Für das BMG der aktuellen Legislaturperiode braucht es offensichtlich neue Kategorien. Den jüngst veröffentlichten neuen Arbeitsentwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes – kurz GVSG, Arbeitstitel auch: Versorgungsgesetz I – beschreibt der AOK-Gesetzgebungskalender daher als „Referentenentwurf: 21. März 2024 (aktualisierte unabgestimmte Fassung).“ (~ Quelle) Eine Umschreibung, die ausdrücken soll, dass zwar 'Referentenentwurf' draufsteht, dass aber die weiteren damit eigentlich verbundenen offiziellen Schritte nach wie vor nicht stattgefunden haben. Dazu gehört vor allem, die Beratung mit den fachlich zuständigen Organisationen und Behörden sowie die Abstimmung mit allen anderen Ministerien und dem Kanzleramt. Beides ist noch offen – was ein ausgesprochen ungewöhnlicher Vorgang ist. So ungewöhnlich, dass sich keine seriösen Vorhersagen über den weiteren Fortgang dieses Gesetzes ableiten lassen. Nichtsdestotrotz ist der neue, 102 Seiten starke Entwurf eine Absichtserklärung des BMG, die Beachtung verdient. Im Folgenden werfen wir diesbezüglich einige Schlaglichter:
Regelungen zu MVZ | Unverändert zu den früheren Fassungen enthalten ist eine Detailergänzung in § 95 Absatz 2 SGB V, mit der das bisherige Erfordernis an MVZ in der Rechtsform einer GmbH, eine unbegrenzte selbstschuldnerische Bürgschaft abzugeben, pragmatisch auf die Abgabeverpflichtung einer in der Höhe begrenzten Bürgschaft reduziert werden soll. Wobei die konkrete Höhe zwischen Kassen und KZBV, bzw. KBV für beide Bereiche getrennt in einer Art Rahmenvorgabe einheitlich bestimmt werden soll, um KV-regionaler Willkür vorzubeugen. Diese Verfahrenserleichterung zielt auf kommunale MVZ, adressiert aber ausdrücklich in der Begründung auch MVZ GmbHs in allen anderen Trägerschaften. Weitere Regelungen zur MVZ-Thematik enthält der Entwurf nicht.
Primärversorgungszentren | Dabei handelt es sich um den Versuch eines Strukturreförmchens, mit dem das BMG im O-Ton des Entwurfes 'die Versorgung vor allen für alte und multimorbide Patienten in strukturschwachen und ländlichen Regionen verbessern' sowie parallel 'die Attraktivität der Beschäftigungsmöglichkeiten von Hausärzten steigern will'. Wie das erreicht werden soll, ist allerdings mit vielen Fragezeichen versehen, auch weil das Gesetz weitere Festlegungen und das Thema Finanzierung völlig ausspart. Das Was & wie sollen KBV und GKV-Spitzenverband später im Bundesmantelvertrag festlegen, zur Honorierung der zusätzlichen Leistung soll der Bewertungsausschuss dann im Anschluss die neuen Anforderungen prüfen und den EBM daraufhin anpassen. Im Gesetz selbst soll als Mindestanforderung geregelt werden, dass mindestens drei volle Versorgungsaufträge der hausärztlichen Versorgung sowie die Feststellung einer bestehenden oder drohenden Unterversorgung Gründungsvoraussetzung ist. Zwei Dinge scheinen somit klar: (1) Bis hier irgendwas spruchreif ist, wird es noch dauern. (2) Im Wesentlichen kommt die PVZ-Gründung nur für MVZ und BAG, also für bereits bestehende hausärztliche Kooperationen in sehr dünn versorgten Regionen in Frage. Die Annahme, dass sich mit der neuen Option plötzlich zahlreich bisher unbesetzte Hausarztsitze besetzen lassen, scheint insgesamt leicht realitätsfern.
Mitentscheidungsrecht der Landesbehörden in ZA-Verfahren | Im aktuellen Koalitionsvertrag ist die Absicht formuliert, dass „Entscheidungen des Zulassungsausschusses künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden [sollen]“. Ein Vorhaben, das nicht zu Unrecht Ängste vor neuer Bürokratie und noch längerer Verfahrensdauer ausgelöst hat. Im aktuellen Entwurf wird nun aus der geforderten 'Bestätigung' durch die Landesbehörden, eine reine Mitbestimmungsoption. D.h. in Weiterentwicklung der bisherigen Informations-, Anwesenheits- und Beratungsrechte der behördlichen Aufsicht in Zulassungsverfahren soll eine Mitentscheidungsoption ergänzt und gleichzeitig sichergestellt werden, dass, wenn die Behörde sich nicht aktiv in das Verfahren einbringt, die ZA-Entscheidung als einvernehmlich ergangen gilt. Als generelles Ziel wird formuliert, dass „die Länder … in die Lage versetzt [werden], ihre versorgungsrelevanten Erkenntnisse … verbindlich zu Geltung zu bringen, die vertragsärztliche Versorgung maßgeblich mitzugestalten und so beispielsweise zum Abbau von Überversorgung beizutragen.“
Verbindliche Geringfügigkeitsgrenze in der Wirtschaftlichkeitsprüfung | Die Wirtschaftlichkeitsprüfung ist grob in § 106b SGB V geregelt, wird im Detail aber durch eine von KBV und Kassen ausgehandelte Rahmenvereinbarung gestaltet. Im SGB V sollten für ein Update der Prüfrichtlinie die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von 300 € „je BSNR, Krankenkasse und Quartal“ als verbindliche Rahmenvorgabe vorgeschrieben werden. Was das für die MVZ und Praxen bedeuten könnte, lässt sich gut aus der Folgenabschätzung zur Regelung ableiten: „Unter der Annahme, dass ein Prüfverfahren Kosten in Höhe von 350 € verursacht und dass die Festlegung der Geringfügigkeitsgrenze auf 300 Euro zu einer Reduktion von rund 70 Prozent der jährlich durchgeführten Prüfverfahren (im Jahr 2022: rund 47.000 Prüfverfahren) führt, ergibt sich eine Reduktion des jährlichen Erfüllungsaufwands [bei den Prüfstellen] von rund 11,5 Millionen €. Hinzu kommt die Reduktion des Erfüllungsaufwands bei bislang in die Prüfverfahren einbezogenen Ärztinnen und Ärzten in nicht quantifizierbarer Höhe.“ (Zitat: S. 52 im Entwurf) Im letzteren dürfte aus Praxissicht die wahre Erleichterung liegen. Gleichzeitig wird kalkuliert, dass den Kassen dadurch 3 Millionen Mindereinahmen entstehen.
KJ-Psychotherapeuten sollen eigene Bedarfsplanungsgruppe werden | Zur „Arztgruppe Psychotherapeuten“ zählen seit 1999 gemäß § 101 Absatz 4 SGB V alle überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzt:innen, Fachärzt:innen für Psychotherapeutische Medizin sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:innen. Im Gesetzesentwurf ist vorgesehen, dass 'psychotherapeutisch tätige Ärzt:innen sowie Psychotherapeut:innen, die überwiegend oder ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, zukünftig eine eigene bedarfsplanungsrechtliche Arztgruppe [bilden]' sollen. Geplant ist, dass dadurch zusätzliche ambulante Niederlassungsmöglichkeiten entstehen. Die Bildung der neuen Arztgruppe solle keine Auswirkungen auf den bestehenden Zulassungsstatus von bisher tätigen Ärzt:innen, bzw. Psychotherapeut:innen haben.
Gesundheitskioske | Ohne Frage sind die Kioske eines der umstrittensten Projekte dieses Entwurfes, gleichzeitig scheint es Karl Lauterbach wirklich eine Herzensangelegenheit zu sein, für ärmere und sozial benachteiligte Menschen den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erleichtern (~ Quelle). Insofern verwundern die Stichworte der Aufgabenbeschreibung der Kioske im aktuellen Entwurf nicht: 'Unterstützung, Bedarfsermittlung, Gesundheitsförderung, Vermittlung von Leistungen der medizinischen Behandlung, Klärung gesundheitlicher und damit verbundener sozialer Angelegenheiten' – also ausdrücklich nicht die medizinische Behandlung selbst. Verantwortet werden sollen die Kioske von Pflegekräften oder auch von Community Health Nurses, also Pflegekräften mit Heilkundekompetenz (~ im Entwurf S. 42). Die Zahl der Kioske, mit denen gerechnet wird, wurde inzwischen von den ursprünglich behaupteten 1.000 deutlich zurückgenommen. "Einer ersten Schätzung zufolge könnten im Jahr 2025 deutschlandweit rund 30 Gesundheitskioske, im Jahr 2026 insgesamt etwa 60 Gesundheitskioske ... errichtet sein." Wer mehr zu den bereits realen Kiosk-Projekten sowie zur Perspektive des Gesetzes in diesem Punkt erfahren möchte, der sei auf die spannende AOK-Webseite: Fragen und Antworten zum Gesundheitskiosk verwiesen.