Servicewissen Zahnmedizin | Änderungen beim eRezept & Integration der Kleinkindvorsorge ins gelbe Heft
Seit 1. Oktober arbeitet das TI-System beim eRezept mit der Version 1.3.0 – eine Änderung, die sich für viele Praxen vermutlich nicht bemerkbar gemacht hat. Relevante Unterschiede und damit Informations- und Handlungsbedarf ergibt sich auch vorwiegend im Bereich der zahnärztlichen Versorgung. Die KZVen erläutern, dass ab sofort zentrale Angaben wie Wirkstoff oder Darreichungsform nun ausschließlich aus der Pharmazentralnummer (PZN) über die Arzneimittelstammdaten abgeleitet werden. Praxisindividuelle Fertigarzneimittel-Datenbanken im PVS, wie sie bei Zahnärzten häufig zum Einsatz kommen, lassen sich deshalb seit diesem Quartal nicht mehr nutzen. „Für Zahnarztpraxen ohne integrierte Arzneimittel-Datenbank bedeutet das: E-Rezepte können nur noch als Freitext erstellt werden. Alternativ bieten einige PVS-Hersteller kostenpflichtige Module für Arzneimitteldatenbanken an.“ (~ Quelle | gematik: Freitextverordung: So geht es richtig).
Ebenfalls zahnarztspezifisch ist die Änderung zum Jahresanfang 2026, gemäß der künftig die zahnärztliche Prävention bei Kleinkindern im selben gelben Heft dokumentiert wird, wie die U1 bis U9. Das betrifft die sechs zahnärztlichen Untersuchungen, die für alle Kinder im Alter von sechs Monaten bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr von der GKV übernommen werden, und die als Z1 bis Z6 bekannt sind. Pädiater, Gynäkologen und (Kinder-)zahnärzte rücken insoweit zugunsten der gesunden Entwicklung der Kinder informativ zusammen, was angesichts solcher Meldungen mehr als überfällig zu sein scheint: Viele Kleinkinder verpassen Zahnarzt-Vorsorge (ZWP v. 04.09.2025).
Die KZBV informiert bezüglich der praktischen Handhabung weiter: „Bereits verwendete Gelbe Hefte können weiter genutzt werden: Die Eltern erhalten hierfür entsprechende Einlegeblätter von ihre:r Zahnarzt:in. (…) Mittelfristig ist geplant, das Gelbe Heft als Bestandteil der elektronischen Patientenakte insgesamt zu digitalisieren.“ (~ Quelle)
Die PTA v. 30.09.2025
Zahnärzte: Neue eRezept-Version ab Oktober
Apotheke Adhoc v. 08.09.2025
Neue E-Rezept-Version: Vom Zahnarzt nur Freitextverordnung
ZM Online v. 01.06.2025
Die zahnärztliche Früherkennung kommt ins Gelbe Heft
ePA-Pflicht oder was? | Der 1. Oktober als Stichtag, der so richtig keiner ist
Eine Binse als Einstieg: Eine Pflicht, die nicht von validen Sanktionen begleitet wird, ist nicht wirklich eine Pflicht. Oder etwa doch? Genau im Zwiespalt zwischen beiden Auslegungen dürften sich derzeit zahlreiche Leistungserbringer befinden, wenn sie darüber nachdenken, was die ePA-Pflicht, die ohne Frage seit dem Monatsanfang gilt, für ihren Arbeitsalltag bedeutet. Gleichzeitig wird immer wiederholt, dass Praxen und MVZ vor Januar 2026 keine Strafen zu befürchten hätten, für Krankenhäuser liegt der Termin sogar nicht vor April 2026. Für beide Aussagen gibt es zwar keine 1 zu 1 verlässliche Rechtsgrundlage; dennoch dürfen sie als belastbar gelten. Im O-Ton der ARD-Senderfamilie klingt das bspw. so: „In der Einführungsphase bis Ende 2025 gibt es noch keine unmittelbaren Strafen, vor allem wenn technische Module noch nicht geliefert oder eingeführt wurden. Die meisten Kassenärztlichen Vereinigungen kündigen an, die Praxen aktiv auf Defizite hinzuweisen, bevor es zu Kürzungen kommt.“ (~ RBB24 v. 30.09.205) Um welche Pflichten konkret es geht und was man als Verantwortliche in MVZ und Praxis dazu wissen sollte, haben wir pointiert in diesem BMVZ-Artikel aufbereitet: ePA | Praktische Hinweise zur Befüllungs- und Aufklärungspflicht ab 1.Oktober 2025.
Tatsächlich greift die Macht des Faktischen: Zum einen weigern sich die KVen, proaktiv Sanktionen bei ihren Mitgliedern durchzusetzen, zum anderen bezeichnen sich derzeit lediglich 9 % der Kliniken überhaupt als tatsächlich ePA-ready, was mehr meint, als eine ePA einfach anklicken zu können. „Knapp unter 60 Prozent der Einrichtungen gehen derzeit davon aus, dass die ePA erst im ersten Quartal (31 %) oder ab dem zweiten Quartal (27 %) 2026 krankenhausweit eingesetzt werden kann,“ schreibt die Krankenhausgesellschaft (~ DKG zur Einführung der ePA | 03.09.2025). Das bedeutet, den stationären Sektor kann man bei der Betrachtung der ePA getrost erst einmal außen vor lassen. Apotheken und Praxen sind da zumindest technisch schon viel weiter. Schon 2024 lag die Nichtnutzungsquote der TI bei den Arztpraxen bei nur noch 12 % und bei 9 % bei den Apotheken. Während sich bei den Kliniken ganze 65 % zu den Nichtnutzern zählten, die also zwar an die TI angeschlossen waren, aber die Technik nicht im Alltag nutzen. (~ Quelle)
Das aktuellere TI-Dashboard, bei dem man – je Anwendung über das erst bei einem Mouseover erscheinende Hamburger Menü – auch die Detailzahlen aller Wochen seit Mai 2025 aufrufen kann, belegt für die ePA-Anwendung spürbar steigendes Interesse vor allen seit Ende der Sommerferien in allen Segmenten. (~ TI-Dashboard) In der letzten Septemberwoche haben rund 60 % aller Arztpraxen, 45% der Zahnarztpraxen sowie gut 50 % der Apotheken und 43 % der Kliniken aktiv auf mindestens eine ePA zugegriffen. Was – trotz aller öffentlicher Jubelarien – natürlich gar nichts darüber aussagt, ob und inwieweit die ePA tatsächlich in die jeweiligen Betriebsabläufe eingebunden ist oder eben von der Einrichtung nur testweise angeklickt wurde. Auf diese oder jene Weise gilt: Es bleibt viel Luft nach oben, und ‚der Staat‘ respektive das BMG hat gar keine realistische Möglichkeit, Sanktionen für den Fall, dass Leistungserbringer die ePA nicht aktiv nutzen, wirklich durchzusetzen.
Anders sieht das lediglich dann aus, wenn der Anschluss an die TI komplett verweigert wird oder technisch das ePA-Modul fehlt. Das betrifft in der KV-Welt aktuell noch rund 7 % aller Praxen, (~ Pressemeldung der gematik v. 30.09.2025), bzw. rund 20 % aller PVS-Systeme, darunter vor allem solche mit nur zweistelligen oder niedrig dreistelligen Anwenderzahlen. Tatsächlich ist vorgesehen, Praxen von der vertragsärztlichen Versorgung komplett auszuschließen (aka Abrechnungsausschluss), wenn das PVS ab Januar 2026 im technischen Sinne nicht ePA-ready ist. Die offizielle Empfehlung des BMG dazu, formuliert noch in der Ägide Lauterbauch, lautet: ‚Da muss halt das PVS gewechselt werden.‘ KBV-Vorstand Sybille Steiner erklärte diesbezüglich vor Kurzem: „Wir sind dazu im Gespräch mit dem BMG, inwiefern man Übergangsregelungen treffen kann. Zudem gibt es auch den Fall, dass jemand seine Praxis abgeben möchte und daher nicht mehr in das PVS investiert. […] Unser Gesundheitssystem kann es sich nicht leisten, dass Praxen aus solchen Gründen vorzeitig aus der Versorgung ausscheiden.“ (~ Ärzteblatt v. 02.10.2025)
Und in der Tat: Kann man sich das BMG bzw. Ministerin Warken vorstellen, wie sie angesichts der zahlreichen aktuellen, existenziellen Debatten, erklärt, dass 5 – 10 Tausend Arztpraxen (was je nach Zählung 7 % aller BSNR entspricht) ab 1. Januar nicht mehr zu Lasten der GKV-Patienten behandeln dürfen? Oder wie das BMG die K(Z)Ven zwingt, tatsächlich inhaltlich zu prüfen, ob Ärzt:innen in ihren Sprechstunden wirklich ihren ePA-Befüllungspflichten nachkommen? Vielmehr ist anzunehmen, dass darauf gesetzt wird, dass das Projekt, das grundsätzlich ja von vielen Seiten Zuspruch erfährt, Ärzte, Apotheken, Kliniken und nicht zuletzt die Patienten inhaltlich überzeugt. Das setzt einen langen Atem voraus, und natürlich das stabile Funktionieren der zugrundeliegenden Technik.
So gesehen spricht einiges dafür, dass das BMG darauf setzen wird, das ePA-Projekt, statt mit brachialem Zwang eher allmählich durch eine zwingende Mehrwert-Funktionalität in die Betriebsabläufe der Gesundheitsversorgung zu bringen. Dazu beitragen wird sicherlich der eMedikationsplan und die Möglichkeit, BTM- oder OTC-Rezepte darin händisch zu ergänzen. Beides ist für 2026 angekündigt. (~ ePA: Gesellschafter beschließen neue Funktionen) Das BMG selbst flankiert mit weiterer Gesetzgebung: „Wir haben gestern [26.09.2025] den Startschuss für ein dringend notwendiges Update der Digitalisierungsstrategie gegeben. Auf dieser Basis werden wir im kommenden Frühjahr zwei Digitalgesetze vorlegen. Darin werden unter anderem die ePA, die Stabilisierung der technischen Strukturen und die stärkere Digitalisierung in der Versorgung im Zentrum stehen.“ (~ Interview mit Nina Warken) Möglicherweise sind dann auch ein paar Sätze enthalten, die die bisher im SGB V verankerten Fristen und Sanktionen, die teilweise bereits aus der Spahn-Ära stammen, modifizieren.
Ärzteblatt v. 02.10.2025
Interview mit KBV-Vorstand Steiner: „Es braucht jetzt sehr schnell Verbesserungen hinsichtlich der Stabilität der TI“
Heise.de v. 26.09.2025
Elektronische Patientenakte: Nicht alle Praxen bereit, Kliniken noch weniger
Die KVen und ihre Rücklagen | Nach den KVen WLs und Niedersachsens zeigt auch Schleswig-Holstein Probleme an
Dass die GKV insgesamt vor leeren Kassen sitzt, ist ein Allgemeinplatz und hängt vor allem mit der größer werdenden Schere zwischen Beitragseinnahmen einerseits und Leistungsausgaben andererseits zusammen. Dass es aber auch unter den Kassenärztlichen Vereinigungen welche mit relevanten Finanzproblemen gibt, ist eine neue Entwicklung. Und die hängt größtenteils mit – wie sich im Nachhinein herausstellte – riskanten Finanzspekulationen zusammen. Bekannt ist diese Problematik eigentlich bisher nur von diversen heilberuflichen Versorgungswerken (~ Krise bei Versorgungswerken: Auch Hessen und Westfalen-Lippe schreiben ab), die in der langen Phase der Null- oder Negativzinsen der Zehnerjahre Wege suchten, den Wertverlust ihres Anlagevermögens zu verhindern. Die erste KV, die auf diese Art Schlagzeilen machte, war im März 2024 die KVWL (~ KV Westfalen-Lippe: Kein Benko-Investment, 100 Millionen auf dem Prüfstand). Nun musste Schleswig-Holstein nachziehen und hat per Pressemitteilung bekannt gegeben, dass von ihr „aufgrund von Verlusten bei Kapitalbeteiligungen im Immobilienbereich Abschreibungen in Höhe von 36 Millionen Euro“ vorzunehmen sind.
Behauptet wird aber auch: Die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben, die Funktionsfähigkeit der KVSH sowie die Auszahlung von Honoraren an die Mitglieder seien in keiner Weise beeinträchtigt. Und: Arbeitsplätze in der KVSH seien nicht gefährdet. Dennoch soll in der nächsten Sitzung der Vertreterversammlung über eine Anhebung der Verwaltungskostenumlage beraten werden. Diese liegt in Schleswig-Holstein allerdings bisher bei recht niedrigen 2,2 % (+ 0,13 % für Sicherstellung), während – zum Vergleich – die KV Bayerns von jedem Honorar-Euro für sich 3,4 % einbehält. Zwischen diesen Extremen tummeln sich die meisten anderen KVen, wobei man für den direkten Vergleich stets alle Umlagen zusammenrechnen sollte. Dann liegt bspw. die KV Berlin bei 2,4 %, obwohl die eigentliche Umlage nur 1,79 % beträgt.
Hintergrundwissen KV-Umlagen | Satzungsgemäß erheben die KVen von ihren Mitgliedern zur Deckung ihrer Kosten einen sogenannten Verwaltungskostenbeitrag … als Prozentsatz der von den Ärzten abgerechneten Vergütung … Zudem sind die KVen berechtigt, zusätzlich zweckgebundene Umlagen und aufwandsgebundene Zuschläge zu erheben. Die Höhe des Verwaltungskostenbeitrags wird jährlich von der Vertreterversammlung festgesetzt und orientiert sich am Volumen des aufgestellten Haushalts. (~ Quelle)
Wie Bayern hat auch Niedersachsen bereits jetzt schon eine insgesamt recht hohe Umlage von 3,3 % ( = 1,8 % Verwaltungskosten + 0,6 % Sicherstellung + 0,9 % Bereitschaftsdienst), was vielleicht erklärt, weshalb hier angesichts von Liquiditätsproblemen der Weg gewählt wurde, die Mitglieder nicht mit einer Erhöhung, sondern durch die Abwälzung von Zinslasten zu belasten: KVN verschiebt Zahltermine. Auch hier wurde betont, dass es keine ernsthaften Liquiditätsprobleme gäbe: „Spekulationen, [die KV Niedersachsen] befinde sich in finanziellen Schwierigkeiten, weist Sprecher Haffke zurück. Derartige Gerüchte entbehrten jeder Grundlage.“ (~ Quelle)
Allerdings scheint es verständlich, wenn sich der geneigte Leser angesichts der Häufung solcher Nachrichten dennoch so seine Gedanken macht. Interessant ist vor diesem Hintergrund auch, dass die KV Nordrhein sich angesichts des Millionen-Desasters bei der Schwester-KV vor anderthalb Jahren genötigt sah, klarzustellen: „Auf Grundlage der geltenden gesetzlichen Vorgaben verfolgt die KVNO … eine konservative Anlagestrategie. (…) Bei der KVNO sind weder aktuell noch rückblickend Forderungsausfälle im Bereich von Finanzanlagen eingetreten. Die Anlagestrategie der KVNO schließt Aktivitäten im Immobilienbereich aus.“ (~ KVNO-Pressemitteilung v. 15.02.2024)
Wie es die anderen KVen halten? Das ist in aller Regel ein Dunkelbereich, über den Informationen stets nur dann nach außen dringen, wenn etwas schiefgegangen ist. Für historisch Interessierte mag daher ein Blick in diesen zehn Jahre alten Vorgang spannend sein, der sich mit (verlustbehafteten) Wertpapiergeschäften der KBV befasst: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis90/DieGrünen | Drucksache 18/7640. Einschlägige Vorschrift ist im Übrigen § 80 SGB IV: „[Mittel] sind so anzulegen und zu verwalten, dass ein Verlust ausgeschlossen erscheint, ein angemessener Ertrag erzielt wird und eine ausreichende Liquidität gewährleistet ist.“
Pressemitteilung KVSH v. 25.09.2025
Kapitalanlagen: KVSH muss Verlust in Millionenhöhe abschreiben
Süddeutsche Zeitung v. 19.09.2025
Bayerische Versorgungskammer verspekuliert sich bei riskanten Immobiliengeschäften
Apotheken-News v. 08.05.2025
Versorgungswerke verlieren an Stabilität und strategischer Steuerung
NIS2 nähert sich mit großen Schritten | Aufwandseinschätzung des Bundesrates lässt aufhorchen
Wir hatten in der Vergangenheit immer wieder auf das NIS-2-Umsetzungsgesetz verwiesen und die damit einhergehenden Konsequenzen für Praxen, BAGs und MVZ, die mindestens eines der beiden Kriterien erfüllen: mindestens 50 Mitarbeiter oder einen Jahresumsatz von 10 Millionen Euro. Das Gesetz wurde von der amtierenden Regierung wieder aufgenommen und soll – glaubt man den Rauchzeichen am Horizont – noch dieses Jahr umgesetzt werden. Am 30. Juli wurde das Gesetz im Kabinett beschlossen und befindet sich nun im weiteren Gesetzgebungsverfahren.
Der kritische Punkt: Wenn das Gesetz verkündet wird, tritt es gemäß Artikel 30 ohne Übergangsfristen sofort in Kraft. Der aktuelle Anlass, das Thema wiederholt in den Mittelpunkt zu rücken, ist, neben der sich nähernden Umsetzung, auch eine Formulierung des Bundesrates, der zum aktuellen Kabinettsbeschluss einen bemerkenswerten Kommentar verfasste. Wer sein Wissen zum ‚Gesetz zur Netz- und Informationssicherheit‘ (NIS2) auffrischen oder vertiefen möchte, dem empfehlen wir unsere BMVZ-Arbeitshilfe Willaschek & Krubally: Relevanz und Folgen der NIS2-Gesetzgebung für MVZ und Großpraxen.
Auch wenn viele europäische Länder mit der NIS-2-Umsetzung hinterherhinken, drängen die EU-Strafverfahren – mit ihren erheblichen Geldbußen gegen die Mitgliedsstaaten – die Regierungen zum Handeln. Womöglich ist dies auch ein Grund, warum die ursprüngliche EU-Richtlinie mit wenigen Anpassungen und individuellem Charakter in nationales deutsches Recht umgemünzt werden soll. Dieses Motto „Augen zu und durch“ hat der aktuelle Regierungsentwurf von der Ampel-Koalition übernommen, wobei es dennoch einige Änderungen gibt, so beispielsweise bei der Vernachlässigbarkeitsklausel. Auch sind die Kritikpunkte am Entwurf in Bezug auf die Ausnahmeregelung für die öffentliche Verwaltung nach wie vor aktuell, wurden aber im aktuellen Entwurf leicht nachgeschärft. Die Kernbotschaft für den Praxisbetrieb ist jedoch, dass das Gesetz im Kern so umgesetzt werden wird, ohne Hoffnung auf große Erleichterungen für Unternehmen. Anders ausgedrückt: Der von uns – und vielen anderen – antizipierte hohe Aufwand für Praxen, BAGs und MVZ wird sich nicht abmildern. Diesen Standpunkt hat nun auch der Bundesrat unterstrichen.
In seiner Empfehlung vom 12.09.2025 zum Regierungsentwurf hat der Bundesrat einen bemerkenswerten Änderungsvorschlag eingebracht. Unter Punkt 20 auf Seite 17 f. werden die Auswirkungen auf die ambulanten Einrichtungen hervorgehoben. (~ Bundesrat v. 12.09) „Aus den vorgesehenen Verpflichtungen können sich weiterer Aufwand und Kosten für die betroffenen Einrichtungen ergeben, die bisher nicht einkalkuliert sind. Der Umsetzungs- und Dokumentationsaufwand für die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen ist nicht unerheblich. Betroffene Einrichtungen, die erst jetzt beginnen, sich mit NIS-2-Vorschriften zu befassen, werden die Umsetzungsfrist gegebenenfalls nicht mehr einhalten können.“ (S. 17 der Empfehlung) Diese Äußerung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Es ist begrüßenswert, dass ambulante Einrichtungen, die sonst selten mitbedacht werden, hier Erwähnung finden, und gleichermaßen beunruhigend, dass der Bundesrat den Aufwand als derart exorbitant einschätzt.
Anlass der Kritik des Bundesrates ist, dass Krankenhäusern eine Übergangsfrist von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vorlage von Nachweisen zugestanden wird. Der Bundesrat fordert, dass diese Ausnahmetatbestände „doch erst recht für (weniger) wichtige Einrichtungen gelten [müssten].“ Gemeint sind damit Praxen, BAGs und MVZ, welche die eingangs erwähnten Kriterien nach Mitarbeiterzahl und Umsatz erfüllen. Ob die Empfehlungen des Bundesrates Gehör finden, ist momentan nicht abzuschätzen. Wie beschrieben, ist die bisherige Historie der NIS-2-Umsetzung der Regierung(-en) eher von einer ‚Augen zu und durch‘-Mentalität geprägt. Wer jetzt umgehend aktiv werden will und sich zeitnah selbst weiter informieren möchte, für den haben wir abschließend noch zwei Praxistipps. Zum einen 1.) eine kurze Einordnung, um die Selbst-Recherche zu erleichtern und 2.) einen Hinweis zum Markt der Beratungsangebote.
1.) Um sich bei der Recherche zurechtzufinden: Der Umsetzungsentwurf der NIS-2-Richtlinie ist ein sogenanntes Artikelgesetz. Mit dem klangvollen Namen „NIS2UmsuCG“ werden also Paragrafen im „Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik“ (BSI-Gesetz) geändert. Wer im Internet selbstständig sucht, wird deshalb stets auf den Entwurf dieses Gesetzes (BSIG-E) stoßen (‚E‘ für Entwurf). Zudem sei – für eben jene ambitionierten Rechercheure – erwähnt, dass die NIS-2-Umsetzung zwar verwandt mit der ebenfalls bevorstehenden Resilienz-Richtlinie für kritische Einrichtungen (CER-Richtlinie) ist, aber nicht damit verwechselt werden sollte. Um mit wenig Aufwand zu entscheiden, ob das eigene Unternehmen betroffen ist, lohnt sich ein Blick auf die Hilfestellungen des BSI. Dafür stehen ein Online-Tool (~ Link dazu) und zur groben Ersteinschätzung der NIS2-Betroffenheitsbaum (~ Link dazu) zur Verfügung.
2.) Etwaige NIS-2-Schulungsangebote sind mit Sorgfalt zu prüfen. Da sich das Gesetz noch im Entwurfsstadium befindet, existieren noch keine spezifischen Curricula für Weiterbildungsangebote für Mitarbeiter. Es bietet sich jedoch für die Geschäftsführung an, sich in allgemeinen Schulungen zum Thema oder durch eine Rechtsberatung bereits einen Überblick zu verschaffen. Zudem ist abzuwägen, ob man unternehmensintern gleich Synergien zur IT-Sicherheitsrichtlinie nutzt. Für betroffene Unternehmen ist NIS2, unserer Einschätzung nach, ein Thema, dem Verantwortliche unbedingt die angemessene Aufmerksamkeit schenken sollten.
MMR v. 12.09.2025
Wessing und Partner: Augen zu und durch – warum man die Baustellen bei NIS2 auch akzeptieren muss
Taylor Wessing v. 28.07.2025
Das NIS-2-Umsetzungsgesetz: Analyse des Referentenentwurfs und wie es weiter geht
Deutsches Ärzteblatt v. 14.07.2025
BSI-Chefin: Cyberschutzverpflichtung für Unternehmen ab 2026
Angedachte Apothekenreform sorgt für Aufregung, auch bei der Ärzteschaft
Die Gesundheitsministerin Nina Warken hatte beim Deutschen Apothekertag am 16.09. ihre Pläne für die Apothekenreform vorgestellt. Dabei hatte sie gleichermaßen die Apotheker und die Ärzteschaft gegen sich aufgebracht. Ein Blick auf die Pläne lohnt sich, denn die Ausweitung der geplanten Kompetenzen und das Verschieben der GKV-Finanzmittel würden auch Auswirkungen auf die ambulante Patientenversorgung haben. Dafür ist jedoch eine Einordnung der Reformvorschläge und des (momentanen) politischen Willens notwendig. Für Praxisverantwortliche ergibt sich daraus ein grober Umriss, wie sich die Patientenversorgung zukünftig in Kooperation mit den Apotheken gestalten könnte, aber vor allem ein Ausblick darauf, welche Erwartungen an zukünftige Geldflüsse gestellt werden dürften. Während dieser Text einen Blick auf die Gesamtlage wirft, hat die KBV in ihrem 5-seitigen Eckpunktepapier zur Apothekenreform den Bezug zum ambulanten Sektor im Detail beleuchtet (~ direkt dazu).
Es dürfte inzwischen bekannt sein, dass das BMG mit den zur Verfügung stehenden Mitteln im Grunde – in Hütchenspieler-Manier – nur ‚linke Tasche, rechte Tasche‘ spielen kann, also die begrenzten Mittel nur umverteilt. Im Koalitionsvertrag hatte man zwar festgelegt, dass die Apothekenvergütung steigen sollte, dabei aber die Gegenfinanzierung außen vorgelassen. Konkret sollte das Packungsfixum einmalig von 8,35 Euro auf 9,50 Euro steigen, für Landapotheken in bestimmten Fällen sogar bis zu 11,00 Euro. Frau Warken hatte beim diesjährigen Apothekertag – zur Enttäuschung der Apotheker – von dieser klaren Koalitionszusage zunächst Abstand genommen. Warken verwies auf die Finanzlage der GKVen und betonte, dass momentan die Stabilisierung der Beitragssätze Priorität habe. Im kommenden Jahr werde man die Erhöhung des Fixums wieder aufgreifen. De facto räumt sich die Ministerin damit zunächst einmal einen Aufschub bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse der GKV-Finanzkommission ein. (~ Video-Mitschnitt ab der 1. Minute) Details zur GKV-Kommission hatten wir bereits in der KW 38 ausgeführt (PRAXIS.KOMPAKT KW 38). Die Steigerung des Fixums hätte Ausgaben von rund einer Milliarde Euro für die GKVen zur Folge – Geld, das momentan nicht da ist.
Wenn in anderen Sektoren, ob im stationären Bereich oder bei den Apotheken, etwas versprochen wird, das Geld kostet, sollte das den ambulanten Sektor immer aufhorchen lassen. Mit Blick auf die nächsten Honorarverhandlungen ist es maßgeblich zu beobachten, wie das BMG die Gelder unter den Hütchen neu verteilt, denn am Ende hängen die Geldtöpfe über den Gesundheitsfonds und die Bundeszuschüsse zusammen. Bei den Apotheken hat das BMG nun den Fokus auf den sogenannten Nacht- und Notdienstfonds (NNF) gelegt. Darin ‚schlummern‘ rund eine halbe Milliarde Euro für die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL), die bisher nicht abgerufen wurden. Weil die pDL das Potenzial haben, die Zusammenarbeit zwischen Medizin und Apotheken im Guten oder Schlechten signifikant zu beeinflussen, haben wir der pDL-Thematik einen eigenen Artikel in dieser Ausgabe gewidmet. (~Mehr-Wissen für Ärzt:innen: PDL – Pharmazeutische Dienstleistungen der Apotheken)
Während das Ministerium überlegt, wie und wo das pDL-Geld besser untergebracht wäre, melden sich die GKVen zu Wort. Sie fordern das Geld nun zurück und möchten es selbst nach bestem Wissen und Gewissen verteilen (~ÄZ v. 17.09 | AOK hätte gern eine halbe Milliarde Euro zurück). Nach der momentanen Leseart der BMG-Politik will man das Geld aber selbst unter ein anderes Hütchen schieben. Die Vorhaben der Apothekenreform, die in großen Teilen auf den Amtsvorgänger zurückgehen, werden zunächst auch Kosten verursachen. Nach dem Plan der aktuellen BMG-Besetzung ist beispielsweise vorgesehen, dass Landapotheken gefördert und neue Weiterbildungen für pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) auf den Weg gebracht werden.
Um den Apotheken, trotz des Ausbleibens von Zusagen, entgegenzukommen, sollen die Kompetenzen der Apotheken nun deutlich ausgeweitet werden. Nach den Plänen des BMG, die beim Apothekertag verkündet wurden, sollen Apotheken mehr Impfungen und auch Screenings anbieten und im Notfall auch Medikamente ohne Rezept ausgeben dürfen (~PZ v. 19.09.2025).
Die Reaktion auf die Ankündigung der rezeptfreien Ausgabe von Rx-Medikamenten folgte prompt und heftig. Selten derart vereint, hatte die gesammelte deutsche Ärztevertretung, darunter die KBV, die BÄK, der Hartmannbund und der Marburger Bund, vom Überschreiten einer roten Linie und dem Aushebeln der ärztlichen Diagnostik gesprochen (~ Offener Brief an das BMG v. 19.09.2025). Zwar hatte ABDA-Präsident Thomas Preis klargestellt: „Die Verordnung muss dem Arzt vorbehalten bleiben. Auch die Verschreibungspflicht darf nicht ausgehebelt werden“ (~ABDA Pressemeldung v. 17.09.2025). Den Beißreflex der Ärzteschaft konnte er damit aber dennoch nicht unterdrücken. In dem Brandbrief der Ärzteschaft an das BMG wird die Ministerin nachdrücklich aufgefordert, die Apothekenreform zu überdenken. Eine direkte Reaktion aus dem BMG dazu gab es bisher nicht.
Frau Warken hat also eine Situation geschaffen, in der die Kassen, die Apotheken und die ambulante Ärzteschaft geschlossen unzufrieden sind. Bei Kompromissen gibt es ja bekanntlich keine Gewinner und alle gehen mit einem Zugeständnis aus der Tür. Aber deutet dieser universelle Unmut auf einen guten Kompromiss hin? Bisher hat die ‚neue‘ BMG-Besetzung noch nicht gezeigt, ob sie zu ‚guten‘ Kompromissen fähig ist. Für den Praxisbetrieb bleibt aber die Botschaft, dass die Systemgrenzen – ob zum stationären Sektor, zur Pharmaindustrie oder eben der Apothekenlandschaft – immer durchlässiger werden, auch weil ‚dasselbe Geld‘ nur unter den Hütchen verschoben werden kann.
PZ v. 1.10.2025
Warken verteidigt neue Kompetenzen für Apotheker
änd v. 29.09.2025
Apothekenreform: Hartmannbund RLP kritisiert Kompetenzausweitung
Apotheke Adhoc v. 23.09.2025
„Meine Enttäuschung ist riesig“ Der Frust nach der Vorstellung der Eckpunkte zur Apothekenreform
Mehr-Wissen für Ärzt:innen:
PDL – Pharmazeutische Dienstleistungen der Apotheken – Gekommen, um zu bleiben
Zwischen Apotheken und Arztpraxen gibt es durch die gemeinsamen Patienten vielschichtige Beziehungen. Diese wurde im Sommer 2022 mit der Einführung der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) noch einmal vertieft, obwohl oder gerade weil diese Apothekenleistungen ärztlicherseits von Anfang an umstritten waren. Fünf medizinische Beratungen dürfen Apotheker seither erbringen – darunter die mit 90 € dotierte Polymedikationsberatung und das mit knapp 12 € honorierte standardisierte Bluthochdruckscreening. (~ ABDA-Infoseiten pDL: für Apotheken | für Patienten) Wir hatten berichtet, dass gerade Hausärzt:innen, bei denen diese Leistungen neben vielem anderen in der maximal 35 € werten Quartalspauschale versenkt sind, über dieses ‚Geschenk‘ an die Apotheker nicht unbedingt begeistert waren. Pro Jahr überweisen die Kassen dafür 4 x 40 Millionen Euro. „Inhaltlich fragwürdig und teuer,“ nannte KBV-Chef Gassen 2022 den pDL-Katalog pharmazeutischer Dienstleistungen. (~ Quelle)
Betrachtet man das heute, ist allerdings Fakt, dass sich viele Hoffnungen rund um die pDL nicht erfüllt haben. Von Beginn an wird nur ein Bruchteil des zur Verfügung gestellten Betrags abgerufen – im zweiten Halbjahr 2025 waren es gut 16 Millionen. Gleichzeitig gilt, dass weniger als die Hälfte der Apotheken überhaupt solche Leistungen in ihrem Portfolio hat. Die Rede ist daher von mehr als einer halben Milliarde Euro, die seit dem Q3/2022 in dem dafür gesonderten Honorartopf gesammelt und nicht abgerufen wurden – und die Kassen gern zurückhätten.
Dennoch ist in den aktuellen Eckpunkten des BMG für die Apothekenreform, die BMG-Chefin Warken am 16. September vorgestellt hat, vorgesehen, die PdL auszubauen (~ Pressemeldung BMG). In welche inhaltliche Richtung, das soll die Selbstverwaltung bestimmen. Der Apothekentag vom 18. September hat darauf sofort reagiert und beschlossen, eine sechste PdL zur Raucherentwöhnung einzuführen – griff dabei allerdings auf die bereits bestehende Vorarbeit des GBA zur Erstattungsfähigkeit entsprechender Beratungsleistungen zurück (~ DAT beschließ neue PDL |~ Raucherentwöhnung wird erstattungsfähig).
Klar scheint, dass die PDL von Politik und Kassen offensichtlich trotz der eher niedrigen Fallzahlen weiterhin für ein probates Mittel gehalten werden, das bestehende Versorgungsgeflecht, auf das Patienten zugreifen können, sinnvoll zu ergänzen. Das belegt der aktuelle Vorstoß zur Ausweitung durch das Warken-BMG, wenn er auch durch die Ankündigung flankiert wird, statt wie bisher auf (viel zu hohe) Pflichtzahlungen der Kassen, künftig auf die Direktfinanzierung zu setzen.
Die Ärzteschaft als Ganzes, sowie in Abhängigkeit vom Fachgebiet auch die einzelne Praxis, ist daher gut beraten, die Existenz der PDL als Faktum zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls in Absprache mit den umliegenden Apotheken proaktiv damit umzugehen. Denn: Wenn die durchaus zeitintensive Beratung für die derzeitigen fünf PDL-Gebiete (1) Inhalationstechnik – 20 €, (2) Blutdruckmessen – 11,20 €, (3) Polymedikationsanalyse – 90 €, (4) Beratung für Patientinnen und Patienten nach Organtransplantationen – 90 € und (5) bei oraler Krebstherapie – 90 € von Praxis und MVZ, die dies ohnehin nicht extra vergütet bekommen, bei bestimmten Patientengruppen systematisch ausgelagert werden kann, profitiert einerseits der Patient durch ein entspannteres Beratungssettig und am Ende zum Nutzer aller mit einer höheren Compliance bzw. besserer Gesundung. Während andererseits die Praxis einen Gewinn an Sprechstundenzeit verbuchen kann.
Voraussetzung ist natürlich ein professionelles Miteinander der Heilberufe, um solche Schlagzeilen zu vermeiden: „Was soll Ihnen denn ein Apotheker sagen“ – Einige Ärzte raten aktiv von pDL ab | Apotheke soll sich raushalten – Inhaberin: „Arzt schreit Patienten wegen pDL an“ | Zoff zwischen Ärzten und Apothekern wegen Pharmazeutischer Dienstleistungen (pDL). Im übrigen bekommt das Thema, gerade hinsichtlich der Arzneimittel- & Polymedikationsberatung zusätzlichen Drive. Jetzt, wo die Apotheken über die ePA bei ihren Patienten unkompliziert bei den Vor-Ort-Besuchen über die eMedikationsliste der ePA erkennen können, wo Wirkstoffe (ggf. durch verschiedene Ärzte) doppelt verordnet oder Rezepte von den Patienten gar nicht eingelöst wurden. Insofern scheint es sinnvoll, dass Apotheken und Ärzteschaft bei dem Thema zusammenarbeiten. Die PDL bietet dafür den organisatorischen Rahmen.
Landesapothekerkammer BaWü
Kurzinformationen zu den fünf PdL
Apotheke Adhoc v. 01.08.2025 | DAK
Apothekerin im Interview: DAK informiert über pDL
DAK-Homepage: Mehr Patientensicherheit durch Arzneimittelberatungen
Pharmazeutische Zeitung v. 17.07.2025
Nur keine Scheu: Praxistipps für die pDL-Abrechnung