Immer wieder wird der Ausverkauf der ambulanten Versorgung herbeigeschrien: Sogenannte Heuschrecken, die Reihenweise Arztsitze aufkaufen und große (MVZ)-Strukturen aufbauen, um die ambulante Versorgung zu monopolisieren. Das ganze auf Kosten der Patienten und nur im Interesse der Kapitalgeber.

So weit das Vorurteil. Doch was bedeuten Investitionen in der ambulanten Medizin sowohl für die Versorger, als auch die Patienten? Der BMVZ-Vorstandsvorsitzende Dr. med. Peter Velling mit einem Versuch, die Debatte zu versachlichen.

Standpunkte

  • Der Widerspruch zwischen betriebswirtschaftlichem Denken und Ethik ist sowohl in der “klassischen” Niederlassungspraxis als auch in MVZ-Strukturen grundsätzlich vorhanden. Jeder Vertragsarzt lebt die Doppelfunktion Arzt & Unternehmer. In einem MVZ werden die Rollen lediglich auf verschiedene Ebenen und Personen verteilt und damit sichtbarer.
  • Ohne Kapital von ‘Dritten’ sind Investitionen in der medizinischen Versorgung oft nicht mehr händelbar. Kapital ist entsprechend nicht grundsätzlich ‘böse’. In der Regel zeichnen sich Kapitalflüsse in die ambulante Versorgung durch das Ziel aus, den Ertrag durch eine langfristig angelegte, gute Patientenversorgung zu erzielen.
  • Statt daherzu versuchen, “Kapital” grundsätzlich aus der Versorgung rauszuhalten, muss systematisch eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie Qualität und Patientenorientierung der Versorgung unabhängig der Träger sichergestellt und kontrolliert werden kann.
  • Moderne Versorgungsstrukturen mit einer Arbeitsteilung zwischen ‘Arzt’ und ‘Kaufmann’ bieten der jeweiligen zusätzlichen Gestaltungsspielraum, steigert die Effizienz und führt damit langfristig zu einer besseren Patientenversorgung, bzw. trägt dazu bei – bei steigendem Finanzierungsdruck – den Erhalt selbiger auf dem bestehenden hohen Niveau zu sichern.

“Fremdkapital” in der ambulanten Versorgung – Ausverkauf oder notwendige Investitionen?

– von Dr. med. Peter Velling, Vorstandsvorsitzender BMVZ
Der Beitrag (Auszug) ist zu erst in der “
G&S Gesundheits- und Sozialpolitik” erschienen.

Was bedeutet es für die ärztliche Versorgung, wenn neben Ärzten im Letzten nicht nur Krankenhäuser, sondern auch medizinfremde Dritte zulässigerweise direkt oder indirekt als Leistungserbringer agieren können? Wie kann sichergestellt werden, dass die Qualität und Sicherstellung der Versorgung nicht von Kaptalinteressen erdrückt wird? Und wäre es nicht besser, dieser Entwicklung grundsätzlich einen normativen Riegel vorzuschieben?

Dies war eines der beherrschenden Themen während des Gesetzgebungsprozesses zum TSVG. Wesentliche Debatten drehten sich um die Frage, ob es nicht notwendig sei, Fremdkapital gesetzlich aus der Medizinversorgung heraus zu halten. Das ist aber schon lange nicht mehr möglich. Nicht nur, dass auch die klassische Praxisübernahme von einer ‘Arztperson‘ zur anderen weit überwiegend einer Kapitalaufnahme, bisher meist als Bankkredit, bedarf.

Arzt und Unternehmer – unvereinbar?

Auch der Umstand, dass selbst von Ärzten immer größere Praxiseinheiten gebildet werden, verändert den Markt. Denn, wenn schon die Finanzierung einer einzelnen Praxisübernahme auf die junge Arztgeneration abschreckend wirkt, wer soll dann eigentlich die schon bestehenden vertragsärztlichen MVZ mit im Schnitt sieben Ärzten, aber auch die Zweier-, Dreier- (und größer) Gemeinschaftspraxen künftig übernehmen?

Es wird vorausgesetzt, dass niedergelassene Ärzte, das wirtschaftlich Notwendige jederzeit und widerspruchsfrei mit dem ethisch Richtigen vereinen könnten.

In dieser Debatte scheint eine gewisse Scheinheiligkeit zu bestehen. Basis ist die (unbewusste?) Annahme, dass das wirtschaftliche Interesse des selbständigen Vertragsarztes konfliktfrei mit dessen ethisch geleitetem Versorgungsauftrag für die Patientenbehandlung in Einklang gebracht werden könne. Dabei wird vorausgesetzt, dass niedergelassene Ärzte in ihrer Doppelfunktion als Arzt und Unternehmer – und anders als nicht-ärztliche Versorgungsträger – das wirtschaftlich Notwendige jederzeit und widerspruchsfrei mit dem ethisch Richtigen vereinen könnten.

In dieser Sichtweise wird jedoch unterschlagen, dass alle früheren und gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Vergütung ärztlicher Leistungen ausschließlich von den wirtschaftlichen Interessen der ‚nicht-gewerblichen‘ Vertragsarztpraxen und dem Status eines jeden Praxisinhabers als Unternehmer geprägt sind.

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Deshalb muss gerade in dieser Debatte immer wieder betont werden, dass Monetik, also das betriebswirtschaftliche Denken, auch in der traditionellen Niederlassungspraxis immer und prinzipiell in einem natürlichen Widerspruch zur Ethik steht und stand.

Die wirtschaftlichen Interessen sind zwischen Arzt und MVZ entsprechend nicht grundsätzlich unterschiedlich zu bewerten. Beide wollen und müssen vom Ertrag der ärztlichen Tätigkeit das eigene Leben finanzieren, Gehälter zahlen und die Refinanzierung der Praxisausgaben absichern können. In einem Versorgungsunternehmen wird dieser Konflikt durch die Arbeitsteilung der verschiedenen beteiligten Berufsgruppen (Kaufleute vs. Ärzte) nur auf verschiedene Ebenen aufgespalten und damit deutlich sichtbar. Einen Unterschied allerdings gilt es zu beobachten, und auch hier sind die Zahnärzte vornweg: Bisher sind alle Kapitalflüsse in die ambulante Versorgung zur langfristigen Versorgungsplanung gedacht. D.h. der erwartete Ertrag soll durch eine langfristig angelegte, gute Patientenversorgung im Wettbewerb der Anbieter und unter den Vorgaben der Bedarfsplanung, erarbeitet werden.

Qualitätskontrollen statt Verbote

Neu sind allerdings Praxisübernahmen, bei denen die Versorgungsleistung tatsächlich nur Mittel zum Zweck ist. Während der eigentliche Ertrag damit erzielt werden soll, dass die getätigten Investitionen nach einem `Aufhübschen der Braut ́ durch einen raschen Wiederverkauf potenziert werden sollen. Wie das der langfristig guten Patientenversorgung dienen soll, darf zu Recht bezweifelt werden. Nicht jede der in den letzten Jahren entstandenen Zahn-MVZ-Ketten verfolgt allerdings dieses Modell.

Die Kernfrage ist, wie die Qualität der Breitenversorgung unabhängig von der Trägerschaft grundsätzlich kontrolliert und sichergestellt werden kann.

Und so ist die Kernfrage also nicht, wie man ‚das Kapital‘ möglichst aus dem Versorgungsmarkt raushalten kann, sondern wie die Qualität der Breitenversorgung unabhängig von der Trägerschaft grundsätzlich kontrolliert und sichergestellt werden kann. Ausgangspunkt entsprechender Überlegungen muss jedoch die Akzeptanz der Tatsache sein, dass die potentiellen Störungen zwischen dem wirtschaftlichen, bzw. dem monetären Interesse auf der einen und der ethisch geleiteten Patientenversorgung auf der anderen Seite sowohl in der Einzelpraxis als auch in jedem größeren Versorgungsunternehmen grundsätzlich angelegt sind und nicht verhindert können.

Beitrag moderner Versorungsstrukturen

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Von daher sollte in der Debatte um nichtärztlich geführte MVZ und Versorgungsunternehmen weniger der monetäre Aspekt im Vordergrund stehen. Wichtiger ist vielmehr die Frage und Bewertung des Beitrages, den moderne Versorgungsstrukturen mit professioneller Arbeitsteilung zwischen Ärzten und Betriebswirten zur Sicherstellung der Versorgung leisten können.

Diese arbeitsteilige Verantwortung ermöglicht dabei jeder Berufsgruppe, ihre Zeit und Fähigkeiten optimal einzusetzen und trägt dadurch dazu bei, die Versorgung der Patienten auch künftig effektiv und hochwertig sicherzustellen. Denn als Arbeitgeber bieten gerade die sogenannten‚ unternehmerisch aufgestellten Versorger den Ärzten gleich einen ganzen Strauß an Optionen, in individuell angepassten Beschäftigungsmodellen angestellt tätig zu sein und tragen damit auch für die Mediziner zu einer gesunden Pluralität im deutschen Gesundheitswesen bei. Dabei ist es gerade die vielfach kritisierte‚ andere ‚Perspektive‘ eines größeren Trägers, bei der naturgemäß die einzelne Arztpersönlichkeit aus dem Fokus rückt, die Chancen für eine moderne und effiziente Versorgung der Patienten bietet.