30. Oktober 2025

Rück-Blick schafft Ein-Blick auf Aus-Blick

SPRUNGLINKS

Klartext
Ärzte-ZV
MVZ-Regulierung
Primärarzt-System
GKV-Wahltarife + Eigenbeteiligung
Abbinder

EIN EHRLICHER DIALOG UND UNVERBLÜMTE AUSSICHTEN

Beim BMVZ PRAKTIKERKONGRESS wurde wieder Klartext gesprochen. Der DNA unserer Veranstaltung folgend, trafen MVZ-Verantwortliche auf die Vertreter der Industrie und tauschten Meinungen, Kritik und Best-Practice-Beispiele aus. Garniert wurde dieser Dialog durch Einblicke der Rechtsexperten zu Themen, wie der Kooperationspauschale und einen Blick der Politikprofis auf die ambulante Versorgungslandschaft von morgen.

Besonders wertgeschätzt wurde nach Aussage vieler Gäste, die Unverblümtheit, mit der Probleme und Herausforderungen angesprochen wurden. Den diversen individuellen Themen können wir uns in dieser Zusammenfassung nicht widmen, aber wir haben politische Kernaussagen zusammengetragen und uns bemüht, den erwähnten unverblümten Duktus in diese Retrospektive zu übertragen.

Während wir die Vorträge der BMVZ-Vorstände Frau Simon und Herrn Dr. Landers gesondert aufgreifen, werfen wir nachfolgend ein Schlaglicht auf den politischen Diskurs zwischen der Geschäftsführerin des BMVZ, Susanne Müller und dem Chef der FALK-KVen, Martin Degenhardt.

KLARTEXT

DIALOG AUF AUGENHÖHE

„Auf dem Kongress des Bundesverbands Medizinischer Versorgungszentren (BMVZ) berichtete Degenhardt aus einer Runde mit Kassenvertretern. In dieser hätten Vertreter der Kassen ‚schamlos gesagt‘, dass Ärztinnen und Ärzte zittern und Angst haben sollten bei Verordnungen.“ (~ ÄrzteZeitung v. 7.10.2025)

Ein ehrlicher Dialog zwischen den beiden Politik-Veteranen Müller und Degenhardt erhielt auch aus der Presselandschaft ein lautes Echo. Moderiert von Dennis Nößler bot das Format eine Bühne für Transparenz, wie sie so oft von Politik und Kassen eingefordert wird. Darum nutzte Degenhardt auch die Gelegenheit, um – im Sinne eben dieser politisch gewollten Transparenz – Einblicke in das GKV-seitige Wertesystem zu geben. Obiges Zitat schaffte es so gleich als einleitender Absatz in die Berichterstattung der ÄrzteZeitung.

Die diskutierten Themen umfassten das Primärarztsystem, mögliche Wahltarife, eine potenzielle MVZ-Regulierung und vieles mehr. Jedem dieser wichtigen Punkte haben wir einen Absatz gewidmet und dazu gegebenenfalls ein Presseecho beigefügt. Letzteres ist ein wichtiger Indikator, denn die Relevanz, die Fachjournalistinnen und Fachjournalisten den Themen beimessen, bestimmt auch die Debatte von morgen.

ÄRZTE-ZV

Beide Diskutanten waren sich einig, dass die längst überfällige Überholung der Ärzte-ZV zu begrüßen sei.

Degenhardt merkte an, dass ihm noch zwei Aspekte fehlen würden: 1.) Eine umfängliche Digitalisierung der Kommunikation zwischen KVen und Mitgliedern, auch um zeiteffizienter zu werden. Aus dem gleichen Grund wünscht sich Degenhardt 2.) eine Regelung, dass bei reinen Zustimmungsverfahren im Zulassungsausschuss keine Sitzungen mehr nötig sind. Das könnte die Prozesse z. B. bei Angestelltenwechsel auf ein bis zwei Monate einkürzen.

Müller unterstützte diese Forderung, verwies aber auf den Fakt, dass die Politik bisher gar nicht zur Kenntnis nehmen würde, dass exorbitante Fristen und Zulassungsprozesse die Versorgung maßgeblich behindern. Die Heterogenität an Regelungen in den KV‑Gebieten erschwere zusätzlich, ein klares Bild des Problems zu zeichnen. Müller betonte den begrüßenswerten Mehrwert, den das Strukturregister schaffen würde, das in der neuen Ärzte-ZVO angedacht ist. Das käme nicht nur der Transparenz zugute, sondern schaffe erstmalig eine statistische und damit auch potenziell normgebende Gleichbehandlung zwischen niedergelassenen und angestellten Ärzten. Zudem ergäbe sich somit endlich eine Basis für eine ehrliche, weil wahrhaftige Debatte. Nun müsse das BMG aber auch liefern.

Der Tagesspiegel-Background nahm das Thema Strukturtransparenz auf:

„Einig sind sich Degenhardt und Müller jedoch in ihrer Forderung nach mehr Transparenz. Das BMG hat bereits einen Zulassungsverordnungsentwurf für Vertragsärzte vorgelegt, mit dem die rechtlichen Vorgaben an die vielfältiger gewordene ambulante Versorgungslandschaft angepasst werden sollen. Vorgesehen ist damit auch ein Transparenzregister. Doch nach dem Stellungnahmeverfahren wurde es erst einmal ruhig um die Verordnung.“ (Tagesspiegel-Background v. 8.10.2025)

MVZ-REGULIERUNG

Als Geschäftsführer der FALK-KVen hatte und hat Martin Degenhardt naturgemäß einen anderen Blickwinkel auf das Thema MVZ- Regulierung. Im Kontext des grundsätzlichen Themas großer kooperativer Strukturen hob er gesondert die Sicherstellungspflichten der KV hervor. Würden große Player in der Versorgung kurzfristig ausscheiden, so müssten die KVen Werkzeuge an die Hand bekommen, um ihrem Sicherstellungsauftrag nachzukommen.

Dieses nachvollziehbare Argument ergänzte Müller mit dem Hinweis, dass beim Blick auf die Abhängigkeit der Versorgung von größeren Playern häufig aber eine Wahrnehmungsverzerrung stattfände. ‚Würden in einem MVZ drei Kinderärzte wegfallen, wäre das ein Thema bei den KVen, nicht aber, wenn innerhalb eines halben Jahres zehn Hausarztpraxen zumachten.‘

Momentan stünde eine MVZ-Regulierung nicht auf der Prioritätenliste des BMG, was aber nicht bedeuten würde, dass solch ein Vorhaben gänzlich vom Tisch wäre, so Müller weiter. Wenn man sich vonseiten des Gesetzgebers aber doch entschlösse, ein Schlaglicht auf die MVZ als Struktur zu werfen, gäbe es ein probates Mittel, mit wenig normativem Konfliktpotenzial, das darüber hinaus breite Anerkennung fände. Müller verwies auf die Übergabeproblematik, deren Lösung im Sinne der Trägerpluralität auch im Interesse der KVen sein sollte.

Der Ärztenachrichtendienst zitierte Müller:

„Wir sollten eher dafür sorgen, dass ärztliche Gründer weniger Schwierigkeiten haben, ihre Einrichtungen zu übergeben“, sagte Müller. Für Krankenhäuser sei das leichter. „Das sieht die Politik aber nicht“, kritisierte Müller. (Appell: „Kooperative Strukturen konsequent mitdenken!“ | änd v. 7.10.2025)

PRIMÄRARZT-SYSTEM

Im Hinblick auf das Primärarztsystem riskierten Müller und Degenhardt einen Blick in die Glaskugel. Die beiden Politikwissenschaftler sind sich in der Bewertung einig, dass eine Durchsetzung des – im Koalitionsvertrag angedachten – Primärarztsystems eine große Herausforderung wird.

Müller hält es für schwierig, der Öffentlichkeit ein verpflichtendes System aufzuerlegen, wenn es als staatliche Sanktionsmaßnahme wahrgenommen wird. Eine umsichtige Kommunikation vonseiten des BMG und eine realistische und faire Ausgestaltung bräuchten Zeit. Eine Umsetzung wäre somit innerhalb dieser Legislaturperiode fragwürdig.

Degenhardt nahm Müllers Bedenken auf und stellte die Frage in den Raum, ob der Koalition noch genügend Mut bleibe, solch ein Vorhaben an die Wähler heranzutragen.

Den Ausführungen von Martin Degenhardt zum Thema räumte der änd gleich mehrere Zeilen ein:

„Die politisch einzig relevante Frage sei, wie groß das Stoppschild für den Patienten sei. Dahinter sortiere sich dann, was innerärztlich diskutiert werde, etwa die Fragen, wer als Primärarzt steuert und wie das Verhältnis von Primär- und weiteren Ärzten gestaltet wird. Er geht davon aus, dass die Debatte um die Einführung eines Primärarztsystems extrem hart wird, „weil wir den Patientinnen und Patienten liebgewordene Dinge, die nicht nötig sind, nicht mehr gewähren“. (Wahltarifdebatte extrem überflüssig | änd v. 7.10.2025)

GKV-WAHLTARIFE UND EIGENBETEILIGUNG

Das Thema wurde nur am Rande gestreift und ist auch der aktuellen politischen Debatte geschuldet, in der eine bessere Patientensteuerung auch im Rahmen eines Eigenanteils diskutiert wird. Sowohl Müller als auch Degenhardt sehen die Hürde bei der Zustimmung der SPD für solch eine Neuauslegung des Bedarfsdeckungsprinzips.

Trotz und vermutlich wegen der vielen Jahre Politikerfahrung sagte Degenhardt: „Mir fehlt die Phantasie, da mit dieser SPD eine Mehrheit zu bekommen.“ Die BMVZ-Geschäftsführerin ließ die Tür einen Spalt weit offen und meinte, dass die Chance bestehe, dass Frau Warken ‚uns überrasche‘.

ABBINDER

Im Nachgang wirkte das Gesagte wie eine ersehnte Bestätigung dessen, was viele vermuteten. Natürlich, weder Degenhardt noch Müller können die Zukunft voraussagen. Aber beide kennen das Getriebe, das die Berliner Gesundheitspolitik antreibt und beide haben aus unterschiedlichen Blickwinkeln Einsichten in die Motivation der Selbstverwaltungspartner. Dass Erkenntnisse wertvoller werden, wenn sie konstruktiv geschliffen sind, ist kein Geheimnis. Und dass der Diskurs zwischen Müller und Degenhardt ein derart breites und positives Echo fand, zeugt in gewisser Hinsicht von der Sehnsucht nach unverblümten Aussagen und realistischen Einschätzungen.

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