Jobticket und Inflationsausgleichsprämie | Mitarbeiterfreundliche Lohngestaltung
In der momentanen Situation aus Inflation, öffentlichkeitswirksamen Tarifverhandlungen und dem grundsätzlichen Fachkräftemangel rückt das Thema der Mitarbeiterbindung noch stärker in den Fokus. Es käme – gelinde ausgedrückt – unerwartet, wenn dem ambulanten Sektor plötzlich Steigerungen der Vergütung im zweistelligen Prozentbereich zugestanden würden, die eine Lohnerhöhung – wie in anderen Branchen kürzlich geschehen – erlauben würden. Potentielle Anreize für Mitarbeitende gibt es dennoch. So wird momentan die Jobticket-Variante des 49-€-Tickets heiß umworben, was auch dem ein oder anderen Mitarbeiter nicht entgangen sein dürfte. Auch die steuer- und SV-Abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie ist für MVZ und Praxis nach wie vor eine Gestaltungsalternative. Beides soll im Folgenden kurz beleuchtet werden:
Das Jobticket, im Sinne einer Direktübernahme von (anteiligen) ÖPNV-Kosten durch den Arbeitgeber, wird bereits seit Januar 2019 vom Staat gefördert (~ grundlegende Informationen), erfährt aber im Kontext des zum 1. Mai 2023 eingeführten Deutschlandtickets eine neue Aufmerksamkeit. Bis Ende 2024 gibt es für dieses Ticket von den Ländern einen Zuschuss von 5 % zur Arbeitgeberbeteiligung, die im Minimum 12,25 € im Monat betragen muss, um eben diese 2,45 € zusätzlichen Rabatt zu erhalten. So verbliebe ein zu zahlender Anteil des Arbeitnehmers von nur noch 34,30 € (~ PDF der DB: Der beste Weg zur Arbeit). Damit fiele der Arbeitgeberzuschuss unter die magische Freigrenze von derzeit 50 €. Allerdings ist relevant zu erwähnen, dass nicht nur der Rabatt zeitlich befristet ist, sondern dass auch der Preis des Deutschlandtickets keineswegs fix ist. Bereits 2024 werden die Kosten „dynamisiert“, politisch debattiert wird auch schon ein früherer Zeitpunkt. Dies sollte bei einer Gewährung vom Arbeitgeber berücksichtigt werden.
Eine Steuerberaterin weist ferner recht spitzfindig darauf hin, dass trotz alledem nicht klar sei, inwiefern das vom Land mit 5 % rabattierte Jobticket von den Mitarbeitenden für Privatfahrten genutzt werden dürfe. Der Beitrag verweist daher als sicherere Variante auf die Bezuschussung über die Lohnabrechnung (~ Medical Tribune v. 21.04.23). Sollte für die Praxis die Übernahme von ÖPNV-Kosten neu in Erwägung gezogen werden, wäre es demnach empfehlenswert, verbindliche Rücksprache mit dem Lohn- oder Steuerbüro zu halten, auch um – jenseits der aktuellen Situation – den Mehrwert für die Arbeitnehmerbindung abschätzen zu können.
Die sogenannte Inflationsausgleichprämie (IAP) ist bis zum 31. Dezember 2024 gültig. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Corona-Prämie, die vom 1.3.2020 bis zum 31.3.2022 durch Arbeitgeber gewährt werden konnte, und auch nicht mit der Sonderprämie, die im Gesundheitswesen als Pflegebonus (§ 3 Absatz 11b EStG) bis 31.12.2022 ausgezahlt werden durfte (~ Ausgabe KW43/2022: Mitarbeiter-Boni | Steuerfreie Prämien Alt & Neu). Die Zahlung erfolgt steuerfrei und es müssen darauf keine Sozialabgaben entrichtet werden – von daher ist sie ein für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer attraktives Lohngestaltungselement. Die Grenze beträgt 3000 Euro, die beliebig gestückelt werden können. Die Firma Lidl hatte etwa 250 Euro an die Mitarbeitenden gezahlt, Aldi hatte drei Monate lang je 50 Euro Gutscheine ausgehändigt (~ Quelle). Die Ausführung ist recht flexibel und kann auch in Sachleistungen erfolgen. Bedingung ist jedoch, dass die Geldleistung zusätzlich zum vereinbarten Gehalt erfolgt. Zudem sollte bei der Zahlung ein entsprechender Hinweis erfolgen, dass sie mit der Inflation in Verbindung steht, also beispielsweise der Ausweis auf der Lohnabrechnung als „Inflationsausgleichsprämie“. Unzulässig sind auch Verrechnungen mit anderen Prämien, Weihnachtszahlungen, Gehaltserhöhungen oder Ähnlichem. Gehen Mitarbeitende mehreren Arbeitsverhältnissen nach, so kann die Prämie jeweils gewährt werden. Dem Arbeitgeber obliegt keine Überprüfungspflicht. Nur eine wiederholte Zahlung beim gleichen Arbeitgeber, jedoch unterschiedlichen aufeinanderfolgenden Verträgen ist ausgeschlossen (~ Frage 8, der unten verlinkten FAQ des BMF).
Relevant für einige MVZ könnte sein, dass es auch möglich ist, die Prämie durch Dritte zu gewähren. Das Bundesfinanzministerium schreibt dazu: „Es wird für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nicht beanstandet, wenn die IAP als Arbeitslohn von dritter Seite, zum Beispiel durch ein verbundenes Unternehmen im Konzern, geleistet wird.“ (~ Frage 8a) Unabhängig von der Höhe der Zahlung bietet es sich auch hier an, Rücksprache mit dem Lohnbüro zu halten. Da diese Maßnahmen außer Konkurrenz zu den aktuell höchst präsenten Tarifstreitigkeiten steht, obliegt es letztendlich wohl der Finesse der Geschäftsführung, die Zuwendungen entsprechend attraktiv zu ‚verkaufen‘.
Bundesministerium der Finanzen (Stand 05.04.2023)
FAQ zur Inflationsausgleichsprämie nach § 3 Nummer 11c Einkommensteuergesetz
ZDF Heute v. 01.04.2023
Deutschland-Abo als Jobticket: 49-Euro-Ticket: Günstiger, wenn Chef mitzieht
Haufe.de v. 28.03.2023
Inflationsausgleichsprämie: Bis zu 3.000 Euro steuerfrei
Gesetzgebung zur elektronischen Arbeitszeiterfassung: Referentenentwurf lässt einige Wünsche und Fragen offen
Einer der primären Wünsche der meisten Arbeitgeber bezüglich des neuen Arbeitszeitgesetzes wäre wohl, dass nicht wieder unzählige Arbeitsstunden in die gesetzeskonforme Erfassung eben jener Zeit eingehen. Für ganz kleine MVZ könnte dieser Wunsch sogar in Erfüllung gehen. Denn, der kürzlich veröffentlichte Referentenentwurf des neuen Arbeitszeitgesetzes (ArbZG-E | Volltext als PDF öffnen), sieht Ausnahmen für Kleinunternehmen vor. Doch das Wichtigste vorweg: 1) Der Entwurf bezieht sich nur auf die elektronische Erfassung. D.h. unverändert muss bereits jetzt aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG v. 13.09.2022) von jedem Betrieb, also auch von Praxen und MVZ, Arbeitszeit und Überstunden für jeden Mitarbeiter gegebenenfalls analog erfasst werden – Arbeitszeiterfassung: Alles was man dazu wissen muss. 2) Dem Entwurf folgt in der Gesetzgebung nun zunächst eine Zeit, in der Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Branchenverbände ihre Stellungnahmen abgeben, woran sich wiederum die parlamentarische Beratung anschließt. Der aktuelle Stand ist also nicht mehr, als eine Aussicht auf die Vorhaben der Regierung. Wenn das Gesetz allerdings beschlossen wird, so gelten die Vorgaben zur digitalen Erfassung mit dem ersten Tag des darauffolgenden Quartals, aber auch hier mit Ausnahmen.
Kern des neuen Entwurfes ist § 16 Absatz 2, nach dem „der Arbeitgeber verpflichtet [ist], Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen.“ Die Erfassung kann auch durch Dritte, oder den Arbeitnehmer selbst geschehen, allerdings verbleibt der Arbeitgeber in jedwedem Fall in der Verantwortung. Nach Arbeitsrechtexperten entsteht durch die Fixierung auf ‚jeweils am Tag der Arbeitsleistung‘ allerdings ein Widerspruch zum geltendem Recht nach dem Mindestlohngesetz (~ Haufe v. 20.04.2023). Gemäß ebendieser Quelle klärt der Referentenentwurf auch nicht befriedigend darüber auf, was mit „Arbeitgeber“ gemeint sei. In der Begründung zum Entwurf heißt es auf Seite 15: „Der Absatz enthält eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung.“ Einen Absatz später ist jedoch von einer Kleinbetriebsklausel die Rede. Meint der Gesetzgeber nun Unternehmen oder Betriebe?
Im Übrigen sieht Haufe.de diese Kleinbetriebsklausel in Korrelation zu § 23 Absatz 1 Satz 3 KSchtG „ohne die anteilige Berücksichtigung von Teilzeitkräften.“ Bis dahingehend Klarheit herrscht, scheint es müßig, auszuloten, ob das MVZ mit x Teilzeitkräften, im Sinne des Gesetzes als Kleinbetrieb gilt. Wäre dem so, gilt die eingangs erwähnte Ausnahmeregel, nach der „ein Arbeitgeber mit bis zu zehn Arbeitnehmern die Arbeitszeit in nichtelektronischer Form aufzeichnen [dürfen soll]“ (§16 Absatz 8 Satz 3 ArbG-E). Im gleichen Absatz sind auch die abweichenden Fristen für Unternehmen ab 250 Arbeitnehmern (2 Jahre nach Inkrafttreten) und 50 Arbeitnehmern (5 Jahre nach Inkrafttreten) beschrieben. Ausnahmen gibt es zudem bei Betriebs- und Tarifvereinbarung (~ § 16 Absatz 7). Hier findet eine mögliche Erfassung binnen sieben Tagen Erwähnung, auch eine Abweichung von der elektronischen Aufzeichnung und die Ausnahme für Arbeitnehmer, „deren besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt“ werden kann. Dies ist insoweit relevant, als dass dies Aufhänger weiterer Ausnahmen werden könnte.
Haufe.de merkt dazu im Fazit an: „Eine großzügigere Herausnahme von bestimmten Arbeitnehmern auch ohne Tarifvertrag wäre wünschenswert.“ In der Tat wäre es darüber hinaus wünschenswert, dass das Ministerium die für die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung veranschlagten 450 € je Betrieb noch einmal hinterfragt und vor allem dann auch die laufenden Kosten mit einberechnet. Die im Entwurf unter Erfüllungsaufwand der Wirtschaft angegebenen Beträge, scheinen doch mehr als unrealistisch. Gerade der Medizinsektor ist bei der Einführung elektronischer Verfahren ja ein gebranntes Kind und eine halbwegs belastbare Abschätzung der finanziellen Konsequenzen wäre zumindest ‚fair‘.
Ärztenachrichtendienst v. 21.04.2023
So will die Ampel die Arbeitszeiterfassung durchsetzen
Personalwirtschaft.de v. 20.04.2023
Arbeitszeiterfassung: Details zum BMAS-Gesetzesentwurf bekannt geworden
Bundesrechtsanwaltskammer v. 24.04.2023
BMAS legt Referentenentwurf für geändertes Arbeitszeitgesetz vor
Bisherige Erfahrungen zum eRezept | Potenziale und Perspektiven
Nach wie vor gibt es viele Unsicherheiten rund um die Einführung des e-Rezeptes und die Auswirkungen auf den Praxisalltag. In unserer Praxis.Kompakt-Ausgabe der KW13 sind wir auf die Zeithorizonte für die geplante Umsetzung das eRezeptes (Januar 2024) und der elektronischen Patientenakte (Januar 2025) eingegangen. Ferner haben wir auf den Umfang der geplanten Reformen verwiesen (~ zum Artikel: Digitalstrategie des BMG). Quasi als Addendum ist die nachfolgende Zusammenfassung einer ‚Wortmeldung‘ des Geschäftsbereichsleiters IT & E-Health der KVWL zu verstehen. Dieser hatte im Podcast der ÄrzteZeitung Ende April die Planungen der KVWL zum Thema e-Rezept erörtert.
Zur Erinnerung: Die KVWL ist eine der Regionen, die am eRezept Rollout partizipier(t)en. An dem Einführungsversuch waren rund 250 Praxen beteiligt. Allerdings war nach dem Start im September 2021, dann etwas mehr als ein Jahr später, schon wieder Schluss. So zumindest der wahrgenommene Tenor. Denn zwar hatte die KVWL am 3.11.2022 das vorzeitige Pausieren des Rollout-Prozesses bekannt gegeben, allerdings führten zahlreiche Praxen die Erprobung weiter durch. Nur die zusätzliche Akquise wurde eingestellt. Der Auslöser war – bekanntermaßen – die Kritik am gewählten Rezeptübermittlungsweg durch den Bundesdatenschutzbeauftragten.
Zusammengefasst dreht sich das unten verlinkte Interview um die Erfahrungen der im Prozess verbliebenen Praxen und um die Aussicht, das Rollout-Verfahren wiederaufzunehmen. Zum ersten Punkt gibt der IT-Beauftragte an, dass viele Praxen durchaus gute Erfahrungen gemacht hätten. Für eine Fortsetzung des Rollout-Prozesses nennt er als Voraussetzung, dass der elektronische Übertragungsweg soweit sichergestellt sein müsse, dass die Apothekenverwaltungssysteme eine Patientenidentifikation über das Einstecken der e-GK ermöglichen. Mit der Wiederaufnahme, voraussichtlich im dritten oder vierten Quartal dieses Jahres, werde dann zunächst begutachtet, ob der „Reifegrad der Praxisverwaltungssysteme“ ausreichend sei. Allerdings weist KV-Mann Scholz auch darauf hin, dass keineswegs eine komplette Umstellung weg vom Muster 16 geplant sei. Vielmehr soll eine „Parallelität der Wege“ gewährleistet bleiben. Zum einen für Patienten, die auf das Papier bestehen, zum anderen als Ausfallsicherheit, falls die TI nicht funktioniert.
Ob der Januar 2024 als Termin gehalten werden kann, um das eRezept dann tatsächlich abschließend einzuführen, kann zurzeit wahrscheinlich niemand bindend äußern. Abschließend gefragt zur Einführung der ePA, teilt Herr Scholz im weitesten Sinne die Ansicht der Geschäftsführerin des BMVZ, Susanne Müller, die bereits im Januar den zeitlichen Zielvorgaben in einem Interview mit Skepsis begegnet ist (~ zum Podcast #EinBlick Nr. 161 v. 25.01.2023). Es bleibt dahingehend abzuwarten, wie die KVWL – aber auch die anderen KVen – bei der Wiederaufnahme des Rollout-Prozesses das Erwartungsmanagement mitgestalten, um berechtigte Zweifel von Seiten der Praxen nicht in Widerstand umschlagen zu lassen.
Wie sich bei all dem die Patienten-Kommunikation gestaltet, steht auf einem ganz anderen Blatt. Denn Scholz macht im Ärzte-Podcast klar, dass es nicht das Ziel sein kann, die Aufklärung über die diversen Digitalisierungswerkzeuge am Praxistresen abzuwickeln. Allerdings hatte ausgerechnet die BMG-Digitalisierungschefin Ozegowski auf der DMEA konstatiert, dass sie gerade die Kassen und Ärzte in der Verantwortung sieht: „Wir versuchen sehr stark über die Ärzteschaft zu informieren. Auch die KBV ist in der Pflicht zu informieren. Ich hoffe, dass das Verfahren sich selbst erklärt, weil es so einfach ist“ (~ Quelle). In Ccnclusio haben die bisherigen Erfahrungen der KVWL also durchaus Potenziale des eRezeptes aufgezeigt, die auch genutzt werden. Ab dem dritten, respektive vierten Quartal 2023, wird es aber auch um die Erprobung einer entsprechenden Kommunikationsstrategie gehen müssen, sowohl gegenüber der Ärzteschaft als auch gegenüber den Patienten.
Apotheke Adhoc v. 03.05.2023
Digitalisierung: Apotheken sehen Chancen und haben Nachholbedarf
Podcast der ÄrzteZeitung v. 26.04.2023
E-Rezept-Test bis Anfang 2024 – reicht die Zeit, Jakob Scholz?
MFA-Mangel | Quereinsteiger am Praxistresen: Potential oder Risiko?
Der Fachkräftemangel ist überall spürbar und Praxen konkurrieren bereits jetzt um gute und engagierte Mitarbeitende. Diese entscheiden im Endeffekt mit ihren Füßen, was laut Zi-MVZ Panel in 2021 zu einer vergleichsweise hohen Fluktuation bei den MFA führte, die zudem für nicht wenige MVZ eine Negativbilanz ausweist, sprich es gehen dort mehr MFA, als neu hinzukommen (~ Berichtsband zum Zi-MVZ-Panel 2020 | im PDF Seite 21f). Natürlich hat diese Frage aber eine starke Stadt-Land-Komponente – dennoch gab mit 75 % die große Mehrheit der MVZ an, Nachbesetzungsprobleme beim nicht-ärztlichen Personal zu haben. Umso mehr ist die Frage relevant, wie zum Beispiel Berufsumsteiger in die Arztpraxis sinnvoll integriert werden können.
Die Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe (~ mehr zum vmf als Gewerkschaft) hat gerade dazu allerdings kürzlich Zweifel angemeldet. Mit Blick auf die Tätigkeiten, die eine, nicht durch eine MFA-Ausbildung qualifizierte Kraft leisten könne, gab sie zu bedenken, dass sowohl am Tresen als auch „am Telefon sehr häufig eine Triage erfolgt, also Patienten gezielt nach ihren Beschwerden gefragt werden, um die Termine nach Bedarf zu vergeben.“ Als typische Fehlerquelle sieht sie auch das Ausstellen von Wiederholungsrezepten, das oft vom Tresenpersonal gesteuert wird. Im Weiteren verweist sie auf Probleme bei der gerechten Entlohnung, da „die Einstiegsgehälter der MFA … nur knapp über 2200 Euro und damit nur wenig über dem gesetzlichen Mindestlohn [liegen].“ Dies dürfte Quereinsteigern aus anderen Berufen oft nicht reichen – da selbst Lebensmitteldiscounter ihre Verkäufer:innen besser bezahlen. Anderseits kommt für Praxen, die an den MFA-Tarif gebunden sind, für nicht gesondert fortgebildete Einsteiger eben nur die Einstufung in die Tätigkeitsgruppe 1 in Frage. Schlussfolgernd fordert die vmf-Präsidentin König die Arztverbände auf, die Nachqualifikation stärker in den Fokus zu nehmen.
Zu der vom vmf geforderten Nachqualifikation gibt es einige Pilotprojekte, wie „Quereinsteiger*innen in Arztpraxen“ in Regensburg, in dem Praxis-Grundlagen vermittelt werden, aber bisher keine bundesweiten Strategien. Summa summarum deutet sich hier von Seiten der Interessenvertretung der MFA eine Bestrebung an, deren Tragweite momentan nicht absehbar ist, die aber durchaus Konsequenzen auf die Personalgewinnungsstrategien haben könnte, wenn beispielsweise eine zeitlich befristete Nachqualifikation irgendwann verpflichtend werden würde.
Exkurs Tarifvertrag MFA:
Der MFA-Tarif ist ein ‘Angebot’, dem sich Arztpraxen freiwillig unterwerfen können, um ihre Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. 2021 zahlten 31 Prozent der Praxen übertariflich, 53 Prozent waren freiwillig an den Tarif angelehnt (~ Quelle: Personalsituation in Praxen der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Versorgung | Zi Paper, v.03.08.2021 – PDF | 62 Seiten). Die Bindung erfolgt mit der Mitgliedschaft bei der ‚AAA-Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten‘ (~ mehr zur AAA) oder über eine Selbstverpflichtung im Arbeitsvertrag. Grundsätzlich gibt es in der ambulanten Versorgung jedoch keine Tarifbindung – gleichzeitig gibt es bei großen MVZ-Trägern auch Haustarifverträge. Grundkenntnisse über den MFA-Manteltarifvertrag sollte aber jede/r MVZ-Verantwortliche dennoch haben – und wenn es nur darum geht, sich gegenüber den Mitbewerbern abzugrenzen. Eine übersichtliche Einführung inklusive Abruf der Verträge bietet der Virchow Bund (~ direkt zu).
Ärztenachrichtendienst v. 06.03.2023
Quereinsteiger in Arztpraxen: Eine umstrittene, aber häufig einzige Lösung
Praktisch Arzt v. 04.01.2023
Umfrage: Auch in MVZ wird der Fachkräftemangel zunehmend spürbar
Digitalstrategie des BMG | Lauterbach strebt wesentliche konkrete Fortschritte bis 2025 an
Angekündigt eigentlich erst für April 2023 wurde vom Bundesgesundheitsministerium am 9. März vorfristig die Digitalisierungsstrategie für die nächsten Jahre vorgestellt. Basis war ein öffentlicher Beteiligungsprozess, der im Herbst 2022 gestartet worden war. Ergebnis ist eine 44-seitige Broschüre, die durchaus ambitioniert darstellt, was das BMG im Bereich digitalisierte Gesundheit und Pflege erreichen und umsetzen möchte. Kritiker, wie die KVen, monierten sofort, dass viele Fragen der konkreten Ausgestaltung der zahlreichen Digitalisierungsvorhaben offenbleiben (~ Lob und Kritik für Lauterbachs Digitalstrategie | Digitalisierungspläne des BMG: KV RLP sieht viele Fragen ungeklärt). Und tatsächlich handelt es sich um ein übergeordnetes Papier, das zunächst einmal eine allgemeine Vision entwickelt sowie ein Zielbild aufzeigt, wo die Reise überhaupt hingehen soll.
Klar wird dabei, dass Lauterbach plant, in den zentralen Punkten der patientenorientierten Anwendungen wie ePA, eRezept und Telemedizin noch in der laufenden Legislatur ‘zu Potte zu kommen’. Das erklärt die engen Fristsetzungen für eRezept (Januar 2024) und Patientenakte (Januar 2025). Gleichzeitig müssen alle, die genau dazu konkrete Antworten suchen, wie bekannte Umsetzungshürden angegangen werden sollen, auf die parallel angekündigten Gesetzesentwürfe warten. Die Rede ist von einem Digitalgesetz sowie einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Beide sollen zeitnah, “in den nächsten Wochen” vorgelegt werden. Eine defätistische Haltung könne man sich nicht leisten – “Wir machen große gute Gesetze” sagte Lauterbach bei der Vorstellung wörtlich (~ Quelle).
In der Berichterstattung wurde zu dem Papier bisher meist einengend über die ePA oder das eRezept berichtet. Tatsächlich wird aber wirklich eine umfassende Vision vorgestellt und jeweils kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen abgeleitet, bzw. angekündigt. Zum Beispiel soll kurzfristig die 30%-Grenze für Leistungen, die von Vertragsärzt:innen via Videosprechstunde erbracht werden, entfallen und mittelfristig vor allem auf dem Land Möglichkeiten zur ‘assistierten Telemedizinnutzung’ geschaffen werden, um gerade auch Patientengruppen, die nicht so technikaffin sind, den Zugang zu schwer erreichbaren Experten zu ermöglichen. Als ‘Assistenten’ werden Gesundheitskioske und Apotheken benannt. Auch soll das Innovationsfondskonstrukt verstetigt werden, um weiterhin kreative Lösungsansätze auf Nutzbarkeit für die Regelversorgung testen zu können. Ebenfalls kurzfristig wird zudem die Konzentration auf die Evolution der DMPs zu d(igitalisierten)DMPs fokussiert. Dabei geht es um digital unterstützte, integrierte Versorgungspfade. Die Wortwahl dDMP ist jedoch vermutlich etwas bürokratisch und unglücklich gewählt – der Autor von eHealth.com jedenfalls hat sofort eDMPs daraus gemacht. Inhaltlich sollen für diese modernisierten DMPs priorisiert MIOs – also Anwendungen mit unmittelbarem Patientennutzen wie Medikationsplan, Impfpass, etc. – entwickelt, bzw. weiterentwickelt werden. Begleitend sollen mittelfristig sämtliche Leistungserbringer zur Anbindung an die TI verpflichtet werden.
Allen, die für ihr Unternehmen strategische Entscheidungen mit Blick auf die Digitalisierung treffen müssen, sei die Lektüre der Original-BMG-Veröffentlichung empfohlen. Sieht man über das übliche und wohl notwendige Politik-Blabla hinweg, bekommt man schnell und konkret einen Überblick, welche Handlungsfelder sich das BMG vorgenommen hat und, wo mit Auswirkungen auf den eigenen Bereich gerechnet werden muss. Die bisherige Berichterstattung, die auch Grundlage für die Kurzdarstellung ist, die Sie gerade lesen, wird der Komplexität und Vielschichtigkeit der vorgestellten Pläne – jedenfalls bis dato – nicht gerecht. Erwähnenswerte Ausnahme ist die Darstellung im gedruckten Ärzteblatt v. 17. März (~ PDF öffnen).
eHealth.com v. 15.03.2023
Habemus E-Health-Strategie
FAZ v. 09.03.2023 / Vollveröffentlichung durch das BMG
Lauterbach im Interview mit der FAZ:
“Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern wichtiger Bestandteil moderner Medizin”
BMG zur Digitalisierungsstrategie v. 09.03.2023
allgemeine Informationen | Pressemitteilung | Gemeinsam digital – Download als PDF (Broschüre – 44 Seiten)
Krawall am Praxistresen | Von umherfliegende Rollatoren und stillen Alarmen
Die ÄrzteZeitung hat in einem aktuellen Beitrag gemeinsam mit einem Kriminalhauptkommissar, der Praxisteams zur Gewaltprävention berät, das wachsende Problem der schwierigen oder gar gewalttätigen Patienten in den Fokus genommen. Das Thema ist längst als ‚Mainstream‘ in allen Praxen und MVZ angekommen, allerdings gibt es nach wie vor keine verlässlichen Zahlen zum Umfang von verbalen und körperlichen Übergriffen in ambulanten Praxen. Nach einem Artikel von hausarzt.digtial vom 20. März hatte der Verband der medizinischen Fachberufe (vmf) zwar eine Studie angeregt, zu der allerdings noch keine Ergebnisse vorliegen. In dem Artikel heißt es ferner: „Der Gesetzgeber in Deutschland habe mittlerweile reagiert und das Strafrecht verschärft, sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt damals. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es mittlerweile Fortbildungen auch zur Selbstverteidigung.“ (~ zum Artikel)
Dass es nicht zielführend sein kann, zukünftige Stellenausschreibungen für MFA mit dem Zusatz „Einzelkämpferausbildung erwünscht“ zu ergänzen, liegt wohl auf der Hand. Umso mehr rückt ein ganzheitlicher Ansatz in der Praxisorganisation in den Mittelpunkt. Der eingangs erwähnte ÄZ-Beitrag legt ein besonderes Augenmerk auf die Prävention. Vom freundlichen Umgangston seitens der MFA, bis zum Vermeiden von Gegenständen, die im Tresen-Bereich als „Waffen“ dienen könnten. Auch die Option eines stillen Alarms wird erwähnt. „Um es gar nicht erst eskalieren zu lassen, empfiehlt der Experte, das eigene Verhalten zu überdenken. Bestimmte Verhaltensweisen, die uns selbst nicht bewusst sind, können … Aggressionen befördern.“ Worauf der Artikel nicht eingeht, ist ein vermeintliches und trügerisches Sicherheitsgefühl, wenn Maßnahmen nicht mit der entsprechenden Achtsamkeitsschulung einhergehen. Das gilt im Übrigen für die Mitarbeiter – und hier passt der sprachliche Vergleich – an der Front, aber auch für die Vorgesetzten.
Konzeptionelle, teambasierte Präventionsmaßnahmen, Teamgespräche, Rollenspiele, Achtsamkeitstraining und Selbstverteidigung für das Personal sind zwar nicht im EBM bedacht, dennoch scheint es erwägenswert, wie kostenintensiv die Neubesetzung von Stellen sein kann, wenn Mitarbeitende aufgrund mangelnder Unterstützung bei diesem Thema das Weite suchen. Ohne Frage bleibt es ein Balanceakt, die wertvolle Weiterbildungszeit hier pointiert einzusetzen. Sollten sich derartige Vorfälle ereignen, ist zudem die Nachbereitung für betroffenen Angestellten essenziell. Eine Studie aus dem Jahr 2020, in der die Gewalt in Pflegeberufen beobachtet wurde, zählt zahlreiche „organisatorische Probleme bei der Einrichtung eines Erstbetreuungssystems“ auf. Darunter fallen unter anderem die „mangelnde Unterstützung der Thematik durch Vorgesetzte“ und eine unzureichende Strukturierung und Erreichbarkeit der Ersthilfe. Anteilig lassen sich die Erkenntnisse sicher auch auf MVZ übertragen.
ÄrzteZeitung v. 09.05.2023
Deeskalation in der Praxis: Ein Hauptkommissar gibt Praxisteams Tipps
Südkurier v. 20.03.2023
Der wütende Patient – Aggressionen in Praxen nehmen zu
Virchow Bund v. 05.08.2019
Gewaltprävention: So gehen Sie mit aggressiven Patienten um