Patientenfragen & ihre Antworten | eRezept-Pflicht ab 1.1.2024 | Vorbereitung für den Praxistresen
Obwohl das eRezept einen so langen zeitlichen Vorlauf hat, dürfte das Gefühl, nicht optimal vorbereitet zu sein, viele Praxismitarbeiter nicht verlassen. Das Technische ist dabei nur eine Seite. Vielmehr hängt dieses Gefühl auch damit zusammen, dass die allgemeine Patienteninformation stockt, bzw. eigentlich seit zwei Jahren (also seit dem ursprünglichen Starttermin) dauerpräsent ist, und deshalb kaum mehr als Neuigkeit auffällt. So stammen etwa die letzten Informations-Updates sowohl der Apotheken-Umschau (~ direkt zu) als auch der Verbraucherzentrale (~ direkt zu) aus Juli 2023.
Wenn es ab Dienstag, den 2. Januar 2024, in vielen Praxen erstmalig im Maximalbetrieb ernst wird, dann werden in der Interaktion mit den Patienten vielen Unbekannte lauern. Es scheint sinnvoll, dass zwischen Ärzten und MFA für die ersten Wochen eine konkrete Kommunikationsstrategie und ‘Notfallpläne’ vereinbart werden, um den Patientenfluss am Praxistresen so gut wie möglich zu steuern. Zu klären ist etwa die Frage, wann die MFA weiter ein Muster 16 ausstellen darf oder soll, und wie und wann der Arzt die Rezepte signiert. Zusätzlich möchten wir kurz auf die Situation von Weiterbildungsassistenten im Kontext des eRezeptes hinweisen. Die KBV hat hierzu die Regeln konkretisiert, wann Ärzte in Weiterbildung mit dem eigenen eHBA signieren dürfen. (~ FAQ für Softwarehersteller zu digitalen Mustern im Format FHIR | im PDF Seite 13).
Ist das eRezept auch für den Patienten Pflicht?
Ja, die Verwendung der digitalen Formulare und Übermittlungswege ist für beide Seiten ohne Alternative. Für Ärzte ergibt sich die Pflicht aus dem Bundesmantelvertrag. Für Patienten gibt es deshalb keine Opt-Out-Option. Ausnahme sind hier lediglich die Anwendungsfälle (wie BTM-Rezepte), wo die analogen Muster weiter zu verwenden sind und Situationen, in denen die Technik nicht funktioniert. Von den drei Einlösungswegen (App, eGK, Token) ist sicher der Tokenausdruck der für zögerliche Patienten annehmbarste, das eRezept zu nutzen, da er dem bisherigen papiernen Verfahren weitgehend entspricht.
Hat der Patient Anspruch auf den Token-Ausdruck?
Ja, die elektronische Verordnung (Vordruck e16A) ist auf Wunsch oder Verlangen des Patienten stets auszudrucken. Dies kann auch zusätzlich zur Übertragung der Verordnung per eGK oder App erfolgen, da über die gemeinsame Plattform der gematik sichergestellt ist, dass jedes Rezept nur genau einmal eingelöst werden kann. Die grundsätzliche Token-Mitgabe kann daher zögerlichen Patienten helfen, den Übertragungsweg via eGK oder App ‘mit Sicherheitsnetz’ auszuprobieren. Der Token ist dabei weder zu stempeln, noch vom Arzt zu unterschreiben.
Wann gilt die Verpflichtung zum eRezept nicht?
Grundsätzlich geht der Normgeber hier – schon sprachlich – lediglich von ‘Einzelfällen’ aus. Als solcher gilt vor allem, wenn “die elektronische Ausstellung oder Übermittlung aus technischen Gründen nicht möglich ist.” (~ Vordruckvereinbarung | im PDF Seite 13). Dazu zählen allgemein Ausfälle der TI, aber derzeit auch noch Heim- und Hausbesuchssituationen, weil es hier am Übertragungsweg hapert. Technisch unmöglich ist die Übertragung auch, wenn die Versichertennummer eines Patienten unbekannt ist, also das Ersatzverfahren zum Einsatz kommt. Zusätzlich sind bestimmte Anwendungsfälle, wie BTM- und T-Rezepte, komplett aus der eRezept-Pflicht ausgenommen: Derzeit besteht sie ausschließlich für apothekenpflichtige Medikamente. Im Übrigen liegt ein ‘technischer Einzelfall’ auch dann vor, wenn bei Ihnen als Praxis zwar alles funktioniert, dafür aber in der Apotheke nicht und der Patient deshalb das eRezept nicht einlösen kann. Auch dann sollte ein Muster 16 ausgehändigt und gleichzeitig das eRezept im entsprechenden TI-Fachdienst gelöscht werden. Eine Löschung durch den Arzt ist solange möglich, wie das Rezept noch nicht eingeläst wurde.
Was ist mit Verordnungen für PKV-Versicherte?
Die eRezept-Pflicht erfasst zunächst nur GKV-Patienten. Allerdings sind die privaten Krankenkassen sehr interessiert, das digitale Rezept ebenfalls einzuführen. Eine Hürde ist jedoch, dass PKV-Patienten regulär keine Krankenkassenkarte haben, über die ein Rezept eingelöst werden könnte, bzw. die als Identifizierung in Praxis und Apotheke gesteckt werden kann. Deshalb bleibt vorrangig der Weg über die Gematik-App in Kombination mit einer Gesundheits-ID, für deren Nutzung Privatpatienten zusätzlich einen ‘Online-CheckIn über ihre Kasse vornehmen müssen. Ist dies patientenseitig geschehen, können Ärzte ihren Privatpatienten eRezepte auf demselben Weg ausstellen, wie den GKV-Patienten. Einzelne PKV-Kassen haben auch angefangen, Karten auszugeben, um die eGK quasi zu ‘simulieren’.
PKV-Service-Portal: Digital Rezepte erhalten und einlösen
Gematik | Muster zur Verwendung in der Patientenaufklärung
Patienteninfo eRezept | Das eRezept in leichter Sprache
KBV | Muster zur Patientenaufklärung
eRezept: Der digitale Weg zum Arzneimittel
Weitere nützliche Materialen zum eRezept
Patienteninfo KV S-Holstein | 37 FAQ – KV Bayerns | Patienteninfo Hausärzteverband | Muster-Token mit Erklärung
eArztbrief: Termine 2024 | Die unbeachtete Pflichtanwendung
Die Einführung der eRezept-Pflicht im Januar 2024 stellt momentan die anderen TI-Vorhaben etwas in den Schatten. Jedoch wird mit dem Inkrafttreten des Digitalgesetzes (DigiG) mit einer Verzögerung von drei Monaten auch der eArztbrief weitestgehend verpflichtend. Wörtlich heißt es im Entwurf, mit dem der bestehende § 295 SGB V deutlich erweitert werden soll: „Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen sind verpflichtet, spätestens ab dem …[einsetzen: Datum des letzten Tages des dritten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats] die Empfangsbereitschaft […] sicherzustellen.“ (Gesetzentwurf im PDF Seite 17). Es ist daher erwägenswert, dies bei der Anpassung der Praxisabläufe für das eRezept gleich mitzubedenken. Zu letzterem hatten wir kürzlich ersteinen Artikel mit Impulsen und weiterführenden Verlinkungen veröffentlicht (Prozessorganisation rund um das eRezept | PRAXIS.KOMPAKT KW47) – weitere Hilfestellungen bietet diese Ausgabe in drei Berichten. Nachfolgend sind hier jedoch zunächst einige KeyNotes zum eArztbrief gelistet.
Termin und Kürzung: Ob die Verpflichtung kommt, entscheidet sich mit der Verabschiedung des Gesetzes, voraussichtlich am 14. Dezember 2023. Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat. Die Veröffentlichung wird voraussichtlich zwischen Weihnachten und Jahresende stattfinden. Praxen, die keine Empfangsbereitschaft für den eArztbrief herstellen, droht eine Kürzung der TI-Pauschale von 50 Prozent. Mehr dazu findet sich auf dieser KBV-Seite, Details zur Kürzung stehen unter dem Punkt „Höhe der TI-Pauschale“ (~ BMG passt Regelungen zur TI-Pauschale an | KBV).
Abrechnung: Mit der Vergütungsanpassung vom 30.06.2023 sind die bisherigen Betriebskostenpauschalen und GOPs in der TI-Pauschale aufgegangen. Die Verhandlungen für eine gesonderte Vergütung laufen nach Angaben der KBV noch (~ Vergütung des elektronischen Arztbriefes). Die KV Westfalen-Lippe schreibt zum Thema: „Um einen ggf. nachträglich entstehenden Vergütungsanspruch aus einer neuen Vereinbarung zu dokumentieren, empfehlen wir Ihnen die [Symbolnummern 86900 + 86901] auch weiterhin abzurechnen.“ (~ KVWL | Aktualisierung v. 4.12.2023) Exemplarisch wäre noch die KV Thüringen zu nennen, die auf eine Sondervergütung im Rahmen des AOK-Plus Rahmenvertrages verweist (~ KVT).
Technische Voraussetzungen: TI-Anbindung und KIM-Dienst | Konnektor Software-Update: mindestens auf den E-Health-Konnektor (Stufe PTV3) | PVS-Update mit PVS-Modul eArztbrief | eHBA der 2. Generation für die qualifizierte elektronische Signatur (QES)
Für alle, die sich noch in der Umstellung befinden, werden die kommenden Wochen zeigen, inwiefern die PVS-Anbieter den gesetzlichen Anforderungen von ihrer Seite nachkommen können. Für Praxen, die ihr PVS zum Anlass der verpflichtenden Einführung wechseln, wurde die Nachweispflicht der TI-Anwendungen auf das zweite Quartal 2024 verschoben.
ÄrzteZeitung v. 29.09.2023
Nur ein Viertel der Praxissoftwaresysteme für eArztbrief zertifiziert
BMVZ PRAXIS.KOMPAKT Ausgabe KW 33/2023
eArztbrief | Pflicht zur Anwendung bei gleichzeitigem Wegfall der Förderpauschale
KBV-Infoseite: Anwendungen in der TI
Elektronischer Arztbrief (eArztbrief)
Telefon AU dauerhaft möglich | GBA setzt Auftrag des Gesetzgebers vorzeitig um
Seit dem 7. Dezember besteht für die Ausstellung einer Krankschreibung keine zwingende Notwendigkeit mehr, dass Patienten persönlich in die Arztpraxis kommen. Allerdings gilt dies unter bestimmten Bedingungen, wie der gemeinsame Bundesausschuss mitteilt (~ Pressemitteilung v. 7. Dezember | Beschlussgründe) Es gilt: Sofern eine Videosprechstunde nicht möglich ist, kann nach einer telefonischen Anamnese eine Bescheinigung für Arbeitsunfähigkeit ausgestellt werden. Die KBV beschreibt als eine solche Nicht-Möglichkeit, dass der Patient nicht in der Lage ist, die Videokonsultation wahrzunehmen, beispielsweise wegen eines Mangels an technischem Gerät oder Know-how (~ KBV | graue Infobox). Grundsätzlich ist es jedoch erforderlich, dass der Patient bereits in der jeweiligen Arztpraxis bekannt ist, und es dürfen keine schwerwiegenden Symptome vorliegen. In solchen Fällen wäre eine persönliche Untersuchung erforderlich. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Arzt nach telefonischer Anamnese eine Erstbescheinigung für bis zu fünf Kalendertage ausstellen. Gemäß der KV Schleswig-Holstein ist eine Telefon AU für Kinder angedacht und würde in der Systematik dem Prozedere folgen, allerdings gibt es dazu bis dato noch keine Rückmeldung des GKV-Spitzenverbandes (~ KVSH | Vorraussetzung Telefon AU).
Besteht die telefonisch diagnostizierte Erkrankung fort, muss der Patient für die Folgebescheinigung persönlich die Arztpraxis aufsuchen. Falls die erste Bescheinigung während eines Praxisbesuchs ausgestellt wurde, ist aber auch die Feststellung einer weiterhin bestehenden Arbeitsunfähigkeit telefonisch möglich. Es besteht jedoch kein Anspruch der Versicherten auf eine Anamnese und Feststellung der Arbeitsunfähigkeit per Telefon. Die Übersendung der AU im Falle der telefonischen Ausstellung (oder via Videosprechstunde) kann mit der Kostenpauschale 40128 abgerechnet werden. Ob im Rahmen dieses, auf Dauer angelegten, Beschlusses die anderen GOPs geändert werden, lässt sich der Beschlussbegründung nicht entnehmen.
Haufe v. 11.12.2023
Krankschreibung per Telefon wieder möglich
Ärztenachrichtendienst v. 09.12.2023
Telefon-AU: Sind wirklich alle Details geklärt?
ÄrzteZeitung v. 07.12.2023
Telefonische Krankschreibung ab sofort und dauerhaft möglich
Update eRezept | Digital-Gesetz des BMG (DigiG) abschließend im Bundestag
Für Donnerstag, den 14. Dezember ist im Bundestag die 2. und 3. Lesung zum Digital-Gesetz vorgesehen, mit dem die ePA neugestaltet sowie die eRezept-Pflicht ab 2024 quasi bestätigt werden soll. Kurzfristig war hier noch spekuliert worden, ob die Haushaltsproblematik der Koalition den Zeitplan beeinflusst (~ Beim E-Rezept droht jetzt Verspätung), nun allerdings steht der Abschluss dieses Gesetzesvorhabens offiziell auf der Tagesordnung (~ Bundestag | 143. Sitzung). Da parallel die inzwischen vorliegenden Änderungsanträge nicht die eRezept-Thematik aufgreifen, gilt – trotzdessen die eigentliche Fristnennung, die im Referentenentwurf noch enthalten war, in der Kabinettsfassung nicht mehr auftauchte, die bisherige Ansage des BMG, dass …
… ‘das eRezept zum 1. Januar 2024 zur Pflichtanwendung wird.’ (~ Quelle) Genau genommen ist sie es auch jetzt schon, denn – wie gesagt – das aktuelle Gesetz enthält hierzu keine eigenständige Frist (mehr). Aber § 360 SGB V (~ Volltext) schreibt bereits seit Langem vor: “Ab dem 1. Januar 2022 [!!!, Annm. d.R.] sind Ärzte und Zahnärzte, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (…), verpflichtet, Verordnungen … elektronisch auszustellen und für die Übermittlung … Dienste und Komponenten nach Absatz 1 zu nutzen.” Die Regel war durch die Umstände nur nicht scharf gestellt worden, bzw. es galt die Dauerausnahme, dass Muster 16 weiter zum Einsatz kommen könne, wenn die Technik nicht funktioniert. Ab 1.1.2024 wird dies nun aber anders.
Das BMG schreibt auf seiner Homepage, dass “(Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte, die ab Januar 2024 das E-Rezept nicht unterstützen, … einer pauschalen Honorarkürzung von voraussichtlich [!!!; Anm.d.R.] 1% unterliegen [werden].” (~ mehr zu Fragen von Sanktionen & Verweigerung im Reiter ‘Was sonst nocht relevant ist.) Allerdings sollen nach den jüngsten Änderungsanträgen zum DigiG die Krankenhäuser beim Entlassmanagement von dieser Pflicht zunächst ausgenommen werden, weil es hier weiterhin an der flächendeckenden Verfügbarkeit von Highspeed-Konnektoren und TI-Gateways mangle.
Für MVZ, BAG und Praxen bedeutet dies, dass in den ersten Wochen des neuen Jahres mit einer Hochstressphase am Praxistresen gerechnet werden muss. Dies ganz unabhängig von der eigenen Vorbereitung auf die Umstellung. Denn zu befürchten steht, dass – wie bei der Einführung der eAU vor einem Jahr – die Telematikinfrastruktur unter der Last der Gleichzeitigkeit der vielen Erstanwender erst einmal instabil sein wird. Einen Vorgeschmack darauf geben aktuelle Meldungen: 12. Dezember: E-Rezept: Störung beim Einlösen | 6. Dezember: Gematik: Störung bei E-Rezept. Parallel ist mit zahlreichen Verwirrtheiten durch uninformierte oder störrische Patienten zu rechnen. Gleichwohl das DigiG KBV und KZBV explizit auferlegt, „die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden [Ärzte] über elektronische Verordnungen zu informieren. Damit soll erreicht werden, dass diese zum Beginn der verpflichtenden Nutzung am 1. Januar 2024 technisch und organisatorisch in die Lage versetzt werden, dieser Pflicht nachzukommen.” (~ Gesetzesentwurf – im PDF Seite 127). Spannenerderweise sieht der im DigiG neu vorgesehene § 361 b SGB V dementgegen eine Informationspflicht der Kassen bezüglich der technischen Details der eRezept-Einlösung gegenüber ihren Versicherten erst zum 1. März 2024 vor. D.h. zunächst müssen die Praxen die komplette Aufklärungslast tragen. Fühlen Sie sich gut vorbereitet?
Das BMG selbst hat seine FAQ-Seite dazu jüngst noch einmal aktualisiert (~ direkt zu). Parallel hat auch die Gematik versucht, patientenorientierte Informationen zur Verfügung zu stellen (~ direkt zu). Ganz besonders ist hier auf das PDF ‘in leichter Sprache’ zu verweisen. Im Dritten scheint es uns aber wichtig, dass MFA und Ärzte in den Praxen präventiv eine praxisindividuelle Strategie im Umgang mit den Patienten absprechen, die über das erwartbare Chaos der ersten Tage und Wochen, so gut es geht, hinweghilft. Hierzu verweisen wir auf den gesonderten Beitrag im Reiter Wichtig im Praxisalltag.
Apotheke Adhoc v. 11.12.2023
E-Rezept: Woche der Entscheidung
Bundesgesundheitsministerium
FAQ & die wichtigsten Inhalte zum DigiG
Widerspruch! | Zum Umgang mit Honorarregelungen und -bescheiden der KV
Kritische Bescheide sind ein leidiges, aber prekäres Thema, egal ob diese von der KV, dem Zulassungsausschuss oder der Prüfstelle kommen. Wir haben einen gut aufbereiteten Artikel in der Medical Tribune zum Anlass genommen, um noch einmal auf einige ausgewählte Punkte zum Thema einzugehen. Der frei zugängliche Artikel beschreibt die Form widerspruchsfähiger Bescheide, die unmittelbaren Fristen und Pflichten sowie notwendigen Folgeschritte (~ Medical Tribune v. 21.11.2023). Im Rahmen des BMVZ Praktikerkongresses 2023 hatte die Rechtsanwältin Frau Dr. Kronawitter einen pointierten Vortrag zu den Einspruchsverfahren bei Honorarbescheiden gehalten, dessen Quintessenz sich hier gut einfügt. Die Folien des Vortrages vom 22. September können BMVZ Mitglieder im Vortragsarchiv in der Rubrik “Abrechnung und Wirtschaftlichkeit” abrufen (~ Wissen exclusiv).
Obwohl dies bei den meisten MVZ sicher Standard sein dürfte, verweisen die Referentin, sowie nahezu alle juristischen Artikel zum Thema, auf die ordnungsgemäße Abstempelung des Posteingangs zum Eingangsdatum und nicht erst mit Bearbeitungsbeginn. Anscheinend gibt es hier fortwährend Belehrungsbedarf. Im Zweifel gilt übrigens sonst die Monatsfrist nach dem Erstellungsdatum des Bescheides. Für Anfechtungen im Honorarkontext nahm die Anwältin Bezug auf ein Urteil des LSG Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2022 (Az.L7 KA 43/20). Daraus geht hervor, dass die Anfechtung des RLV-/QZV Bescheids nur solange möglich ist, wie der zugehörige Honorarbescheid noch keine Bestandskraft hat. Somit müsste auch gegen den Honorarbescheid Einspruch erhoben werden, damit RLV-/QZV Bescheide anfechtbar bleiben.
Der oben beschriebene Artikel der Medical Tribune beschreibt als Ultima Ratio die Klage vor dem Sozialgericht. Allerdings können solche Klagen sehr zeitintensiv werden. Als Praxistipp hatte Dr. Kronawitter die Möglichkeit angeführt, das Widerspruchs- und Klageverfahren ruhend zu stellen, bis womöglich ein anderes und ähnliches Verfahren ein Urteil bringt. Hintergrund ist ihre Erfahrung, dass die HVM zwischen den Regionen doch durchaus auch Gemeinsamkeiten aufwiesen, weshalb sich Urteile unter Umständen übertragen ließen. Solche juristischen Abhängigkeiten oder verwandte Urteile sind dem juristischen Laien allerdings oft unvertraut. Aus diesem Grund plädierte die Anwältin auch ausdrücklich für ein Netzwerk zum Austausch von Informationen. Eine gute Anlaufstelle für derartige Fragen und Themen ist bspw. der BMVZ: Was tun wir?
Medical Tribune v. 21.11.2023
Bescheide von KVen und Prüfgremien: Widerspruch einlegen, aber richtig
Der niedergelassene Arzt
Praxistipps für eine effektive Regressprävention von Einzelfallprüfungen
Das MVZ als Politikum | Neues zu den Gesetzgebungsplänen des BMG
Es kommt. Es kommt nicht. Es kommt … Das Warten auf die von Minister Lauterbach vor gut elf Monaten so wortreich angekündigte MVZ-Reform verlangt Geduld. Derweil bestätigen die jüngst für das Jahr 2022 veröffentlichten Statistiken mit 395 MVZ-Neugründungen allein im Bereich der KBV (zzgl. 230 neuen Z-MVZ) den auf hohem Niveau anhaltenden Trend zu immer mehr MVZ. Die Frage, ob die derzeitige Regierung die von so vielen Seiten eingeforderte strenge MVZ-Regulierung wirklich in Angriff nehmen wird, ist daher alles andere als trivial.
Kürzlich hat der im Bundesgesundheitsministerium zuständige Abteilungsleiter Michael Weller dazu verlauten lassen, dass man beim GVSG – dem BMG-Entwurf, der unter dem Arbeitstitel ‚Versorgungsgesetz I‘ bekannt ist – die „Restart“-Taste drücken wolle. Soll heißen: Da es bis heute nicht über die Hürde der koalitionsinternen Abstimmung gekommen ist, wird das Gesetz zurückgezogen, teilerneuert und im neuen Jahr ein komplett neuer Anlauf genommen. Diese Aussage vom 7. Dezember passt zu den Vermutungen über den weiteren Verlauf, wie sie der BMVZ bereits auf seiner Verbandstagung im September sowie ausführlich schriftlich am 6. November veröffentlicht hat: Das MVZ als Politikum | Was? Wie? Wann? – Update zur Gesetzgebung.
Die ÄrzteZeitung gibt in Zitierung des BMG-Mannes Weller weiter an: „Ziel sei es dann, mit dem erweiterten GVSG-Paket in einem „sehr überschaubaren Zeitraum“ ins Bundeskabinett zu kommen. Das Gesetz solle „2024 im Bundesgesetzblatt stehen.“ (~ Quelle) Bereits zwei Wochen zuvor, am 17. November, hatte Minister Lauterbach bei der Hauptversammlung der Bundeszahnärztekammer in ähnlicher Tonlage verlauten lassen, dass er dem ‚Modell investorenbetriebener MVZ kritisch gegenüberstünde, und dass neue Regelungen dazu in Arbeit seien.‘ (~ Quelle) Wie sich zu diesen Aktivitäten die in der letzten Ausgabe (~ Archiv KW 47) vorgestellte Gegeninitiative der FDP-Bundestagsfraktion verhält, bleibt eine spannende, aber derzeit offene Frage. Immerhin hat der Koalitionspartner von Lauterbach hier hochoffiziell und unverblümt erklärt, dass „statt einem pauschalen Ausschluss von Investoren als Träger sicherzustellen [sei], dass MVZ jeder Trägerart transparent und qualitätsorientiert einen Beitrag zur ambulanten Versorgung leisten können.“
Also alles, wie gehabt: Eine konkrete Antwort auf die Frage, ob eine MVZ-Gesetz kommt (oder eben nicht), ist weiter nicht in Sicht. Die ÄrzteZeitung gibt bezüglich der Inhalte der von Weller am 7. Dezember angekündigten MVZ-Gesetzgebung vielsagend zu Protokoll: „Regelungsdetails deutete Weller in seinem – digitalen – Vortrag nicht an.“
ZM Online v. 08.12.2023
Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: GVSG, die Zweite!
ÄrzteZeitung v. 24.11.2023
Doch noch ein schönes Weihnachten für MVZ-Investoren?
Nachhaltigkeit: Relevant für große und kleine Praxisunternehmen/MVZ
In Anbetracht wirtschaftlicher Schieflagen und gravierender Alltagsprobleme in den Praxen mag das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ nicht zwangsläufig prioritär sein. Dennoch sollte ihm 2024 Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn, wer im kommenden Jahr sich nicht hinreichend aufstellt, wird 2025 womöglich ein böses Erwachen erleben. Hintergrund ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, 20 Millionen Bilanzsumme oder über 40 Millionen Umsatz. Sofern zwei dieser drei Kriterien zutreffen, fällt das Unternehmen ab dem 1. Januar 2025 unter die Berichtspflicht. Die Berichtsperiode beginnt unter Umständen aber schon im kommenden Jahr. Als Konsequenz folgen dann mögliche Probleme beim Jahresabschluss. Weitere Details, wie sich die Wirtschaftsprüfer diesbezüglich aufstellen, oder ob es vom Gesetzgeber darüber hinaus Strafen geben wird, werden sich wohl in den kommenden Monaten ergeben.
Für kleine Unternehmen kann eine Firmenpolitik im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit aber auch zahlreiche Vorteile bieten. Seien es Kreditvergaberichtlinien, Mitarbeiterbindung und -gewinnung oder schlicht eine gute Außenwahrnehmung im Sinne des Stake- bzw. Shareholdermanagements. In Anlehnung an die Erfahrungsberichte im Rahmen eines Impulsvortrages auf dem BMVZ-Verbandstag vom 21. September 2023 sei erwähnt, dass die teilweise propagierte Kostenersparnis durch ein ökologisch nachhaltiges Management in der Praxis nicht zwangsläufig eintreten wird. Bei einem umsichtigen Ausbau nachhaltiger Strukturen ist eher von einer Kostenneutralität auszugehen. Der Mehrwert ergibt sich aus den oben erwähnten Faktoren. Wer sich mit dem Thema auseinandersetzen muss oder möchte, dem sei zur Einführung ein Artikel aus Arzt & Wirtschaft empfohlen, welcher zehn Schritte zu mehr Klimaneutralität anführt. Zudem haben wir ein Paper der Universität Lüneburg verlinkt, das – obwohl von 2001 und somit schon in die Jahre gekommen – noch zahlreich zitiert wird und eine gute Einsicht zum Thema bietet.
Arzt & Wirtschaft v. 04.12.2023
Zehn Schritte zu mehr Klimaschutz in Praxis und Klinik
PURE Leuphana Universität Lüneburg v. 2001 (öffnet als PDF | das Laden dauert u.U. länger)
Umwelt-Management für Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens
Beschaffungsamt des BMI
Nachhaltige Beschaffung – Informationen zu Produktgruppen
eRezept | Erfahrungswerte zur praktischen Einführung & Sanktionsdrohungen
Das Praktikergespräch zu Organisationsfragen rund um die Implementierung der eRezept-Prozesse war eines der Haupthemen des BMVZ LiVE.MEETINGs vom 4. Dezember (~ mehr Infos). Einhellig wurde dabei von den Experten bestätigt, dass der größte Hemmschuh für die erfolgreiche Einführung praxisindividuell der Faktor Mensch sei. Wobei das Misstrauen vieler Ärzte und MFA in die Digitalisierungpflichten als nachvollziehbar herausgestellt wurde. Außerdem gäbe es hinsichtlich der Komfortabilität, mit der das eRezept in der Praxissoftware umgesetzt wurde, große Unterschiede zwischen den PVS-Systemen. Da, wo z.B. die Funktionalität ‘Komfortsignatur’ bis dato fehle, bleibe etwa nur der umständliche Weg, dass der Arzt jedes Rezept einzeln mit seinem Pin freigibt – ein Effizienzkiller im Praxisalltag. Auch die Einbettung in die Arbeitsoberfläche unterscheide sich stark hinsichtlich der Anwenderfreundlichkeit.
So oder so sei aber das Wichtigste, dass sich in jeder Praxis MFA-Team und Ärzt:innen zusammensetzen, um die künftigen Prozesse der Ausstellung und Signierung der Rezepte zu besprechen und individuelle Besonderheiten durchzuspielen. Denn die Abläufe an sich – MFA bereitet Rezept vor, Arzt unterschreibt – seien zwar vergleichbar, nicht aber die praktische Umsetzung. Die digitale Signatur verlangt völlig neue Prozesse, die ein Team zunächst entwerfen, testen und vereinbaren muss. Diese organisatorische Umstellung darf nicht unterschätzt werden und sollte keinesfalls erst im Januar ‘so nebenbei’ in Angriff genommen werden. Allerdings bestätigte sich im Gespräch, dass da, wo die neuen Abläufe sitzen, schnell Routine und Vertrauen in das eRezept entsteht. Das gilt insbesondere auch für die Patienten, wobei sich der Übertragungsweg via eGK deutlich als Königsweg herauszustellen scheint.
Sanktionen & Verweigerung | Das (am 14. Dezember verabschiedete) DigiG sowie die TI-Erstattungsvereinbarung sehen jeweils und kulmuliert Sanktionen vor, wenn eine Vertragsarztpraxis technisch nicht in der Lage ist, eRezepte auszustellen. Im ersteren Fall soll “die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen pauschal um 1 Prozent” gekürzt werden, während gleichzeitig der von der KV monatlich zu zahlende Erstattungsbetrag für die TI-Ausstattung um 50 % reduziert wird. Beide Sanktionen setzen aber explizit an der ‘Fähigkeit, Verordnungen elektronisch auszustellen und zu übermitteln‘ an. D.h. rein formal betrachtet, geht es um die technische Befähigung. Nicht direkt sanktioniert ist dagegen, wenn eine Praxis sich trotz technischer Möglichkeiten schlichtweg entscheidet, eRezepte grundsätzlich weiterhin über das Muster 16 auszustellen.
Allerdings ist von einem solchen Vorgehen abzuraten. Durch die Verankerung in den Anlagen des Bundesmantelvertrages (Ärzte, wie Zahnärzte) ist die Ausstellung von Verordnungen in Form des eRezeptes eine vertragsärztliche Pflicht. Der strukturelle Verstoß gegen diese Pflicht würde entsprechende Disziplinarstrafen nach sich ziehen. Auch wenn – davon ist für den Anfang auszugehen – die KVen vermutlich nicht von Beginn an hier ganz harte Saiten aufziehen würden.
Im Übrigen könnte es, sollte eine Praxis sich trotz technischer Fähigkeit dem eRezept konsequent verweigern, schnell relevanten Ärger mit den umliegenden Apotheken geben. Diesen obliegt die an ein hohes Eigeninteresse gebundene Pflicht, nur korrekt ausgestellte Rezepte einzulösen, da ihnen andernfalls eine schmerzhafte Minderhonorierung über die sogenannte Retaxation droht. Da ‘korrekte Ausstellung’ ab 1. Januar 2024 eben eRezept bedeutet, könnte die konsequente Weiternutzung von Muster 16 durch eine Praxis auf die Art schnell unbeabsichtigte Öffentlichkeit finden.
Ärzteblatt v. 24.11.2023
Digitalisierung: E-Rezept ab 2024 verpflichtend (PDF)
§ 60 Bundesmantelvertrag-Ärzte
Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten, Disziplinarverfahren
EuGH-Urteil mit Auswirkung auf Praxisübernahmen | Komplexere Kündigungsregeln durch Betriebsübergang?
Der Europäische Gerichtshof hat am 16. November 2023 ein Urteil verkündet, das womöglich Auswirkungen auf Praxisübernahmen in Deutschland haben kann. Konkret geht es darum, dass – obwohl der eigentliche Inhaber geht – die Identität einer Praxis gewahrt bleibt, wenn Räumlichkeiten und Personal übernommen werden. Somit liegt hier unter Umständen ein Betriebsübergang vor. Daraus würde folgen, dass nach § 613a BGB die Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsvertrag übernommen werden und Kündigungen mit dem Grund des Betriebsüberganges unwirksam sind (~ mpg Rechtsanwälte | Betriebsübernahme). Allerdings basiert das EuGH-Urteil auf einem Fall aus Spanien und betrifft die Übernahme einer Notar-Kanzlei.
Relevant ist, dass die Richter den Räumlichkeiten und dem angestellten Personal der Kanzlei ausreichend Gewicht, im Sinne der Fachkunde und Identität der Kanzlei einräumten, um zu argumentieren, dass der Betrieb, auch mit dem Weggang des ursprünglichen Notars, fortbestünde. Dies lässt sich, nach Auffassung von Jura Forum (~ Link dazu), auch auf Arztpraxen übertragen. Ausschlaggebend wird sein, ob sich das Bundesarbeitsgericht der Argumentation der EU-Richter entsprechend anschließt – bisherige Entscheidungen des BAG positionierten sich da etwas anders: BAG vom Juni 2011. Der Virchowbund ist sich dagegen bereits sicher: “Die Entscheidung ist auch auf Ärzte übertragbar. Wenn Sie also eine Praxis kaufen und das Personal übernehmen, liegt ein Betriebsübergang vor. Die Beschäftigungszeiten beim Vorgänger sind bei den Kündigungsfristen zu berücksichtigen.” (~ Quelle)
Die ÄrzteZeitung hat das Urteil ebenfalls aufgegriffen und die mögliche Konsequenz wie folgt zusammengefasst: „Danach läge ein Betriebsübergang vor, wenn der Nachfolger […] die Arbeit des Vorgängers weitgehend nahtlos fortführen kann, weil Räumlichkeiten, Personal, Gerätschaften und gegeben, falls auch der Patientenstamm zu Großteilen übernommen wird.“ Welche Konsequenzen sich daraus konkret für MVZ und mögliche Praxiserweiterungen ergeben, wird sich mittelfristig zeigen.
Bird & Bird v. 24.11.2023
Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes zum Betriebsübergang
ÄrzteZeitung v. 20.11.2023
EuGH-Urteil zu Betriebsübergang: Praxisnachfolge künftig nur mit Personalübernahme?