Maskenpflicht in Praxis & MVZ bald nicht mehr? Oder nur nicht mehr für Mitarbeiter? | Mind-Up Hausrecht
Die Titelzeile: „Die Gesundheitsminister der Länder einigen sich…“ hat in Bezug auf die Corona-Schutzmaßnahmen momentan, scheint es, so lange Bestand, wie es Zeit braucht, in Bayern eine Pressekonferenz einzuberufen, um Sonderreglungen vorzustellen. Hüstel, hüstel … Dennoch nehmen wir einmal den Bundesgesundheitsminister beim Wort: Karl Lauterbach hat am 14. Februar verkündet, dass die Landesgesundheitsminister sich darauf verständigt hätten, die regionalen Corona-Schutzverordnungen so anzupassen, dass „fast alle Test- und Maskenpflichten zum 1. März auslaufen.“ (~ BMG v. 14.02.2023) Darunter fällt auch die Maskenpflicht für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtung (~ änd v. 14.02.23). Ob, wie und wann die Maskenpflicht für das Praxispersonal in den einzelnen Bundesländern jedoch tatsächlich fällt (oder schon gefallen ist), sollte regional geprüft werden (~ Linkliste Corona-Regeln der Bundesländer). Entscheidungsbefugt sind hier allein die Landesparlamente – die Ansagen der Gesundheitsministerkonferenz sind insoweit ‘nur’ Absichtserklärungen. Bekannt ist allerdings, dass einzelne Länder die Maskenpflicht für das Praxispersonal bereits abgeschafft haben (BY und BW seit 1. Februar) und, dass viele andere Bundesländer nie eine hatten (~ Vgl. Archiv KW3).
Allerdings gilt die Maskenpflicht für Patienten von Arztpraxen weiterhin, und bundesweit einheitlich bis zum Auslaufen der übrigen Corona-Schutz-Maßnahmen am 7. April. Es kann hier dem ein oder anderen Patienten schwerlich übelgenommen werden, wenn er bei den Neuregelungen den Anschluss verliert. Wer am Praxistresen in den nächsten sechs Wochen also in Diskussion verwickelt sein sollte, sollte auf das Infektionsschutzgesetz (~ § 28b Absatz 1 Nr. 5 IfSG) oder auf den Artikel des BMG in der Updatefassung vom 15. Februar: Corona-Schutzmaßnahmen Was gilt bis 7. April? verweisen, wonach, “für Patientinnen und Patienten sowie Besucherinnen und Besucher in Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen und weiteren Einrichtungen des Gesundheitswesens … das Tragen einer FFP2-Maske verpflichtend” ist/bleibt.
Alternativ können Sie sich jederzeit – also auch nach dem 7. April – auf das Hausrecht berufen. Zur Erinnerung: In ähnlicher Situation ein Jahr zuvor hatte dazu das Ärzteblatt geschrieben (~ Rechtsprüfung Maskenpflicht | Ärzteblatt v. 30.03.2022), dass die KBV nach Prüfung, das Durchsetzungsrecht einer hausinternen Maskenpflicht auf das Organisationsrecht der MVZ-Inhaber und Praxis-Chefs zurückführt. Die Vorhaltepflicht eines Hygienekonzeptes (die allerdings aktuell auch bereits entfallen ist) und der Schutz Dritter seien dabei die vordergründigen Argumente. Etwas blumiger drückte sich damals die KBV selbst aus und schrieb in der Rechtsprüfung, die Einschätzung der Ärzte in den Praxen „erfolge nach den Maßstäben der Medizin als Fachwissenschaft.“ (~ KBV v. 1.4.2022: Ärzte entscheiden für ihre Praxis über Maskenpflicht) Wie sich allerdings der Praxisalltag am Empfangstresen gestaltet, wenn die Pflicht zu Ostern bundesweit aufgehoben wird und die Praxis sich dennoch für ein Fortführen der Maskenpflicht in den eigenen Räumen entscheidet, steht auf einem anderen Blatt. Wie so oft im Corona-Kontext wird es dabei wohl im Wesentlichen um ein Learning-by-Doing gehen.
NTV v. 14.02.2023
Nur noch Maskenpflicht beim Arzt: Weitere Corona-Maßnahmen enden am 1. März
änd – Ärztenachrichtendienst v. 14.02.2023
Test- und Maskenpflicht fallen schon im März
KV Baden-Württemberg v. 27.01.2023
Ende der Maskenpflicht für das Praxispersonal | Patienten und Besucher müssen weiter FFP2-Masken tragen
Termin-Boni | Zwischen grenzwertiger Abrechnungsoptimierung & legitimer Gatekeeper-Funktion | Klarstellung, dass bei Zielpraxis MVZ oder BAG nur die BSNR entscheidend ist | Online-Vermittlungstool für die Hausarzt-zu-Facharzt-Vermittlung
Die Frage der richtigen Interpretation scheint noch unentschieden: Handelt es sich bei den neuen HAV-Fällen um die Einführung eines “alternativen Hausarztmodells” durch die Hintertür mit Win-Win für alle, wie der versierte Honorar-Erklärer Gerd W. Zimmermann es darstellt (~ Quelle) oder doch ‘bloß’ um einen Honorar-Placebo, wie es viele KVen sehen? Casus knacksus ist dabei, wie man den Umstand bewertet, dass Patienten zunehmend von Fachärzten an ihre Hausärzte zurückverwiesen werden, damit diese eine neue HAV-Überweisungen ausstellen und die Termivereinbarung direkt übernehmen. Zimmermann argumentiert, dass sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebe, dass Patienten regelhaft eine Überweisung brauchen, weswegen er “die Neuregelung zur Hausarztüberweisung” in die Nähe hausarztzentrierter Versorgung rückt und dem Gesetzgeber auch entsprechende Absichten unterstellt. Den KVen und dem Hausärzteverband bescheinigt er, ‘die neue, sehr wirtschaftliche Regelung regelrecht zu bombardieren’ (~ Quelle).
Hinter dem Vorwurf stecken die aktuellen Aufklärungsmaßnahmen zahlreicher KVen, die sich darauf beziehen, dass es keinen Überweisungsvorbehalt in Deutschland gäbe und insoweit auch Hausärzte nicht verpflichtet werden könnten, HAV-Fälle auszulösen (Vgl. PRAXIS.KOMPAKT-Archiv KW3). Ähnliche Erklärungen als die dabei bereits zitierten von Schleswig-Holstein und Nordrhein haben später auch Bremen, W-Lippe, Thüringen, Hamburg, Saarland abgegeben. Die KV Berlin weist in einem umfänglichen und nützlichen FAQ zum Thema darauf hin, dass Ärzte “die Pflicht haben, (Neu-)Patient:innen aufzunehmen … soweit die Kapazität nicht erschöpft ist.” Und sollte die Kapazitätsgrenze erreicht sein, gelte, dass dann auch “das Angebot auf Terminangebot nach Vermittlungsart 1,2,3 und 6 (HA-Vermittlungsfall, TSS-Terminfälle)” ausgeschlossen sei. Die Berliner erklären weiter, dass sie ‘große Aufklärungsarbeit leisten‘ und davon ausgehen, dass Patienten auch weiterhin mit einer regulären Überweisung behandelt werden (~ Quelle). Für beide Positionen lassen sich Argumente finden.
Eine dritte Haltung gibt dagegen die KV Niedersachsen vor. In der aktuellen Ausgabe des Niedersächsischen Ärzteblatt (~ im PDF Seiten 37ff.) wird den KV-Mitgliedern klar empfohlen, von der schnellen Terminvermittlung innerhalb von vier Tagen möglichst regen Gebrauch zu machen. Während “alle Überweisungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber für spätere Zeitabschnitte vorgesehen habe, in der Anwendung problematisch [seien].” Zur Unterstützung der Ärzte wurde das KV-eigene Terminportal um entsprechende Funktionalitäten erweitert. Bezüglich der “weniger dringliche(n] Fälle sollte konsequent über die Terminservicestelle vermittelt werden,” schreiben die Niedersachsen, denn“die Überweisung nach dem vierten Tag aufgrund einer medizinischen Besonderheit des Patienten ist zwar vorgesehen, bleibt aber unbestimmt und ist im Einzelfall schwer handhabbar.”
Klarheit in der Handhabung werden wohl erst die Abrechnungen für das erste Quartal in der zweiten Jahreshälfte bringen. Bis dahin gilt es, praxisindividuelle Wege im Umgang mit den Vermittlungsboni zu finden. Insoweit dürften mindestens zwei Klarstellungen, die sich dem bereits erwähnten FAQ der KV Berlin entnehmen lassen, für MVZ hilfreich sein: 1) Wenn in einem MVZ mehrere Fachärzt:innen des gleichen Fachs tätig sind, gilt beim HA-Vermittlungsfall die Überweisung für die Praxis und nicht für einen konkreten Arzt (~ Frage 3808). 2) Sowohl die Hausärzte als auch die Fachärzte behalten ihren Zuschlag, bzw. die extrabudgetären Abrechnungsvorteile auch dann, wenn die jeweilige Gegenseite die korrekte Dokumentation unterlässt. Es findet insoweit kein Gegencheck der Abrechnungsunterlagen statt. (Fragen 3802 + 3801). Es wird zudem noch einmal darauf verwiesen, dass die Terminvereinbarung nicht zwingend telefonisch erfolgen muss. In diese Lücke stößt – geschäftstüchtig wie eh und je – das Doctolib-Portal, das am 8. Februar in einem Artikel “Das Doctolib Überweisernetzwerk für den Hausarztvermittlungsfall” vorstellt.
Neben Niedersachsen wissen wir aber von mindesten drei KVen (Bremen, Sachsen-Anhalt + Thüringen), dass für die Terminvereinbarung im HAV-Fall-Kontext bereits jetzt auch der eTerminservice der KV genutzt werden kann. Augenscheinlich hat die KBV ein Onlinevermittlungstool erarbeitet und den 17 KVen zur Verfügung gestellt. Die KV Hamburg hat dazu auf ihrer Webseite ein Erklärvideo sowie eine Schritt-für Schritt-Anleitung (PDF) eingestellt. Es scheint aber, dass noch nicht alle KVen, dieses Tool in ihre TSS-Dienste integriert haben.
KV Berlin v. Januar 2023
FAQ TSVG: Was ist zu tun, wenn Patient:Innen von der Facharzt-Praxis mit normaler Überweisung abgewiesen werden?
Medical Tribune v. 30.01.2023
Gerd W. Zimmermann: Wie Fachärzt:innen vom neuen „alternativen Hausarztmodell“ profitieren
Der Hausarzt.Digital v. 27.01.2023
Terminvermittlung: So sollten Praxen Überweisungen abrechnen
Videosprechstunde & Online-Terminbuchung: Verbraucherschützer mahnen Datenschutzverletzungen an
Dass die Videosprechstunde sich seit Corona zunehmender Beliebtheit erfreut, ist bekannt. Aus diesem Grund hat sich der Bundesverband der Verbraucherzentrale (vzbv) einige der bekanntesten Portale vorgenommen und protokollierte “kritische Punkte, zum Beispiel hinsichtlich der ausdrücklichen Einwilligung in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten, dem Einsatz von Tracking-Anbietern.” Zwar richtet sich der Großteil der Kritik an die Dienstanbieter, die mehrheitlich von der KBV zertifiziert sind. Allerdings ist der Arzt für die Einhaltung der DSGVO mitverantwortlich und beeinflusst natürlich auch über die Wahl des Anbieters die diesbezüglichen Standards. Ein kurzes Briefing über die Erkenntnisse ist also auch für Praxen und MVZ relevant, zumal versteckte Cookies, Tracking und Werbung nachhaltig den Eindruck beim Patienten über den Onlinetermin stören können.
Konkret geht es darum, dass für Online-Anbietern zwar die Datenverarbeitung in der Videosprechstunde an sich gemäß Anlage 31b des Bundesmantelvertrag-Ärzte (~ als PDF öffnen) reguliert ist, doch dies nicht für die peripheren Services der Dienstanbieter vor und nach der Sprechstunde gilt. Der vzbv hatte dazu sowohl Arztportal- (wie Doctolib) als auch Telemedizinplattformen (wie Doctor.de) untersucht. Erstere bieten eine Verbindung zur Videosprechstunde per Arztsuche an, Zweitere teilen Termine an Hand der Symptomatik zu. Von den neun untersuchten Portalen haben acht „Tracking-Anbieter in der DSE [= Datenschutzerklärung], die das Verhalten von Nutzer:innen online, z. B. für Marketingzwecke und Profiling, verfolgen, sammeln und verwerten können.“ Die Nutzer würden bei der Verwendung der Webseite zwar darauf hingewiesen, jedoch befand der vzbv, dass dies bei sieben der neun Anbieter mangelhaft geschehe.
Wer zu den 40 Prozent der Praxen/MVZ gehört, die Videosprechstunden künftig anbieten wollen, oder dies bereits tut, sollte sich daher die Frage stellen, inwieweit hier eine Mitverantwortung bei der Auswahl des Anbieters besteht. Und sei es nur deshalb, um eine klare Kommunikationsstrategie zu haben, mit der dem Patienten die Grenzen des Verantwortungsbereiches der Arztpraxis dargelegt werden kann – sollte es hier Fragen geben. Allerdings dient diese Überlegung derzeit eher der betrieblichen Optimierung und ist momentan nicht durch rechtliche Belange getrieben. Die Verbraucherschützer selbst nehmen entsprechend die Plattformbetreiber und den Gesetzgeber in die Pflicht und verweisen zudem auf den 2024 in Kraft tretenden Digital Service Act, der den Anbietermarkt vermutlich eh durchrütteln wird.
Nichtsdestotrotz gibt es selbstredend zahlreiche, durch den Arzt beeinflussbare Stolpersteine bei der Nutzung von Onlineservices. Die Faktoren, auf die etwa aus Praxissicht bei der Nutzung von Online-Terminkalendern zu achten ist, hatten wir bereits ausführlich beschrieben: Online Termin Kalender unter Beobachtung | BMVZ v. 09.06.22. Wer sich noch einmal einen zusammengefassten Überblick zur Videosprechstunde verschaffen möchte, den verweisen wir auf den Vortrag von Dr. Nils Gaebel, Jurist aus dem Team des Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, vom Winterarbeitstreffen des BMVZ 2022 (~ zu den Vortragsfolien).
ÄrzteZeitung v. 06.02.2023
Verbraucherschützer fordern mehr Datensicherheit bei Videosprechstunden
Ärzteblatt v. 06.02.2023
Verbraucherzentrale beklagt Datenschutzlücken bei Telemedizin- und Arzttermin-Portalen
Verbraucherschutzzentrale Bundesverband v. 02.02.2023
Datenschutz bei Videosprechstunden | Eine Analyse der Datenschutzerklärungen von Telemedizin-Plattformen und Arzttermin-Portalen (PDF – 20 Seiten)
Mehr Stop als Go | Auswertung des Praxisbarometers Digitalisierung
Die KBV hat im Januar 2023 die Ergebnisse des Praxisbarometer 2022 veröffentlicht. Unmittelbar alltagsrelevant ist an den Erkenntnissen nichts. Jedoch leitet sich aus den Zahlen ein Trend ab, der die eigene Wahrnehmung in der eigenen Praxis bestätigen könnte und somit – zumindest mental – ein wenig Abhilfe schafft, ganz im Sinne: ‚Geteiltes Leid ist halbes Leid‘. Neben einem Anstieg der Fehleranfälligkeit der IT Systeme hat, im Vergleich zu 2021, insbesondere die Belastung des Praxispersonals zugenommen, die durch die Bedienung und Pflege der IT entsteht.
Sollten Geschäftsführer stirnrunzelnd den Kosten-Nutzen-Faktor der IT-Umstellung bewerten, so sind sie auch damit nicht allein. Denn 64 Prozent der Befragten geben an, hier ein negatives Verhältnis zu sehen. Die holprige Einführung der eAU, nebst dem abrupten Ausstieg der KV-Partner beim Roll- Out-Prozess des E-Rezeptes, haben sicher zum Gesamtbild beigetragen. Die KBV sieht, in ihrer Auswertung der Zahlen, einen Großteil des verschenkten Potentials der digitalen Anwendungsmöglichkeiten in den mangelhaften Schnittstellen, so beispielsweise zwischen Arztpraxen und Krankenhäusern. Insgesamt zeichnet sich ein Bild zunehmender Komplexität der Systeme ab. Insbesondere große Versorgungsstrukturen werden vermehrt auf externe IT-Dienstleister angewiesen sein, um den Anforderungen gerecht zu werden, glaubt die KBV.
Perspektivisch ist auch keine Vereinfachung in Sicht. In diesem Zusammenhang verweisen wir noch einmal auf den Podcast EINBLICK, in dem die Geschäftsführerin des BMVZ mit zwei Vertretern der IT Branche zukünftige Entwicklung diskutiert. (~”Wie weiter – Zukunft der Digitalisierung im Gesundheitswesen aus verschiedenen Perspektiven”) Die Diskussion gibt einen Einblick über die Zukunftserwartungen der verschiedenen Akteure. Etwas abstrahiert, lässt sich das wie folgt zusammenfassen: Erwartungsgemäß stellt die IT Branche ihre Produkte im Licht der Effizienzgewinne dar, jedoch kontert die Geschäftsführerin des Bundesverbandes MVZ aus Leistungserbringersicht, dass die Intention der Telematik in erster Linie einem Zugewinn an Sicherheit galt. Das Wording der Industrie von Schnelligkeit und Unmittelbarkeit, das die Politik übernommen hat, suggeriere daher falsche Erwartungen. Gleichermaßen scheiden sich die Geister beim zeitlichen Horizont einer homogenen Umsetzung. Frau Müller bezweifelt, entgegen den Hoffnungen der Gesprächspartner, eine flächendeckende und – vor allem stabil funktionierende – Umsetzung der Pläne zu Telematik 2.0 bereits vor der nächsten Bundestagswahl 2025. Ganz klar handelt es sich dabei um einen Blick in die Glaskugel, allerdings könnte man auch sagen, es ist schlichtweg eine pragmatische Prognose anhand der bisherigen Erfahrungen.
Als Takeaway-Message und Fazit aus dem Podcast und dem Praxisbarometer wären zwei Aspekte relevant. 1) Die Digitalisierung im Praxisalltag wird auch künftig nicht einfacher. Entsprechend ist der Aufwand langfristig einzuplanen. 2) Sofern die Digitalisierung wie geplant voranschreitet, werden Patienten in absehbarer Zeit digitale Lösungen einfordern. Vielleicht nicht in vollem Umfang alle und gleichzeitig, dennoch wird sich in der Praxis neben den „Muss-Vorgaben” noch eine zusätzliche Erwartungsfront bilden.
ÄrzteZeitung v. 02.02.2023
Vier von fünf Praxen dokumentieren überwiegend digital
KBV v. 02.02.2023 | inkl. Verlinkung zum Vollbericht, etc.
PraxisBarometer Digitalisierung 2022
KBV-Mitteilung v. 15.12.2022
Digitalisierung in Praxen: Nutzen und Mehrwert stehen im Fokus
SV-Pflicht im Bereitschaftsdienst | KVen streiten mit Arbeitsminister Heil
Ein Briefwechsel zwischen der KV-Welt und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil lenkt neuerlich den Fokus auf die (teure) Problematik der Beitragspflicht beim Einsatz von Vertretungsärzten – hier insbesondere im Kontext der Leistung von Not- und Bereitschaftsdiensten. Anlass ist, wie die Ärztezeitung exklusiv berichtet, dass die Rentenversicherung (DRV) derzeit die KVen aktiv auf ihre Zahlungspflichten hinweist – flankiert vom Arbeitsminister, der am 4. Januar erklärt haben soll, dass „Ausnahmetatbestände von der Einbeziehung in die Beitragszahlung eine solide und solidarische Finanzierung“ gefährdeten. Und dass, “grundsätzlich ein bestehender Mangel an Ärztinnen und Ärzten nicht durch Ausnahmeregelungen im Sozialversicherungsrecht behoben werden [sollte].“ Der Streit ist in die schon längere schwärende Debatte, wann die Sozialversicherungspflicht für Ärztinnen und Ärzte greift (PDF – Ärzteblatt v. 16.09.2022) eingebettet, weil durch die Rechtsprechung (~ BSG B 12 R 1/21 R v. Oktober 2021) außerhalb der eigenen Praxis kaum Raum für eine selbstständige und damit nicht sozialversicherungspflichtige Tätigkeit verblieben ist.
Wir berichteten zuletzt im Mai 2022 über die steigenden Kosten für Honorarärzte – damals mit 180 – 200 €/h angegeben – sowie zu dem neuen Verfahren, mit dem die Prüfung der Abgabenpflicht mehrerer gleichartiger Arbeitsverhältnisse in einer Clusterabfrage gebündelt werden könne (~PRAXIS.KOMPAKT KW18-2022). Die KV-Vertreter wehren sich nun per Brief vom 6. Februar mit Händen und Füßen dagegen, dass auch der Einsatz als Poolarzt oder in der Notdienstpraxis SV-pflichtig sein solle. Im Hintergrund steht natürlich das Kostenargument, dass in solchen Fällen direkt die KV als Arbeit- bzw. Auftraggeber trifft. Kernargument ist die Unattraktivität der Bereitschaftsdienste, welche durch diese Regelung noch zunehme.
Wie der Briefwechsel weitergeht, bleibt abzuwarten. Augenscheinlich schielt man aber auf Unterstützung durch die Politik, wenn argumentiert wird, dass “der Vorstoß der Rentenversicherung auch die in der jüngeren Vergangenheit aufgebaute Infrastruktur von an die Krankenhausambulanzen angegliederten Notfallpraxen in Gefahr bringe.” Weiter heißt es: “Dass selbst einmalige Vertretungen von Vertragsärztinnen und -ärzten im Bereitschaftsdienst künftig als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingeordnet werden sollen, gefährde zudem die hausärztliche Versorgung im ländlichen Bereich.” Ziel ist möglicherweise eine ähnliche Ausnahme zu erreichen, wie sie in § 23c SGB IV für Ärzte, die neben ihrem Hauptberuf als Notarzt:in im Rettungsdienst tätig sind, verbindlich verankert wurde. Diese war im April 2017 überraschen mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz eingefügt worden, weil sonst massive Unterbesetzungen der Rettungswagen drohten. Der Gesetzgeber führte damals in der Begründung maßgebliche praktische Erwägungen an und hob die Sicherstellung der notärztlichen Versorgung, insbesondere in ländlichen Regionen hervor. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich bis dato noch nicht zur Debatte geäußert.
ÄrzteZeitung v. 08.02.2023
KVen warnen Arbeitsminister vor Sozialversicherungspflicht in Bereitschaftsdiensten
summa summarum – Publikation der DRV | Ausgabe 1/2022
Statusbeurteilung von Notärzten und Vertretungsärzten (im PDF Seiten 4ff)
Entbudgetierung für Kinderärzte in UPD-Reform-Gesetz integriert | Umsetzung bis Sommer?
Dieser Beitrag stammt bereits aus der Ausgabe der KW5. Wegen fortgesetzer Relevanz veröffentlichen wir ihn als Teil dieser Ausgabe erneut.
Im Kontext der Parlamentsdebatte zur Reform der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 26. Januar im Bundestag angekündigt, außerplanmäßig die Abschaffung der Honorardeckel bei den Kinderärzt:innen unmittelbar mit nämlichen Gesetz umzusetzen. “Wir halten Wort, […] Wir haben zu wenige Kinderärzte, deshalb sagen wir: Junge Ärztinnen und junge Ärzte, die sich entscheiden, Kinderarzt zu werden, werden ohne Budgetnöte praktizieren können. Das wird ihre Arbeit entbürokratisieren. … Sie werden in der Lage sein, das zu machen, was sie für medizinisch richtig halten, und werden nicht überlegen müssen: „Ist das noch im Budget?” […] Wir machen etwas. Wir kündigen nicht an, sondern wir machen etwas. Rückwirkend fließt Geld, und zukünftig wird entbudgetiert. Das hatten wir versprochen, das leisten wir für die Kinder. Wir haben Wort gehalten.” (~ Plenarprotokoll v. 26.01.2022 | dort Seite 9770f). Dabei scheint es sich um eine eher kurzfristige Umplanung zu handeln, denn im Gesetzesentwurf vom 23. Januar (~ Volltext öffnen) sind derartige Regeln noch nicht enthalten. So oder so ist der Weg noch lang. Das UPD-Reformgesetz hat jetzt die erste Bundestagslesung absolviert und wird zur Beratung an die Länder übergeben. Für den 1. März ist im Bundestag eine Fachanhörung angesetzt – für die notwendige zweite und dritte Lesung gibt es noch keinen Termin. Stand heute sprechen wir also von einer reinen Ankündigung des Ministers – allerdings sehr konkret und vor dem Parlament, was für sehr ernsthafte und konkrete Umsetzungsabsichten spricht. Von Seiten des Arztverbandswesens gab es dafür größtenteils Applaus gepaart mit weiterführenden Forderungen, wer, bzw. welche Fachgruppen (Spoiler: am besten alle) auch gleich mit entbudgetiert werden sollten (Rheinland-Pfalz: KV-Chef fordert Entbudgetierung für Bereitschaftsdienst | Entbudgetierungspläne: KV Brandenburg drängt auf Ausweitung | Holetschek: Wir müssen von der Budgetierung ein gutes Stück wegkommen). Natürlich sind am ehesten im Fokus die Hausärzte, für die auch der FDP-Abgeordnte Lindemann direkt bei der Bundestagsdebatte in die Bresche sprang: “Wenn man … das Ziel hat, Leistungen, die für Kinder und Jugendliche … erbracht werden, zu privilegieren, dann muss man sich zunächst einmal fragen, von wem sie erbracht werden. … eben nicht nur von Kinderärzten … sondern zum Beispiel auch von den Hausärzten … Deswegen ist es folgerichtig, … die Entbudgetierung der Hausärzte anzugehen, wie wir es im Koalitionsvertrag miteinander verabredet haben.” Ein Verweis, der korrekt ist: Den Koalitionsabreden nach, sind es die Hausärzte, denen ein Ende des Honorardeckels versprochen wurde. Es bleibt also für den langen Weg, den das Gesetz bis zum Inkrafttreten nehmen muss, noch viel Streitpotential. Insbesondere, wenn man die klammen Kassen der GKV und den Umstand bedenkt, dass jede Entbudgetierung naturgemäß die Kosten für das System nach oben treibt. Kein Wunder, dass es von den Krankenkassen bis dato kein offizielles Statement zu den Ministerankündigungen gab.
Ärzteblatt v. 26.01.2023
Entbudgetierung geht ins parlamentarische Verfahren
Bundestagsdokumentation zur Plenardebatte
Sitzungsbericht, Dokumente und Redestreams v. 26.01.2022
Besuch vom Staatsanwalt & Patientendatenschutz | Aufsehenerregende MVZ-Durchsuchungen in Leipzig & Erfurt
Das betrifft mich ja nicht – eine nachvollziehbare Reaktion, wenn in der Presse hin und wieder einmal von der Durchsuchung einer Arztpraxis zu lesen ist. Im Oktober 2022, bzw. im Januar 2023 hat es allerdings zwei überregionale MVZ-Verbünde mit zahlreichen, dezentralen Standorte getroffen (Kopfgruppe Leipzig | Kielstein MVZ Erfurt) – das Medienecho war entsprechend groß. Naturgemäß gibt es jedoch zu beiden Fällen bisher keine belastbaren Informationen – es gilt folglich die Unschuldsvermutung. Bekannt ist, dass es bei der sächsischen Durchsuchung um OP- und Abrechnungsauffälligkeiten geht, die von der KV an die Behörden gemeldet wurden, während die Thüringer KV eindeutig erklärte, nicht Urheber der Ermittlungen zu sein. Hier wie da sind zentral Verwaltungsmitarbeiter betroffen – im Raum steht vor allem der Vorwurf des Abrechnungsbetruges (in Leipzig auch der der Körperverletzung wegen unnötig oder fehlerhaft durchgeführter Operationen). Darüber hinaus lässt sich über die konkreten Durchsuchungsanlässe und Fälle derzeit nichts weiter sagen.
Bemerkenswert ist jedoch, dass die Staatsanwaltschaft Meiningen am 4. Februar eine Pressemeldung herausgab, mit der sie sich faktisch über die enorme Datenmenge, die bei der MVZ-Razzia sichergestellt wurde, beschwerte, was sich “wie die Besteigung des Mount Everest” anfühle (~ Quelle). Das mag niemanden aus der Branche verwundern, wenn man sich klarmacht, dass augenscheinlich u.a. die Patientendaten von fünf Jahren der zahlreichen Praxen der Kielstein-Gruppe beschlagnahmt wurden. Dieses Vorgehen stellt noch einmal die aus medizinethischer Sicht zentrale Frage in den Mittelpunkt: Was passiert mit den Patientendaten bei der Staatsanwaltschaft? Die in Leipzig zuständige Staatsanwältin sichert zu, dass sie zwingend gehalten sei, die Ermittlungen vertraulich zu führen, Rücksicht auf die Betroffenen zu nehmen und auf die schutzwürdigen Interessen auch anderer Personen als der Beschuldigten zu achten. “In bestimmten Konstellationen ist die Verletzung von Dienstgeheimnissen sogar strafbewehrt.“ (~ Quelle). Allerdings zeigt ein aktueller Fall aus NRW, wie leicht diese Barrieren durchbrochen werden. Eine Durchsuchung einer Hausarztpraxis in 2019 führte anderthalb Jahre später zu zahlreichen Führerscheinentzugsverfahren, weil die Polizei Patientendaten an den dafür zuständigen Kreis weitergegeben hatte: Schwere Vorwürfe: Polizei soll Patientendaten weitergegeben haben. Der Datenschutzbeauftragte des Landes ermittelt. Korrekt hat dagegen diese Klinik gehandelt, die den ihr bekannten Patientennamen nicht herausgeben wollte: Datenschutz: Krankenhaus will Identität von EC-Karten-Dieb nicht verraten.
Angesichts dieser an Fallen reichen Materie ist es umso relevanter, sich als MVZ-Leitung oder Praxisinhaber präventiv über Rechte und Pflichten im Kontext staatsanwaltlicher Ermittlungen zu informieren. Allein, wenn man mal die Begriffskombination ‘Arztpraxis + Staatsanwaltschaft’ googelt, wird schnell klar, dass Hausbesuch von der Polizei gar nicht mal so selten ist – gerade im Corona-Kontext sind die Aktivitäten auch noch einmal deutlich gestiegen. Entsprechende Notfallpläne sollten daher überall vorliegen und dem Team gegenüber kommuniziert werden. Wichtig ist etwa, “dass die Ermittlungspersonen nicht alleine die Räumlichkeiten durchsuchen, sondern dabei vom Arzt oder einem hierzu befugten Mitarbeiter begleitet und beobachtet werden dürfen. Räume, die nicht vom Durchsuchungsbeschluss umfasst sind, dürfen auch nicht betreten werden. Gleichzeitig sollte der Beschuldigte darauf achten, dass damit kein Einverständnis zur Mitnahme der Unterlagen erklärt wird, sondern eine Beschlagnahme erfolgt, da nur so Verfahrensrechte für einen späteren Zeitpunkt gesichert sind. Der Widerspruch gegen die Durchsuchung ist im Protokoll zu vermerken.” (~ siehe Link zum Ärzteblatt unten)
Was die beiden Verfahren betrifft, die Anlass waren, das Thema in dieser PRAXIS.KOMPAKT-Ausgabe aufzugreifen, gilt: Allzu schnell ist nicht mit Ergebnissen zu rechnen. Beide MVZ-Gruppen arbeiten vollumfänglich weiter, das schließt auch die konkret beschuldigten Ärzte. bzw. Mitarbeiter mit ein.
MDR v. 04.02.2023
FAQ: Das müssen Sie zum Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen wissen
Virchowbund v. Herbst 2021
So reagieren Sie auf eine Durchsuchung der Praxis
Ärzteblatt – Heft 44/2018
Praxismanagement | Strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen: Wenn der Staatsanwalt dreimal klingelt
Glaskugel ‘MVZ-Gesetzgebung’ | Das MVZ als Politikum
Die Rubrik ist ja quasi ein Dauerbrenner in unseren regelmäßigen Nachrichten-Updates. Allerdings gibt es derzeit nicht allzu viel Neues zu erzählen. Eher bewegt sich die MVZ-Debatte in der erwarteten Dauerschleife. Mitte Januar (~ zur Ausgabe der KW3) haben wir diesbezüglich konstatiert: “Knapp vier Wochen [nach dem Lauterbach-Interview] hat sich die Lage wieder etwas beruhigt, allerdings ist das Thema ‘MVZ’ längst nicht in der Versenkung verschwunden. Das Ministerwort hat vielmehr eine Spirale zahlreicher weiterer Wortmeldungen – sowohl pro wie kontra – in Gang gesetzt: Ausgang derzeit offen.” Diese Ansage gilt letztlich – zehn Wochen nach dem Interview – immer noch.
Erwähnenswert ist seit dem vor allem die Aktion des Bundesverband der Betreiber von MVZ (BBMV) und des Laborverbands ALM, die am 15. Februar in einer Pressekonferenz ein ‘Memorandum zur Rolle von MVZ in der ambulanten medizinischen Versorgung’ vorgestellt haben – verbunden mit der Frage: ‘Besteht regulatorischer Handlungsbedarf?’ (~ mehr Informationen). Fokus der Studienautoren wie der auftraggebenden Verbände war – wenig überraschend – dass regulatorische Eingriffe nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch unnötig seien, da MVZ mit nicht-ärztlichen Kapitalgebern gerade auch im ländlichen Raum zahlreiche Chancen böten. Mit Zahlen und harten Fakten zur Versorgungsrelevanz der MVZ mit Investorenbezug kann dieses Memorandum allerdings auch nicht aufwarten. Insofern fasst es zwar eine wichtige Seite der aktuellen Debatten noch einmal pointiert und gut lesbar zusammen, bietet letztlich aber wenig neue Erkenntnis.
Was darüber hinaus der Blick in die Glaskugel zur MVZ-Gesetzgebung betrifft, lässt sich wie folgt in aller Kürze zusammenfassen: 1) Verbindliche Aussagen lassen sich derzeit weder zum Zeitpunkt noch zu den Inhalten der von Lauterbach angekündigten ‘Regelungen zu Zulassung, Gründung, Betrieb und Transparenz von MVZ‘ treffen. 2) Rechtlich am ehesten durchsetzbar scheinen Beschränkungen, die an der Regionalisierung der Gründereigenschaft ansetzen, oder die regionale MVZ-Quoten verankern wollen. Darüber hinaus werden verstärkt sekundäre Regeln diskutiert – wie Prüfung der Breite der Versorgungsleistungen (gegen ‘Rosinenpickerei’) oder die Stärkung der Ärztlichen Leitung (zur Stärkung der Unabhängigkeit vom Träger). 3) Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass aktuell auch im BMG keine abschließende Meinung zur MVZ-Regulation vorliegt – auch nicht dazu, welche Entwicklungen überhaupt als problematisch angesehen werden sollen. Die am 24. Dezember geäußerte Ministermeinung muss insoweit als Einzeläußerung, die nicht mit den Koalitionspartner abgestimmt war, bewertet werden. 4) Obwohl bereits zwei Jahre alt, ist davon auszugehen, dass das sogenannte MVZ-Gutachten des BMG, das von Jens Spahn beauftragt worden war, inhaltlich weiterhin eine relevante Rolle als Maßstab und Korrektiv spielen wird (~ Zusammenfassung der Inhalte | PDF – 8 Seiten). Die Hausarzt.Digital-Redaktion, die für gewöhnlich gut unterrichtet ist, hat Ende Januar folgende Einschätzung abgegeben, die wir vollumfänglich teilen: “Auch für das Versorgungsgesetz II liegen bislang nur lose zusammengestellte Themen vor. Fest steht jedoch, dass hierunter neue Regelungen für (i)MVZ zu finden sein werden. Ein Referentenentwurf wird frühestens im Sommer erwartet.”
Hausarzt.Digital v. 27.01.2023
Ein Blick auf Lauterbachs To-do-Liste
Handelsblatt v. 15.02.2023
Gutachten warnt vor Folgen von Lauterbach-Gesetz gegen Investoren
DocCheck v. 15.02.2023
MVZ-Investoren: Heuschrecken oder Heilsbringer?
Notvertretungsrecht: Ärzte zwischen Beraterfunktion und Miss Marple
Dieser Beitrag stammt bereits aus der Ausgabe der KW5. Wegen fortgesetzer Relevanz veröffentlichen wir ihn als Teil dieser Ausgabe erneut.
Es war eine der Neuerungen zum Jahresbeginn, über die viel berichtet wurde: Eheleute dürfen im Falle einer medizinischen Notlage, bei der die/der Partner:in nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, für den Partner Behandlungsentscheidungen treffen, bis hin zum Thema der Einstellung lebenserhaltender oder Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen. Bisher galt dies nur bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht. Rechtsgrundlage ist die zum 1.1.2023 in §1358 BGB ergänzte Notvertretung (~ Volltext des § öffnen). Soweit so gut – aber was hat das mit den ambulanten Ärzten zu tun, werden nicht Wenige fragen. Hierauf gibt es zwei Antworten: 1) Zusammen mit dieser Regelung wurde allen Ärzten erstmals auch der Zugang zum zentralen Vorsorgeregister (ZVR | ~ mehr Informationen) geöffnet – d.h. Ärzte können im Bedarfsfall hier nachsehen, ob ein Patient eine Patientenverfügung hat – aktuell sind dort 5,3 Millionen Patientenangaben hinterlegt. Das geht mit dem eHBA unter Verwendung des ‚Authenticators’ der gematik (~ Systemanforderungen). Die Medical Tribune beschreibt den Vorgang aus Arztsicht: Hat der nicht mehr ansprechbare Patient eine Vorsorgeverfügung getroffen? Diese neue Kompetenz nach §78b BNotO (~ zum §-Volltext) ist naturgemäß auf Entscheidungen eingeschränkt, die für eine dringende medizinische Behandlung erforderlich sind – betrifft im Regelfall also eher Klinikärzte.
Für ambulante Mediziner ist daher primär der 2.) Aspekt relevant. Dass Ehepartner sich in solchen Notfällen gegenseitig vertreten dürfen, bedeutet, dass die Partner in Untersuchungen, Eingriffe, etc. einzuwilligen oder diese ablehnen können. Folglich ist der Arzt hier kontextbezogen von der Schweigepflicht entbunden. Aber selbstredend ist das Notvertretungsrecht auch mit Ausnahmen versehen. Sind Eheleute getrenntlebend (aka Trennungsjahr), oder ist dem Arzt bekannt, dass der Patient seinen Partner für die Vertretung ablehnt, so disqualifiziert dieser sich. Ebenso, wenn ein förmlicher Notvertretungswiderspruch vorliegt. Um Letzteres zu prüfen, können und sollten Ärzte auf das zentrale Vorsorgeregister zugreifen – siehe oben), wo neben den Patientenverfügungen eben auch solche Notvertretungswidersprüche zentral erfasst werden. „Zudem müssen Ärzte dem Partner, der den erkrankten Ehegatten vertritt, schriftlich bestätigen, dass die Voraussetzungen der Ehegattenvertretung vorliegen. Auch trifft sie die Pflicht, sich schriftlich von ihm bestätigen zu lassen, dass das Vertretungsrecht bisher noch nicht ausgeübt wurde und es auch keinen Ausschlussgrund gibt“, schreibt Arzt + Wirtschaft. (~ Artikel v. 02.01.2023). Für diese schriftliche Bestätigung hat die Bundesärztekammer bereits ein Formular zum Download hinterlegt: Formular Ehegattennotvertretung (Achtung. Das ist eine docx-Datei.). Neben der zeitlichen Komponente, die solche Beratungsgespräche einnehmen, kommt somit ein investigativer Anteil hinzu, der die Legitimität der Notvertretung betrifft. Miss Marple lässt grüßen!
Die Ärztekammer Nordrhein hält es für angezeigt, dass sich gerade Ärzte der ambulanten Versorgung frühzeitig – also losgelöst vom Vorliegen eines medizinischen Vorfalls – präventiv eine Bestätigung vom Vertretenden einholen, zwecks der Rechtmäßigkeit. „Es bleibt aber unklar, ob sich daraus für die Ärztin oder den Arzt eine Nachforschungspflicht ergibt oder ob er sich auf die Versicherung des Ehegatten verlassen und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertretung beziehungsweise das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen ohne weitergehende Nachforschungen bestätigen darf. Hier werden die Gerichte gefordert sein“, schreibt die Justiziarin der ÄKNO weiter. Hier dürfte einiges an Verwirrungspotential für die Zukunft liegen. Die Bundesärztekammer hatte 2020 bei ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zwar die zusätzliche bürokratische Belastung der Ärzte angeprangert (~ zur Stellungnahme BÄK v. 2020), dennoch scheint das Endresultat zunächst eine Verschiebung der Verantwortung zu Ungunsten der Ärzte zu sein und viele offenen Fragen aufzuwerfen.
Ärztekammer Nordrhein Heft 12/2022 (PDF)
Ehegatten dürfen sich ab 2023 im Gesundheitsnotfall vertreten
Informationen der Bundesnotarkammer
Online-Service zur Abfrage des ZVR | weiterführende Information & Links für Ärzte
Haufe.de v. 30.01.2023
Das Notvertretungsrecht für Ehegatten