Rückwirkende Honorarzuschläge bei Atemwegserkrankungen für sechs Fachgruppen vereinbart
Anlässlich der Krankheitswelle, die im Dezember vor allem die Kinderarztpraxen medienwirksam an ihre Kapazitätsgrenzen gebracht hat, haben sich in einem ungewöhnlichen Akt Krankenkassen und KBV am 23. Januar darauf geeinigt, als ‘Sofortunterstützung’ 49 Millionen € extra-Honorar auszuschütten. Der Bewertungsausschuss folgt damit einem ausdrücklichen Wunsch des Bundesgesundheitsministers (~ Schreiben des BMG vom 15.12.2022 an die Vertragspartner) – insofern handelt es sich um eine politisch initiierte, und wohl einmalige Ausnahme. Ungewöhnlich ist die Entscheidung vor allem deshalb, weil damit – neben einem Zuschlag im laufenden ersten Quartal 2023 – nachträglich bestimmte Leistungen im vierten Quartal 2022 höher bewertet werden sollen. Es geht also nicht darum, Anreiz für eine Mehrleistung zu schaffen, sondern bereits Geleistetes kurzfristig besser anzuerkennen. Praktisch sollen die Versicherten- und Grundpauschalen der Fachgruppen Pädiatrie, Allgemeinmedizin + hausärztliche Internisten, HNO sowie Pulmologie um 65 Punkte (≙ 7,32 € in 2022 / 7,47 € in 2023) erhöht werden, sofern der/die Patient:in nicht älter als zwölf war und in der Abrechnung eine Diagnose aus dem Bereich der Atemwegserkrankungen (J00 – J06, J20-22) oder Grippe + Pneumonie (J09-J18) verschlüsselt wurde. Der Zuschlag soll einmal im Behandlungsfall gewährt werden, also nicht doppelt, falls der-/dieselbe junge Versicherte bei zwei Ärzten oder Fachgruppen eines MVZ die Bedingung erfüllt. Die Zusetzung erfolgt durch die KVen automatisiert bei der Abrechnungsprüfung. Betroffene Praxen müssen also nichts weiter tun, um das begrenzt auf die genannten zwei Quartale ausgelobte Extrahonorar zu erhalten. Sinnvoll kann aber natürlich anhand der Praxisdaten ein Erwartungscheck sein – und natürlich einen Marker zu setzen, der Sie daran erinnert, bei der Honorarabrechnung für Q4/2022 diesbezüglich die Abrechnungsunterlagen ganz genau zu prüfen. Die Gelder werden über den Patientenschlüssel anteilig auf die KV-Regionen verteilt (~ bspw: Rund sechs Millionen Euro für Nordrhein) ————————— Mit dieser Entscheidung nicht verwechselt werden, sollte im Übrigen die Entbudgetierungsdebatte – sprich die ebenfalls im Dezember erfolgte Ankündigung von Minister Lauterbach, für den Fachbereich Pädiatrie grundsätzlich die Budgetierung aufzuheben (~ siehe hierzu der Reiter ‘Nachrichten).
Auszug aus der Beschlussbegründung zur 632. Sitzung (~ Volltext öffnen)
Mit dem vorliegenden Beschluss Teil A erfolgt zeitlich befristet vom 1. Oktober 2022 bis 31. März 2023 die Aufnahme der Gebührenordnungsposition (GOP) 01110 in den Abschnitt 1.1 des EBM, um den Mehraufwand für die außergewöhnlich hohe und intensive sowie nicht vorhersehbare besondere Inanspruchnahme von Vertragsärzten durch das extrem verstärkte Auftreten verschiedener akuter, medizinisch schwerwiegender Atemwegserkrankungen … zu vergüten. […] Die GOP 01110 wird durch die Kassenärztliche Vereinigung einmal im Behandlungsfall als Zuschlag zur altersklassenspezifischen hausärztlichen Versichertenpauschale (GOP 03000, 03030, 04000 und 04030) bzw. zur Grundpauschale des Kapitels 9 (Hals-Nasen-Ohrenheilkunde), des Kapitels 20 (GOP der Fachärzte für Sprach-, Stimm- und kindliche Hörstörungen) und des Abschnittes 13.3.7 (Pneumologische GOP) zugesetzt, sofern in dem betreffenden Quartal für einen Patienten bis zum vollendeten 12. Lebensjahr mindestens eine der in der ersten Anmerkung zur GOP 01110 genannten gesicherten Diagnosen gemäß ICD-10-GM vorlag.
KBV-Mitteilung v. 23.01.2023
49 Millionen Euro zusätzlich für Kinder mit Atemwegsinfektionen
– Gassen: Extrabudgetäre Vergütung muss jetzt kommen
Institut des Bewertungsausschusses (Inba)
Beschlussübersicht des Jahres 2023 (633. + 632. Sitzung)
Mehr Verordnungskompetenz in der Videosprechstunde angekündigt | Mind-Up: was jetzt schon gilt
Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 19. Januar mit der Pressemeldung (~ direkt zu), dass die Möglichkeiten zur Verordnung von Heilmitteln, Rehabilitationsmaßnahmen und Krankenpflege via Videosprechstunde erweitert werden, viel entsprechende Berichterstattung ausgelöst. In vielen Berichten geht jedoch etwas unter, dass das Richtlinien-Update unter dem Genehmigungsvorbehalt vom BMG steht, und dass vor allem der Bewertungsausschuss anschließend auch erst einmal die Vergütung verhandeln und festlegen muss. Wenn das alles erledigt ist – erwartet wird das für September – ist es zukünftig dann gestattet, Patienten, die der Praxis bekannt sind, Heilmittel und die häusliche Pflege zu verordnen – jedoch nur bei Folge- und nicht bei Erstverordnungen. Die gleichen Regeln gelten, wenn die Verordnung ausnahmsweise nach rein telefonischer Konsultation verlängert wird. Anders wird der Fall bei der Verschreibung von Reha-Maßnahmen sein, da solche Verordnungen ohnehin einmalig erfolgen. Aber, wie gesagt, für den Moment ist das alles noch Zukunftsmusik.
Aktuell besteht dagegen bereits die Möglichkeit zum Ausstellen von Arzneimittelrezepten via Videosprechstunde, auch wenn hier der Medienbruch wegen des unfunktionalen eRezeptes eine breite Anwendung bisher verhindert. Und auch die Arbeitsunfähigkeit darf seit Oktober 2020 regelhaft via Videosprechstunde festgestellt werden. Hier gilt aktuell, dass sie bei der Praxis bekannten Patienten für sieben Tage, bei unbekannten für drei Tage ausgestellt werden darf (~ § 4 Absatz 5 der AU-Richtlinie). Dies schließt seit knapp einem Jahr ebenfalls die Kind-Krankschreibung mit ein, wie der Personaldienstleister Haufe.de anlässlich der letzten Richtlinienaktualisierung vom März 2022 ausführt: Krankschreibung und Kind-Krankschreibung per Videosprechstunde. By the way: Auch die Telefon-AU ist weiterhin – und unabhängig des Fallens von Masken- und Isolationspflichten weiter erlaubt. Die im letzten November diesbezüglich in Kraft gesetzte Corona-Sonderregel gilt noch bis 31. März 2023 (~ GBA-Mitteilung vom 17.11.2022). Prinzipiell ist aber bei sämtlichen fernmedizinisch abgehaltenen Sprechstunden zu beachten, dass wenn Zweifel beim Arzt entstehen, oder die Erkrankung nicht angemessen sicher diagnostiziert werden kann, eine körperliche Untersuchung zwingend angezeigt ist und bei Verordnungen, etc. entsprechend nicht vorschnell den Patientenwünschen gefolgt werden sollte.
KBV-Mitteilung v. 19.01.23
Verordnung von Heilmitteln und häuslicher Krankenpflege auch in der Videosprechstunde möglich
Übersicht des G-BA (Stand 18.01.2023)
Befristete Sonderregelungen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie
Heise Online v. 10.01.2023
Videosprechstunde beim Arzt: Warum bei 30 Prozent Schluss ist
Update E-Rezept | Wenig Neues für die Praxis – KBV veranstaltet Live-Talk am 8. Februar
Wie im November berichtet, ist der Rolloutprozess des E-Rezeptes nach dem Ausstieg auch der letzten Test-KV komplett auf Eis gelegt worden (~ Ausgabe KW45/2022). Dies besteht in der Perspektive der MVZ-Leitung genau so auch fort – sprich diesbezüglich gibt es keine akute Handlungsnotwendigkeit. Hinter den Kulissen ist allerdings einiges los. Konkret ging es ja zuletzt darum, dass die Datenschützer die von den beiden Test-KVen erprobten barriere-armen Wege der Rezept-Einlösung als nicht sicher eingestuft haben (~ Abruf des E-Rezepts per eGK? Aber sicher!). Die Gematik hat jetzt ein Konzept veröffentlicht, dass die dabei formulierten Datenschutzanforderungen erfüllen soll (~ Paper zur eRezept-Authorisierung v. 25.01.2023). Kurz gesagt, kommt dieses neue Verfahren ohne eine Patienten PIN aus, indem es einen Token erzeugt, der als ‚Proof of Patient Presence‘ (kurz: PoPP) dient – dieser wird während der Rezeptausstellung beim Arzt erzeugt. Der geneigte Leser kann sich die Feinheiten bezüglich kryptografischen Schlüsseln und Hashverfahren zusammengefasst im Bericht des Portals Apotheke Adhoc (~ Artikel v. 31.01.2023) zu Gemüte führen. Grafisch ist dieser Ablauf im gematik-Papier zum PoPP dargestellt (~ im PDF Seite 11). Ob diese Lösung widerspruchsfrei ihren Weg durch die Instanzen findet, bleibt allerdings abzuwarten. Danach gefragt, “wie und bis wann die Bundesregierung sicherstellt, dass die diskriminierungsfreie Einlösung von E-Rezepten mittels eGK in allen Apotheken möglich sein wird?” (~ Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion), antwortete das Bundesgesundheitsministerium am 26. Januar, dass “zurzeit intensive Gespräche mit der Industrie [laufen], um eine schnelle Umsetzung im Jahr 2023 zu ermöglichen.” Weiter wird erklärt, dass der Versand des E-Rezept-Tokens per Mail oder SMS verworfen wurde – alles steht und fällt folglich mit einer aus Patienten- und Datenschützersicht praktikablen “weiteren digitalen Einlösemöglichkeit,” wie sie die gematik – wie eingangs beschrieben – nun in die Debatte geworfen hat (änd-Artikel v. 26.01.2023). Bereits im Herbst 2022 hatte zudem das BMG eine Digitalstrategie unter Einbezug aller Akteure des Gesundheitswesens angekündigt und entsprechende Aktivitäten ausgelöst. Das Ergebnis soll Ende April im Kontext der DMEA-Messe vorgestellt werden. Man darf gespannt sein, wie sich hier die ‘unendliche Geschichte’ des eRezeptes einordnen wird. Auf jeden Fall hält die Gematik ausweislich ihrer Webseite am Plan des flächendeckenden Rollouts bis zum Sommer 2023 fest und fordert die Praxen unverändert auf, „bis zur verbindlichen Einführung des E-Rezeptes von der Möglichkeit der E-Rezept-Ausstellung Gebrauch zu machen.“ ————————— Perspektivisch etwas weitreichender, beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe des Podcast EINBLICK mit der Zukunft der Digitalisierung (Episode 161 v. 25.01.2023), in dem die BMVZ-Geschäftsführerin Susanne Müller mit Vertretern der IT-Branche den Status Quo sowie den Ausblick zum eRezept diskutiert. Mit einem ähnlichen Thema ist auch der nächste KBV Mittagstalk angekündigt: Digitalisierung in den Praxen – Chancen und Risiken. Live wird dabei die Leiterin der Abteilung Digitalisierung des BMG, Susanne Ozegowski, sich dem KBV-Vorstand stellen (~ KBV Mittagstalk v. 08. Februar). Fragen können vorab bei der KBV unter mittagstalk@KBV.de eingereicht werden.
Deutsche Apothekerzeitung v. 31.01.2023
Gematik legt Spezifikation vor: Neuer Versuch für den E-Rezept-Abruf via eGK
Heise Online, v. 27.01.2023, bzw. 09.01.23.
Wie es mit dem E-Rezept weitergeht: Die Bundesregierung beantwortet Fragen
ePA, E-Rezept und Co.: “Am grünen Tisch entwickelte Konzepte helfen nicht”
Gematik v. 16.12.2022
Was kommt wann? Roadmap zu kommenden Funktionen der E-Rezept-App online
Terminvermittlung durch kommerzielle Online-Anbieter:
FDP schlägt finanzielle Förderung für Praxen vor, die diese nutzen
Manchmal entsteht die größte Aufregung bei Nachrichten, die eigentlich gar keine sind. Am 24. Januar wurden Meldungen kolportiert, wonach die FDP-Bundestagsfraktion für das geplante erste Versorgungsgesetz den Vorschlag gemacht haben soll, dass, um schneller Termine für Patienten zu ermöglichen, Arztportale wie Jameda oder doctolib in die Terminvermittlung eingebunden und dafür finanzielle Förderung fließen soll. Allerdings gab es keinerlei offizielle Aussage der FDP-Fraktion. Es handelt sich vielmehr um eine unbestätigte Meldung zu einem informellen Gespräch der Koalitionspartner, die wahrscheinlich eher ungeplant durch Journalisten des Tagesspiegels (~ v. 24.01.2023) öffentlich gemacht wurde. Dennoch kamen die Reaktionen prompt und scharf. Der Virchowbund titelte: „FDP will Arzttermine privatisieren“ (~ Pressemitteilung v. 24.01.23) und sah durch den Vorstoß ‘den freien Beruf des Arztes verraten, da die Terminvergabe ausschließlich in die Hände der Ärzte gehöre.’ Auch MEDI Baden-Württemberg reagiert mit Unverständnis: „Dass ausgerechnet eine Partei wie die FDP erst die Abschaffung der Neupatientenregelung zulässt und im nächsten Schritt die Terminvermittlung über kommerzielle Anbieter mit unseren Geldern fördern möchte, ist doch verkehrte Welt.“ (~ Quelle) Inwieweit die FDP an dem Vorschlag festhält, bleibt offen, aber Tatsache ist: Die BMG-Skizze für das sogenannte Versorgungsgesetz I vom 5. Januar 2023 enthält den Punkt „Beschleunigung der Vergabe von Arztterminen – Finanzielle Förderung von alternativen Terminvermittlungsangeboten.“ In einem früheren Interview hatte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Prof. Ullmann, dazu befragt, ausgeführt (~ änd v. 11.01.2023), dass es ja nicht nur die KV-Terminservicestellen gäbe, “sondern auch private Vermittlungsdienste. Wenn da Termine vergeben werden, sollten Ärzte fairerweise auch einen Zuschlag erhalten. Das trägt der „Neupatientenregelung 2.0“ Rechnung, aber es ist – wie gesagt – noch nicht abgestimmt.” Ob und in welcher Formulierung eine entsprechende Regelung letztlich in den Gesetzentwurf Eingang findet, ist damit derzeit offen. Festzuhalten ist, dass die Koalition auf Initiative der FDP tatsächlich zu diskutieren scheint, wie die Online-Terminevergabe durch finanzielle Anreize breiter zur Anwendung gebracht werden kann. Der Virchowbund veurteilte diesen Ansatz in seiner Pressemeldung jedoch zur Gänze und erklärte, dass die Probleme nicht der Terminvergabe per se lägen, sondern dass relevanter sei, Maßnahmen zu entwickeln, um dem unentschuldigten Fernbleiben entgegenzuwirken. Bei online vermittelten Terminen träfe dies auf 25 Prozent der Termine zu. In einer von Arzt + Wirtschaft veröffentlichten Selbstdarstellung vom Sommer 2020 erklärte jedoch gerade Doctolib im Sinne eines Praxistipps das Gegenteil: Wie andere Gesundheitseinrichtungen es schaffen, ihre Terminausfälle um 58 % zu reduzieren! Im Großen und Ganzen dürfte dies – wie auch bei allen anderen Arten der Terminvergabe – eine Frage der individuellen Praxisorganisation sein. Was den Vorstoss der FDP betrifft, harren wir daher gespannt der weiteren Entwicklungen.
E-Health.com v. 26.01.2023
Streit um Terminvergabe: Kommt die Lex Doctolib?
Ärtezeitung v. 24.01.2023
Reaktion auf FDP-Vorschlag: Virchowbund gegen „Privatisierung“ der Terminvergabe
Entbudgetierung für Kinderärzte in UPD-Reform-Gesetz integriert | Umsetzung bis Sommer?
Im Kontext der Parlamentsdebatte zur Reform der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 26. Januar im Bundestag angekündigt, außerplanmäßig die Abschaffung der Honorardeckel bei den Kinderärzt:innen unmittelbar mit nämlichen Gesetz umzusetzen. “Wir halten Wort, […] Wir haben zu wenige Kinderärzte, deshalb sagen wir: Junge Ärztinnen und junge Ärzte, die sich entscheiden, Kinderarzt zu werden, werden ohne Budgetnöte praktizieren können. Das wird ihre Arbeit entbürokratisieren. … Sie werden in der Lage sein, das zu machen, was sie für medizinisch richtig halten, und werden nicht überlegen müssen: „Ist das noch im Budget?” […] Wir machen etwas. Wir kündigen nicht an, sondern wir machen etwas. Rückwirkend fließt Geld, und zukünftig wird entbudgetiert. Das hatten wir versprochen, das leisten wir für die Kinder. Wir haben Wort gehalten.” (~ Plenarprotokoll v. 26.01.2022 | dort Seite 9770f). Dabei scheint es sich um eine eher kurzfristige Umplanung zu handeln, denn im Gesetzesentwurf vom 23. Januar (~ Volltext öffnen) sind derartige Regeln noch nicht enthalten. So oder so ist der Weg noch lang. Das UPD-Reformgesetz hat jetzt die erste Bundestagslesung absolviert und wird zur Beratung an die Länder übergeben. Für den 1. März ist im Bundestag eine Fachanhörung angesetzt – für die notwendige zweite und dritte Lesung gibt es noch keinen Termin. Stand heute sprechen wir also von einer reinen Ankündigung des Ministers – allerdings sehr konkret und vor dem Parlament, was für sehr ernsthafte und konkrete Umsetzungsabsichten spricht. Von Seiten des Arztverbandswesen gab es dafür größtenteils Applaus gepaart mit weiterführenden Forderungen, wer, bzw. welche Fachgruppen (Spoiler: am besten alle) auch gleich mit entbudgetiert werden sollten (Rheinland-Pfalz: KV-Chef fordert Entbudgetierung für Bereitschaftsdienst | Entbudgetierungspläne: KV Brandenburg drängt auf Ausweitung | Holetschek: Wir müssen von der Budgetierung ein gutes Stück wegkommen). Natürlich sind am ehesten im Fokus die Hausärzte, für die auch der FDP-Abgeordnte Lindemann direkt bei der Bundestagsdebatte in die Bresche sprang: “Wenn man … das Ziel hat, Leistungen, die für Kinder und Jugendliche … erbracht werden, zu privilegieren, dann muss man sich zunächst einmal fragen, von wem sie erbracht werden. … eben nicht nur von Kinderärzten … sondern zum Beispiel auch von den Hausärzten … Deswegen ist es folgerichtig, … die Entbudgetierung der Hausärzte anzugehen, wie wir es im Koalitionsvertrag miteinander verabredet haben.” Ein Verweis, der korrekt ist: Den Koalitionsabreden nach, sind es die Hausärzte, denen ein Ende des Honorardeckels versprochen wurde. Es bleibt als für den langen Weg, den das Gesetz bis zum Inkrafttreten nehmen muss, noch viel Streitpotential. Insbesondere, wenn man die klammen Kassen der GKV und den Umstand bedenkt, dass jede Entbudgetierung naturgemäß die Kosten für das System nach oben treibt. Kein Wunder, dass es von den Krankenkassen bis dato kein offizielles Statement zu den Ministerankündigungen gab.
Ärzteblatt v. 26.01.2023
Entbudgetierung geht ins parlamentarische Verfahren
Bundestagsdokumentation zur Plenardebatte
Sitzungsbericht, Dokumente und Redestreams v. 26.01.2022
Gesetzgebung | Die Pläne des BMG oder Wenn Ärzte feiern
Es gehört zu den Gepflogenheiten des politischen Berlins, dass am Jahresbeginn die Zeit der großen Empfänge ist – im Gesundheitswesen betrifft das vor allem den Neujahrsempfang des Deutschen Hausärzteverbands (18. Januar) sowie den der deutschen Ärzteschaft (19. Januar), der von BÄK und KBV ausgerichtet wird. An beiden Abenden hat sich der Bundesgesundheitsminister persönlich beteiligt und natürlich diverse Erklärungen abgegeben, was für die nächste Zeit politisch auf seiner Agenda steht. Erstaunlicherweise bekam dabei das Thema ‘MVZ’ vergleichsweise wenig bis keinen Raum – sprich viel weniger als man es aufgrund des Weihnachtsinterviews von Karl Lauterbach (~ BMVZ-Analyse dazu) hätte erwarten dürfen. Gemäß änd betonte dagegen der Minister vor allem: „Wir brauchen eine systematische Analyse“, und bestätigt damit seine Ambitionen nicht im Klein-Klein zu verharren, sondern die ganz großen Reformen anzugehen. Für die Digitalisierung bedeutet das: “Bislang hat man sich an dem orientiert, was technisch möglich war – und hat dann versucht, es in den Praxen umzusetzen. Wir werden jetzt vom anderen Ende her denken. Was ist sinnvoll in der täglichen Praxis und wie können digitale Lösungen dazu aussehen?“ Mit Dringlichkeit will er daher auch die Opt-Out-Lösung der ePA implementieren mit einem „System, das die Akte automatisch befüllt – über die Praxissoftware.“ Darüber hinaus will der Minister die Entbürokratisierung der Arztpraxen angehen – ein Auftrag, der sich bereits im Koalitionsvertrag wiederfindet. „Wir werden systematisch prüfen, wo wirklich Bürokratie nötig ist – und wo nicht“, versprach Lauterbach. Aktuell basierten zu viele Prozesse auf Misstrauen und Kontrolle. Die Ärzte lud er dabei ausdrücklich ein, an dem diesbezüglichen Dialog mitzuwirken. Aus Sicht der Bundesärztekammer war dagegen der Neujahrsempfang vor allem ein Anlass, wegen des vernachlässigten Reformprojektes der GOÄ noch einmal Druck zu machen. Neue GOÄ mit kalkulierten Preisen an Lauterbach übergeben, titelte entsprechend das Ärzteblatt am 20. Januar. Allerdings hat der Bundesgesundheitsminister bereits in der Vergangenheit mehrfach klar gemacht, dass ihm bei diesem Thema durch den Koalitionsvertrag die Hände gebunden seien und dass daher, die GOÄ-Reform bei ihm keine Dringlichkeit genieße – Vgl. unser Bericht in der KW 15/2022: GOÄ-Reform | Sprücheklopfen beim SpiFa-Kongress – Schweigen im BMG.
Hausarzt.Digital v. 27.01.2023
Angekündigte Gesetze: Ein Blick auf Lauterbachs To-do-Liste
Ärztlicher Nachrichtendienst (änd) v. 19.01.2023
Neujahrsempfang der Ärzteschaft: Lauterbach verspricht „Entbürokratisierungsgesetz“
Ärzteblatt v. 20.01.2023
Lauterbach wiederholt Entbudgetierungsversprechen
Notvertretungsrecht: Ärzte zwischen Beraterfunktion und Miss Marple
Es war eine der Neuerungen zum Jahresbeginn, über die viel berichtet wurde: Eheleute dürfen im Falle einer medizinischen Notlage, bei der die/der Partner:in nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, für den Partner Behandlungsentscheidungen treffen, bis hin zum Thema der Einstellung lebenserhaltender oder Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen. Bisher galt dies nur bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht. Rechtsgrundlage ist die zum 1.1.2023 in §1358 BGB ergänzte Notvertretung (~ Volltext des § öffnen). Soweit so gut – aber was hat das mit den ambulanten Ärzten zu tun, werden nicht Wenige fragen. Hierauf gibt es zwei Antworten: 1) Zusammen mit dieser Regelung wurde allen Ärzten erstmals auch der Zugang zum zentralen Vorsorgeregister (ZVR | ~ mehr Informationen) geöffnet – d.h. Ärzte können im Bedarfsfall hier nachsehen, ob ein Patient eine Patientenverfügung hat – aktuell sind dort 5,3 Millionen Patientenangaben hinterlegt. Das geht mit dem eHBA unter Verwendung des ‚Authenticators’ der gematik (~ Systemanforderungen). Die Medical Tribune beschreibt den Vorgang aus Arztsicht: Hat der nicht mehr ansprechbare Patient eine Vorsorgeverfügung getroffen? Diese neue Kompetenz nach §78b BNotO (~ zum §-Volltext) ist naturgemäß auf Entscheidungen eingeschränkt, die für eine dringende medizinische Behandlung erforderlich sind – betrifft im Regelfall also eher Klinikärzte. Für ambulante Mediziner ist daher primär der 2.) Aspekt relevant. Dass Ehepartner sich in solchen Notfällen gegenseitig vertreten dürfen, bedeutet, dass die Partner in Untersuchungen, Eingriffe, etc. einzuwilligen oder diese ablehnen können. Folglich ist der Arzt hier kontextbezogen von der Schweigepflicht entbunden. Aber selbstredend ist das Notvertretungsrecht auch mit Ausnahmen versehen. Sind Eheleute getrenntlebend (aka Trennungsjahr), oder ist dem Arzt bekannt, dass der Patient seinen Partner für die Vertretung ablehnt, so disqualifiziert dieser sich. Ebenso, wenn ein förmlicher Notvertretungswiderspruch vorliegt. Um Letzteres zu prüfen, können und sollten Ärzte auf das zentrale Vorsorgeregister zugreifen – siehe oben), wo neben den Patientenverfügungen eben auch solche Notvertretungswidersprüche zentral erfasst werden. „Zudem müssen Ärzte dem Partner, der den erkrankten Ehegatten vertritt, schriftlich bestätigen, dass die Voraussetzungen der Ehegattenvertretung vorliegen. Auch trifft sie die Pflicht, sich schriftlich von ihm bestätigen zu lassen, dass das Vertretungsrecht bisher noch nicht ausgeübt wurde und es auch keinen Ausschlussgrund gibt“, schreibt Arzt + Wirtschaft. (~ Artikel v.02.01.2023). Für diese schriftliche Bestätigung hat die Bundesärztekammer bereits ein Formular zum Download hinterlegt: Formular Ehegattennotvertretung (Achtung. Das ist eine docx-Datei.). Neben der zeitlichen Komponente, die solche Beratungsgespräche einnehmen, kommt somit ein investigativer Anteil hinzu, der die Legitimität der Notvertretung betrifft. Miss Marple lässt grüßen! Die Ärztekammer Nordrhein hält es für angezeigt, dass sich gerade Ärzte der ambulanten Versorgung frühzeitig – also losgelöst vom Vorliegen eines medizinischen Vorfalls – präventiv eine Bestätigung vom Vertretenden einholen, zwecks der Rechtmäßigkeit. „Es bleibt aber unklar, ob sich daraus für die Ärztin oder den Arzt eine Nachforschungspflicht ergibt oder ob er sich auf die Versicherung des Ehegatten verlassen und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertretung beziehungsweise das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen ohne weitergehende Nachforschungen bestätigen darf. Hier werden die Gerichte gefordert sein“, schreibt die Justiziarin der ÄKNO weiter. Hier dürfte einiges an Verwirrungspotential für die Zukunft liegen. Die Bundesärztekammer hatte 2020 bei ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zwar die zusätzliche bürokratische Belastung der Ärzte angeprangert (~ zur Stellungnahme BÄK v. 2020), dennoch scheint das Endresultat zunächst eine Verschiebung der Verantwortung zu Ungunsten der Ärzte zu sein und viele offenen Fragen aufzuwerfen.
Ärztekammer Nordrhein Heft 12/2022 (PDF)
Ehegatten dürfen sich ab 2023 im Gesundheitsnotfall vertreten
Informationen der Bundesnotarkammer
Online-Service zur Abfrage des ZVR | weiterführende Information & Links für Ärzte
Haufe.de v. 30.01.2023
Das Notvertretungsrecht für Ehegatten
Dieser Beitrag stammt bereits aus der Ausgabe der KW3.
Wegen fortgesetzer Relevanz veröffentlichen wir ihn als Teil dieser Ausgabe erneut.
Das MVZ als Politikum: Konsequenzen der Lauterbach’schen Attacke auf MVZ
Da Aufmerksamkeit eine der wichtigsten Währungen des Onlinezeitalters ist, hat Minister Lauterbach mit seinem ungewöhnlichen BILD-Interview am Weihnachtsabend PR-mäßig vieles richtig gemacht. Jedenfalls haben ausgesprochen viele Medien eine Sekundärberichterstattung veranlasst – natürlich auch bezüglich der expliziten Aussagen, die er dabei zu ‘Investoren, die mit maximaler Profitgier Arztpraxen kaufen,‘ getätigt hat. ( ~ BMVZ-Analyse vom 30.12.2022 | ~ BMVZ.Meinung v. 28.12.2022). Knapp vier Wochen später hat sich die Lage wieder etwas beruhigt, allerdings ist das Thema ‘MVZ’ längst nicht in der Versenkung verschwunden. Das Ministerwort hat vielmehr eine Spirale zahlreicher weiterer Wortmeldungen – sowohl pro wie kontra – in Gang gesetzt: Ausgang derzeit offen. Hervorzuheben ist das von der Bundesärztekammer vorgestellte 26-seitige Papier mit Regulierungswünschen (~ Pressemeldung der BÄK v. 13.01.2023) – das jedoch bereits seit Anfang Dezember 2022 bekannt ist, also nur scheinbar eine Reaktion auf Lauterbach’s Ankündigungen ist. Man könnte vermuten, dass die BÄK den starken Scheinwerfer, den Lauterbach auf die MVZ-Frage gelenkt hatte, durch ein öffentliches Wiederaufwärmen einfach für sich ausnutzen wollten. Was geklappt hat, denn auch der BÄK-Report erhielt viel sekundäre Berichterstattung. Diese zog wiederum zahlreiche Reaktionen nach sich, von denen vor allem die des MEDI-Verbundes erwähnenswert ist, da sie sich gegen die BÄK-Vorschläge, die Fachgleichheit zurückzunehmen und die MVZ-Trägereigenschaft zu regionalisieren, wendet. ——————- Insgesamt erlauben diese Schlaglichter auf die MVZ Debatte der letzten vier Wochen folgende Schlussfolgerungen: 1) Wem es noch nicht klar war: Das MVZ-Thema polarisiert und lebt mehr von Emotionen als von Fakten. 2) Es fällt auf, wer sich aktuell nicht zu Wort gemeldet hat, darunter KBV und KZBV aber auch die Gesundheitsministerkonferenz, die ja an eigenen Regulierungsvorschlägen arbeitet. 3) Die harschen Angriffe erzeugen teils unerwartete Reaktionen, wie das MEDI-Papier zeigt, aber auch die Stellungnahme der Stiftung Patienschutz (~ mehr zu), die von der Augsburger Allgemeinen wiedergegeben wurde. Patientenlobbyist Eugen Brysch erklärt hier, dass es “Patientinnen und Patienten … vollkommen egal [sei], wer Investor eines medizinischen Angebots ist.” Für die Betroffenen seien nämlich ausschließlich die Öffnungszeiten, gute Erreichbarkeit und Qualität entscheidend. „Allein eine inhabergeführte Praxis ist dafür keine Garantie.” Wie wahr! 4) Aus keiner der Meldungen lässt sich eine belastbare Aussage ableiten, wann oder mit welchen Inhalten das BMG nun tatsächlich einen Regulierungsvorschlag vorlegen wird. Dazu passt, dass sich das BMG in der am 09.01.2023 veröffentlichten Antwort auf die kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zu MVZ (~ Bundestagsarchiv v. 5.12.2022) höchst bedeckt hält, aber erklärt, das Ziel zu verfolgen, “das bestehende Spannungsverhältnis zwischen einer ausgeprägten Renditeorientierung und den ihr übergeordneten Versorgungszielen” auflösen zu wollen. Konkret unkonkret wird weiter mitgeteilt: “Das BMG beabsichtigt, einen Vorschlag zur weiteren Regulierung von MVZ zu erarbeiten. Die nähere Ausgestaltung des Regelungsvorschlags wird derzeit geprüft.”
Augsburger Allgemeine v. 11.01.2023
Lauterbach will Investoren ausbremsen und bekommt Kritik von Opposition
ÄrzteZeitung v. 18.01.2023
Kritik an BÄK: MEDI will Fachgleichheit und Überregionalität nicht aufgeben
Bundestagsdrucksache 20/5166 v. 09.01.2023 (Antwort auf Bdrs. 20/4778)
Auswirkungen investorengetragener MVZ auf das Gesundheitssystem in Deutschland (PDF)