EuGH zur Patientenakte | Erste Kopie für Patienten darf nicht berechnet werden
Nach einem kürzlich ergangenen Urteil haben Patienten Anspruch auf eine kostenlose Kopie der Patientenakte. Das gilt zumindest, wenn es sich um die erstmalige Anfrage handelt. Begründen muss der Patient die Forderung nach der Kopie nicht. Soweit die Eckdaten aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (~ 26.10.2023 | EuGH Az. C-307/22). Der Sachverhalt wurde also höchstrichterlich auf Grundlage der DSGVO entschieden. Die Entscheidung setzt sich somit über das deutsche BGB, in dem geregelt ist, dass ‚der Patient auch elektronische Abschriften von der Patientenakte verlangen [könne, wobei] dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten [sind],‘ hinweg. Die Entscheidung war dem Europäischen Gerichtshof im März 2022 vom deutschen BGH vorgelegt worden – zugrunde liegt ein konkreter Fall eines Patienten aus Sachsen-Anhalt (~ mehr Hintergründe).
Hinlänglich bekannt ist, dass Ärzte nach dem § 630g BGB verpflichtet sind, die Patientenakte zu führen und gemäß § 630f BGB dem Patienten unverzüglich Einsicht zu gewähren. Die Form der Einsicht kann als Ausdruck der digitalen Akte, als digitale Kopie (elektronische Abschrift), oder als Papierkopie der Akte angefordert werden. Der zweite Satz im Absatz 2 des § 630g BGB ließ nach bisheriger Auslegung zu, dass der Arzt die Kosten geltend machen kann. Dies wurde nun vom EuGH in weiten Teilen überschrieben. Das Gericht leitet seine Entscheidung daraus ab, dass ein Arzt verantwortlich für die personenbezogenen Daten im Sinne der DSGVO sei, und daraus folge die Auskunftspflicht. Im Übrigen sind in die Abschrift alle Informationen zu integrieren, die für das Verständnis erforderlich sind. Werden Daten vorenthalten, muss dies nach § 630g Absatz 1 BGB begründet werden.
Wenn der Patient bereits eine Abschrift (in welcher Form auch immer) erhalten hat, kann ihm allerdings die nächste in Rechnung gestellt werden. Die Höhe der ansetzbaren Kosten je Kopie ist angelehnt an das Justizvergütungsentschädigungsgesetz und liegt momentan bei 0,50 € je Seite für die ersten 50 Seiten und 0,15 € je Seite für alle weiteren.
KV Rheinland-Pfalz v. 02.11.2023
Erste Kopie der Patientenakte ist kostenfrei
Legal Tribune Online v. 26.10.2023
EuGH zur Patientenakte, Die erste Kopie ist kostenlos
Versorgungsumfangsprüfung (17 x KV) | Hintergründe zum Auffälligkeitsscreening und drohenden Sanktionen
Seit dem TSVG, sprich seit 2019, gehört es zum Pflichtenkreis der KVen, für jeden Arzt „die Einhaltung der …. Versorgungsaufträge … insbesondere anhand der abgerechneten Fälle und anhand der GOP mit den Angaben für den … erforderlichen Zeitaufwand … zu prüfen.“ (~ § 95 Absatz 3 SGB V) Faktisch handelt es sich um einen zur Wirtschaftlichkeits- und Zeitplausibilitätsprüfung reziproken Ansatz, denn anders als bei diesen soll hier kontrolliert werden, ob einzelne Ärzt:innen gegebenenfalls zu wenig arbeiten. Allerdings kommen nach unserer Kenntnis die KVen diesem Auftrag in höchst unterschiedlicher Stringenz nach. Von Beginn an aktiv war z.B. die KV Berlin, die bereits im Mai 2021 Ergebnisse für das Jahr 2020 publizierte und die kürzlich auch bereits den Ergebnisbericht über die Prüfung für 2022 veröffentlicht hat. (~ KV-Blatt | Heft 5/2023 | im PDF: Seiten 16/17). Zahlreiche andere KVen haben dagegen überhaupt erst in 2022 angefangen, diese Prüfungen systematisch vorzunehmen.
Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der Mindestsprechstundenzeiten sind in § 19a Absatz 4 ZV-Ärzte geregelt. Sie reichen im Ernstfall von (nicht näher definierten) Honorarkürzungen bis zum Zulassungsentzug. Die KV Schleswig-Holstein gibt im unten verlinkten Bericht bspw. an, das Honorar in diesem Kontext um 5 % zu kürzen. Die KV Sachsen lässt dagegen in ihrer Darstellung aus dem Herbst 2022 unmissverständlich durchblicken, dass sie diesen gesetzlichen Prüfauftrag für Kokolores hält und beschreibt ihn offen als „nur teilweise sinnvoll.“ Deshalb werde man „pragmatisch vorgehen.“ Offen muss an dieser Stelle bleiben, was die Sachsen damit konkret meinen und auch, wie andere KVen mit dieser Thematik umgehen.
Ohne Frage ist es aber sinnvoll, dass jeder Praxisinhaber und MVZ-Verantwortliche Grundkenntnisse über Ablauf und Konsequenzen dieser Prüfung haben sollte. Aufgrund der SGB V-Vorschrift zu bundeseinheitlichen Prüfregeln hat die KBV bereits im Herbst 2019 „Methodische Hinweise für ein datengestütztes Auffälligkeitsscreening“ gegeben, das wiederum in den 17 KVen sowohl zeitlich als auch inhaltlich unterschiedlich intensiv zur Anwendung kommt. Beispielhaft sind hier – zusätzlich zu den Verlinkungen unter dem Text – weitere Ausführungen zur KV-individuellen Prüfmethodik verlinkt: KV Thüringen | KV Berlin | KV Hamburg. Grundsätzlich folgt das Screening einem 3-Stufenplan, der in der Medical Tribune ausführlich beschrieben wird. Da für die Berechnung u.a. auf die im EBM hinterlegten Prüf- und Kalkulationszeiten zurückgegriffen wird, übertragen sich allerdings automatisch auch sämtlich Unzulänglichkeiten dieser Bewertungsmethodik auch auf die Versorgungsumfangsprüfung – analog zur Zeitplausi-Prüfung, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen. D.h. Fachgruppen mit vielen GOP mit zu niedrig hinterlegten Prüfzeiten (oder ganz ohne) werden schnell auffällig. Und natürlich kann es in Kooperationen zu Auffälligkeiten kommen, wenn fachgleiche Ärzte arbeitsteilig Leistungen derselben GOP an einem Patienten gemeinsam erbringen und dadurch die Zuordnung der GOPs zu den LANR kein adäquates Bild der arztbezogenen Tätigkeit ergibt.
Die Medical Tribune gibt ergänzend den Tipp, präventiv für die später vielleicht notwendige Erklärbarkeit von Unterschreitungen zu sorgen: „Erforderlich ist eine ‚Buchführung‘, die erfasst, wenn man länger als zehn Tage im Quartal in Urlaub und/oder auf Fortbildungen oder länger als vier Tage erkrankt war. Hausärzte sollten die Anzahl der Patienten in der Hausarztzentrierten Versorgung dokumentieren und ggf. die KV fragen, in welchem zeitlichen Rahmen HzV-Fälle bei der Prüfung berücksichtigt werden.“ So oder so ist es für Praxisverantwortliche unabdingbar, ihr Augenmerk neben den etablierten Überschreitungsprüfungen auch auf diese ‚neue‘ Unterschreitungsprüfung zu richten und die Ärzte entsprechend dafür zu sensibilisieren. Allein nachweisen zu können, dass die 25 Mindestsprechstunden formal auch angeboten wurden, reicht längst nicht mehr aus.
Abschließend ein Bonmot mit politischem Einschlag am Rande: Die KV Schleswig-Holstein gibt explizit zu Protokoll, dass „davon auszugehen ist, dass die Versorgungaufträge in diesen investorengetragenen MVZ, erfüllt werden. Sie sind jedenfalls bei der Überprüfung der Versorgungsaufträge bisher in Schleswig-Holstein nicht aufgefallen.“
Medical Tribune v. 17.08.2023
Prüfregeln der KV – KV prüft auch die Mindestsprechstunden
Nordlicht – Mitgliederzeitschrift der KV SH | Heft 5/2023 (im PDF: Seiten 14 – 17)
Prüfung der Einhaltung von Versorgungsaufträgen – Ziel erreicht?
KV-Mitteilungen – Mitgliederzeitschrift der KV Sachsen | Heft 9/2022
Prüfung von Versorgungsaufträgen
10 €-Befüllungspauschale + Opt-Out: Wo steht die ePA? | Update zur Digitalgesetzgebung
Die Honorarpauschale von 10,23 € für die ‚Erstbefüllung der elektronischen Patientenakte‘ (~ KBV | EBM GOP 01648) wird bis Januar 2025 verlängert – dies hat der Bewertungsausschuss am 19. Oktober entschieden. Wie gehabt, erfolgt auch in 2024 die Anrechnung der GOP extrabudgetär. Ob aber dieser Entschluss es schafft, die magere Nutzungsrate durch nur 1% aller deutschen Patienten deutlich zu erhöhen, darf bezweifelt werden. Relevanter dürften dafür die Pläne des Gesetzgebers sein, die Digitalisierung durch weitere Zwänge sowie die Umstellung auf ein Opt-Out-Verfahren sowohl patienten- als auch arztseitig zu forcieren. Für alle Interessierten sei daher ein kurzes Schlaglicht auf die politischen Aktionen rund um die ePA geworfen:
Die verpflichtende Einführung und das Opt-Out Verfahren der ePA ab Januar 2025 sind Bestandteil des Digitalgesetzes aus dem Hause Lauterbach. Am 15. November geht dieses in die öffentliche Anhörung und befindet sich im zweiten Drittel des Gesetzgebungsverfahrens. Damit ist allerdings noch nichts in Stein gemeißelt. In dieser Phase der Gesetzgebung werden vielmehr die Stimmen erwartungsgemäß lauter. So etwa von der ‚Freien Ärzteschaft‘, die eine signifikante Erhöhung der Befüllungspauschale fordert (~ änd v. 08.11.2023). Die Forderung reiht sich in die Einsprüche gegen die momentanen ePA-Pläne ein. So liegt dem Bundestag auch eine Petition vor, welche fordert, die Opt-Out Lösung der ePA zugunsten einer Opt-In Lösung mit ausdrücklichem Einverständnis der Patienten zu ändern. Die Petentin, eine Allgemeinmedizinerin, sieht in der momentan angestrebten Lösung einen Konflikt mit der ärztlichen Schweigepflicht. Noch steht die Petition zur Prüfung aus (~ direkt zur Petition). Flankendeckung bekommt die Kritik an Lauterbachs ePA-Vorhaben von der (noch) Fraktion ‚Die Linke‘, welche die Obhut über die Patientendaten nicht, wie geplant, bei den Kassen, sondern bei der neuen ‚Unabhängigen Patientenberatung‘ sieht. Als weiterer beteiligter Akteur äußern sich die Kassen ebenfalls noch einmal nachdrücklich. So sehen sie sich nach wie vor nicht in der Verantwortung, die Akten zu befüllen. Der Chef des ‚Beirates für Digitale Transformation der AOK Nordost‘, Dirk Heckmann, bewertet die Forderung, die Kassen mögen den Prozess unterstützen, gar als „systemwidrig“ (~änd v. 06.11.2023).
Ob sich daher an dem momentanen Drehbuch zur ePA noch etwas ändert, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Für das Team am Praxistresen bleibt es damit wohl bis auf Weiteres dabei, dass es sich auf ‚fragende Patienten‘ einstellen muss, ohne selbst die finalen Antworten zu kennen.
DAZ.online v. 09.11.2023
Aufholjagd in Bullerbü: Bundestag berät Digitalgesetze
KBV-Praxisnachrichten v. 19.10.2023
Erstbefüllung der ePA wird weiterhin mit rund zehn Euro vergütet
KZBV – Leitfaden für die Anwendung „ePA“ in der Zahnarztpraxis
Die elektronische Patientenakte (PDF | 16 Seiten)
KBV vs. BMG – Ein Update | Der Ärzteprotest zwischen Bundestagspetition, #Praxenkollaps & warmen Ministerworten
Vor dem Hintergrund der offen ausgetragenen Streitigkeiten um Einfluss, Macht und Geld im (ambulanten) Gesundheitswesen, hat die KBV im Oktober zwei neue Maßnahmen initiiert. Zum einen wurde ein Petitionsverfahren gestartet, mit dem eine Befassung des Bundestages mit den Anliegen und Beschwerden der Vertragsärzteschaft erzwungen werden soll. Bedingung hierfür ist, dass mindestens 50.000 Bürger diese Petition unterzeichnen. Um dies zu erreichen, fordern KBV und KVen ihre Mitglieder auf, Unterschriftenlisten in den Praxen auszulegen: Petitionstext | Blanko-Unterschriftenliste. Im Online-Verzeichnis des Bundestages (~ direkt zu) ist die Petition aber bis heute irritierenderweise nicht veröffentlicht, was entweder bedeutet, dass der Petitionsausschuss aktuell besonders langsam prüft, oder dass die Petition nicht die Richtlinien zur Veröffentlichbarkeit erfüllt (~ Verfahrensgrundsätze), was ein bitteres Signal an die Ärzteschaft wäre. Hauptprüfkriterium ist nämlich, „dass die Bitte oder Beschwerde inhaltlich ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand hat und das Anliegen und dessen Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion geeignet sind.“
Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Ganze entwickelt. In jedem Fall können aber unterzeichnungswillige Bürger und Ärzte oder MFA sich in die Listen eintragen und/oder Praxen diese auslegen, und – wenn ausgefüllt – dem Bundestag zuschicken. Um gültig zu zeichnen, müssen aber sämtliche Felder, wie in der Unterschriftenliste vorgegeben, wahrheitsgemäß ausgefüllt werden – was gerade in Arztpraxen, sollten diese Listen z.B. im Wartezimmer öffentlich ausliegen, relevante Datenschutzfragen aufwirft. Leider bietet die KBV-Webseite zu diesem Aspekt keine valide Antwort. Insgesamt muss der Erfolg dieser Aktion derzeit also als absolut offen gewertet werden.
Als zweite Maßnahme hat das Zi als statistischer Arm der KVen eine gesonderte Praxisbefragung unter dem Label ‚#Praxenkollaps‘ aufgelegt. Zielgruppe sind alle „Praxisinhabenden“ – also die niedergelassenen Ärzte und MVZ-Träger soweit es sich ihrerseits um Ärzt:innen handelt. D.h. die Umfrage schließt die MVZ nicht explizit aus, adressiert aber aufgrund ihrer Struktur ausschließlich MVZ in ärztlicher Trägerschaft. Diese standespolitisch fragwürdige Entscheidung, mal eben alle nicht-ärztlichen MVZ von vornherein auszuschließen, muss unseres Erachtens als pure, aber nicht unbedingt bösartig gemeinte Nachlässigkeit gewertet werden – die aber tief in das Innenleben der KBV als Auftraggeberin blicken lässt, wonach MVZ nach wie vor nicht automatisch als regulärer Teil der vertragsärztlichen Versorgung mitgedacht werden. Insofern wirkt es ein wenig zynisch, wenn in dem diese Woche an alle Praxenchef:innen versandten Erinnerungsschreiben, das nochmals den persönlichen Zugangscode enthält, erklärt wird, dass „für den Erfolg der Befragung …. eine maximale Beteiligung der Vertragsärzte- und der Vertragspsychotherapeutenschaft notwendig“ sei. „Deshalb möchten wir Sie heute erneut um Ihre Teilnahme bitten!“ Die Teilnahme ist im Übrigen, für diejenigen, die einen Zugangscode erhalten haben, bis 20. November möglich: ~ Erhebungsportal öffnen.
Irgendwie wird man insgesamt den Eindruck nicht los, dass die KBV-Öffentlichkeitsarbeit derzeit etwas hektisch und unausgegoren daherkommt. Natürlich hat daran auch Minister Lauterbach seinen Anteil, der die KV-Welt mit ihren Forderungen bisher so harsch hat auflaufen lassen. Immerhin hat aber Anfang November ein Treffen zwischen KBV-Vorstand und Minister stattgefunden (~ KBV: Lauterbach signalisiert Ärzteschaft entgegenkommen), von dem etwas versöhnlichere Töne berichtet werden. So heißt es, dass sich Lauterbach um die Entbürokratisierung im Sinne der Ärzteschaft kümmern und dem ambulanten Sektor bei den Hybrid-DRG entgegenkommen wolle. Wie diese neue Entwicklung von der KBV-Spitze bewertet wird, lässt sich hier in einem Videostatement von Dr. Andreas Gassen nachhören und nachlesen: Gassen zu Ankündigungen von Lauterbach: Nun müssen Taten folgen!
KV Nordrhein v. 09.11.2023
#praxenkollaps: Aktionen zum Mitmachen
Zi-Pressemeldung v. 19.10.2023
KBV und Zi starten große Befragungen zur Lage in den Arzt- und Psychotherapiepraxen
KBV-Mitteilung v. 16.10.2023
Petition zur Rettung der ambulanten Versorgung – KBV-Vorstand ruft Praxen und Patienten zur Unterstützung auf
Sturm im Pool | Update zum Gerichtsurteil zur SV-Pflicht von Poolärzten im KV-Bereitschaftsdienst
Das Thema Pool-Ärzte baut sich derzeit zu einer regelrechten Sturmfront auf. Das gilt für die politische Ebene, aber unter Umständen auch für die einzelnen Praxen und kooperativen Strukturen. Am 24. Oktober erging ein Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG | Urteilsbericht öffnen), nach dem das Honorarverhältnis eines baden-württembergischen Poolarztes als Anstellungsverhältnis bewertet wurde. Daraus folgen zahlreiche rechtlichen Konsequenzen, inklusive der Beitragspflicht in der Sozialversicherung. Es handelt sich allerdings um eine Einzelfallentscheidung, wie der Vorsitzende Richter mit der Urteilsverkündung auch ausdrücklich klarstellte.
Die Urteilsbegründung steht noch aus, weshalb finite Aussagen bisher nicht möglich sind. Als Konsequenz auf die Entscheidung hatte die KV Baden-Württemberg allerdings unmittelbar die Beschäftigung und Vermittlung von Poolärzten eingestellt, um den Verdacht der Scheinselbstständigkeit zu unterbinden (~ Meldung). Mit dem gleichen Argument haben unter anderem auch die KV-Berlin (~ Meldung) und jüngst die KV-Schleswig Holstein (~ Meldung) die vorübergehende Aussetzung des Einsatzes von sogenannten Poolärzten verkündet, allerdings jeweils zu anderen Terminen. Alle KVen, die in ihrer Art der Organisation der Notdienstbesetzung mit freiwilligen Vertretern (dem Arztpool) eine Gefahr sehen, als Arbeitgeber zu gelten, werden dies momentan juristisch prüfen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), hat dagegen verkündet, die Urteilsbegründung abzuwarten und binnen der kommenden Monate die „Bedeutung und Reichweite“ zu prüfen (~ Meldung v. 27.10.2023). Diesen, voraussichtlich drei bis vier Monate andauernden Zeitraum, setzt zunächst auch die KVBW für die Aussetzungsfrist der Poolärzteregelung an. Man müsse abwarten, bis wieder Rechtssicherheit bestünde.
Bis dahin kann (und wird) es in den jeweiligen KV Gebieten zu Übergangsregelungen bezüglich der Dienstverpflichtungen in den Notpraxen, bzw. im Bereitschaftsdienst kommen. Grundregel ist und bleibt ja, dass jedes MVZ und jede Praxis gemäß des Versorgungsumfangs zur Teilnahme am Notdienst verpflichtet ist. Dass viele KVen hier mit den freiwilligen Poolärzten bis dato einen verlässlichen Vertretungsservice, an den man seine Dienste ‚verkaufen‘ konnte, angeboten haben, war ein Dienstleistungs-Extra, das nun erst einmal wegfällt. Die Pflicht geht damit zurück an den einzelnen Arzt, respektive an das MVZ. Gleichzeitig versuchen die KVen, im politischen Berlin eine Sonderregelung zu erwirken, wie sie bereits für Notärzte gilt.
Wir hatten bereits berichtet, wie die Regierungskoalition zu dieser Forderung steht, beziehungsweise Mitte des Jahres stand (~ Archiv der KW27: SV+RV-Pflicht im Bereitschaftsdienst). In einer damaligen Stellungnahme drückte die Regierung eher ihre ‚Verwunderung‘ über das Anliegen einer solchen Ausnahmeregelung aus: So „erscheint es aus Sicht der Bundesregierung problematisch, die Beitragspflicht von Ärzten, deren Einkommen sich ganz wesentlich aus Beiträgen anderer Versicherter und von Arbeitgebern speist, als Berufshindernis zu werten.“ (~ ÄrzteZeitung v. 19.05.2023). Es ist momentan jedoch ungewiss, ob diese Haltung Bestand hat. Auch juristisch ist, wie oben angedeutet, noch vieles unklar. Das Ärzte-Vermittlungs-Portal „arztpool 24“ hat bspw. in einer eigenen juristischen Stellungnahme (~ zur Meldung) einen deutlich weniger alarmistischen Ton angeschlagen, als die KVen – sicherlich schon deshalb, um das Geschäftsmodell zu retten.
Es werden sich, in unmittelbarer Zukunft, bestimmt noch diverse Stellungnahmen mit verschiedenen Interpretationen zu dem Urteil finden lassen. Hier bleibt daher zunächst nur festzuhalten, dass die betroffene KVen ihren Modus-Operandi ändern und wahrscheinlich verstärkt auf die MVZ und Praxen zukommen werden, um auch künftig alle Dienste besetzen zu können.
Ärzteblatt v. 08.11.2023
KV Schleswig-Holstein kündigt Poolärzten im Bereitschaftsdienst
Ärzteblatt v. 03.11.2023
Ausführlicher Bericht zum Urteil: Poolärzte: Notfall für den Notdienst
ÄrzteZeitung v. 01.11.2023
Kommentar zu BSG-Urteil, Poolärzte: Ran an den Plan B!
Fachkräftemangel | Lohnsteigerungen in der Pflege erhöhen Personalkonkurrenz ggü. der ambulanten Medizin
Zum 1. November sind die Löhne in der Pflege im Bundesdurchschnitt auf 23,75 € pro Stunde gestiegen (~ Meldung des GKV-SV). Das ist zwar für die betroffenen Pflegekräfte eine gute Nachricht, für die Praxen aber aufgrund der direkten Personalkonkurrenz eher Anlass zur Sorge. Der Durchschnittslohn von MFA liegt zurzeit bei 16,04 €. Etwa 30 Prozent der MFA arbeiten gemäß eines Beitrags des MDR somit im Niedriglohnsektor (~ Quelle). Es ist momentan auch kein Trost, dass MFA noch zu den meistgewählten Berufen weiblicher Teenager zählt, denn die Abbruchquote ist mit 33 % sehr hoch (~ ÄrzteZeitung v. 11.07.2022). Oft werden die Erwartungen der Azubis an die Ausbildung selbst oder an die Ausbildungsstätte nicht erfüllt. Um Erwartungshaltung und Realität näher aneinander zu bringen, sei nochmals auf die hippe Initiative zur Gewinnung von MFA-Azubis verwiesen, über die wir im Sommer bereits berichtet hatten (~ www.von-beruf-wichtig.de). Für darüber hinaus gehende Anregungen zum Ausbau von Mitarbeiterbindungskonzepten haben wir unten beispielhaft drei Adressen verlinkt.
Ferner steigt im kommenden Jahr der Mindestlohn der Pflegekräfte ab Mai auf 16,50 Euro. Die durchschnittliche Entlohnung für MFA nach TVÖD, liegt ab nächsten März bei 17,34 €, was dann auch für alle MFA, die in strenger Anlehnung an den Tarifvertrag bezahlt werden, gilt. D.h. dadurch könnte sich die Lage für die zahlreichen vertragsärztlichen Praxen, die unter Tarif zahlen, mittelfristig noch weiter verschärfen. Laut einer Befragung haben 40 % der MFA im letzten Jahr mehrmals und immer wieder daran gedacht, den Arbeitgeber zu wechseln oder ganz aus dem Job auszusteigen (~ dzw v. 09.09.2023). Das ist im Vergleich zum Querschnitt aller Branchen alarmierend (~ dazu Wirtschaftswoche v. 18.08.2023). Als Hauptursache für solch konkrete Wechselwünsche wird – über die diversen Umfragen hinweg – stets die zu geringe Entlohnung angeben.
Webseite: ‚MFA mal anders‘
Stellenbörse mit Zusatzinformationen (auch für Arbeitnehmer)
Zi Studie v. 06.02.2023 (PDF)
Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten (MFA) in Praxen und Einrichtungen der vertragsärztlichen Versorgung
ETL AKTUELL v. 16.05.2022
Pflegeberufe attraktiver gestalten – so gewinnen Arbeitgeber qualifizierte Fachkräfte
MoPeG betrifft auch MVZ + BAG | Deutschlandweit ausgebuchte Anwälte wegen ‚Jahrhundertgesetz‘
Wer, aus welchen Gründen auch immer, momentan versucht, kurzfristig einen Termin beim Anwalt für Firmenrecht oder bei einem Notar zu bekommen, könnte es schwer haben. Deutschlandweit sind Kanzleien ausgelastet wegen eines im Januar 2024 in Kraft tretenden Gesetzes – dem MoPeG. Hinter der formschönen Abkürzung verbirgt sich das sprachlich nicht minder attraktive ‚Personengesellschaftsmodernisierungsgesetz‘. Das MoPeG zählt mit zu den ambitioniertesten Gesetzesvorhaben der jüngeren Geschichte, da es in viele bestehenden Gesetze gleichzeitig eingreift.
Für MVZ bietet das Gesetz auch Chancen, da bspw. bei Übernahmen die Umwandlung von einer GbR in eine GmbH einfacher wird. Für Arztpraxen in der Rechtsform einer GbR entstehen neue Möglichkeiten, aber unter Umständen auch Pflichten. So ist zukünftig die Eintragung von GbRs möglich. Diese Firmierung wird beispielsweise bei Grundstückkäufen verpflichtend und auch überall dort, wo ein Eintrag im neu geschaffenen Gesellschaftsregister vorzuweisen ist. Mit der möglichen Eintragungspflicht ändern sich aber auch die Erfordernisse an die Gesellschafterverträge. Daraus wiederum ergeben sich Neuerung bezüglich Haftung und Versicherungsschutz.
Wem diese Informationen viel und wirr vorkommen, der hat wohl die wichtigste Botschaft zum MoPeG verinnerlicht:
Das Gesetz ist zu umfangreich, um es, mal eben schnell‘ zu überfliegen. Diverse Internetseiten versuchen sich an Darstellungen und Kurzfassungen. Wir haben uns dafür entschieden, den Kernpunkten des Gesetzes in einer strukturierten Arbeitshilfe mit dem besonderen Blickwinkel der Vertragsarztpraxis Raum zu geben.
BMVZ-Beitrag v. 23.10.2023
MoPeG ab Januar 2023 in Kraft: Handlungsbedarf für MVZ + BAG durch das neue Gesellschaftsrecht
FAQ der IHK Potsdam
Die GbR wird modernisiert – Was ist zu beachten?
Wissen, was 2024 wichtig ist. | BMVZ LiVE.MEETING – ein interaktives Fortbildungsangebot für Praxis und MVZ
Alle Jahre wieder … kommt im November/Dezember die Zeit, wo in den Praxen und MVZ die strategische Planung für das nächste Jahr gemacht wird. Im Blickpunkt stehen vor allem die Fragen, was vom Gesetzgeber erwartet werden muss, wie sich der Honorarrahmen entwickelt und allgemein, wie die Rahmenbedingungen sich verändern werden. Deshalb wollen wir mit einem Online-Arbeitstreffen am Montag, den 4. Dezember, den Schwerpunkt genau auf diese unmittelbar praktischen Aspekte des MVZ-Betriebes legen und beleuchten, was dabei 2024 strategisch wichtig wird. Wir laden ein zu einem zweistündigen interaktiven Fachgespräch rund um die Fragen, die für MVZ und BAG im Arbeitsalltag praktisch relevant werden. Direkt im Anschluss sind zudem zwei Vertiefungssessions zu den Organisationsaspekten rund ums eRezept sowie zur Honorarthematik geplant.
Das Format ist dem Grunde nach eine moderierte Videokonferenz, bei der alle Experten gemeinsam vor Ort beim BMVZ agieren und in die Sie digital Ihre Fragen und Anmerkungen direkt und konkret einbringen können + sollen. Was bewegt Sie? Was wollen Sie wissen? Wo haben Sie vielleicht eine Verständnisfrage? Die Leitung des Arbeitstreffens übernimmt ein MVZ-erfahrenes Moderations-Tandem, das vor allem darauf achtet, dass die Experten immer schön ‚praktisch‘ bleiben.
| Mischen Sie sich ein. Dabei sein macht schlau!
Veranstaltungsankündigung f. 04.12.2023
BMVZ LiVE.MEETING | Strategisches ‘Mehr-Wissen’ für MVZ
Das MVZ als Politikum | Neue Gutachten – alte Fronten … Wer zuletzt Was und Warum gesagt hat
Pünktlich zu September war auch bei der MVZ-Debatte die Sommerpause vorbei. Und so ging es mit dem in altbekannter Schwarz-Weiß-Manier daherkommenden Schlagabtausch Pro und Kontra Investoren munter weiter. Gleichwohl der BMVZ gerade wegen dieser Wiederholungsschleife ein ‚Neues Denken in der MVZ-Debatte‘ fordert und meint, wer Ärzte als Gründer will, sollte Ärzte auch in den Fokus stellen (Beitrag im Observer Gesundheit v. 22.09.2023). Denn: „Es ist nach 20 Jahren MVZ-Realität an der Zeit, dass § 95 SGB V endlich vom Fokus auf die MVZ-Gründung gelöst und normativ die MVZ-Weitergabe zu einem regulativen Mittelpunkt gemacht wird. Denn werden die Ärzt:innen, die heute bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu tragen, … weiter allein gelassen, braucht sich … niemand wundern, warum fachfremde Investoren so leichtes Spiel haben.“ Aber, wie gesagt, parallel läuft dennoch auch eine ‚Wiederholung des Programms‘ des ersten Halbjahres.
So veröffentlichte die KZBV am 21. September ein neues Gutachten von Prof. Sodan (der bereits zwei für die Zahnärzte verfasst hat), das sich explizit als Gegengutachten zu der vom BBMV (~ mehr über) im Mai 2023 vorgelegten Einschätzung zur Verfassungswidrigkeit vieler Regulierungsvorschläge versteht. Es mag vor diesem Hintergrund kaum überraschen, dass als Fazit gezogen wird, dass die im Mai „von Prof. Burgi vorgetragenen Argumente und Ergebnisse nicht haltbar sind.“ (~ KZBV v. 21.09.2023: Kernaussagen der rechtswissenschaftlichen Stellungnahme | PDF). Zur Erinnerung, im Auftrag des BBMV war Prof. Burgi zu der Erkenntnis gekommen, dass die meisten der „Verbotsvorschläge … an unüberwindbare verfassungs- bzw. europarechtliche Grenzen [stießen].“ (~ zum Gutachten) An dieser Stelle kann also ein Patt festgestellt werden, mit dem die Debatte nicht um einen Zentimeter weiter gekommen ist.
Passend dazu erklärte Lauterbach im Kontext des Apothekentages vom 27. September (~ im Stream nachhörbar | ab 1:28:10) – ebenfalls ohne jeden Neuigkeitswert, dass er u.a. bei den MVZ ‚überzogene Ökonomisierung‘ in Form von Investoren-MVZ erkenne, die ‚mit hohen Gewinnen die Versorgung in der Tendenz verschlechtern‘, was man unterbinden wolle. Das Portal Apotheke Adhoc kommentierte diesen Part lapidar mit den Worten: „Preisschraube bei Generika überdreht, überzogene Ökonomisierung – Krankenhaus, Investoren-MVZ … Lauterbach spult sein Programm runter. Keine Kapitalinteressen bei Praxen, Versandhandel wolle er nicht ausweiten.“ (~ Quelle)
Einen Tag zuvor, am 26. September, gab Prof. Dr. Wigge im Auftrag einer Firma, die selbst Unternehmensbeteiligungen im Gesundheitswesen hält und somit ebenfalls intentional vorbelastet ist, eine Pressekonferenz, die vor kontraproduktiven Einschränkungen bei MVZ-Investoren warnte. Das Gutachten, bzw. die Kurzfassung davon, ist aber insofern relevant, als es sich konkret und hochaktuell an den Forderungen, wie sie vom Bundesrat im Juni 2023 offiziell erhoben wurden, abarbeitet. Es schließt mit der Kritik, dass „soweit in dem Antrag … die Rede davon ist, dass die Vorschläge nicht auf „eine Diskriminierung bestimmter Versorgungsformen“ hinauslaufen, … genau dies zu konstatieren“ sei. Denn „letztendlich [würden die] … aufgestellten Forderungen zur Begrenzung von MVZ zu einer unverhältnismäßigen und einseitigen Einschränkung der Gründungsberechtigung für Krankenhäuser, die einem gesetzlichen Verbot gleichkommen.“
Dieser Befund ist sachlich zu teilen und entspricht in vielen Punkt der Sichtweise, die der BMVZ ebenfalls einnimmt. Womit aber letztlich nur erneut bewiesen wurde, dass es eben primär eine Frage des politischen Willens und Wollens ist, wie das BMG – und mit ihm – die amtierende Regierungskoalition mit der MVZ-Frage umzugehen gedenkt. Nicht ohne Relevanz ist daher, dass Michael Weller, zuständiger Abteilungsleiter im BMG und in der Frage quasi die ‚rechte Hand‘ von Karl Lauterbach am 17. Oktober bei einer Konferenz erklärte: „Wir wissen, dass wir hier verfassungsrechtliche Probleme haben und, dass wir hier berufsrechtliche Probleme haben. Aber wir werden den Rahmen so weit wie möglich ausschöpfen, damit iMVZs so weit wie möglich eingegrenzt werden können.“ (~ Quelle)
Am Ende entscheidet der Gesetzgeber, also das Parlament – und diesem kommen dabei weitreichende Befugnisse zu – den Rechtsrahmen neu zu setzen. Und ob dann jemand dagegen klagen … und möglicherweise Erfolg haben wird, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt. (~ ÄrzteZeitung v. 26.05.2023 | Frau Stauch-Eckmann, werden Ihre Mitglieder gegen neue MVZ-Regeln klagen?) Derzeit gilt, dass die Debatte, was, wann und mit welcher Schärfe an MVZ-Regulation eingezogen werden wird, weiterhin als relativ offen gelten muss.
Medical Tribune v. 17.10.2023
Gutachter warnt vor kontraproduktiven Beschränkungen für MVZ-Investoren
ZWP online (Zahnarzt – Wirtschaft – Praxis) v. 17.10.2023
Gutachten zu investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren
(BMVZ im) Observer Gesundheit v. 22.09.2023
Neu denken in der MVZ-Debatte