Es war ein originäres Anliegen von Karl Lauterbach, unnötige Arztbesuche auch dadurch zu vermeiden, dass bei der Chronikerbetreuung die ärztliche Leistungshonorierung von der Quartalslogik entkoppelt wird. Eines seiner ‚Vermächtnisse‘ war daher der Gesetzesbeschluss, mit dem KBV und Kassen verpflichtet wurden, bis 31. August 2025 Regularien für die Neugestaltung der Chronikerpauschale – dann Versorgungspauschale genannt – zu beschließen. Diese Frist ist bekanntermaßen ergebnislos verstrichen. Jüngst gab die KBV zudem bekannt, dass bitte niemand damit rechnen solle, dass hier vor dem zweiten Quartal 2026 etwas Substanzielles passiert, gleichwohl sich die Verhandlungspartner in vielen Punkten bereits angenähert hätten. Der änd nennt dazu in seinem Bericht vom 27. November - als einzige uns bekannte Veröfentlichung - konkrete Details.
Demnach sei man sich einig, dass die Versorgungspauschale nicht – wie von Lauterbach angestrebt – einen Jahreszeitraum umfassen soll, sondern nur sechs Monate, also zwei Quartale. Außerdem scheint absehbar, dass es nur um wenige Patienten mit klar umrissenen, gut händelbaren Krankheiten gehe. Erwähnt werden Hypertonus, Schilddrüsenerkrankungen und Lipidstoffwechselstörungen. „Doch unklar ist noch, ob alle Schilddrüsenerkrankungen dazu zählen sollen, und erst recht, ob weitere Erkrankungen aufgenommen werden sollen. Dafür votieren die Krankenkassen, während die KBV einen möglichst kleinen Diagnosenkranz will.“ Auch alle weiteren Informationen zum Beratungsprozess deuten darauf hin, dass es definitiv nicht den großen Wurf geben wird. Vielmehr diskutieren Kassen und KBV erneut stark bürokratische Regeln, die ohne jede Steuerungsinnovation auskommen und den Hausärzten trotzdem große Anpassungsleistungen abverlangen. Den schwarzen Peter wird dann wieder ‚die Politik‘ zugewiesen bekommen, dabei ist es primär die Selbstverwaltung, die hier aktiv und mit Ansage echte Reformen verhindert.
Um zu verstehen, dass dieses Fazit einer gewissen Zwangsläufigkeit folgt, lohnt ein Blick auf die Zusammenhänge:
Erst knapp dreizehn Monate ist es her, dass die rot-grün-gelbe Ampelregierung ein plötzliches Ende fand, und damit schlagartig auch alle zu dem Zeitpunkt unerledigten Pläne für eine Reform der Hausarztentbudgetierung platzten. Fast noch überraschender war dann allerdings im Januar 2026 die Ankündigung der Rumpfampel, dass ausgerechnet diese Reformelemente doch noch eine Mehrheit fänden und, dass das zusammengestutzte GVSG am 1. März 2026 dann tatsächlich auch in Kraft trat (~ KW 6/2025 Reform der hausärztlichen Honorierung | Zwischen Tatendrang und Komplexitätsproblemen). Damit wurde eine auf insgesamt drei Säulen ruhende Veränderung für den Hausarztbereich angestoßen, für die das Gesetz ausgesprochen kurze Fristen vorsah. Gehalten wurden diese in keinem Fall. Das Element der Entbudgetierung wurde zum 1. Oktober 2026 umgesetzt, hätte von Gesetzes wegen aber schon ab 1. Juli gelten müssen. Die Vorhaltepauschale, die die bisher bedingungslos gezahlte GOP 03040 ersetzt, wird erst mit Jahresbeginn 2026 starten; die quartalsübergreifende Chronikerpauschale dagegen frühestens ab dem zweiten Quartal 2026. Im GVSG war dagegen der 1. Oktober 2025 als Startpunkt vorgesehen.
Dass sich dabei wenig Protest gegen die langen Umsetzungszeiten regt, hat nicht nur mit dem zwischenzeitlichen Regierungswechsel zu tun, sondern liegt auch daran, dass allen Beteiligten klar ist, wie komplex und teils unüberschaubar die Folgen der Änderungen sind. Darum sind nicht wenige betroffene Akteure - auch auf den Entscheiderebenen - alles andere als unglücklich, dass die Änderungen noch auf sich warten lassen. Zumal die Anpassungen bei den Honorarpauschalen für die Strukturvorhaltung und die Chronikerbetreuung explizit ausgabenneutral erfolgen müssen. Dies bedeutet, dass bestimmte Praxen und MVZ künftig mehr Honorar erhalten und es – im Umkehrschluss – auch Honorarverlierer geben wird. Ein Albtraumszenario für die KBV, die in den Verhandlungen daher mit dem Credo angetreten ist, die Honorarverwerfungen durch die Änderungen möglichst gering zu halten. Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu verständlich, dass KBV-seitig der Fokus vor allem auf die Entbudgetierung gelegt wurde, von der eine echte Steigerung des Honorarvolumens um insgesamt 400 – 500 Millionen Euro erwartet wird.
Für die beiden anderen Säulen war, bzw. ist es dagegen fast eine zwangsläufige Folge dieser KBV-Taktik, dass ein Bürokratiemonster entsteht, das die vom Gesetzgeber beabsichtigten Umverteilungseffekte gezielt unterläuft. An der Vorhaltepauschale, deren Umsetzungsdetails seit August 2025 bekannt sind, lässt sich das gut und exemplarisch ablesen. Entsprechend titelten wir in der Ausgabe KW 34: Neuregelung der Vorhaltepauschale ab Januar 2026 | Minimales Ergebnis bei maximalem Aufwand. Andererseits ließen sich wiederum unmöglich alle Steuerungseffekte unterlaufen, weshalb der Virchowbund aktuell zu folgendem – durchaus zutreffenden – Fazit kommt: „Die Vorhaltepauschale wird die Organisation der hausärztlichen Versorgung verändern. Sie lenkt die Praxen in eine bestimmte Richtung, hin zu mehr Struktur, Kooperation und Dokumentation. Für manche könne das eine Chance sein, für andere ein erheblicher Kraftakt.“ (~ Quelle änd v. 23.11.2025) ‚Manche‘ und ‚andere‘ meint hier: Größere Praxen und Kooperationsstrukturen sind im Vorteil, kleine Einzelpraxen werden sich dagegen mehr strecken müssen. Das hat damit zu tun, dass einige der zehn Kriterien, an deren Erfüllung sich die Höhe der neuen Vorhaltepausale bemisst, struktureller Natur sind, sich also leichter in fallzahlstarken Praxen realisieren lassen. Wenn also – hier nur als Beispiel angeführt – die KV Nordrhein mitteilt, dass über 80% aller Hausarztpraxen die erforderlichen zwei Kriterien erfüllen, um den 10-Punkte-Aufschlag 03041 (und damit ab Januar dieselbe Pauschalenhöhe wie bisher) zu erreichen, während weitere „vier Prozent … acht und mehr Kriterien [erfüllen] und damit künftig einen 30-Punkte-Zuschlag nach der GOP 03042 erhalten [würden],“ (~ Quelle) ist klar, dass sich in den 4% vorrangig MVZ und BAGs verbergen. Weitergedacht bedeutet dies, dass sich hinter den unerwähnten 16 %, die lediglich die im Vergleich zu jetzt abgesenkte GOP 03040 erhalten werden, überproportional kleine Einzelpraxen verbergen.
Im Kern könnte man also von gewissen Steuerungseffekten sprechen. Diese werden allerdings teuer durch zusätzlichen Dokumentations- und Kontrollaufwand erkauft. Es ist somit – Stand heute – schwer zu glauben, dass dies im Ergebnis der laufenden Beratungen zur Versorgungspauschale anders sein wird.