Zahlen bilden keine Philosophien, sondern Realitäten ab! Bis zur Veröffentlichung der letztjährigen Statistiken sind in dieser Reminder-Ausgabe unsere jüngeren Analysen gesundheitsökonomischer Paper zusammengefasst. Eine Darstellung von beachtenswerten Trends und aktuellen Wirklichkeiten.
Zwei Zi-Papers | Aktuelle Stimmung und Prognosen für 2035
Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung hat kürzlich sowohl die jährlichen Informationen zum Stimmungsbarometer veröffentlicht, als auch den Beitrag zum Versorgungsatlas „Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten – Eine Projektion nach Fachgruppen bis 2035“. Wir haben die Quintessenz beider Erhebungen zusammengefasst.
Das Ergebnis des jährlichen Stimmungsbarometers war fast erwartbar. Allerdings ist die durchschnittliche Zunahme der Unzufriedenheit im ersten Quartal 2023, im Vergleich zu den Vorjahren, signifikant. 55 Prozent der niedergelassenen Ärzte schätzen ihre Situation als schlecht bzw. sehr schlecht ein. Das sind 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Einen ähnlichen Anstieg gab es zuletzt 2019/2020. Die Fachgebiete bewerten die Lage naturgemäß etwas unterschiedlich, dennoch hat das Ergebnis der diesjährigen Erhebung den Zi-Vorstandsvorsitzenden veranlasst klare Worte zu finden. So führt er die Unattraktivität auf die Bürokratielast, Regressandrohungen und eine mangelnde Weiterentwicklung der Finanzierung zurück. Beachtlich ist zudem seine Ergänzung: „Schon jetzt sind bundesweit fast 6.000 Arztsitze unbesetzt, weil die Niederlassung im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der ärztlichen Berufstätigkeit an Attraktivität eingebüßt hat. Von der Schließung sind auch Medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärztinnen und Ärzten bedroht. Denn die ambulante ärztliche Versorgung ist chronisch unterfinanziert.“ (~ Dr. von Stillfried | Zi) Es ist leider bezeichnend für die MVZ Debatte, dass es geradezu erfrischend wirkt, wenn die ärztlichen Kooperationen nicht als Buhmann gegen die Niedergelassenen ausgespielt werden, sondern aufgezeigt wird, dass man nicht nur im gleichen, sondern im selben Boot sitzt. Mehr Details finden sich im obigen Zitat-Link zur Zi Pressemitteilung.
Nicht minder ernüchternd ist die Prognose für das Jahr 2035. Das Zi bescheinigt eine Verschiebung der Versorgungsbedürfnisse. Zum einen hängt dies mit der demographischen Entwicklung im Zusammenhang mit Zuwanderung und zum anderen mit der fortlaufenden Urbanisierung zusammen. Auch hier sind die Fachgruppen unterschiedlich betroffen. Verallgemeinernd lässt sich jedoch sagen, dass in den östlichen Flächenländern der Versorgungsbedarf abnimmt, während im südlichen Teil der Republik und teilweise in den westlichen Ballungsgebieten, sowie im Großraum Berlin der Bedarf steigt. Einen verstärkten Zuwachs Trend sieht das Zi bei den ‚Augen-, HNO-, Haut-, Kinder- und Nervenärzten sowie Urologen und Fachinternisten‘. Auch zu dieser Entwicklung liefert der Zi-Vorstandsvorsitzende eine prägnante Einschätzung: „Zudem müssen wir mitdenken, dass der medizinische Fortschritt immer mehr ambulante Behandlungen möglich und immer weniger Krankenhausbehandlung notwendig macht. Deshalb müssen wir umdenken: Bisher betrachten wir die Ballungsräume als ärztlich überversorgt. Tatsache ist, dass wir dort eine besondere Zunahme des Versorgungsbedarfs erwarten müssen.“ (~ DZW v.15.08.2023). Ob die deutsche Krankenhausgesellschaft dem Leiter des Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung hier vollumfänglich zustimmt, bleibt erst einmal offen. Dennoch liefern die Erkenntnisse aus der Erhebung Stoff für die politische Argumentation, wie auch für die unternehmenseigene Strategieentwicklung. Ein Blick auf die regionalen Prognosen (Karten im Anhang) und das Fazit der Erhebung, könnten sich somit lohnen.
Zi, Versorgungsatlas v. 10.08.2023
Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten – Eine Projektion nach Fachgruppen bis 2035
ÄrzteZeitung v. 11.09.2023
Mehrheit der Niedergelassenen ist unzufrieden
änd v. 11.09.2023
Stimmung in der ambulanten Versorgung auf dem Tiefpunkt
Bundesarztregister 2024 | Zahlen bilden keine Philosophien, sondern Realitäten ab
Die neuen Zahlen aus dem Bundesarztregister (BAR-Statistik) bestätigen lang anhaltende Trends, wie die Zunahme der Teilzeitquote und des Anteils an Frauen in der ärztlichen Versorgung. Insoweit waren und sind die Entwicklungen erwartbar. Genauso vorhersehbar sind auch die ein oder andere Schlussfolgerung und die daraus abgeleiteten Forderungen. Wichtigster Punkt: Der Trend zur Anstellung hält weiter an. Erstmalig waren über 50.000 der insgesamt rund 177.000 Ärztinnen und Ärzte in Anstellung tätig. Etwas mehr als die Hälfte davon in MVZ. Konkret sind das 16,1 % aller Ärzt:innen, bzw. knapp über 28.500 ‚Köpfe‘. Zum Vergleich: In BAG sind knapp 10.000 (5,6%) und in Einzelpraxen fast 14.000 (7,8%) aller Ärztinnen und Ärzte angestellt. Nach wie vor sind jedoch die Zulassungen in Einzelpraxen mit 80.000 (45%) und BAGs (23%) mit 42.000 Leistungserbringern das Rückgrat der Versorgung.
Dennoch bleibt als Befund, dass sich die Zahl der Anstellungen insgesamt seit 2013 mit stetiger Dynamik verdoppelt hat. Diese Feststellung führte bei der KBV dazu, das Narrativ ‚vom Goldstandard der Einzelpraxis‘ mit einem neuen Twist zu versehen: „Im Prinzip stellt eine Niederlassung eine gute Option dar, um sowohl selbstständig arbeiten zu können als auch Familie und Beruf sinnvoll zu vereinbaren […] Unter den derzeitigen schlechten Rahmenbedingungen […] dürfte es schwierig sein, selbst mit den kreativsten Förderprogrammen junge Kolleginnen und Kollegen für die Niederlassung zu begeistern“, konstatiert KBV-Vize Hofmeister. Zu den schlechten Rahmenbedingungen zählt Hofmeister die hinderliche Bürokratie und die dysfunktionale Digitalisierung (~ Quelle). Ob sich eine Trendumkehr abzeichnen würde, wenn die Wünsche der KBV sich erfüllten, ist allerdings fraglich, denn die Gründe des Trends sind mannigfaltiger und berühren viele Bereiche auch außerhalb der Gesundheitsökonomie. Einen Ansatz hatten wir vor Kurzem beleuchtet in dem Artikel (~ Teilzeit als volkswirtschaftliches Problem | KW 8).
Dieses Gesamtbild ist unbedingt erwägenswert, denn die Anzahl an Ärztinnen und Ärzten – gemessen in Köpfen – nimmt stetig zu, während wir in vielen Regionen von Unterversorgung sprechen. Die öffentliche BAR-Statistik geht in ihrer jetzigen Form bis 2013 zurück. Seitdem hat sich die Summe der Ärzte und Psychotherapeuten um 26.000 Personen erhöht. Betrachtet man die Vollzeitäquivalente (VZÄ), gibt es eine Steigerung um 4.000 auf heute 142.590 VZÄ. Selbstredend steht dem eine höhere Lebenserwartung gegenüber, sowie eine alternde Bevölkerung. Das damit einhergehende Durchschnittsalter der arbeitenden Bevölkerung spiegelt sich auch in der BAR-Statistik wider. Laut einem Artikel des änd haben Psychotherapeuten (PT) den höchsten Altersdurchschnitt mit 60 Jahren. Die Allgemeinärzte kommen auf 55 Jahre (~ Quelle). Eine Bestätigung findet der vom BMVZ immer wieder dargelegte, aber allgemein wenig beachtete Fakt, dass die Angestellten in den Einrichtungen keineswegs nur junge Mediziner:innen sind. Fast 60 % der angestellten Ärzte und PT verteilen sich auf die Alterskohorten 40-49 (29,8%) und 50-59 (28,4%). Bei den Niedergelassenen ist die stärkste Alters-Kohorte 40-49 Jahre mit 34,6 % aller Ärzte und PT.
Die Statistik ist reich an vielen Erkenntnissen und in Verbindung mit anderen Ausarbeitungen des Zi lässt sich ein differenziertes Bild der aktuellen und künftigen Versorgungslage zeichnen. Dafür bedarf es jedoch anderer Formate. Ohne Frage steht aber die Selbstverwaltung vor der Herausforderung, den Wandel mitzugestalten. Denn auch die kommenden BAR-Statistiken werden keine Philosophien, sondern Realitäten abbilden.
KBV-Praxisnachrichten v. 04.04.2024
Arztzahlstatistik 2023: Anstellung und Teilzeit weiter im Trend
apotheke adhoc v. 03.04.2024
Arztstatistik: Mehr Angestellte, mehr in Teilzeit
änd v. 29.03.2024
KBV-Statistik zur Zahl der Niedergelassenen: Trend zur Teilzeit hält an
KBV-Berufsmonitoring 2022 | Einblicke in das Erwartungsmanagement der Medizinstudierenden
Im September 2022 hatte die KBV bereits eine erste Stellungnahme zum Berufsmonitoring 2022 präsentiert. Mit einer dezenten Verspätung von 15 Monaten wurden zum Jahreswechsel 23/24 nun auch die ausführlichen Ergebnisse veröffentlicht. Die Erkenntnisse offenbaren nichts fundamental Neues und bestätigen bekannte Trends. Für das operative Geschäft, insbesondere für Personalverantwortliche, mag es dennoch sinnvoll sein, die Erwartungshaltung der jungen Medizinstudierenden zur Kenntnis zu nehmen. Hintergrund: Das Berufsmonitoring erscheint zum vierten Mal seit 2010. Erstmalig wurde ergänzend zu der bundesweiten Befragung (~ Berufsmonitoring Medizinstudierende 2022) auch eine Umfrage im europäischen Kontext durchgeführt „Berufsmonitoring Europäische Medizinstudierende 2022“. Letztere ist sicher spannend für eine Relativierung. Die bundesweite Befragung ist jedoch maßgeblich für den Nachwuchs der ambulanten Versorgung hierzulande.
Schwerpunkte der Studie waren: Bedeutung der Work-Life-Balance, das Thema Digitalisierung, die Wissensvermittlung während des Studiums und die Auswirkungen von Corona auf die Ausbildung. Begrüßenswert: 99 Prozent der Befragten geben an, dass sie „in ihrem Berufsleben mit Patientenkontakt arbeiten möchten.“ (S. 6 | Diese und nachfolgende Seitenangaben beziehen sich auf die bundesweite Befragung). Für die kooperativen Strukturen kommt erfreulicherweise hinzu, dass sich ein Trend hin zu Teamarbeit und interprofessioneller Berufsausübung abzeichnet. Der Abstract des Berichtes formuliert diese Entwicklung recht drastisch: „Die Rolle des Arztberufs im Team mit anderen Professionen muss neu definiert werden.“ (S. 6) Schaut man sich die Zahlen zur „Erwartungen an die spätere Berufstätigkeit“ (S. 28 ff.) an, findet sich die Teamarbeit (Platz 7) und Interprofessionalität (Platz 9) hinter Faktoren wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Platz 1) und Geregelte Arbeitszeiten (Platz 2), aber dennoch vor dem Wunsch ‘Tätigkeit in der eigenen Praxis’ (Platz 10). Im Grunde liest sich diese Tabelle, wie eine Checkliste für MVZ für all jene, die sich für den ambulanten Sektor entscheiden.
Für Stirnfalten könnten allerdings die Gehaltsvorstellungen der angehenden Mediziner sorgen. Eine „gute Bezahlung“ schafft es auf Platz 3 im Erwartungsmanagement der jungen Studierenden. Ausdrücklich nach dem Nettogehalt mit fünf Jahren Berufserfahrung gefragt, geben sie im arithmetischen Mittel 5.439 € an (S. 32). In der schriftlichen Auswertung versucht die Studie, ihre eigenen Ergebnisse zu relativieren, mit Aussagen über die Unwissenheit der Studierenden und Verweisen auf Gehälter anderer Berufsgruppen. Der ganze Absatz wirkt, auch wegen seiner überholten Zitationen von 2004, leicht befremdlich. Was in der Studie ausbleibt, ist jedoch eine realistische Einordnung im Kontext der Debatte um die Zukunft der Versorgung. Kühl aufgerechnet, bedeutet das Netto-Wunschgehalt bei Kinderlosen ein Brutto von ca. 9.800 € in Vollzeit. Die Personalkosten sind nach betriebswirtschaftlichen Konventionen dann mit mindestens 1,7 zu multiplizieren, realistischer aber mit dem Faktor ~ 2 (~ Controlling-Portal.de v. 10.10.2022). Kalkulatorisch würden sich also Kosten von über 19.000 € für solch eine Planstelle ergeben. Sicher, diese Zahl ist unternehmensspezifisch und auch nicht in vollem Umfang zahlungswirksam, allerdings für eine konstruktive Debatte von Bedeutung.
Abseits davon, ist im Rahmen der Auswahl einer möglichen Facharztrichtung zwischen 2010 und 2022 ein positiver Trend bei der Allgemeinmedizin zu erkennen. Hier stieg die Präferenz um 6,4 Prozentpunkte auf 36,8 Prozent, aller Befragten. Dezent rückläufig ist die Beliebtheit der Weiterbildungen Chirurgie und Orthopädie (S. 38). Einigkeit herrscht in der Aussage über die negativen Folgen von Corona für die Ausbildung. Grundsätzlich sehen viele Studierende die Aufstellung des Kolloquiums kritisch – vor allem in den Sparten Digitalisierung und betriebswirtschaftliche Kenntnisse und eine grundlegende Einführung in das ambulante System. Die Hürde der Niederlassung ist dadurch für viele hoch (S. 7 ff. und 45 ff.). Erwartbar nimmt so die Neigung zu einer Anstellung in einem MVZ zu, obwohl der Wunsch, in einem Krankenhaus zu arbeiten, bei den Studierenden weiter auf Platz 1 steht (S.45). Aber hier haben die Autoren der Studie vermutlich recht. Die Befragten stehen nun mal noch am Anfang ihrer Ausbildung – und im Grunde vor dem Beginn ihres Berufslebens – und einige Wünsche ändern sich mit der Erfahrung.
ÄrzteZeitung v. 24.01.2024
Work-Life-Balance bei Medizinstudierenden hoch im Kurs
KBV – Themenseite ‘Berufsmonitoring’
Ergebnisse der Befragung 2022 (PDF) sowie Zugrif auf die Ergebnisse 2018 – 2014 – 2010
Ärzteblatt v. 21.10.2022
Berufsmonitoring Medizinstudierende: Neue Strukturen sind gefragt
Fakten und Transparenz statt gefühlter Wahrheiten: Neue MVZ-Studie unterstreicht die Forderungen des BMVZ
Eine vom BBMV und dem ALM e.V. in Auftrag gegebene Studie des Gesundheitsökonomen Prof. Fricke analysiert Abrechnungsdaten von sogenannten Investoren-MVZ vor und nach dem Inhaberwechsel, um zu prüfen, „ob auf Basis von Abrechnungsdaten … sowie im Rahmen der Erfüllung der Prüfaufträge … Auffälligkeiten im Abrechnungsverhalten von Leistungserbringern untersucht und festgestellt werden können.“ Im Hintergrund ging es um die Widerlegung der oft zu hörenden, aber weitgehend unbewiesenen Behauptung, MVZ, insbesondere solche mit medizinfernen Trägern, würden überhöhte Honorare abrechnen. Das Fazit des Experten, der seine Arbeit in einer Pressekonferenz am 11. März unter der Überschrift ‘Evidenz hilft’ vorstellte, lautet: Wenn die K(Z)V nur wollten, ließen sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln problemlos „Auffälligkeiten im Abrechnungsverhalten von Vertragsärzten bzw. MVZ“ untersuchen. Transparenz ist also doch möglich!? (~ zur Studie – PDF | 24 Seiten).
Prof. Fricke, bzw. der Interessenverband der akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) und der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) hatten für die Studie unter den eigenen Mitglieds-MVZ detaillierte Abrechnungsdaten erhoben und ausgewertet. Im Kern der Studie wurden 17 MVZ betrachtet, und zwar jeweils 12 Monate vor und 12 Monate nach dem Einstieg von Beteiligungskapital privater, nicht-ärztlicher Investoren. Vorrangiges Ziel der Ausarbeitung war es jedoch nicht, eine repräsentative Studie zur Fallzahlentwicklung nach Investorenbeteiligung zu veröffentlichen, sondern die Machbarkeit der Datenerhebung darzulegen.
Und dies ist gelungen. Mit dem erwartbaren Ergebnis, dass es vereinzelt Auffälligkeiten gibt, für die es individueller Einzelprüfungen bedarf. Der Vorstandsvorsitzende des ALM Dr. Michael Müller bewertete die Ergebnisse in einem Interview-Podcast der ÄrzteZeitung v. 11. März (~ Brauchen iMVZ mehr Kontrolle, damit sie nicht nur Rosinen picken, Dr. Müller?). Er plädierte für einen Schwellenwert, ab dem eine tiefergreifende Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen sollte – selbstverständlich aber für alle Praxisformen (~ Min. 10). Im Interview greift er auch die Gretchenfrage auf, die sich als Fazit aus der Studie ergibt: Warum gibt es keine Daten zu dem medienpräsenten Vorwurf „MVZ mit Beteiligung privater, nicht ärztlicher Kapitalgeber würden sich auf ‚lukrative‘ Leistungen konzentrieren, um Gewinne zu maximieren“? Gesetzlich vorgeschrieben müssen die KVen Prüfaufträge erstellen und deren Ergebnisse an die zuständigen Landesbehörden weitergegeben, sagt Dr. Müller dazu und ergänzt: „Die einzige KV, die mir bekannt ist, ist die KV Berlin, die in einem ihrer KV Blätter […] im Jahr 2020 diese Prüfung nach §95 öffentlich gemacht hat. Weitergehende Daten sind da nicht veröffentlicht. […] Ansonsten gibt es Honorarberichte …“ (~ Min. 14:40).
Bis auf einige Berichte in der Fachpresse, welche die Studie von Prof. Fricke aufnahmen, gab es keine wahrnehmbaren Reaktionen der sonst so kommunikativen Akteure der ärztlichen Selbstverwaltung. Vielmehr nahm die KV Bayerns Anlauf und hinterfragte die Eignung von Gassen als KBV Vorsitzenden, nach dessen Äußerungen zu MVZ im Gesundheitsausschuss (~ Bayerisches Zahnärzteblatt Heft 04/2024 | PDF). Die Anti-MVZ-Haltung beruht dabei weiterhin auf Behauptungen und handwerklich fragwürdigen Studien, wie dem IGES Gutachten (~ Methodische Kritik: BMVZ nennt Aussagewert der IGES-MVZ Studie eingeschränkt). Daten, Fakten und eine nüchterne Analyse – mehr bräuchte es nicht, sagt nun auch der Gesundheitsökonom Fricke. Dessen MVZ-Studie stützt somit die fortwährende Forderung des BMVZ nach mehr Sachlichkeit in dieser Frage.
ÄrzteZeitung v. 11.03.2024
MVZ-Abrechnung: KVen könnten schwarze Schafe jederzeit rausfischen
apotheke adhoc v. 11.03.2024
MVZ-Betreiber liefern Vorher/Nachher-Vergleich
Tagesspiegel v. 11.03.2024
Wie viel Regulierungsbedarf gibt es wirklich?
SVR-Gutachten zum Gesundheitssystem: Viele offene Baustellen und die Anerkennung des Mehrwertes von MVZ
Das neue Gutachten des Sachverständigenrates (SVR) stützt, nicht wirklich unerwartet, die aktuelle Denk- und Marschrichtung des Gesundheitsministers. Dieser hatte schon seit langem medienwirksam auf den Rat und Einfluss von Lobbygruppen verzichten wollen, zu Gunsten der akademischen Kollegen. Universitäre statt institutioneller Forschung also. Aber gerade, weil das Gutachten eine Silhouette der aktuellen Gesetzgebung ist, lohnt ein kurzer Einblick. Für die Eiligen: Ganz am Ende des Textes haben wir den MVZ relevanten Absatz in Gänze zitiert. Das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrates wurde unter dem Titel „Fachkräfte im Gesundheitswesen | Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource“ veröffentlicht. (~ zum Bericht | öffnet als PDF) Der Bericht geht unter der Maßgabe der Personalkapazitäten verschiedene Aspekte an. Zusammenfassend lässt sich die Problemstellung und Zielsetzung in einem Satz wiederfinden: „Ziel [ist die] Reallokation der knappen Personalressourcen im Sinne einer bedarfsgerechten und humanressourcenschonenden Versorgung“. (S. röm. 28) Das Gutachten erkennt an, dass auch außerhalb der Gesundheitsökonomie der Fachkräftemangel Lücken in systemrelevante Branchen reißt. Die Gesundheitsbranche steht somit in Konkurrenz, allerdings um eine ‚Ressource‘, die es auch anderswo benötigt, damit der Gesundheitssektor finanziert werden kann. Ein wahres Dilemma. Der SVR schlägt also Maßnahmen vor, mit weniger Personal mehr Menschen – unter Bezug auf die Babyboomer Generation – versorgen zu können.
Auf der makroskopischen Ebene folgt der SVR der aktuellen Politik, bzw. eigentlich ist die Kausalität umgekehrt. Die aktuellen Gesetzespläne zum Krankenhausgesetz (KHVVG) und Versorgungsgesetz (GVSG) folgt wohl den Vorschlägen des SVR. Gemäß des Rates wäre in struktureller Hinsicht „Ein zentraler Hebel […] die Reduktion der stationären Belegungstage durch verbesserte Koordination und Ambulantisierung.“ Dafür sollen auch die Hybrid DRGs weiterentwickelt werden. Außerdem schlägt der SVR eine verbesserte Patientensteuerung vor. Eine Säule soll dabei das Primärarztsystem darstellen, außerdem ist angedacht: „Integrierte Leitstellen (ILS) und Integrierte Notfallzentren (INZ) einzurichten sowie Einsätze des Rettungsdienstes zukünftig als eigenständige, präklinische notfallmedizinische Leistung abzurechnen, um die Notaufnahmen und damit die personellen Ressourcen in den Krankenhäusern zu entlasten.“ Im Kontext der umstrittenen Level-1i Krankenhäuser, die der Hausärzteverband als Erosion der Sektorgrenzen zu Lasten der ambulanten Versorgung wahrnimmt, ist ein weiter Vorschlag des SVR richtungsweisend: „Der Rat empfiehlt, eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung ambulanter Leistungen zu etablieren.“ (S. röm. 28) Bisher stehen den Landesgremien nur Empfehlungen im Rahmen von „sektorenübergreifenden Versorgungsfragen“ (~ § 90a SGB V) zu.
Der Bericht geht ferner auf die Klassiker ein. Mehr Befugnisse für Pflegekräfte/MFA, mehr Verantwortung für Patienten im Sinne der Inanspruchnahme, aber auch der Gesundheitskompetenz. Auch die Ärzte sollen in die Verantwortung genommen werden. So möchte sich der SVR ein Beispiel am europäischen Ausland nehmen: „In einigen europäischen Ländern wird die Anzahl der Weiterbildungsplätze quotiert, sodass eine freie Wahl der Facharztweiterbildung nicht ohne Weiteres möglich ist.“ Die Ausführungen dazu sind auf Seite 177 des Berichtes skizziert, allerdings gab es bereits starken Gegenwind und es ist fraglich, ob dies in Deutschland so umsetzbar ist.(~ Ärztekammer lehnt Quotierung der Weiterbildung ab | Ärzteblatt v. 30.04.2024) Auch die Pflegekräfte möchte man zukünftig steuern, oder zumindest eine Koordinierung durch ein „nationales Monitoring der Personalressourcen“ anstreben. Außerdem ein Ausbau der TI und Abwägung der Nutzung von KI. Ebenso nicht ganz neu sind die Überlegungen Richtung eines verpflichtenden sozialen Jahres.
Die 332 Seiten sind voll mit weiteren Vorschlägen und Ideen, von denen viele schon länger in der Diskussion stehen. Jedoch braucht es nun einmal oft stetige Wiederholung, damit die notwendige Dringlichkeit aufgebaut wird oder die Erkenntnis einsetzt. Das gilt für den diesjährigen Bericht besonders für MVZ. Über das gesamte Paper werden Punkte wie Arbeitnehmerattraktivität, Effektivität und Effizienz im Einsatz von Personal-Ressourcen aufgenommen. Die Erkenntnisse kumulieren in einer guten Zusammenfassung, die wir hier schlicht zitieren: „Die ambulante medizinische und pflegerische Versorgung wird oftmals durch Kleinbetriebe (z. B. Einzelpraxen) mit einer sehr geringen Mitarbeiterzahl erbracht. Der Rat empfiehlt, die Etablierung größerer organisatorischer Einheiten zu fördern, um Skaleneffekte zu realisieren und vorhandene Personalressourcen effizienter zu nutzen. Sinnvoll konzipierte größere Einheiten können attraktive Anstellungsformen bieten, indem sie u.a. eine bessere Aufgabenteilung zwischen den Berufsgruppen mit Spezialisierung der Beschäftigten einschließlich der medizinischen Fachangestellten ermöglichen.“ (S. röm. 15 | siehe auch S. 158) Chapó! Klar muss aber sein, dass damit nicht nur MVZ, sondern eben auch womöglich sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen gemeint sind. Dennoch ist diese Klarstellung begrüßenswert. Viele der Ansätze sind langfristig gedacht, es wird sich zeigen, inwiefern zukünftige Regierungen diesen Richtungseinschlag mittragen. Dass etwas geschehen muss, darin sind sich aber wohl alle einig.
HCM Magazin v. 07.05.2024
SVR-Gutachten veröffentlicht: Fachkräfte im Gesundheitswesen
Ärzteblatt v. 25.04.2024
SVR-Gutachten: Strukturelle Probleme angehen und Ressourcen effizienter
BibliomedManager v. 25.04.2024
SVR: Fachkräftemangel ist ein strukturelles Problem