Die ambulante Versorgung braucht Strukturtransparenz

WORUM ES GEHT

Pressemitteilung
O-Ton Peter Velling
Fakten | Strukturverteilung
O-Ton Susanne Müller

Das Vorhaben, das Arztregister um Strukturdaten zu erweitern, muss endlich umgesetzt werden.

Seit 22 Monaten schlummert das Entbürokratisierungsprojekt Zahnärzte-/Ärzte-ZV in den Schubladen des BMG, obwohl in dem Verordnungsentwurf neben dem Ziel, Strukturtransparenz zu schaffen, auch zahlreiche weitere und wichtige Maßnahmen, das KV-System zu entlasten, enthalten sind. Warum diese eigentlich fertige Verordnung nicht weiter bearbeitet und beschlossen wird, erschließt sich uns nicht.

Wir fordern daher das BMG auf, dieses im Wesentlichen fertige, weitgehend kostenneutrale und von allen Seiten begrüßte Projekt mit Priorität weiterzuverfolgen und zeitnah in Kraft zu setzen.

Modernisierung der Zulassungsverordnung (Ärzte-/Zahnärzte-ZV) | Hintergrund

Bereits im November 2022 hat das BMG einen detaillierten Entwurf zur Überarbeitung der Ärzte-, bzw. Zahnärzte-ZV veröffentlicht. Eines der enthaltenen Regulierungsvorhaben: die Modernisierung des Registerwesens in der vertragsärztlichen Versorgung. Dadurch würde u.a. im MVZ-Bereich ein Vielfaches an systematischer Transparenz geschaffen und eine der Hauptforderungen der MVZ-Investorendebatte erfüllt.

Obwohl damals ein Stellungnahmeverfahren der Fachverbände durchgeführt wurde, ist im Anschluss nichts weiter passiert. Die so wichtige Ärzte-/Zahnärzte-ZV-Modernisierung ist vielmehr ‘der Priorisierung’ anderer Vorhaben des BMG zum Opfer gefallen: “Wie ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) dem Deutschen Ärzteblatt mitteilte, wird sich die entsprechende Verordnung „aus Gründen der Aufgabenpriorisierung zeitlich strecken.“

Novellierung der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte verzögert sich | Dt. Ärzteblatt v. 14.10.2024

Bundesgesundheitsministerium will Zulassungsverordnung für Vertragsärzte modernisieren | Dt. Ärzteblatt v. 15.11.2022

PRESSEMITTEILUNG

Die MVZ-Debatte lebt an vielen Stellen von gefühlten Wahrheiten. Allerdings gilt dasselbe auch für alle anderen Fragen der vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen. Es gibt in Deutschland kein systematisch abrufbares Wissen dazu, wie viele üBAG bestehen und welche Größe sie haben, oder dazu, wie viel Versorgungsumfang das durchschnittliche MVZ hat, wie Nebenbetriebstätten organisiert sind, oder darüber, dass in mehreren tausend Einzelpraxen zusätzlich Ärzte angestellt sind. Es gibt zwar immer wieder Auswertungen von KZBV, KBV oder einzelnen K(Z)Ven zu konkreten Detailaspekten – ein systematischer Ansatz, Vergleichbarkeit, oder die Option, Zeitreihen zu bilden, besteht jedoch nicht.

Das hat auch damit zu tun, dass die Vorschriften zum vertragsärztlichen Registerwesen auf Regeln des vorigen Jahrhunderts beruhen, die weder die digitalen Möglichkeiten berücksichtigen, noch Antworten auf Fragen bieten, die heutzutage relevant sind. Vor diesem Hintergrund wurde die BMG-Initiative, die bestehenden Register der angestellten sowie der ermächtigten Ärzte mit dem Arztregister zu verschmelzen und gleichzeitig für jede Betriebsstätte weiterführende Strukturdaten aufzunehmen, von allen Seiten – inklusive der KV-Welt und den Kassen – begrüßt. Mehrwertstiftendes Ziel ist es, die bisherigen Angaben des Arztregisters zu einzelnen LANR gleichförmig über alle K(Z)Ven mit den BSNR-Daten des Leistungsortes, respektive des MVZ zu verknüpfen. Ergebnis wäre bei vergleichsweise geringem Aufwand eine umfassende Transparenz.

Vor diesem Hintergrund fordern wir das BMG auf, das Modernisierungsprojekt zur (zahn)ärztlichen Zulassungsverordnung endlich zu einem konstruktiven Ende zu bringen. Wir, d.h. Politik und Gesellschaft, brauchen Strukturtransparenz als Basis aller weiteren Reformbemühungen.

Der BMVZ steht mit sehr konkreten und konstruktiven Ideen für die weiterführende Debatte als Ansprechpartner bereit. Zur besonderen Frage der Transparenz verschachtelter Trägerstrukturen bei MVZ verweisen wir auf unsere Pressemitteilung vom 27. März 2023.

BMVZ-Pressemitteilung
vom 04.11.2024 | PDF öffnen
Grafiken + Fakten
zur Strukturverteilung

O-Ton | Dr. Peter Velling

Politische Entscheidungen sollten auf gesichertem Wissen basieren. Derzeit wird jedoch der im ambulanten Registerwesen vorhandene Strukturdatenschatz nicht ansatzweise genutzt. Beispielhaft für daraus resultierende Fehlentscheidungen ist eine Politik, die von der Annahme lebt, dass MVZ in großer Zahl und häufig als große Strukturen die Versorgung zu dominieren drohen.

Fakt ist aber, dass 54 % aller MVZ als keinteilige Struktur lediglich mit zwei bis vier Ärzten arbeiten und damit eher der klassischen Gemeinschaftspraxen (BAG) gleichen. Gleichzeitig gibt es 2.455 BAG und Einzelpraxen, in denen fünf und mehr Ärzt:innen tätig sind, die also als Großpraxis gelten. Jeder zehnte dieser BAG-Standorte weist sogar zweistellige Arztzahlen auf.

Dr. med. Peter Velling,
Vorstandsvorsitzender des BMVZ e.V.

FAKTEN | GRÖßE + RECHTSFORM

Eine auf BMVZ-Anfrage von der KBV erstellte Auswertung ergab, dass zum Jahresende 2023 von 104 Tausend vertragsärztlichen Hauptbetriebsstätten 4.791 (= 4,6 %) mit 5 und mehr Ärzten tätig sind.
Anders als die gängigen Schubladen dies vermuten lassen, agiert weniger als die Hälfte dieser Standorte als MVZ. Vielmehr sind bundesweit 51 % dieser Praxen eine BAG oder üBAG, oder sogar eine Einzelpraxis.
Tatsächlich gibt es bundesweit 365 Einzelpraxen, die unter die gängige Definition einer Großpraxis fallen. Dabei handelt es sich um Praxisinhaber:innen, die in eigener Niederlassug mit vier weiteren, angestellten Ärzten tätig sind.
Bezieht man die Strukturdaten auf Personen, sind 39,7 % aller Ärzte/PPs in Einzelpraxis tätig, weitere 38,7 % in Konstellationen aus zwei bis vier Leistungs-erbringern, während gleichzeitig mehr als jeder fünfte ambulante Arzt/PP (21,5 %) in einer Großpraxisstruktur (Standort ≥ fünf Köpfe) arbeitet.

Grafiken + Fakten zur Strukturverteilung / Download PDF

Große Unterschiede bei der Häufigkeit von Großpraxen gibt es zwischen ärztlichen und psychotherapeutischen Fachrichtungen. Letztere arbeiten zu 92 % in Einzelniederlassung und weitere 7,4 % mit zwei bis vier Therapeuten. Dennoch gibt es auch 107 Psychotherapiepraxen (= 0,4 %), die die Definition einer Großpraxis erfüllen.
Bei den ärztlichen BAG ist genau ein Drittel als klassische Gemeinschaftspraxis mit zwei bis vier Ärzten aufgestellt. 63,4 % sind echte Einzelniederlassungen. 2.348 BAG-Betriebsstätten stellen eine Großpraxis dar, gut jede zehnte davon (=233) sogar mit zweistelligen Arztzahlen.
Den größten Cluster innerhalb der MVZ bilden mit 22,3 % Standorte mit genau zwei Ärzten. Es folgen MVZ mit drei (=17,9 %) und vier (13,4 %) Ärzten. Damit sind knapp 54 % aller MVZ keine Großpraxis.
502 MVZ-Hautbetriebsstätten weisen Arztzahlen zwischen 5 und 9 Köpfen auf, 834 weitere Standorte und damit 16,6 % aller MVZ arbeiten mit zweistelligen Arztzahlen.

Großpraxen in der ambulanten Versorgung – Eine Geschichte voller Mißverständnisse
Beitrag und Aufsatz v. BMVZ-Vorstand R. Hirnstein

O-Ton | Susanne Müller

Um von solchen Trends, wie den aufgezeigten, nicht überascht zu werden, müssen die vorhandenen Zulassungsdaten systematisch und per Zeitreihe auswertbar werden. Basis ist die Verknüpfung all jener Strukturinformationen und Personendaten, die regelhaft beim Zulassungsantrag anzugeben sind, sowie das Einpflegen zulassungsrelevanter Aktualisierungen, die sich im laufenden Betrieb ergeben.

Als positiver Nebeneffekt können derart auch alle Verflechtungen von MVZ-Ketten en detail und jederzeit aktuell überregional sichtbar gemacht werden. Denn Marktverflechtungen von Private-Equity-Akteuren werden bereits auf der ersten Gesellschafterebene, die beim Zulassungsantrag erfasst wird, sichtbar. Hintergund ist, dass je Investor typischerweise ein und dieselbe Klinik, die daher mehrfach als Gesellschafter vermerkt wäre, bundesweit Trägerin für MVZ ist.

Susanne Müller,
Geschäftsführerin des BMVZ e.V.