): Dass die FPD im parlamentarischen Verfahren einer stärkeren Regulierung zustimmt, scheint zumindest fragwürdig, … Er sehe „unmittelbar keinen Regelungsbedarf“, … Das Bundeskartellamt überwache das Geschehen mit Blick auf eine zu große Marktkonzentration, iMVZ würden nur einen geringen Prozentsatz der Versorger ausmachen. Missbrauch könne er bisher nicht erkennen. Die ärztliche Verantwortung bleibe durch die Unabhängigkeit der ärztlichen Leitung gewährleistet. Lediglich beim Thema Transparenz sieht er Möglichkeiten für neue Regelungen.“ Währenddessen hat ein erneuter Bericht des ZDF-Magazins frontal bekannte Halbwahrheiten und kausal fehlerhafte Verküpfungen zur ‚Investorendebatte‘ neu verrührt und am 23. Juli einen Beitrag namens ‚Profit auf Kosten der Gesundheit‘ (~ ZDF-Mediathek) im Hauptabendprogramm veröffentlicht. Nur einen Tag später nutzte eine Allianz verschiedener regionaler Arztverbände unter Federführung der KV Bayerns die Gunst der Stunde und startete den Appell: „Profitorientierte Praxisketten gefährden die ambulante Versorgung – Regulierung jetzt dringender denn je“.

An der Gesamtsituation hat sich dadurch sowie durch die Aussage des gesundheitspolitischen Sprechers der grünen Bundestagsfraktion, dass man derzeit die verschiedenen Regulierungsvorschläge im Gesundheitsausschuss prüfe, aber weiterhin nichts geändert. Die Frage, ob es eine (strenge) MVZ-Regulierung mit dem GVSG geben wird, kann definitiv weiterhin nicht abschließend beantwortet werden.

KW 12  24. März: Bewegung in der MVZ-Debatte? | Fachgespräch im Bundestag lenkt den Fokus auf die Inhaberärzt:innen

Von diesen Neuigkeiten einmal abgesehen: Da viele Argumente, Regulierungsvorschläge und Widerworte aus dem vergangenen Jahr zum MVZ-Diskurs auch für die in diesem Sommer/Herbst fortzusetzende Debatte relevant sind und bleiben, bieten wir als Service den Sonderdruck „MVZ Kompendium Januar 2023 – Mai 2024“ – Textsammlung zur aktuellen Debatte um die MVZ-Gesetzgebung.

Ärzteblatt v. 24.07.2024
Bayerische Ärzteschaft positioniert sich gegen profitorientierte Praxisketten

ZDF Morgenmagazin v. 23.07.2023
Janosch Dahmen (Grüne) im Interview: „Gesundheit darf keine Ware sein“

hib – Heute im Bundestag v. 13.03.2024
Fachleute plädieren für Stärkung ärztlich getragener MVZ